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Gerhard Keiderling
Der »Al Capone« vom Alexanderplatz

Das Ende der Gladow-Bande 1949

11. Mai 1949, gegen halb ein Uhr mittags, Unter den Linden Ecke Charlottenstraße: In seiner grünen BMW-Limousine sitzt ahnungslos der 44jährige Chauffeur Eduard Alte, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und von rechts zwei Männer in den Wagen springen. Alte sieht einen Pistolenlauf auf sich gerichtet. Bevor er die Situation begreift, drückt einer der Gangster, nach Zeugenaussagen etwa 17 Jahre alt, ab und zerrt den Verletzten auf den Bürgersteig. Mit hohem Tempo rast der Wagen davon. Wenig später stirbt Alte im Polizeikrankenhaus an einem Lungensteckschuß. Die Berliner Öffentlichkeit ist aufs höchste empört. Die Polizei sucht fieberhaft nach den Tätern. Drei Wochen später gelingt es ihr, der frechsten und brutalsten Bande der Nachkriegszeit das Handwerk zu legen.
     Werner Gladow, im Mai 1931 in Berlin als Sohn eines Schlächters geboren, war gerade 16 Jahre alt, als er auf dem Alexanderplatz seine Verbrecherlaufbahn begann. Hier wie anderswo florierte der schwarze Markt. Schieber, Spekulanten und Kriminelle fan-

den dabei einen einträglichen »Job«. Auch der pfiffige Gladow merkte, daß man schnell »Knete« machen konnte. Zwei Jugendarreststrafen wegen illegalen Schwarzhandels schreckten ihn nicht ab. War es wirklich – wie es später hieß – die faszinierende Lektüre einer Story über den legendären Al Capone, die den Pubertierenden zum rücksichtslosen Verbrecher werden ließ? Oder lag es einfach an der Zeit, die solch gräßliche Missetaten möglich machte?
     Der Umstieg von kleinen Gaunereien auf dem schwarzen Markt ins »harte Gschäft« vollzog sich rasch. Im April 1948 schlug Gladow am hellichten Tage die Fensterscheibe eines Fotogeschäfts in der Rankestraße am Zoo ein und stahl eine Kamera, die – wie sich im nachhinein herausstellte – aber nur eine Attrappe war. Auf der Flucht über die Trümmerberge schüttelte er den ihn verfolgenden Geschäftsinhaber durch einen Schuß in dessen Bein ab. Bald darauf kaperte Gladow zusammen mit einem Kumpanen in der Nähe des Kurfürstendamms ein Auto und fuhr damit in den Ostsektor. Als Volkspolizisten sich näherten, schossen sie sich den Fluchtweg frei. Der nächste Coup – ein dreister Überfall mit Waffengebrauch auf den Kassierer eines Rummelplatzes auf dem »Exer« in Prenzlauer Berg – erbrachte den ersten größeren Geldbetrag.
     Gladow erkannte, daß man, um große Dinger zu drehen, ganz anders herangehen müsse. Zunächst sammelte er um sich eine
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Bande von zehn Mann, die sich untereinander nur unter ihren Spitznamen kannten. Der Älteste war Mitte Dreißig. Über die Bekanntschaft mit Gustav Völpel, der als Scharfrichter zwischen 1946 und 1948 in beiden Teilen Berlins mal mit dem Fall-, mal mit dem Handbeil seinem anrüchigen Gewerbe nachging, erhielt Gladow wichtige Tips und erweiterte seinen »Freundeskreis« zeitweise auf bis zu 27 Mann. »Doktorchen«, wie er sich nennen ließ, war mit gerade 17 Jahren der anerkannte Bandenchef, der die Pläne ausheckte und dem alle bedingungslos gehorchten. Als Treffpunkt und zugleich Briefkasten diente ein Feuermelder in der Frankfurter Allee.
     Die zweite Erkenntnis, die Gladow aus seinen bisherigen Raubzügen gewann, lautete: Wir müssen allesamt bewaffnet sein. Aber wie? Am späten Abend des 24. November 1948 legten sich der Bandenchef und zwei seiner treuesten Paladine, nämlich »der Schnelle« und »der ganz Schnelle«, am Sektorenübergang Engeldamm und Köpenicker Straße auf die Lauer. Die vorüberkommende Streife der Volkspolizei des Ostsektors wurde blitzschnell entwaffnet. Jetzt verfügte man schon über sieben Revolver. Damit konnte der Bandenchef bei weiteren Überfällen auf Juweliergeschäfte am Ku'damm, Schlesischen Tor und Tauentzien schon mehr ausrichten; seine Kumpane gewährten Feuerschutz.
