70   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Nächste Seite
Frank Eberhardt
Immer Ärger mit der Grünstraßenbrücke

Einige wenige Schritte führen vom Spittelmarkt am Spreekanal entlang zu einer kurzen, aber relativ breiten Brücke. Überqueren wir diese, geht die Straße nicht weiter, Hochhäuser versperren den Weg. Auf der Brücke selbst scheint die Zeit still zu stehen, kein Verkehr, kaum ein Fußgänger, nur Baumaterial für die daneben verlaufende Wallstraße ist hier gelagert. Keine 200 Meter entfernt donnert der Verkehr über die Gertraudenbrücke.
     Die den Spreekanal überspannende Grünstraßenbrücke im Bezirk Mitte ist eine der alten Brücken Berlins. Sie verband die Grünstraße in Kölln mit der Wallstraße in Neukölln am Wasser. Heute hat sie praktisch keine Funktion mehr, denn die Grünstraße auf der Fischerinsel wurde 1969 überbaut.
     Als der Große Kurfürst (1620–1688, Kurfürst ab 1640) Berlin und Kölln mit Festungswall und -graben umgeben ließ, mußte Alt-Kölln etwas nach Osten erweitert werden, um jenseits des Spreekanals Raum für die zu erbauenden Festungsanlagen zu schaffen. Die schmale Fläche, die sich zwischen Festungswall und Spreekanal erstreckte und vom Spittelmarkt bis zum heutigen Märki-

schen Museum hinzog, wurde Neukölln am Wasser genannt. Etwa 800 Meter lang und nur 150 Meter breit war dieser ab 1681 existierende kleine Stadtteil. Er hatte nur zwei Längsstraßen: Die an der Innenseite des Walles verlaufende hieß Neukölln am Walle (ab 1799 Wallstraße), während die direkt am Spreekanal gelegene Kaistraße den Namen Neukölln am Wasser (ab 1931 Märkisches Ufer) führte.
     In der mittelalterlichen Stadt führte nur eine Brücke von Kölln über den Spreekanal nach Osten. Es war die schon im 13. Jahrhundert erwähnte Roßstraßenbrücke. Doch in Kölln selbst querten die heutige Fischerinsel weitere vier Straßen, die alle am Spreekanal endeten. Die südlichste von ihnen war die Grünstraße. Sie bestand zwar mindestens seit dem 15. Jahrhundert, doch wegen des sie umgebenden sumpfigen Bodens war bis Anfang des 18. Jahrhunderts eine Bebauung kaum erfolgt. Deshalb umschlossen sie Wiesen- und Gartenland und prägten so ihren Namen. Friedrich Nicolai schilderte diese Gegend Köllns:
Rechter Hand kommt man aus der Gertraudenstraße in: die Grünstraße. Sie führet von der Petrikirche ab bis an die Grünstraßenbrücke. Am Ende derselben war vor der Befestigung die köllnische Stadtmauer, und an derselben stand ein Turm, der 1640 abgetragen ward, um Kanonen darauf zu pflanzen, und der 1663 wieder bedeckt und mit Schießlöchern versehen, aber bei der Befestigung abgetragen ward.
SeitenanfangNächste Seite


   71   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
Und wenige Seiten weiter schrieb er:
Die Grünstraßenbrücke führt aus der Grünstraße in Altkölln über die Friedrichsgracht nach Neukölln.1)
     Als sich in dem kleinen Stadtteil Neukölln am Wasser immer mehr Menschen ansiedelten, wurden neben der Roßstraßenbrücke weitere Übergänge über den Spreekanal erforderlich. Eine zweite Brücke wurde 1693 am nordöstlichen Ende des Stadtteils errichtet – die Inselbrücke. Sie verband die Straße An der Fischerbrücke in Kölln mit den bei-
den oben genannten Straßen in Neukölln am Wasser. Für den Verkehr der Bürger mit dem Umland nutzte sie nichts, da die Festungsanlage den Weg versperrte.
     Eine weitere Brücke wurde 1699 am südwestlichen Ende dieses neuen Stadtteils im Zuge der Grünstraße erbaut. Da die Grünstraße die Entfernung zwischen dem alten Leipziger Tor und der Roßstraßenbrücke etwa halbierte, könnte das ein Grund gewesen sein, daß gerade hier eine Brücke die Verbindung nach Neukölln am Wasser schaf-
 

