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Heinz Warnecke
»Ein Literat der bedenklichsten Art«

Polizeiüberwachung aus politischen Gründen vor und nach der Märzrevolution

Ende März 1848 drückte der Schriftsteller und Dramaturg Karl Gutzkow (1811–1878) in einer »Ansprache an die Berliner« die Hoffnung der Demokraten aus, »sich aus der Schnürbrust ewiger Bevormundung durch Gendarmen und bewaffneter Knechte der Disziplin« zu befreien. Denn »ehe nicht diese Schnürbrust gesprengt war, konnten wir nicht frei atmen, und alle Freiheiten der Welt, von allen Zeitungen der Monarchie proklamiert, konnten uns nicht frei machen«.1)
     Erfüllte sich diese Hoffnung aus den Tagen der Berliner Märzrevolution?
     Die Anfänge polizeilicher Überwachung aus politischen Gründen liegen in der Zeit des Aufbegehrens gegen die napoleonische Unterdrückung und der Sammlung der Kräfte für die nationale Befreiung. Karl Justus Gruner (1777–1820) übernahm 1809 das neue Amt des Berliner Polizeipräsidenten. Gestützt auf patriotisch gesinnte Berliner, entwickelte er mit der Zielrichtung auf das napoleonische Agentennetz in zwei Jahren

