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Herbert Schwenk
Bevölkerung geht auf Wanderschaft

Zur jüngsten Migration in der Bundeshauptstadt

Einwohnerzahlen im Stadtgebiet

Am Jahresende 1997 bewohnten 3 425 759 Berliner ein Stadtgebiet von 890,77 km2. Die Einwohnerdichte Berlins lag damit bei 3 845,8 Einwohner/km2 (38,5 Einwohner/ ha).

Gegenüber 1996 ging die Einwohnerzahl um 33 004 zurück; davon entfielen 22 370 auf das westliche und 10 634 auf das östliche Stadtgebiet. Von Januar bis August 1998 belief sich der Einwohnerrückgang auf 15 900, womit die Zahl der Einwohner Berlins auf 3,41 Millionen sank. 1997 kam es zur höchsten jährlichen Bevölkerungsabnahme in Berlin nach 1993, dem Höchststand der Einwohnerzahl der 90er Jahre: 1996 betrug der Rückgang 12 655, 1995 591 und 1994 3 383 Personen. Insgesamt ging die Bevölkerung Berlins von 1993–1997 um 49 633 (1,43 Prozent) zurück. Bemerkenswert ist, daß Dreiviertel dieses Rückgangs (36 746 Personen) auf das ehemalige Gebiet von West-Berlin entfiel. (Tabelle 1)
Tabelle 1: Einwohner in Berlin 1990–1997
BerlinWest-BerlinOst-Berlin
absolutIndexabsolutIndexabsolutIndex
19903 433 695100,002 157 969100,001 275 726100,00
19913 446 031100,362 164 904100,321 281 127100,42
19923 465 748100,932 171 767100,641 293 981101,43
19933 475 392101,212 176 474100,861 298 918101,82
19943 472 009101,122 170 998100,601 301 011101,98
19953 471 418101,102 170 311100,571 301 107101,99
19963 458 763100,732 162 098100,191 296 665101,64
19973 425 75999,772 139 72899,151 286 031100,81
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Migration in den einzelnen Bezirken

Auch in jüngster Zeit verlief die Migration in den einzelnen Bezirken Berlins sehr unterschiedlich. 1997 nahm die Einwohnerzahl in nur noch vier Bezirken (1996 in acht) zu, während sie in den übrigen 19 (1996 15) zurückging. Die vier Bezirke mit Bevölkerungszunahme waren 1997: Weißensee (+ 5 330), Pankow (+ 4 072), Köpenick (+ 2 123) und Treptow (+ 1 902); 1996 gehörten noch Spandau, Zehlendorf, Steglitz und Tempelhof dazu. An der Spitze der Bezirke mit abnehmender Bevölkerung standen 1997 Marzahn (– 7 274), Prenzlauer Berg (– 4 333), Wedding (– 3 740), Lichtenberg (– 3 285), Neukölln (– 3 281), Schöneberg (– 2 960), Hellersdorf (– 2 881), Hohenschönhausen (– 2 663) und Kreuzberg (– 2 618).
     Bezogen auf je 1 000 Einwohner lag der 97er Rückgang in Marzahn bei – 47,6, Prenzlauer Berg – 31,0, Tiergarten – 23,8, Hohenschönhausen – 22,8, Wedding – 22,6 und Mitte – 20,2. Demgegenüber betrug die Zunahme je 1 000 Einwohner in Weißensee 84,2, Pankow 34,9, Köpenick 19,1 und Treptow 17,3.
     Nicht unerwartet steht Marzahn an der Spitze der Bezirke mit sinkender Einwohnerzahl zwischen 1990–1997. Hier entstand zwischen 1976 und 1987 mit 62 135 in Plattenbauweise errichteten Wohnungen die größte zusammenhängende Neubausiedlung Deutschlands. Aber unter den sechs Bezirken mit höchster Abnahme der Bevölkerung

