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Thea Koberstein
Zedaka heißt Wohltätigkeit

Vor 170 Jahren wurde ein jüdisches Altersheim eröffnet

Als die Jüdische Gemeinde 1829 ihr erstes Altersheim einrichtete, wurde damit eine langjährige Forderung ihrer Mitglieder erfüllt. Man wollte es nicht länger zulassen, daß alte und verarmte Glaubensgenossen ihren Lebensabend in Hospitälern oder Armenhäusern verbringen mußten. Von nun an hatten sie ihr Heim gleich nebem dem Jüdischen Krankenhaus in der Oranienburger Straße 8. Es wurde »Altersversorgungsanstalt« genannt, aber es war bald mehr. Die Insassen, Frauen ab 50 und Männer ab 60 Jahre, brauchten keine Miete zu bezahlen, erhielten Kleidung, wurden verpflegt und bekamen ein Taschengeld. Es war an vieles gedacht worden, und doch gab es bald neue Pläne. Ein neues und geräumiges Haus wurde gebaut. Große Hamburger Straße 26 hieß die neue Adresse. Hier, inmitten des alten Berlin, direkt vor dem alten jüdischen Begräbnisplatz, war nun das neue Zuhause. Am 28. Juli 1844 zogen die Heimbewohner ein. Ihr erster Blick aus dem Fenster fiel auf üppiges Grün. Aus dem Friedhof war ein

Park geworden, schon lange hatte man hier niemanden mehr bestattet. Geblieben waren Grabmäler, Zeugnisse der jüdischen Berliner seit dem 17. Jahrhundert.
     Die Bewohner des Heims waren zufrieden, viele hatten früher allein gelebt, jetzt erst konnten sie wieder mit Gleichgesinnten zusammensein und die jüdischen Feste feiern. In jeder Woche war Schabbat ein Höhepunkt. Der Kelch für den Wein, der Segensspruch und das Brot, aus drei Teigzöpfen geflochten, so hatten es schon die Väter gemacht, man fühlte sich heimisch. Die Zimmer waren geräumig, allein oder zu zweit ließ es sich hier gut leben. Man traf sich gern in den Gesellschaftsräumen, es herrschte eine freundliche Atmosphäre, nicht nur, weil Petroleumlampen und Öfen Licht und Wärme ausstrahlten. Und es gab eine Synagoge, den Ort des Gebets und des Lernens.
     Soviel Luxus für die Alten war im vorigen Jahrhundert durchaus keine Selbstverständlichkeit. Doch Berliner Juden leisteten es sich, einen Teil ihres Vermögens für das Altersheim zu stiften. Die überlieferten Gebote und Gesetze verpflichteten sie dazu. Zedaka (Wohltätigkeit) ist eine religiöse Pflicht, die der Begüterte gerne erfüllt. Er dankt damit Gott, der ihm so gewogen ist. Ohne Zedaka hätte die Altersversorgungsanstalt in der Großen Hamburger Straße nicht gebaut und später erweitert und modernisiert werden können. Hier haben viele
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Der Sederabend fand 1935 im Altersheim statt. Man feierte den Auszug aus Ägypten und las dem Thema entsprechende Erzählungen und Gedichte
Gönner Gutes getan und wurden entsprechend geehrt. Man brachte über den Zimmertüren des Hauses Tafeln mit ihren Namen an. Die Stifterfamilien Manheimer, Reichenheim, Simon und viele andere wurden lange nicht vergessen. Nicht nur Ruhm, auch Einfluß wurde den Stiftern zugebilligt, ein von ihnen empfohlener Glaubensgenosse wurde ins Heim aufgenommen. Für den Betroffenen war das oft das große Los, denn mittlerweile gab es mehr Anwärter als Plätze. Die Qualitäten des Hauses hatten sich herumgesprochen. 1879, als das 50jährige Bestehen der Altersversorgungsanstalt gefeiert wurde, kamen Berge von Anerkennungsschreiben und Blumen, sogar von Kaiserin Augusta.
     Noch viele Jahre war dieser Alterssitz begehrt, die Insassen fühlten sich geborgen, bis 1933, da ahnten schon einige von ihnen, daß die Katastrophe auch sie mitreißen würde. 1942, während des jüdischen Wochenfestes, besetzte die Gestapo das Haus. Die Frauen und Männer wurden deportiert, ihr Heim zum »Judenlager« gemacht. Vergitterte Fenster, Tiefstrahler und Wachposten – aus dem Altersheim war ein Gefängnis geworden. Hierher wurden, aus ihren Wohnungen abgeholt, Tausende jüdische Berliner gebracht. Frauen, Männer, Greise
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oder Kinder, niemand wurde geschont, fast übereinander hockten sie in den früher so behaglichen Räumen. Sie ertrugen Durst, Hunger und Schläge und warteten auf den Transport in die Vernichtungslager. Auch die jüdische Schule gleich nebenan wurde zum Sammellager. 55 000 Menschen wurden durch die beiden Häuser geschleust.
     Die Altersversorgungsanstalt hätte in diesem Jahr ihr 170. Jubiläum gefeiert, sie existiert nicht mehr. Das Gebäude wurde in den letzten Tagen des Krieges zerstört, die Reste später abgetragen. Von den Insassen hat man nach ihrem Abtransport nichts wieder gehört, nur eine Frau kam schwerkrank aus dem KZ Theresienstadt zurück. Aus dem Platz, auf dem einst das Haus der alten Juden stand, ist ein Ort des Gedenkens für die Berliner Opfer der Schoah geworden. Oft sind Passanten zu sehen, die nachdenklich verharren und Blumen oder, nach jüdischer Sitte, Steinchen der Erinnerung ablegen. Aber es gibt, wieder oder noch, auch Unbelehrbare, die das Denkmal schänden.

Bildquellen: Wegweiser durch das jüdische Berlin, Nicolai 1987;
Foto: A. Plehn/LBV


 
Gedenkstein Große Hamburger Straße
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