Das nächste Verbrechen war der brutale Überfall auf eine Tauschzentrale in der Frankfurter Allee am frühen Nachmittag des 7. Dezember 1948. Tauschzentralen waren amtlich zugelassene Geschäfte, in denen Bürger Waren zum Tausch gegen Geld oder Lebensmittel anboten. Der Magistrat hoffte, auf diesem Wege dem Schwarzmarkt das Wasser abzugraben. Der Geschäftsinhaber Brieger wollte gerade mit seiner Frau und der letzten Kundin die Räume verlassen, als sich ihnen der maskierte Gladow mit entsicherter Pistole in den Weg stellte. Er verlangte die Herausgabe der Tageseinnahmen. Brieger und die beiden Frauen wurden gefesselt. Mit einer Heizsonne und brennender Pappe an den nackten Fußsohlen Briegers versuchte Gladow, das Versteck »herauszukitzeln«. Der sich vor Schmerzen krümmende Geschäftsinhaber händigte schließlich die Schlüssel zu einer Kassette mit 6 000 Mark aus, die sich in einer benachbarten Filiale befand. In einem günstigen Moment entledigte sich Brieger seiner Fesseln; barfuß stürzte er auf die Straße und rief die Polizei zu Hilfe. Unterdessen türmte die Gladow-Bande mit der erbeuteten Kassette.
     Weitere Gewalttaten hatten den Munitionsvorrat dezimiert, man brauchte Nachschub. Am Abend des 19. Januar 1949 entwaffnete Gladow mit einem Komplizen erneut acht Volkspolizisten an der Sektorengrenze von Treptow zwischen Wiener Brücke und Kiefholzstraße. Seine Masche war
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immer die gleiche: Auf die Doppelposten trat er von hinten zu und forderte sie auf, die Hände hochzuheben, dabei entwendete er ihnen geschickt die Pistolen aus der Tasche. Den überraschten, um ihr Leben besorgten Polizisten blieb nichts anderes übrig, als sich den Befehlen zu fügen.
     Im Frühjahr 1949 verübte die Bande mehrere Wohnungseinbrüche mit schwerer Körperverletzung. Der Scharfrichter Völpel hatte die Tips gegeben, angeblich wären zigtausend Westmark zu erbeuten. Doch Geld fanden die Banditen nicht, ihre Enttäuschung ließen sie auf brutale Weise an den Opfern aus.
     Die Gier nach einem »großen Fischzug« machte die Gladow-Bande immer wilder, immer verwegener. In der Mittagsstunde des 9. April 1949 schlug Gladow die Scheibe eines Juweliergeschäfts nahe dem Königstor ein und entwendete ausgelegte Pretiosen. Auf zwei Angestellte, die sofort auf die Straße stürzten, eröffnete er das Feuer. Einer von ihnen erreichte den Flüchtenden und klammerte sich an seinem Fahrrad fest, bis er von mehreren Schüssen getroffen losließ. Inzwischen hatten sich Passanten angesammelt, die mit Steinen auf den Gangster warfen. Ein Auto nahm die Verfolgung auf. Im wahrsten Sinne des Wortes lief Gladow, die Verfolger mit seiner Pistole auf Distanz haltend, um sein Leben. Im Volkspark Friedrichshain schüttelte er sie endgültig ab. Obwohl die herbeigerufene Polizei das Gelände weiträumig
absuchte, fand man vom Täter keine Spur. Drei Tage später startete die Bande in Frohnau ihren nächsten Coup.
     Die Gladow-Bande hielt Berlin im Atem. Sie profitierte von den politischen Verhältnissen in der Stadt. Die öffentliche Aufmerksamkeit war auf Blockade, Luftbrücke, Währungsreform und Spaltung der Stadtverwaltung gerichtet. Seit Sommer 1948 ging auch ein tiefer Riß durch die Berliner Polizei. Zwischen der Markgraf-Polizei im Osten und der Stumm-Polizei im Westen gab es kaum Kontakte in der Bekämpfung des Verbrechertums. Wer in einem Teil der Stadt ein Kapitalverbrechen beging, konnte sicher sein, daß ihn im anderen Teil sobald keine polizeilichen Ermittlungen erwarteten.