zwischen 1990 und 1997 befinden sich auch vier Bezirke der westlichen Stadthälfte (Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf und Tiergarten), auf den Rängen 11 und 12 folgen mit Kreuzberg und Wedding zwei weitere. Das deutet darauf hin, daß – neben traditionell hohen Mieten in einigen Westbezirken – vor allem die nach dem »Fall der Mauer« einsetzende verstärkte Migrationsbewegung zu mehr Umzügen auch in östliche Bezirke und das Berliner Umland führte. Die »Insellage« Westberlins verhinderte das in der Zeit 1948–1989. Während 1990–1997 die Bevölkerung im Westteil der Stadt um 18 241 Einwohner abnahm, stieg sie in der um die Bezirke Marzahn (1979), Hohenschönhausen (1985) und Hellersdorf (1986) erweiterten östlichen Stadthälfte um 10 305 an. (Tabelle 2)
     Die Bevölkerungsabnahme in Berlin 1990–1997 hat zwei Ursachen: zum einen den Sterbeüberschuß von 8 194 (1996), 6 078 (1997) und 3 800 (Januar–August 1998) gegenüber der Geburtenzahl und zum anderen die Abwanderung aus Berlin, genauer: die höhere Zahl von Fortzügen gegenüber den Zuzügen über die Grenze von Berlin hinaus, entweder ins übrige Bundesgebiet oder ins Ausland. 1997 standen den 139 535 Fortzügen nur 112 609 Zuzüge gegenüber; es bestand demnach ein Fortzugsüberschuß von 26 926 Personen. In den ersten acht Monaten 1998 betrug der Fortzugsüberschuß 12 100 Personen, obwohl die Zahl der Zuzüge nach Berlin
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Tabelle 2: Bezirke mit rückläufiger Einwohnerzahl 1990–1997
BezirkEinwohner
am Jahresende
Einwohnerentwicklung
jährlich
1990199719941995199619971990 -
1997
Marzahn167 371148 569– 1 647– 2 179– 3 856– 7 274– 18 802
Charlottenburg185 027177 695– 2 253– 166– 1 385– 2 226– 7 332
Schöneberg156 293149 687– 961– 1 870– 1 265– 2 960– 6 606
Prenzl. Berg143 312137 541– 1 305– 2 319– 5 031– 4 333– 5 771
Wilmersdorf147 019141 681– 969– 1 466– 1 094– 711– 5 338
Tiergarten95 01489 880– 1 061– 766– 43– 2 172– 5 134
Lichtenberg167 362163 153+ 874– 145– 1 842– 3 285– 4 209
Friedrichshain107 844103 743– 638– 756– 562– 2 058– 4 101
Mitte79 89076 721– 1 086– 337– 2 293– 1 567– 3 169
Hohenschönh.118 355115 459+ 784+ 115– 2 277– 2 663– 2 896
Kreuzberg153 915151 062– 97– 934– 2 131– 2 618– 2 853
Wedding164 900163 362– 1 430– 581– 1 207– 3 740– 1 798
Berlin
insgesamt
3 433 6953 425 759– 3 383– 591– 12 655– 33 004– 7 936
Berlin-West
insgesamt
2 157 9692 139 728– 5 476– 687– 821– 22 370– 18 241
Berlin-Ost
insgesamt
1 275 7261 286 031+ 2 093+ 96– 4 442– 10 634+ 10 305
um fünf Prozent auf knapp 78 500 zunahm (bei 90 600 Fortzügen). 1997 entfielen von den 139 535 registrierten Fortzügen aus Berlin 87 388 auf andere Bundesländer und 52 147 auf das Ausland, bei den 112 609 Zuzügen 61 424 auf das Bundesgebiet und 51 185 auf das Ausland. Am Fortzugsüberschuß 1997 waren das Bundesgebiet zu 96,4 Prozent (25 964) und das Ausland zu 3,6 Prozent (962) beteiligt. Die Zuzugs- und Fortzugs- überschüsse verteilen sich unterschiedlich auf die einzelnen Bezirke. (Tabelle 3)
     Nimmt man die hohe Zahl der Umzüge zwischen den Bezirken und innerhalb eines Bezirks zu den Abwanderungen aus Berlin hinzu, so ergibt sich ein Gesamtbild hoher Migrationsmobilität in Berlin. (Tabelle 4)
     An der Spitze der Bezirke mit den meisten Umzügen innerhalb eines Bezirkes standen 1997 Neukölln (21 922), Spandau (18 610) und
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Tabelle 3: Fortzugs- oder Zuzugsüberschuß in den Bezirken Berlins 1996 und 1997
Bezirke mit Fortzugsüberschuß (–)Bezirke mit Zuzugsüberschuß
1996199719961997
Marzahn– 3 803– 7 203Weißensee5 3105 547
Prenzlauer Berg– 2 402– 4 172Pankow2 5264 132
Wedding– 1 473– 3 993Köpenick1 9262 667
Kreuzberg– 2 789– 3 468Treptow2 2232 252
Neukölln– 1 850– 3 319Spandau1 241739
Hellersdorf– 1 346– 3 115Tempelhof1 020419
Schöneberg– 1 302– 3 018Wilmersdorf(– 241)60
Lichtenberg– 1 345– 2 876Zehlendorf1 10056
Hohenschönh.– 2 297– 2 738Steglitz1 276(– 82)
Tiergarten– 12– 2 205Reinickendorf1 027(– 1 349)
Friedrichshain– 324– 1 933
Charlottenburg– 726– 1 747
Mitte– 2 200– 1 580
Reinickendorf(1 027)– 1 349
Steglitz(1 276)– 82
Wilmersdorf– 241(60)
Reinickendorf (14 827). Die Zahl der innerbezirklichen Umzüge verteilt sich relativ gleichmäßig über das ganze Jahr. Von den insgesamt 205 824 Umzügen (1997) innerhalb jeweils eines Bezirks in Berlin bewegten sich die monatlichen Umzüge zwischen 18 508 im Dezember und 16 256 im August. Drei Merkmale der Bevölkerungsentwicklung

