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Horst Wagner
Berlin vor 100 Jahren
Hochschulfest und Denkmalschändungen

»Wir treten also mit einem völlig neuen und vielversprechenden Verkehrsapparat in das 20. Jahrhundert ein«, meinte die »Vossische Zeitung« am 13. Oktober 1899 in einer Nachbetrachtung zur »Internationalen Motorwagen- Ausstellung Berlin 1899«, die den ganzen September über in Exerzierhaus und Kasernenhof des 2. Garderegiments in der Karlstraße stattgefunden hatte. Seit Schluß dieser Ausstellung hätten »sich die Motorfahrzeuge in den Straßen Berlins bedeutend vermehrt«. Leider müsse man »gegen die Benzin-Motorfahrzeuge den Vorwurf erheben, daß sie abscheulich stinken«. Das Blatt stellte – welch kühne Prognose – die Einführung eines Ersatzmittels für Benzin in Aussicht, »das absolut geruchlos sein soll«. Bis dahin könne aber schon viel dadurch getan werden, daß »der Besitzer eines solchen Motorfahrzeuges versteht, dieses richtig zu bedienen«, und beispielsweise »das richtige Gemenge von vergastem Benzin und atmosphärischer Luft herzustellen weiß«.
     War die »Motorwagen-Ausstellung« das Großereignis des Septembers, so stand im

Oktober die 100-Jahr- Feier der Technischen Hochschule im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In den Berliner Zeitungen erschienen mehrteilige Beiträge dazu. »Ein prachtvoller Anblick! Aus den Banderien, die sich um Wände und Pfeiler schlingen, leuchten große elektrische Sterne nieder«, berichtete das »Berliner Tageblatt« vom Beginn des Festaktes am Mittag des 19. Oktober in der Großen Halle der Hochschule in Charlottenburg. Kurz vor 12 Uhr erscheint der Kaiser. Nachdem er vom Rektor, Geheimrat Riedler, anderen Honoratioren und einer Ehrenwache des Schöneberger Eisenbahnregiments begrüßt worden ist, verleiht er der TH das »Recht der Diplomierung, der Promotion und der Verleihung des Ehrentitels als Doktor- Ingenieur«. In seiner Rede spricht Wilhelm II. die Erwartung aus, daß die Technische Hochschule »aus der anregenden Berührung mit dem Leben fortdauernd neue Kraft und Nahrung« ziehen werde. Symbol für diese Verbindung seien die vor Beginn des Festaktes am Portal enthüllten Denkmäler für Werner von Siemens und Alfred Krupp. »Solange Sie die Erinnerung an diese Männer festhalten und ihrem Vorbilde nacheifern, wird die deutsche Technik im Wettkampf der Nationen allzeit ehrenvoll bestehen.«
     Am 20. Oktober, an dem die Jubiläumsfeiern fortgesetzt wurden, fand auch ein »zwangloses Mahl« ehemaliger Studenten der Bauakademie zu Berlin, aus der die TH hervorgegangen war, in den Festsälen des
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Zoos statt. Unter den über 400 Teilnehmern waren der Geheime Baurat Hobrecht und Oberbaurat Hinckeldey. Vorab hatte die »Vossische« ausführlich aus der anläßlich des Jubiläums erschienenen »Chronik der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin« zitiert und in diesem Zusammenhang die von Friedrich dem Großen schon 1775 geplante »Ecole de Genie et d'architecture« ebenso erwähnt wie die Gründungsurkunde vom 18. März 1799 der im darauffolgenden Sommer am Werderschen Markt eröffneten, von Schinckel gestalteten Bauakdemie. An anderer Stelle konnte man der »Vossischen« entnehmen, daß der Neubau der Technischen Hochschule, die aus der Vereinigung der Bauakademie mit dem 1821 gegründeten Gewerbe-Institut entstand, von Kaiser Wilhelm I. »selbst noch am 2. November 1884 ... an der Prachtstraße, die Berlin und Charlottenburg in gerader Linie verbindet«, eingeweiht wurde.
     Ein weiteres Ereignis, das im Oktober 1899 ganz Berlin beschäftigte bzw. erregte, war »die Schandthat in der Siegesallee«, wie die »Vossische Zeitung« am 26. Oktober die Verstümmelung der Denkmäler Albrechts des Bären und anderer Figuren aus der brandenburgisch- preußischen Geschichte durch »einige rohe Leute« nannte. Der Kaiser habe sich aber dazu »mit großer Ruhe« geäußert und »zugleich den Tiergartendirektor Geitner beauftragt, zum Schutz der Denkmäler in der Siegesallee hinter der gesamten Anlage
und den Hecken einen Stachelzaun herstellen zu lassen«. Auch solle das elektrische Licht nicht nur bis Mitternacht, sondern die ganze Nacht über brennen bleiben. Von der Polizei verlautete, daß sie zwar »die Thäter noch nicht gefaßt« habe, sie aber vermute, »daß junge Leute, die an ihren Spazierstöcken als Abzeichen ihres Vereins kleine Hämmer, Zangen oder dergleichen tragen, in der Trunkenheit diese Schändungen verübt haben«. Jedenfalls werde jetzt die Einrichtung zweier neuer Polizeiwachen in Tiergarten beschleunigt.
     Was sonst noch geschah in diesem Oktober vor der Jahrhundertwende? Am Sonnabend, dem 8. Oktober, begannen mit einem Vortrag von Max Hirsch über »Die Einkommensverteilung und ihr neuester Wandel« im Gesangssaal des Französischen Gymnasiums in der Dorotheenstraße die Wissenschaftlichen Abende im Wintersemester der Humboldt-Akademie. Die Ärztekammer für Berlin- Brandenburg setzte sich am 15. Oktober mit dem »Ministerialerlaß über die thunlichste Vermeidung von Fremdwörtern in ärztlichen Gutachten« auseinander. Der Verzicht auf solche fremdsprachlichen Bezeichnungen, die internationales Gemeingut seien, würde »das Ansehen der deutschen Wissenschaft im Ausland schädigen«. Als Kompromiß wurde beschlossen, künftig »den fremdsprachigen technischen Ausdrücken in Klammern eine Verdeutschung hinzuzufügen«.
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