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Jenny Schon
Ein fast vergessener Moderner

Dem Bildhauer Franz Metzner zum 80. Todestag

Glaubt man einem Chronisten, muß es dem Bildhauer Franz Metzner so vorgekommen sein, als bezöge er ein Stückchen Heimat. »Ein Idealgrundstück fand er in einem der schönsten Vororte Berlins: in Zehlendorf-Mitte. Einen großen Obstgarten mit wunderbarem Baumbestand fand er da, der im Frühlinge, im Schmucke seiner Blüten, zauberisch anzusehen war. Nach eigenen Entwürfen schuf er sich sein Wohnhaus und eine Reihe von Arbeitsstätten, eine immer mächtiger und größer als die andere.«1)
     Zehlendorf war vor dem Ersten Weltkrieg noch ein Ort vor den Toren Berlins und galt als Idylle. In dem Atelier hatten Skulpturen von beachtlicher Größte Platz. Die überlebensgroße Figur des Rüdiger und andere Werke standen im Garten und erregten in der ländlichen Gegend Aufsehen.
     Metzner waren nur wenige Jahre auf seinem eigenen Stück Erde vergönnt. Am 24. März 1919 starb er im Alter von achtundvierzig Jahren. Er wurde auf dem Friedhof in der Spandauer, heute Onkel-Tom-Straße,

begraben. Keine Erinnerungstafel verweist heutzutage auf seine letzte Ruhestätte, obwohl zu seinem zehnjährigen Todestag ein Ehrenausschuß eine Gedenkfeier anberaumt hatte. Max Liebermann (1847–1935) gehörte dem Ehrenausschuß an, ebenso die Professoren Willy Jäckel (1888–1944), August Kraus (1868–1934), Fritz Klimsch (1870–1960) und andere Künstler, der Präsident des Preußischen Landtages, Bartels, der Bürgermeister der Stadt Reichenberg in der Tschechoslowakei, Franz Bayer, der Rektor der Technischen Hochschule Berlin, Hamel, sowie der Reichskunstwart Edwin Redslob, der nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch eine bedeutende kunstwissenschaftliche Persönlichkeit ist.
     In Metzners Atelier und in der Akademie der Künste in Berlin fanden Gedächtnisausstellungen statt. Sein Atelier blieb bis zu Beginn der dreißiger Jahre ein Metzner-Museum, das während der Sommermonate besichtigt werden konnte.
     Dann schweigen die Quellen, das Private hält in Zehlendorf Einzug. Franz Metzner hatte eine Tochter. 1945 wird der einzige Enkel geboren. Nach dem Krieg läßt die Tochter die Ateliers, die von Bomben zerstört wurden, wieder herrichten. Die Berliner Bildhauer Max Esser, Erich F. Reuter und andere werden als Nutzer genannt.
     Metzners Tochter stirbt 1967 in Berlin. Der Enkel, der in Westdeutschland lebt, findet keine Sponsoren für das Gelände, er muß es verkaufen. Metzners Nachlaß überläßt er als
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Franz Metzner um 1895

 

Leihgabe der Ostdeutschen Galerie in Regensburg. In Berlin finden sich keine Interessenten. Die historischen Gebäude werden für eine neue Siedlung abgerissen.
     Der Künstler Franz Metzner gerät in Vergessenheit. Zwar wird 1977 von der Villa Stuck in München eine große Wanderausstellung organisiert, die über Kaiserslautern, Regensburg und Kaufbeuren führt. Sie bringt aber keine Renaissance. Metzner wird

in eine nationalistische Ecke geschoben wegen der Bauplastik am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, das 1913 zur Hundertjahrfeier der Schlacht eingeweiht worden war. Die verwandten, aber kleineren Fassaden- oder Raumskulpturen in Berlin (Kino am Nollendorfplatz, Weinhaus Rheingold, Bellevuestraße, Volksbühne am Bülow-Platz) sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Lediglich auf dem Friedhof in der Bergmannstraße in Kreuzberg ist noch eine Grabanlage für den Industriellen Max Krause erhalten. Im Bröhan-Museum in Charlottenburg sind einige kunstgewerbliche Objekte vorhanden, wie die seinerzeit Aufsehen erregende, im symbolistischen Jugendstil geschaffene Vase »Sphinx des Lebens«. In Neugablonz/ Bayern steht sein Nibelungenbrunnen mit dem Rüdigervon-Starenberg-Standbild. Und in Regensburg ist der Nachlaß aus dem Berliner Atelier zu besichtigen.
     Wären nicht die Skulpturen in Leipzig erhalten geblieben, wir hätten keine Vorstellung mehr von dem Schaffen eines Bildhauers, der zu den Wegbereitern der Moderne zählt. Die überlebensgroßen Figuren in der Ruhmeshalle mit Namen wie Volkskraft, Tapferkeit, Zuversicht und Selbstvertrauen, würden, so behaupten manche Interpreten, an eine unheilvolle Epoche erinnern, die Metzner zum Glück nicht kennenlernen mußte.
     Wenn Kunsthistoriker bei diesem Werk von megaloman sprechen, ist der Ausdruck
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zwar, wie bei den Pyramiden, üblich, aber dennoch nicht glücklich gewählt. Unzulässig ist es allerdings, megaloman im Kunsthistorischen mit größenwahnsinnig zu übersetzen. Man müßte die Kunst der alten Ägypter, der buddhistischen Ostasiaten und der Inka dann auch so bezeichnen, und das würde keiner wagen! Bleiben wir also bei der Be- zeichnung großartig, wörtlich übersetzt: groß in seiner Art.
     Auf der Suche nach neuen Formen und weg vom Historismus des 19. Jahrhunderts, wie dem Neo-Barock, hatte Metzner Vorbilder bei außereuropäischen Kulturen gefunden. Das ist ein Vorgang, der heute zu höchster Anerkennung führt. Daß einige

