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Horst Fliegel
Ein Italiener in Berlin

Der Komponist Ferruccio Busoni (1866–1924)

Ferruccio Dante Michelangelo Benvenuto Busoni wurde am 1. April 1866 in der italienischen Stadt Empoli geboren. Der Vater war Italiener und spielte Klarinette, die Mutter war Deutsche und galt als ausgezeichnete Pianistin. Und so stand wohl zu erwarten, daß der kleine Ferruccio in die musikalischen Fußstapfen seiner Eltern treten würde. Seine eminente pianistische Begabung war schon früh erkennbar: Bereits mit acht Jahren beherrschte er das Klavierspiel so souverän, daß der spätere Pianist, Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker in Triest sein erstes öffentliches Konzert geben konnte.
     Busonis musikalischer Lebensweg führte ihn in zahlreiche europäische Metropolen, so auch mehrmals und über längere Zeiträume nach Berlin. Aber zunächst übersiedelte die Familie von Empoli nach Graz, wo er bei Wilhelm Mayer studierte, der auch Reznicek, Kienzl, Weingartner und Heuberger unterrichtete. Dann wurde er auf Empfehlung von Johannes Brahms Schüler von Gewandhauskapellmeister Carl Reinecke in

Ferruccio Busconi

 

Leipzig. Hier machte er die Bekanntschaft von Tschaikowskij, Grieg und Mahler. Im Jahre 1881 nahm die Accademia Filarmonica in Bologna den 15jährigen als Mitglied auf, was für ihn äußerst ehrenvoll war. Fortan unternahm er Virtuosenreisen durch ganz Europa, erhielt glänzende Kritiken und war zum Markenzeichen für künstlerische Professionalität geworden. Hugo Riemann, bedeutender Musikwissenschaftler und Herausgeber eines noch heute gedruckten Musiklexikons, empfahl ihn 1888 als Lehrer

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am Konservatorium in Helsinki, wo er die Bekanntschaft des wohl meistgespielten finnischen Komponisten Jean Sibelius machte. Es folgten weitere Lehraufträge: 1890 in Moskau, 1891 bis 1893 am New England Conservatory in Boston, in New York und Bologna. In Moskau heiratete er 1890 Gerda Sjöstrand, die Tochter eines schwedischen Bildhauers, mit der er zwei Söhne hatte.
     Parallel zu seiner Lehrtätigkeit trat Busoni in ungezählten Konzertsälen Europas und Amerikas auf und festigte seinen Ruf als führender Pianist. 1894 siedelte er nach Berlin über und lebte fortan hauptsächlich in dieser Stadt. Berlin war längst zu einer Art geistig-musikalischer Heimat für ihn geworden, Deutsch war im wörtlichen Sinne seine Muttersprache, hier fühlte er sich geachtet und bestätigt. Unterbrechungen gab es nur 1907/08, als er eine Meisterklasse für Klavier in Wien leitete, und 1913–1919 als Direktor des Liceo musicale in Bologna. Während des Ersten Weltkrieges verbrachte er einige Zeit in Zürich. 1920 übernahm er in Berlin eine Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste, deren ordentliches Mitglied er 1923 neben Franz Schreker, Alexander Glasunow und Carl August Nielsen wurde. Vor 75 Jahren, am 27. Juli 1924, starb Ferruccio Busoni in Berlin.
     Der »Italiener in Berlin«, wie ihn seine Freunde gern nannten, engagierte sich sehr für die zeitgenössische Musik, spielte viele Werke junger Komponisten, dirigierte sie ab
1902 auch in regelmäßigen Konzerten mit den Berliner Philharmonikern und förderte unter anderen Béla Bartók und Arnold Schönberg. In seinen geistvollen theoretischen Schriften, so dem »Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst« (1907; 2. Fassung 1916), suchte er Klarheit über die Entwicklung der zeitgenössischen Musik und setzte sich für die Kompositionstechniken des frühen 20. Jahrhunderts ein. Er erntete dafür großes Lob und scharfen Tadel zugleich. Daneben veröffentlichte er weitere Abhandlungen, die als Sammlung unter dem Titel »Von der Macht der Töne – Ausgewählte Schriften« (1983) erschienen sind.
     Zu seiner Zeit galt Busoni auch als viel beachteter Komponist, der Werke für Klavier, aber ebenso für Orchester und die Opernbühne schrieb. Jakob Wassermann, einer der beliebtesten und meistgelesenen Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Redakteur des »Simplizissimus«, schrieb einmal über Busoni, daß sein Schaffen »auf dem Kontrast zwischen glühender Gegenwärtigkeit und einer schicksalvollen Bindung an die Tradition, zwischen lateinischer Helligkeit und deutscher Spekulation beruhte«. Fürwahr zeigt sich bei Busoni ein gewisser Zwiespalt zwischen seiner Verehrung für Bach, Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Schumann auf der einen Seite (»neue Klassizität«) und seinem übergroßen Interesse für alles Neue, Avantgardistische (ungewöhnliche harmonische und melodi-
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sche Techniken, exotisch gefärbte Klanggebung) auf der anderen. Die Bewahrung der Tradition und die Gestaltung der Zukunft waren die beiden Pole, die sein musikalisches Leben bestimmten.
     Busoni entwickelte sich neben aller pianistischen, kompositorischen und schriftstellerischen Arbeit sowie umfangreicher Lehrtätigkeit auch zu einem geachteten Herausgeber, so der Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Liszt. Noch heute wird der Begriff Bach-Busoni in Musikkreisen respektvoll genannt, verbirgt sich dahinter doch eine hochinteressante, wenn auch eigenwillige Sichtweise des Bearbeiters.
     Als Pianist sah Ferruccio Busoni sein Vorbild in Franz Liszt, den er glühend verehrte und für dessen Kompositionen er sich in speziellen Seminaren 1901/02 in Weimar einsetzte. Vom Klavier ging auch jeder seiner kompositorischen Einfälle aus. Typisch für seine Klavierkompositionen ist der hohe spieltechnische Schwierigkeitsgrad, ähnlich wie bei Liszt oder Chopin, aber auch die häufige Nutzung kontrapunktischer Elemente, die an Bach erinnern.
Die Liste seiner Kompositionen ist lang. Da sind seine Arbeiten für Klavier, u. a. Sonatinen (1910–1922), ein Klavierkonzert mit Schlußchor für Männerstimmen op. 39 aus dem Jahre 1906, die Fantasia contrappuntistica für Klavier (1910), gedacht als eine Art Krönung von Bachs Kunst der Fuge.
     Weitere Kompositionen sind ein Violinkonzert op. 35 a (1899), Konzertino für Klarinette und Orchester (1909) und eine große Zahl kammermusikalischer Werke, vor allem aber seine Opern »Turandot« (nach Gozzi, 1906), »Die Brautwahl (nach E. T. A. Hoffmann, 1912), »Arleccino« (1917) und der monumentale, nach eigenem Libretto geschriebene und der Welt des alten Puppenspiels verpflichtete »Doktor Faust« (1916–1924), postum aus dem Nachlaß vollendet von seinem Schüler und Freund, dem Komponisten Philipp Jarnach. Busonis Gesamtwerk ist gekennzeichnet durch stilistisch außerordentlich große Vielfalt. Er selbst lehnte es immer ab, einer bestimmten musikalischen Schule, Richtung oder gar Mode zugeordnet zu werden.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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