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Horst Wagner
Berlin vor 100 Jahren
Nur einmal Post an Sonntagen

1899: Berlin, damals mit seinen 23 Vororten schon fast zweieinhalb Millionen Einwohner zählend, bereitete sich zwar nicht auf einen Jahrtausend-, aber immerhin auf einen Jahrhundertwechsel vor. Das Wort Fortschritt wurde groß geschrieben. »Das Jahrhundert der Erfindungen« war von den Lesern der »Berliner Illustrirten Zeitung« mit weitem Abstand als die treffendste Bezeichnung ausgewählt worden.
     Aber es gab eben auch Rückschritte. Über einen, über den man heute angesichts der weit schlechteren Verhältnisse auf diesem Gebiet nur noch schmunzeln kann, berichteten alle großen Berliner Tageszeitungen am zweiten Juliwochenende. »Einschränkung der sonntäglichen Briefbestellung« überschrieb das »Berliner Tageblatt« vom Sonnabend, dem 8. Juli 1899, seine diesbezügliche Meldung und vermerkte, daß diese »vom Sonntag ab in Berlin für die aus dem Süden und Westen Deutschlands einlaufenden Sendungen eintritt«. Die »Vossische Zeitung« vom Sonntagmorgen präzisierte, daß es sich um den »Wegfall der zweiten Briefbestellung

an Sonn- und Feiertagen« handele. Und die ebenfalls in Berlin erscheinende »National-Zeitung« vom gleichen Tag fügte noch eine Schreckensmeldung an: »Eine weitere Änderung im Postbestelldienst soll der abgeschafften zweiten Briefbestellung an Sonntagen, die mit dem heutigen Sonntag anfängt, folgen. Die dritte Paketzustellung soll demnächst eingehen.« Bisher seien Pakete morgens, mittags und abends zugestellt worden. Die abendliche Zustellung habe sich oft bis 9 Uhr hingezogen, was zur Folge gehabt habe, »daß viele Paketsendungen in der Abendzeit nicht mehr abzusetzen sind und wieder mitgenommen werden müssen«. Ab der folgenden Woche wolle sich die Post deshalb auf zwei Paketzustellungen täglich, morgens und mittags, beschränken.
     Das »Tageblatt« hatte zudem auf betrübliche Folgen des Wegfalls der zweiten Briefzustellung an Sonn- und Feiertagen aufmerksam gemacht. Dieses habe »in vielen Fällen eine Vertheuerung der Korrespondenz zur Folge«. Zwar sei die Einschränkung »für den eigentlichen Geschäftsverkehr bei der herrschenden Sonntagsruhe vielleicht nicht von besonders großer Bedeutung«. Abzusehen sei aber, »daß dagegen das Privatpublikum durch die Änderung stark benachteiligt wird. Für eine ganze Reihe von Korrespondenzen dürfte es nothwendig sein, wenn die Bestellung am Sonntage gesichert werden soll – und das gilt zum Beispiel schon für alle Beglückwünschungen zu auf den Sonn-
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tag fallenden Familienfesten, Jubiläen, Vereinsfestlichkeiten – entweder den wesentlichen Inhalt solcher Korrespondenzen zu telegraphieren oder die Briefe durch Eilboten bestellen zu lassen«. Allerdings, so meinte das Blatt abschließend, sei auch »die alte Erfahrung zu berücksichtigen, daß ein großer Theil des Publikums lange Zeit überhaupt davon keine Kenntnis nehmen wird«.
     Was sonst noch an diesem Juliwochenende in Berlin geschah bzw. in den hauptstädtischen Zeitungen stand? An der Spitze der »Lokal-Nachrichten« berichtete das »Tageblatt« vom Sonnabend von den »Reisedispositionen des Kaisers« und in diesem Zusammenhang von seinem »unverwüstlichen Humor«, der darin bestand, daß er trotz strömenden Regens mit der Kapuze auf dem Kopf und einem Witz auf den Lippen dem Fortgang einer Truppenübung in der Nähe Kiels gefolgt sei. Die »Vossische« vom Sonntagmorgen machte auf ein auch mit dem Herrscherhaus zusammenhängendes Jubiläum aufmerksam: den 50. Jahrestag der Annenstraße. Am 9. Juli 1849 sei die damalige Schäfergasse in der Luisenstadt durch eine Kabinettsorder Friedrich Wilhelms IV. nach der zu dieser Zeit gerade 13jährigen Prinzessin Anna von Preußen genannt worden. Weiter unten konnte man an diesem Tage bei der »Tante Voss« lesen, daß das Berliner Aquarium »durch einen aus Südamerika zurückkommenden Reisenden in den Besitz von sieben aus Paraguay stammenden, zum
Theil für das Aquarium gänzlich neuen Giftschlangen, gelangt« ist, »die zu den gesuchtesten ihres Geschlechts gehören«. Darunter seien zwei sogenannte Buschmeister (Lachesis muta), »die von der ungewöhnlich schnellen Wirkung ihres Giftes hier (an Ratten) schon Beweis geführt haben«, ein schönes kräftiges Exemplar der »ebenfalls sehr gefährlichen Schararaka (Bothrops brasiliensis)« und ein »stattliches Paar« von der »farbenschönsten aller Klapperschlangen, der Diamant-Klapperschlange«.
     Im Zoologischen Garten, wo »am heutigen Sonntag der Eintrittspreis 50 Pfennig für Erwachsene, 25 Pfennig für Kinder unter zehn Jahren« betrage, sei, so die »Vossische« weiter, »eine größere Sendung von Thieren aus Siam« eingetroffen. Darunter ein »winzig kleines Zwerg-Moschustier, der kleinste Wiederkäuer, den man bis jetzt kennt«.
     Die »National-Zeitung« vermerkte an diesem Tage, daß der Berliner Polizeipräsident dem Magistrat den Entwurf einer Polizeiverordnung zugeleitet habe, »welche einem allseitigen Wunsche entsprechen dürfte. Durch diese Polizeiverordnung soll nämlich ein für allemal das Anbringen von Reklameschriften und Schildern an den Fenstern der Omnibusse verboten werden.« Bei der Großen Berliner Straßenbahn sei ein solches Verbot bereits seit der Einführung des elektrischen Betriebes in Kraft.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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