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Horst Wagner
Berlin vor 100 Jahren
Kämpferische Dienstmädchen

Am Mittwoch, dem 16. August 1899, hatte die »Vossische Zeitung« ihre meist gutbürgerliche Leserschaft mit der Meldung aufgeschreckt, daß ein »sozialdemokratischer Verband häuslicher Arbeiter« als »eine klassenbewußte Organisation männlicher und weiblicher Dienstboten« in Bildung begriffen sei. Die sozialdemokratische Frauenzeitung »Die Gleichheit« habe dabei die Führung übernommen. Ziel sei die völlige Aufhebung der Gesindeordnung und die Gleichstellung mit den gewerblichen Arbeitern. Schon am Abend des nächsten Tages fand in der Berliner Ressource, Kommandantenstraße, die erste sozialdemokratische Dienstbotenversammlung statt. Um neun Uhr habe der Saal wegen Überfüllung geschlossen werden müssen, bemerkte die »Vossische« in ihrem Bericht. Dienstboten seien »nur in geringer Zahl« erschienen. »Besonders zahlreich waren Herren, Verkäuferinnen, Frauen aus der sozialdemokratischen Frauenbewegung und Studentinnen vertreten.« Hauptrednerin war die damalige Mitherausgeberin (neben Clara Zetkin) der »Gleichheit«, Lily Braun (1865–1916). Sie wandte sich vor allem an die

weiblichen Dienstboten und forderte sie auf, sich zu organisieren. Dies wäre aber nur möglich, wenn sie berufsmäßig ausgebildet würden. Als Mädchen für alles sollte sich kein Dienstbote mehr vermieten. Die sozialdemokratische Partei wolle sie in diesen Bestrebungen unterstützen. Unter den von der Versammlung beschlossenen Forderungen war auch die, mit den gesundheitswidrigen Wohnverhältnissen der Dienstboten Schluß zu machen. Die entsprechenden Räume müßten belüftbar, verschließbar und vor allem auch beheizbar sein. In ihren »Memoiren einer Sozialistin« erinnert sich Lily Braun an diese und weitere Versammlungen: »Mit bunten Sommerhüten und hellen Blusen füllten die während der Reisezeit der Herrschaften dienstfreien Mädchen die glutheißen Säle ... Es gab welche, die ihre Kolleginnen um den dunklen Hängeboden in der Küche beneideten, weil sie nichts hatten als ein Schrankbett auf dem offenen Flur oder eine Matratze im Baderaum.«
     Gleich neben dem Bericht über die erste sozialdemokratische Dienstbotenversammlung hatte die »Vossische Zeitung« übrigens gemeldet, daß »die Klempner Berlins auf ihrer Generalversammlung beschlossen, in eine allgemeine Lohnbewegung einzutreten«. Gefordert würden ein 50-Pfennig- Mindeststundenlohn, der neun Stunden-Arbeitstag, die Abschaffung von Überstunden und die Verbesserung von Schutzvorrichtungen auf den Baustellen.
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Ein paar Tage vorher hatte sich der »Verein der Saalbesitzer Berlins und Umgebung« in der Hasenheide mit einem Antrag des Gastwirtes der »Spreeterrasse« beschäftigt, »gegen das Mitführen übermäßiger Mengen von Bier und Branntwein durch Gesellschaften und Vereine an Bord der Vergnügungsdampfer vorstellig zu werden«, weil er darin offenbar eine unliebsame Konkurrenz sah. Ein Saalbesitzer aus Adlershof beschwerte sich über die rigorose Handhabung der vom
Sozialdemokratische Dienstbotenversammlung
dortigen Amtsvorsteher vorverlegten Polizeistunde. Eines Abends, »als gerade ein vorschriftsmäßig angemeldetes Vereinsvergnügen stattfand«, sei sein Lokal »plötzlich von zehn bis zwölf Gendarmen heimgesucht« worden, die »das Gaslicht auslöschten und das Klavier versiegelten«.
     Von Gefährdungen ganz anderer Art berichtete die »Berliner Morgenpost« vom 12. August 1899. Sie wies auf die »sittliche Gefährdung« der Schüler des Köllnischen Gymnasiums an der Inselstraße hin. Auf ihrem Schulweg müßten sie die Straße An der Fischerbrücke passieren. Dort hätten die »interessanten Damen« und ihre »Beschützer« ihr Revier. Ganz in der Nähe, in der Spreegasse, befand sich bekanntlich auch eines der ältesten Bordelle Berlins,
wonach – wie böse Zungen behaupten – die Jungfernbrücke ihren Namen habe.
     Erfreulicheres tat das »Berliner Tageblatt« vom 13. August kund. Es berichtete vom »Verkauf wegen vorgerückter Saison«, wie damals der Sommerschlußverkauf genannt wurde. Unter dem »Verzeichnis der herabgesetzten Preise« seien neben Damenroben, Hüten, Korsetts und Herrenwesten auch Reibeisen, Stiefelknechte, Fahrradlaternen, Schachbretter, Spucknäpfe und Romanbände zu finden gewesen.

Bildquelle: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, 1999
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