Die Grünstraßenbrücke in einer Aufnahme von 1983

SeitenanfangNächste Seite


   72   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
fen sollte. Wahrscheinlicher ist allerdings ein anderer Grund. Das Zentrum Köllns um die Petrikirche wurde durch diese Brücke auf kürzestem Wege mit der Festungsbastion 5, dem sogenannten Boltzschen Bollwerk, verbunden, ein wesentlicher militärischer Vorteil. Das geht auch aus einem Schreiben des Magistrats vom 2. August 1713 hervor:
     Was aber die Grün-Straßen- Brücke anlangt, da solche nur zur mehrere commodität (Bequemlichkeit) der Wacht und einiger weniger privatorum gewährt, dem publico aber keinen Nutzen bringt, indem die communication der Städter bereits durch andere Brücken unterhalten wird ...2)
     Das Aussehen aller dieser Brücken, die in Berlin und Kölln in diesem und im nächsten Jahrhundert gebaut wurden, kann man sich wie folgt vorstellen: Flache Jochbrücken aus Holz führten über das Wasser. In der Mitte hatten sie eine Durchfahrtsöffnung für passierende Kähne. Diese Öffnung wurde je nach Länge der Brücke von einem oder zwei Klappenpaaren überspannt. Bei der ersten Grünstraßenbrücke dürfte es wie bei den meisten Brücken nur ein Klappenpaar gewesen sein.
     Wie Akten der Tiefbau-Deputation des Magistrats zeigen, waren diese Holzbrücken sehr reparaturanfällig. Ständig fielen Kosten für die Ausbesserung an. Bereits 1713, also nur 14 Jahre nach der Errichtung der Grünstraßenbrücke, wurde in einer Königlichen Kabinettsorder festgelegt, daß der Berliner
Magistrat in Zukunft die Jungfernbrücke, die Grünstraßenbrücke und die Mahlbrücke an der Landwehr reparieren lassen und in gutem baulichen Zustand erhalten solle. Der Magistrat erhob dagegen Einspruch, denn Brücken und Straßen gehörten damals dem Fiskus. Der König reagierte trotz mehrmaliger Nachfragen nicht, so daß der Magistrat für die Unterhaltung aufkommen mußte. In den folgenden Jahren gab es deshalb ständig Ärger zwischen Magistrat und Fiskus. 1756 schrieb der zuständige Stadtinspektor an den Magistrat:
     Es ist seit 5 oder 6 Jahren an der alten Grünstraßen Brücken fast alle Monath geflickt und gebeßert worden ... So sind die Brückenhöltzer dermaßen angefault, daß in Kürtze solche keine überfahrende Last mehr tragen können, ein Unglück zu besorgen und eine ganz neue Überlegung nötig.3)
     1767 wurde die Brücke, die schon längere Zeit baufällig war, gesperrt. Diesmal wies die Kriegs- und Domänenkammer die finanziellen Mittel zu einem Neubau an. Zugleich wurde der Magistrat aber darauf aufmerksam gemacht:
     So werdet Ihr doch hierdurch ernstlich erinnert nach dergleichen Dingen rechtschaffen und zur rechten Zeit zu sehen und nicht alles bis zur äußersten Extremität verfallen zu laßen.4)
Welcher materielle und finanzielle Aufwand zu dieser Zeit für eine der relativ kleinen Brücken über den Spreekanal (gegen-
SeitenanfangNächste Seite


   73   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
über der wesentlich breiteren Spree) erforderlich war, zeigt ein Voranschlag5) für die ähnliche Jungfernbrücke aus dem Jahre 1739:
60neue Pfähleà 28 Fuß lang
10neue Balkenà 23 Fuß lang
14neue Trägerà 48 Fuß lang
96Stück Schalholzà 23 Fuß lang

Zur Zugbrücke 8 Spundbretter
     1 Schock 24 Stück starkes Bauholz zu Pfählen und Balken, auch Träger
   36 Stück Mittelholz für Schalholz und Geländer

Dafür werden folgende Kosten aufgeführt:
Das Holz zu beschlagen18Taler
Die Pfähle zu spitzen und abzuschneiden7Taler
Die 60 Pfähle einzurammen150Taler
Das Holz zuschneiden für das Geländer5Taler
Die Balken aufzulegen nebst den Trägern und Schalholz zusammen72Taler
Die Zugbrücke zu machen3Taler
Das Geländer wieder zurechte zu machen4Taler
bei dem Rammen2
8
Taler
Groschen
Summa261
20
Taler
Groschen

