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Horst Wagner
Berlin vor hundert Jahren
Zukunftswagen und ein Damen-Skatclub

Bei einer Umfrage der »Berliner Illustrirten Zeitung« von 1899 war das 19. Jahrhundert vor allem als das der Erfindungen bezeichnet worden. Gegen sein Ende hatte es auch das Automobil hervorgebracht und seine praktische Anwendung demonstriert. »Die Ausstellung der Zukunftswagen« überschrieb das »Berliner Tageblatt« seinen Bericht von der am Sonntag, dem 3. September, eröffneten »Internationalen Motorwagen-Ausstellung Berlin 1899« im Exerzierhaus und auf dem Kasernenhof des II. Garderegiments zu Fuß in der Karlstraße.
     Das Blatt hob die Vielseitigkeit hervor, »mit der man schon das Automobil dem Verkehr, dem Vergnügen und dem Sport nutzbar zu machen verstanden hat ... Omnibusse, Trambahnwagen, Landauer, Motorräder, Brauerwagen, elegante Viktorias, Postkariols und Rennwagen sieht man hier in vorzüglichster Ausführung und in noch nie gezeigter Reichhaltigkeit.«
     In einem Halbzeitbericht von der bis zum 28. September andauernden Ausstellung schrieb die »Vossische Zeitung« über den

internationalen Charakter der Schau: »Man hört englische, französische, italienische, russische Laute ... man sieht fremdländisch anmutende Damen in elegantester Toilette.« Und man solle nicht denken, daß Deutschland allein tonangebend sei im Motorwagenbau. Besonders auch in Frankreich seien große Anstrengungen unternommen worden. Das Blatt erläuterte, daß der mit Benzin oder Petroleum durch Hinzutreten von Luft betriebene »Explosionsmotor« als Antrieb auf der Ausstellung ebenso vertreten sei wie der batteriebetriebene Elektromotor. Und man könne noch nicht sagen, welcher Antriebsart die Zukunft gehört.
     Ebenfalls am 3. September 1899 ging auf der Linie Kreuzberg – Stettiner Bahnhof der erste elektrische Omnibus in Betrieb. Das von der Neuen Berliner Omnibus Gesellschaft eingesetzte Gefährt mit 12 Plätzen im Inneren, 12 Deck- und 2 Stehplätzen sei »den ganzen Tag über der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und von früh bis spät vollständig besetzt« gewesen. Wie die »Vossische« weiter informierte, reiche eine den Motor treibende Batterieladung für zwei Stunden. Nach sechsmaliger Fahrt hin und zurück müsse der Bus erneut an die Ladestation Borsigstraße 2. Um für die zu erwartende Erweiterung des Elektro-Bus- Verkehrs gerüstet zu sein, wurde übrigens in der Nacht vom 5. zum 6. September auf dem Askanischen Platz am Anhalter Bahnhof eine zweite Ladestation eingerichtet.
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Auch auf der geplanten (dann allerdings erst am 15. Februar 1902 in Betrieb genommenen) Hochbahnstrecke zwischen Stralauer Tor und Potsdamer Platz werde es bald elektrisch zugehen. Die ersten beiden »elektrischen Hochbahnwagen«, so die »Vossische« am 9. September, seien jedenfalls »soeben eingetroffen ... Das Äußere wie das Innere der eleganten Wagen erinnert in vieler Hinsicht an die Staatsbahnwaggons bzw. an die Wagen des kaiserlichen Hofzuges.«
     Apropos Kaiser: Dieser ließ bereits am 1. September, am Vorabend des Sedan-Tages also, die Große Herbstparade auf dem Tempelhofer Feld abhalten. Dazu trafen Majestät, vom Neuen Palais in Potsdam kommend, »Punkt 8 1/2 Uhr« auf dem Bahnhof Großgörschenstraße ein, bestieg dort sein kaiserliches Pferd und begrüßte bald darauf das zur Parade angetretene Gardekorps. »Beim Abreiten der Front wurde der kaiserliche Gruß >Guten Morgen!< an jede einzelne Abteilung durch das Tonchaos der Instrumente und das Hochrufen der Truppen vollständig verschlungen«, meldete die »Vossische Zeitung« noch am gleichen Abend an der Spitze ihrer Lokalnachrichten. Drei Tage später begab sich Wilhelm II. dann zum Herbstmanöver ins Elsaß, nicht ohne vorher noch in Berlin dem Atelier von Reinhold Begas einen Besuch abzustatten, um dort die Skizzen für die Denkmäler Wilhelms I., Bismarcks und Moltkes für die Siegesallee zu
begutachten und »von der Darstellung in höchstem Maße befriedigt« zu sein.
     Was sonst noch geschah in diesem Septembermonat vor der Jahrhundertwende? An der MünzEcke Kaiser-Wilhelm-Straße (der heutigen Karl-Liebknecht-Straße) wurde das »Königs-Café« eröffnet. Das neue, aus dem Umbau des »Münzhofes« entstandene Café, so konnte man in der »Berliner Morgenpost« lesen, böte etwa tausend Gästen Platz.
     Wie ebenfalls der »Morgenpost« zu entnehmen war, konstituierte sich in einem Restaurant am Gesundbrunnen ein Damen-Skatclub, zu dem allerdings nur verheiratete, verwitwete oder geschiedene Frauen, also keine jungen Mädchen oder ältere Fräuleins, zugelassen seien. Als »Skattrunk« werde von den Damen Berliner Bier bevorzugt.
     Und im Gerichtsbericht der »Vossischen Zeitung« vom 9. September war zu lesen, daß das Schöffengericht zu Spandau unter Ausschluß der Öffentlichkeit gegen den Regierungssekretär a. D. Hermann Bieber wegen Hausfriedensbruchs und Beleidigung verhandelte. Unter dem Vorwand, einen Versicherungsvertrag abschließen zu wollen, sei der ehemalige hohe Beamte und jetzige Generalagent in die Wohnung eines jungen Mädchens eingedrungen und habe ihr »beleidigende Anträge« gemacht. Er wurde zu zweieinhalb Monaten Gefängnis verurteilt.
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