eine solche politische Überwachung, »daß er bald das Terrain vollkommen beherrschte und daß nichts von Bedeutung vorkommen konnte, ohne daß es zu seiner Kenntnis kam«.2) Beispielsweise kontrollierten die von ihm Beauftragten die Inhalte der von Berlin abgehenden und in Berlin eintreffenden Post. Gruner wurde 1811 zum Geheimen Staatsrat ernannt und zum Leiter der »hohen Polizei«, führte diese Tätigkeit jedoch nur ein Jahr aus, bevor er angesichts der preußisch- französischen Allianz von 1812 den Dienst quittierte.
     Zeitgenössische Akten aus dem preußischen Innenministerium wie aus dem Polizeipräsidium Berlins bezeugen, daß die polizeiliche Überwachung von oppositionellen, freiheitlich und demokratisch gesinnten Berlinern schon Jahrzehnte vor der Revolution von 1848/49 begonnen hatte. Unter den zahlreichen Berliner Polizeiakten, die mit den Worten »Überwachung des ...« beginnen, findet sich wie selbstverständlich eine mit dem Aktentitel: »Überwachung des Literaten Dr. phil. Karl Gutzkow«. Diese Berliner Akte lief von 1851 bis 1858.3) Die Akte des bekannten Berliner Satirikers Adolf Glaßbrenner (1810–1876) weist eine polizeiliche Überwachung von 1831 bis 1867 aus. Die Überwachungsakte des ehemaligen Burschenschaftlers, Privatdozenten, Herausgebers der »Halleschen«, »Deutschen« und »Deutsch-Französischen Jahrbücher« Arnold Ruge (1802–1880) trägt den Titel: »Überwachung,
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Verhaftung und Verfolgung des Literaten Dr. Arnold Ruge«. Angelegt wurde sie 1823 und dann bis 1868 geführt.4)
     Die polizeiliche Überwachung in Berlin erreichte im Vormärz einen Höhepunkt unter Julius von Minutoli (1805–1860). Von 1847 bis zu den Revolutionsereignissen am 18./19. März 1848 entwickelte er als Polizeipräsident von Berlin eine polizeiliche Überwachung der Volksbewegung für verfassungsmäßige Grundrechte und Freiheiten, die sich für den Beginn einer politischen Wende in Berlin und Preußen einsetzte. Zentrum der politischen Überwachung war das Büro des Polizeipräsidenten. Doch scheute sich Minutoli nicht, persönlich Treffen von Demokraten aufzusuchen, z. B. am 9. März an einer öffentlichen Zelteversammlung im Berliner Tiergarten teilzunehmen, Beratungen von Wortführern der Demokratie- und Freiheitsbewegung zu besuchen oder sich noch am 18. März in Gesprächen mit Barrikadenkämpfern selbst über die Situation zu orientieren.
     Am 27. Juni 1848 schied Minutoli aus dem Amt. Die polizeiliche Überwachung wurde nach dem 18. März, der die Hoffnung auf ein Ende der »Schnürbrust« geweckt hatte, jedoch fortgesetzt. Die Akte über Maximilian Alexander Schasler (1819–1903), ehemaliger Burschenschaftler, im März 1848 Redner auf Volksversammlungen und Vorsitzender des »Volksvereins In den Zelten«, begann 1847. Diese Akte verweist auf seine »Ausweisung
aus Berlin und Umgebung« und endet 1863.5) Bei mehreren Aktentiteln wurde auf die Abgeordnetentätigkeit der Überwachten aufmerksam gemacht, beispielsweise bei Julius Berends (1817–1891), Mitglied der Stadtverordnetenversammlung 1847/48 und 1848 Mitglied der Preußischen Nationalversammlung in Berlin. Der Titel: »Überwachung des Buchdruckereibesitzers und vormaligen Abgeordneten der aufgelösten Nationalversammlung«. Diese Akte wurde 1866, fünf Jahre nachdem der demokratisch gesinnte Abgeordnete die US-Staatsbürgerschaft angenommen hatte, geschlossen.6) Zu früh übrigens, denn 1874 kehrte Berends nach Deutschland zurück.
     Die Überwachungsakten des »demokratischen Literaten und Tabackhändlers Karl Adolf Streckfuß« (1823–1895) und des Barrikadenkämpfers Karl Siegrist (1813–1891) wurden erst im Todesjahr beendet. Die Akte von Siegrist trägt die aufschlußreiche Überschrift: »Untersuchung gegen den Schlossergesellen Karl Siegrist aus Braunschweig wegen Aufruhrs und seine Verurteilung zu einer Festungsstrafe – Überwachung nach seiner Entlassung sowie seine Tätigkeit in der Fortschrittspartei«.
     Die »Schnürbrust« polizeilicher Überwachung bestand offenbar jahrzehntelang weiter. Jedoch kündigte sich schon bald nach der Revolution von 1848/49 eine Veränderung der Dimension an. Die Veröffentlichung eines »Anzeigers für die Politische
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Polizei Deutschlands«, 1851 abgeschlossen und 1855 in Dresden publiziert, gibt Aufschluß.7) Das Buch enthält mehrere hundert Namen von Personen, die politisch überwacht werden sollten. Adolf Glaßbrenner wird als »Literat der bedenklichsten Art« bezeichnet.8) Das Gedicht Ferdinand Freiligraths (1810–1876) zur Ehrung der Berliner Märzgefallenen von 1848, »Die Toten an die Lebenden«, wird vom Autor des Anzeigers als »Schandgedicht« und »Pestbeule in der Geschichte der deutschen Literatur« verunglimpft. Der Anzeigende bedauert, daß der wegen Hochverrats angeklagte Revolutionsdichter von einem Schwurgericht freigesprochen wurde.9)
     Über Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) – bekannt als Dichter der deutschen Nationalhymne – wird berichtet, daß seine »Unpolitischen Lieder« von 1840/41 verboten sind und daß ihn »überhaupt die überwiegende Mehrzahl seiner literarischen Produkte als einen Feind der bestehenden Ruhe und Ordnung, als einen Feind der Fürsten und Regierungen dokumentieren«. Dem Autor des Anzeigers bereitet es Genugtuung, daß dieser Feind schon aus mehreren Städten Deutschlands wegen seiner politischen Gefährlichkeit ausgewiesen wurde.10)
     Im Vorwort wird Ziel und Anliegen des Anzeigers ausgeführt: »Eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller Individuen, welche auf irgend eine Weise in der Zeit vom 1. Januar 1848 bis jetzt als Feinde der
Regierungen, der Ruhe und Ordnung, wie als Träger der Ideen und Leidenschaften der Revolution sich auszeichneten, an die Spitze desfallsiger (derartiger, d. V.) Bewegungen sich stellten, mehr als Masseninteresse an den politischen Ereignissen dieser Tage nahmen und diese Anteilnahme in äußere Erscheinungen der Opposition übertreten ließen.«11)
     Um diesem Ziel näher zu kommen, gliederte der Autor des Anzeigers die »Feinde der Ruhe, Sicherheit und Ordnung« in drei Kategorien. Zur ersten zählte er diejenigen, die bisher schon von Behörden in deutschen Ländern wegen »Verbrechen politischen Charakters« verfolgt wurden. Die Daten über diese zu Beobachtenden entnahm er dem »Polizei-Anzeiger« des sächsischen Polizeidirektors Eberhard in Dresden. Als Feinde zweiter Kategorie wurden jene Personen bezeichnet, welche sich zwar nicht politischer Verbrechen bzw. Vergehen schuldig gemacht hatten, die aber »größtenteils gefährliche Subjekte« seien und deshalb strenger Überwachung bedürfen. Feinde der dritten Kategorie waren schließlich jene, die noch keine gefährlichen Feinde seien, aber als »politisch nur bedenkliche Individuen« polizeilich doch zu beobachten sind.12)
     Obwohl sich der Anzeiger an Polizeibeamte wendet und im Vorwort die Aufforderung zur Denunziation leugnet, orientierte dieses Buch seine Leser auf Unterstützung der polizeilichen Überwachung von verdächtig
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   24   Probleme/Projekte/Prozesse Polizeiüberwachung  Vorige SeiteNächste Seite
scheinenden »Feinden der Regierungen, der Ruhe und Ordnung«. Während der »Anzeiger für die politische Polizei Deutschlands« von 1851 bis 1855 vorbereitet wurde, hatte die polizeiliche Überwachung in neuer Dimension schon begonnen. Unter der Leitung des Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey (1805–1856), der im November 1848 sein Amt antrat, entwickelte sich das Präsidialbüro, die Abteilung 1 im Berliner Polizeipräsidium, zu einem Zentrum polizeilicher Überwachung über Berlin hinaus.
     Der langjährige Leiter dieser Abteilung, Ernst Wilhelm Lüdemann, wurde unter Hinckeldey Geheimer und Oberregierungsrat sowie Stellvertreter des Polizeipräsidenten im Falle von dessen Behinderung. Lüdemann wurde für seine Aktivitäten im Präsidialbüro und darüber hinaus, so in Baden bei der Niederschlagung der Revolution 1848/49, mit der goldenen Großherzoglich- Badenschen Medaille und anderen Ehrenzeichen bedacht. Hinckeldey wurde von seinen Zeitgenossen als Präfektengenie eingeschätzt. »Wo es sich um die allgemeine Wohlfahrt handelte«, schreibt ein Zeitzeuge, »war Herr Hinckeldey nicht geneigt, Rechte des Einzelnen zu respektieren oder sich nach dem Gesetz zu richten.«13) Nicht selten überschritt Hinckeldey seine Befugnisse. Beispielsweise nannte er der Berliner Presse »von Zeit zu Zeit Gegenstände, deren Besprechung ihm nicht wünschenswert war«.14)
Aus einer 1983 veröffentlichten »Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49« von Wolfram Siemann geht hervor, daß Hinckeldey bereits 1851 den Polizeiverantwortlichen der größten anderen deutschen Länder vorschlug, einen Polizeiverein zu bilden und die »Überwachung von ganz Deutschland« unter sich zu teilen. Hauptzweck dieses Vereins war »die Ausspähung, Prävention und Bekämpfung« jeglicher als revolutionär, regierungsfeindlich oder oppositionell erachteten Bestrebungen.15)
     Die erste zwischen den Verantwortlichen für politische Überwachung vereinbarte Konferenz fand bereits 1852 in Berlin statt. Anwesend waren die Polizeivertreter aus Dresden, Wien, Hannover, München und Stuttgart. Zwischen den Polizeikonferenzen, die 1855, 1865 und 1866 folgten, tauschten die Mitglieder des Polizeivereins die Ergebnisse ihrer Überwachungsarbeit in Form von Wochenberichten aus. Im Zeitraum vom 1. Januar 1854 bis 30. Juni 1855 wurden beispielsweise untereinander 95 dieser Berichte weitergegeben. Diese enthielten insgesamt 861 aus der Überwachung gewonnene Positionen, davon allein aus Berlin 258. Alle, die wegen »politischer Umtriebe, Hochverrat usw. in Untersuchung gekommen« waren oder »sonst hervorragende Persönlichkeiten«, wurden 1855 in Auswertung der Wochenberichte in einer alphabetisch geordneten Liste zusammengefaßt.16)
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Zu diesem Zeitpunkt waren die Überwachten überwiegend oppositionell eingestellte, demokratisch gesinnte Bürger. Genannt werden die »Gothaer«, nach einer im Juni 1849 in Gotha abgehaltenen Versammlung einstiger Mitglieder der Deutschen Nationalversammlung, »Liberale«, »Republikaner«, »Ultramontane«, seltener erwähnt werden »Socialisten oder Communisten«.17)
     Daran, die verhaßte polizeiliche »Schnürbrust« zu sprengen, war also in den Jahren nach 1848/49 in Berlin nicht ernstlich zu denken. Doch alle Anstrengungen, die politische Überwachung oppositionell eingestellter, demokratisch gesinnter Berliner noch mehr auszugestalten sowie durch Gesetze und Verordnungen über politische Verbrechen und entsprechende Prozesse das Selbstbewußtsein der Berliner auf den Stand vor dem 18./19. März 1848 zurückzudrängen, blieben ohne anhaltenden Erfolg.