     Die eingangs geschilderte Tat, mit dem Tod eines Menschen verbunden, sollte das vorletzte Kapitel im grausigen Treiben der Bande sein. Mit dem erbeuteten BMW fuhren die Gangster zum GASAG-Hauptgebäude in der Schicklerstraße nahe der Jannowitzbrücke. Doch ein wachsamer Pförtner vereitelte den geplanten Raub der Hauptkasse. Die Banditen flohen nach Friedrichshagen, wo sie eine Filiale des Berliner Stadtkontors ausrauben wollten. Aber auch das mißlang.
     Inzwischen liefen die Ermittlungen der Volkspolizei auf Hochtouren. Aus den Zeugenbeschreibungen kam man auf eine Bande jugendlicher Schwerverbrecher.
     Am 3. Juni 1949 betraten mehrere Polizeibeamte das Haus Schreinerstraße 52 im
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Bezirk Friedrichshain. Der Vater von Werner Gladow öffnete die Wohnungstür, als sich ein Polizist mit den Worten vorstellte: »Ich komme vom Arbeitsamt und möchte Ihren Sohn sprechen.« Die Mutter weckte derweil ihren Sohn, der die Situation sofort erfaßte. Er verriegelte die Zimmertür und holte zwei Revolver hervor. Es kam zu einem heftigen Schußwechsel, bei dem Gladow am Kinn und am Oberschenkel verletzt und durch starken Blutverlust ohnmächtig wurde. Sohn, Mutter und Vater nahmen die Polizisten mit. Die anderen Mitglieder der Bande wurden ebenfalls verhaftet. Ein Aufatmen ging durch die Berliner Bevölkerung.
     »Drei bis fünf Jahre würden mir genügen«, meinte der gutgelaunte Bandenchef in der Haft. Doch die polizeilichen Ermittlungen ergaben insgesamt 352 Straftaten, davon 127 schwere Verbrechen. Auf das Konto der Gladow-Bande kamen zwei Morde sowie fünfzehn Mordversuche, ferner Raubüberfälle mit Waffengewalt, schwerer Straßenraub, Waffenbesitz und Entwaffnung von Volkspolizisten.
     Der Prozeß gegen Werner Gladow und zehn seiner Komplizen begann unter größten Sicherheitsvorkehrungen am 2l. März 1950 im Saal des Reichsbahndirektionsgebäudes in der Elsässer Straße (heute Torstraße). Tausende Berliner verfolgten den täglichen An- und Abtransport der Angeklagten in geschlossenen Wagen mit Polizeikordon auf Motorrädern. Die zehn Banditen – nur
die mitangeklagte Mutter blieb davon ausgenommen – wurden an Händen und Füßen gefesselt in den Gerichtssaal geführt. Gladow spielte den Helden, kaltschnäuzig wies er alle Anschuldigungen von sich und brachte sogar mit flapsigen Bemerkungen die Zuhörer zum Lachen.
     Doch dann traten die Zeugen, die Opfer der abgebrühten Gangster, an den Richtertisch: der zum Krüppel geschossene Juwelier, die mit Gummiknüppeln verletzte Villenbesitzerin aus Dahlem, der gemarterte Inhaber der Tauschzentrale in der Frankfurter Allee und zuletzt die Witwe des ermordeten Chauffeurs Alte. Die öffentliche Meinung war einhellig: Höchststrafe. Die Verteidigung bemühte sich, für den minderjährigen Gladow das Jugendstrafrecht heranzuziehen, es hätte zehn Jahre Gefängnis bedeutet. Doch das Schwurgericht folgte dem Antrag des Staatsanwaltes und verurteilte am 8. April 1950 Werner Gladow sowie zwei seiner Komplizen zum Tode, sieben weitere Bandenmitglieder zu Strafen von fünf Jahren bis lebenslänglich Zuchthaus. Nur die der Mittäterschaft angeklagte Mutter Gladows wurde freigesprochen. Die Gnadengesuche der Todeskandidaten wurden abgelehnt. Werner Gladow, der sich als »Al Capone« vom Alex dünkte und schwerste Verbrechen auf sich geladen hatte, starb im Alter von 18 Jahren am 5. Dezember 1950 in Frankfurt (Oder) unter dem Fallbeil.
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