Nur sehr wenige Brücken wurden damals massiv aus Stein errichtet, und das waren vorzüglich die vom König und von Staatsgästen benutzten, wie z. B. die Kurfürstenbrücke (heute Rathausbrücke). Der Neubau der Grünstraßenbrücke aus Holz hielt dagegen nur wenige Jahre, bis schon wieder Reparaturen anfielen. Diesmal bewilligte die Kriegs- und Domänenkammer sogar 825 Taler für einen Neubau.
     Seit der Erbauung der ersten Grünstraßenbrücke hatten sich die Verhältnisse inzwischen grundlegend geändert: Friedrich Wilhelm I. (1688–1740, König ab 1713) hatte die Festungswerke schleifen lassen und die inzwischen gewachsene Stadt von 1736 bis 1738 mit einer Mauer umgeben. Sie begrenzte die Köpenicker Vorstadt nun weit außerhalb des alten Festungswalles (die U-Bahn-Linie 1 zwischen Halleschem Tor und Oberbaumbrücke zeigt den Verlauf der Stadtmauer in dieser Gegend noch an). Außerdem war die Grünstraße durch eine Neue Grünstraße über den noch vorhandenen Festungsgraben hinaus verlängert worden und mußte einen großen Teil des ständig zunehmenden Verkehrs von Kölln in die Köpenicker Vorstadt und weiter ins Umland aufnehmen. Deshalb war auch die Grünstraßenbrücke wesentlich größeren Belastungen ausgesetzt.
     Im April 1793 wurde wieder einmal die Baufälligkeit der Grünstraßenbrücke angezeigt, »weil sowohl die Balken und Pfähle als
SeitenanfangNächste Seite


   74   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Vorige SeiteNächste Seite
auch die Bohlen verfault sind«. Schon im November des gleichen Jahres stand die neue Brücke – natürlich aus Holz. Es kam zu einer erneuten Auseinandersetzung über die Zahlung der Unterhaltungskosten zwischen Fiskus und Magistrat. Der Magistrat unterlag und mußte von 1799 bis 1808 die Kosten von jährlich 209 Reichstalern, 19 Groschen und 2 Pfennigen übernehmen. Dabei verwies der Fiskus darauf, daß Friedrich Wilhelm I. am 19. März 1718 festgelegt hatte, daß der Magistrat die Grünstraßenbrücke auch für die Zukunft aus eigenen Mitteln zu bauen und zu unterhalten verpflichtet sein sollte.
     Erst 1863 entschied das Stadtgericht, an das der Magistrat sich gewandt hatte, daß der Fiskus die Unterhaltungskosten für die Grünstraßenbrücke zu tragen habe. Der Fiskus erhob gegen dieses Urteil Einspruch, der vom Kammergericht zurückgewiesen wurde. So kam die Stadt, allerdings sehr spät, zu ihrem Recht. Bereits ein Jahrzehnt später, am 1. Januar 1876, ging die Grünstraßenbrücke wie alle anderen Brücken in Berlin in das Eigentum der Stadt über. Damit war die Verantwortung für Neubauten und Unterhaltung endgültig geklärt. Vor welcher Situation die Stadt zu diesem Zeitpunkt stand, geht aus einem Zeitungsartikel vom 27. September 1879 hervor. Darin heißt es:
     Zur Zeit befinden sich 25 Spreebrücken, 30 Kanalbrücken und 37 Brücken über die Panke, den grünen Graben etc., zusammen also 92 in städtischem Besitz, von denen die meisten im
Laufe der Zeit einem Umbau unterzogen werden müssen, um einigermaßen den Bedürfnissen des Verkehrs, auf welche die fiskalische Verwaltung in durchaus nicht lobenswerther Weise gar keine Rücksicht genommen hatte, entsprechen zu können. Das Berliner Pflaster und die Berliner Brücken verdanken ihren schlechten Ruf dieser fiskalischen Verwaltung, und die städtische Verwaltung hat alle Hände voll zu thun und daneben viel Geld auszugeben, um die »Schlechtigkeit« des Fiskus wieder gut zu machen.6)
     Und diese Um- und Neubauten waren dringend erforderlich. Allein bei der Grünstraßenbrücke wurde in den nächsten 25 Jahren elfmal eine Sperrung notwendig, um Reparaturen durchzuführen. Diese dauerten zwar jeweils nur wenige Tage, störten aber doch den Verkehr erheblich. Erst 1901 wurden Bohrungen zur Untersuchung des Baugrundes für eine neue, diesmal massive Grünstraßenbrücke durchgeführt. Sie ergaben einen guten Baugrund in geringer Tiefe unter der Flußsohle.
     Am 19. Januar 1903 faßte der Magistrat den Beschluß zum Neubau der Grünstraßenbrücke, und schon 1904/05 erfolgte die Ausführung. Diesmal entstand eine massive Brücke mit Granitfundamenten und einem Brückenbogen aus Muschelkalkstein. Korbbogenförmig überwölbt sie mit 19 Meter Spannweite den Spreekanal. Die Durchfahrtshöhe für Schiffe beträgt 3,4 Meter über Normalwasserstand. Die Breite zwischen
SeitenanfangNächste Seite