Die jüngste Migrationsbewegung ist Bestandteil einer fast achtzigjährigen Bevölkerungsentwicklung in Berlin, die bislang durch drei wesentliche Merkmale gekennzeichnet war.
     Erstens liegt die heutige Einwohnerzahl Berlins unter dem Stand von 1920. Sie sank von 3 804 048 Einwohnern (nach der letzten Volkszählung vor der Bildung der Einheitsgemeinde vom 8. Oktober 1919) auf 3 425 759

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Tabelle 4: Migrationsmobilität in Berlin 1997
BerlinWest-BerlinOst-Berlin
ZuzügeFortzügeZuzügeFortzügeZuzügeFortzüge
Zu-/ Abwanderungen
nach/aus Berlin
112 609– 139 53568 999– 82 34243 610– 57 193
   davon:
   Bundesgebiet61 424– 87 38835 548– 49 06325 876– 38 325
   Ausland51 185– 52 14733 451– 33 27917 734– 18 868
   Umzüge
   zw. Bezirken
241 736241 736144 369148 93397 36792 803
   innerhalb eines
   Bezirkes
205 824121 84283 982
(Jahresende 1997). Damit bewohnen heute knapp 400 000 Berliner weniger ein um drei Bezirke (Marzahn, Hohenschönhausen, Hellersdorf) erweitertes Stadtgebiet von 890,77 km2; am 1. April 1920 hatte es 878,10 km2 umfaßt. Das entspricht einem Rückgang der Einwohnerdichte um 11,2 Prozent, von 4 332,1 Einwohner/km2 (43,3 Einwohner/ha) auf 3 845,8 inwohner/ km2 (38,5 Einwohner/ha). Gegenüber 1939 ging die Zahl der Einwohner bis 1997 sogar um 21,0 Prozent und die der Einwohnerdichte um 21,7 Prozent zurück. Hauptursache dessen ist der Bevölkerungsverlust im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg verzeichnete Berlin den mit Abstand niedrigsten Einwohnerstand seit 1920: Am 12. August 1945 wurde eine »anwesende Bevölkerung« von 2 807 405 registriert; am 29. Oktober 1946 betrug die Wohnbevölkerung 3 187 114; am 13. September 1950 lebten 3 336 026 auf einem Stadtgebiet von 883,76 km2, das entspricht einer Dichte von nur 3 774,8 Einwohner/ km2 (37,7 Einwohner/ha). Von 1939 bis 1945 war Einwohnerzahl um 1 531 351 (35,3 Prozent) zurückgegangen. Der größte Rückgang der Bevölkerung vollzog sich zwischen 1920 und 1997 in der Berliner Kernstadt (Innenstadt) mit den Bezirken Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg: von 1 907 466 (8. Oktober 1919) auf 722 309 (Jahresende 1997) Personen, das entspricht einer Abnahme der Bevölkerung um 62,1 und der
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Einwohnerdichte um 64,1 Prozent! (Tabelle 5)
     Zweitens gab es innerhalb des Rückgangs der Einwohnerzahl von 1920 bis 1997 eine über zwanzig Jahre anhaltende Zunahme der Wohnbevölkerung auf einem nicht wesentlich erweiterten Stadtgebiet. Von 1919 (3 804 048 Personen auf einem Stadtgebiet von 878,10 km2) bis 1939 (4 338 756 auf einem Stadtgebiet von 883,66 km2) nahm die Einwohnerzahl Berlins um 14,1 Prozent zu. Dem entsprach eine Zunahme der Einwohnerdichte von 4 332,1 Einwohner/ km2 auf 4 910,0 Einwohner/ km2 (13,3 Prozent).