Quellen:
1     Karl Gutzkow, Ansprache an die Berliner, März 1848, in: Unter dem schwarzen Bären. Erlebtes 1811 bis 1848. Berlin 1971, S. 546

2     Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Pr. Br. Rep. 30 Berlin C, Polizeipräsidium Berlin, 1809–1945, Tit. 94 Präsidialregistratur Lit. G. Nr. 149
3     Ebenda
4     Ebenda, Lit. R. Nr. 262
5     Pr. Br. Rep. 30 C, a. a. O., Lit. S. Nr. 339
6     Ebenda, Lit B. Nr. 311
7     ...r, Anzeiger für die politische Polizei Deutschlands. Ein Handbuch für jeden Polizeibeamten, Dresden 1855
8     Ebenda, S. 329
9     Ebenda, S. 161
10     Ebenda, S. 129
11     Ebenda, S. VII
12     Ebenda, S. VIII
13     Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon, Bd. 7, Leipzig 1863, S. 458
14     Ebenda, S. 445
15     Wolfram Siemann, Der »Polizeiverein« deutscher Staaten. Eine Dokumentation zur Überwachung der Öffentlichkeit nach der Revolution von 1848/49, Tübingen 1983, S. 2
16     Ebenda, S. 4
17     Ebenda, S. 13
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