   75   Berlin im Detail Die Grünstraßenbrücke  Vorige SeiteAnfang
den Innenkanten der Brückengeländer beträgt ebenfalls 19 Meter und verteilt sich auf den Fahrdamm mit 11 und die beiden Bürgersteige mit jeweils 4 Meter. Der Entwurf stammt von Richard Wolffenstein (1846– 1919). Die architektonische Ausgestaltung ist schlicht. Das Brüstungsgeländer weist auf jeder Brückenhälfte drei zum Brückenscheitel hin angeordnete Flächen auf, auf denen der Geländerkörper durch Pilaster aufgelockert wird.
     Der plastische Schmuck stammt von Ernst Westphal (1851–1926). Er zeigt auf beiden Brückenseiten gleiche Reliefs auf den schrägen Anschlußflügeln. Eines zeigt eine Personengruppe, die einem Ertrinkenden hilfreich die Hände entgegenstreckt. Das zweite Relief stellt waschende Frauen dar. Es ist möglich, daß der Bildhauer damit auf die früher auf der anderen Seite der Wallstraße befindliche Wäscherei von Wilhelm Spindler (1810–1873) anspielt. Spindler betrieb im Spindlershof zwischen Wall- und Neuer Grünstraße eine Wäscherei und Färberei, die sehr bekannt war. 1871/72 begann er mit dem Bau eines großen Zweigwerkes an der Oberspree gegenüber Köpenick, dem der Ortsteil Spindlersfeld seinen Namen verdankt. 1893 wurde der gesamte Betrieb dorthin verlagert. Auf dem Gelände der ehemaligen Wäscherei und Färberei wurde 1901–1903 ein großer Gewerbehof errichtet, der heute noch den Namen Spindlershof trägt.
Die Mitte der Brücke wird von einer ovalen Kartusche geschmückt, die einen Wandersmann zeigt, darüber die Zahl 1905. Die Kartusche ruht auf einem Bärenkopf, der den Eigentümer der Brücke, die Stadt Berlin, ausweist. Die Innenseiten des massiven Brückengeländers tragen auf jeder Seite die Worte Grünstraßenbrücke und Erbaut 1905. Details neben der Schrift zeigen Schnecke, Aal und Frosch. Der Erhaltungszustand aller Reliefs ist witterungsbedingt allerdings außerordentlich schlecht.
     Im Zweiten Weltkrieg wurde ein Gewölbedrittel der Grünstraßenbrücke gesprengt. Bereits 1951 erfolgte die Wiederherstellung, wobei die aus den Trümmern geborgenen Muschelkalksteine für die Gewölbeansicht wiederverwendet werden konnten. Die Grünstraßenbrücke steht unter Denkmalschutz, ebenso die nahe gelegenen Roßstraßen- und Inselbrücke.

Quellen:
1     Friedrich Nicolai, Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin. Eine Auswahl, Leipzig 1987, S. 137 und 146
2     Landesarchiv Berlin (STA), Rep. 10–01/1, Nr. 1459, Bl. 7–8
3     Ebenda, Bl. 140
4     Ebenda, Bl. 175
5     Ebenda, Bl. 61
6     Der Bär. Illustrirte Berliner Wochenschrift, 5. Jg., 27. September 1879

Bildquelle: Archiv LBV

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de