     Drittens kam es während der fast achtzigjährigen Entwicklung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin zu einer langanhaltenden „Fast- Stagnation" der Einwohnerzahlen in der Ära des Kalten Krieges: Zwischen 1950 (3 336 026) und 1990 (3 433 695) stieg die Einwohnerzahl lediglich um 97 669 Personen an, das entspricht einer Zunahme um nur 2,9 Prozent. An dieser vierzigjährigen »Fast- Stagnation« der Einwohnerzahlen Berlins waren allerdings die westliche und die östliche Stadthälfte unterschiedlich beteiligt. Während in Berlin-West die Zahl der Einwohner von 1950–1989 um 16 427 Per-
Tabelle 5: Einwohner, Fläche und Einwohnerdichte in der Berliner Kernstadt 1919/20 und 1997
BezirkEinwohnerFläche in haDichte (Einw./ha)
1919
8.Okt.
1997
31.Dez.
1920199719201997
Mitte292 77976 7211 0371 069282,371,8
Tiergarten273 50289 8801 3561 341201,767,0
Wedding337 193163 3621 3061 537258,2106,3
Prenzlauer Berg311 631137 5411 0151 095307,1125,6
Friedrichshain326 062103 743910978358,5106,1
Kreuzberg366 299151 0621 0681 038342,9145,6
Kernstadt
insgesamt
1 907 466722 3096 6927 058285,0102,3
Berlin
insgesamt
3 804 0483 425 75987 81089 07743,338,5
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sonen (0,77 Prozent) zurückging, stieg sie in Berlin-Ost im gleichen Zeitraum um 90 138 Personen (7,58 Prozent), insbesondere infolge der Zuzüge von Bewohnern aus den Bezirken der DDR.
     Wie lange der jüngste Trend der Berliner Bevölkerungsabnahme anhalten wird, ist nicht erkennbar. Ob die seit Januar 1998 abgeschwächte Abwanderung aus Berlin nur statistische Ursachen hat (von Januar bis August 1998 meldeten 14 200 Personen ihre Berliner Nebenwohnung als Hauptwohnsitz an) oder zu einem Stopp des Wanderungsverlustes führen wird, wird die Zukunft zeigen. Dabei wird der weitere Ausbau Berlins als Bundeshauptstadt ebenso Gewicht erlangen wie die Durchführung der geplanten Bezirksreform als größtes Reformprojekt in der Verwaltung der Hauptstadt seit 1920. Nach jahrelangen Diskussionen hatte das Berliner Abgeordnetenhaus am 26. März 1998 mit knapper Mehrheit beschlossen, die Zahl der Bezirke von 23 auf 12 zu reduzieren. Danach werden bis zum 1. Januar 2001 in einem »gleitenden Übergang« Großbezirke mit ca. 300 000 Einwohnern entstehen – neun neue Bezirke durch Fusionen bisheriger, während Spandau, Neukölln und Reinikkendorf bestehen bleiben sollen. Manches ist dabei noch zu klären – sicher jedoch ist dies: Die Berliner werden auch künftig in Bewegung bleiben ...
Quellen:
Die Daten sind den Statistischen Jahrbüchern der Stadt Berlin 1924–1998, hrsg. vom Statistischen Landesamt Berlin, entnommen; Berlin in Zahlen 1946/1947, hrsg. vom Hauptamt für Statistik und Wahlen von Groß-Berlin, Berlin 1949; Mitteilung des Statistischen Landesamtes vom 4. Februar 1999; eigene Berechnung.
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