Das Grundstück Machnower Straße 39 in Zehlendorf: Siegfriedfigur, im Vordergrund »Erde«

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In einem seiner Berliner Ateliers, Lessingfigur, im Vordergrund »Zusammenbruch«
1870 bei Pilsen geboren wurde. Seine Erdhaftigkeit, die Kraft seiner Linien verdankt er dieser Ausbildung. Das Filigrane, das seinen kunstgewerblichen Objekten eigen ist, hat er sich angeeignet, als er von 1897 bis 1902 Entwürfe für die Königliche Porzellanmanufaktur in Berlin anfertigt. Er erhält 1900 eine Goldmedaille auf der Pariser Weltausstellung. Ab 1896 hat der Autodidakt ein eigenes Bildhaueratelier in Friedenau bei Berlin. Kleinere Skulpturen, Büsten sind aus dieser Zeit erhalten. Sein Leitbild findet er im Werk des belgischen Jugendstil-Bildhauers George Minne (1866–1941). Metzner führt die lineare Auflösung der plastischen Substanz der Figur noch weiter fort.
     Er beginnt mit Entwürfen für architektonische Anlagen. Darunter die damals populären Bismarck-Türme. Zu dieser Zeit bereits erkennbar: die Friedhofsarchitektur außereuropäischer Kulturen, wie er sie in seinen späteren Baudenkmälern ausführen wird und deren radikale Vereinfachung der Form in die Moderne führt.
Irregeleitete vor den Mauern des Völkerschlachtdenkmals Randale machen, hat nichts mit der Kunst Franz Metzners zu tun.
     Begonnen hatte Franz Metzner als Steinmetz in Böhmen, wo er am 18. November
     1903 erhält er einen Ruf an die Wiener Kunstgewerbeschule, an der er bis 1906 lehrt. Er wird Mitglied der Wiener Sezession, gehört zu den »Stilisten« um Gustav Klimt und tritt wie dieser 1905 wieder aus.
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Metzner hat seine plastischen und räumlichen Vorstellungen auf der XX. Ausstellung der Wiener Sezession in einem eigenen Ausstellungsraum verwirklichen können, in dessen Mitte die Figur der »Erde« auf einem Sockel kauert, eine streng gegliederte Rotunde, die Decke getragen von kraftvollen, aber stilisierten Atlanten. Aufbau und Tektonik erinnern bereits an das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Metzner gelingt es, Architektur und Skulptur als eine Einheit aufzufassen.
     Damit gelingt sein Durchbruch, öffentliche Aufträge sind die Folge, zunächst in Wien und Böhmen. 1906 in Berlin mit dem Architekten Bruno Schmitz (1858–1916), der auch den Zuschlag für den Bau des Völkerschlachtdenkmals erhalten hatte, das Weinhaus Rheingold. Nach dem Tod des Breslauer Bildhauers Christian Behrens (1852–1905), der den Erzengel Michael auf der Stirnseite des Denkmal-Eingangs geschaffen hatte, wird Franz Metzner mit der weiteren Skulpturenausschmückung in Leipzig beauftragt. Eine erneute Übersiedlung nach Berlin, Ende 1906, ist die Folge. Die Mitarbeit Metzners an dem Bauwerk erstreckt sich über acht Jahre.
     Berlin hat Metzner zu eigenen Stilprägungen inspiriert. Kunsthistoriker sprechen bei seiner speziellen Auffassung der Reliefgestaltungen vom »gezwängten Menschen«. Die Figuren scheinen in den vorgegebenen Reliefgrund eingezwängt, ihn aber gleichzeitig sprengen zu wollen.
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entstehen alle wesentlichen Richtungen der klassischen Moderne. Franz Metzner versucht zunächst, die Stilisierung des Jugendstils weiterzuentwickeln, wobei die fernöstliche Kunst ebenso zitiert wird wie die archaisch vordorische. Während des Krieges versiegen die Aufträge. Metzners Kunst wird privat. Skulpturen wie »Der Leidtragende« und »Werdende Mutter« zeigen seine klaren Vorstellungen von der Darstellbarkeit alles Menschlichen, ohne überschwenglich, kitschig zu sein. Seine Maxime »reine Plastik, reine Form« hätte zur Findung abstrakter Bildwerke führen können. Sein früher Tod hat das anderen Bildhauern überlassen.

Quellen:
1     Otto Riedrich, Der Bildhauer Franz Metzner, Verlag Ed. Stache, Warnsdorf, Wien (1925), S. 22 f.

Bildquelle: Nachlaß Metzner

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