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Dietrich Nummert
»Der Augapfel der Kaiserstadt«

Der Gastwirt Lorenz Adlon (1849–1921)

Nein, eine Blitzkarriere hat der bekannte Gastwirt keineswegs gemacht. Sein Leben lang ging Lorenz Adlon zügig zwar, aber eben Schritt für Schritt. Nur einmal machte er einen falschen, aber bis dahin vergingen Jahre.
     Adlon kam aus Mainz nach Berlin. Der Ort, wo der Main in den Rhein mündet, bot guten Boden für Gastwirtsnachwuchs: Alte Handelstraditionen, Herrscheretikette, die von nahem betrachtet werden konnten, entwickeltes Handwerk. Und Gemütlichkeit, nachbarliche Nähe sowie die Weinberge an Rhein und Nebenflüssen, überhaupt der Rebensaft.
     In Adlons Geburtsurkunde lesen wir, am 29. Mai 1849 sei vor dem Civilstandsbeamten der 32jährige Schuhmacher Jacob Adlon erschienen und habe »erklärt, daß den neunundzwanzigsten Mai achtzehnhundertneunundvierzig um ein Uhr des Morgens in dem in der Steingasse gelegenen ... Hause Anna Maria Elisabeth Schallot, Hebamme, dreißig Jahre alt, Ehefrau des genannten ..., hier wohnhaft, mit einem Kinde männlichen


Lorenz Adlon, um 1911

Geschlechtes, welchem der Vorname Laurenz beigelegt worden, niedergekommen sei«. Laurenz war das sechste Kind der Familie, drei sollten folgen.
     Vom Vater und der Schuhmacherei wissen wir wenig. Von der Mama hingegen, Oberhebamme in der Mainzer Hebammenlehranstalt, wird berichtet, sie habe Prinzen und Prinzessinnen der hochfürstlichen Familie entbinden dürfen. Ein segensreiches Tun, das reichen Lohn nicht ausschloß. Ebenso wichtig war wohl, daß sie Blicke erhaschte auf höfisches Leben und davon den Kindern erzählen konnte.
     Laurenz mag ein aufmerksamer Zuhörer gewesen sein, wie wir auch annehmen kön-

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   71   Porträt Lorenz Adlon  Vorige SeiteNächste Seite
nen, daß er die Schulzeit erfolgreich überstand. Die folgende Schreinerlehre prägte ihn mehr. In Meister Bembés großer Möbelfirma lernte er hobeln, sägen, leimen und die Vorteile durchdachter Ordnung. Erkannte er auch, daß mit Tischlerei der Weg zu Reichtum lang sein würde? Die Gastronomie nämlich hat ihn schon damals interessiert. In der Literatur wird von Kontakten zum »Holländischen Hof« berichtet, wie er der Gäste Benehmen, ihre Wünsche und Ärgernisse studiert habe; daß er mit einem Schulfreund, der Koch war, eine Schenke in der Gymnasiumstraße betrieben habe; selbst seine Heirat spreche dafür, denn Susanne Wannsiedel (1850–1878) war eine Hotelbesitzerstochter. Über die Jahre nach der Gesellenprüfung fehlen Zeugnisse, auch über sein Tun während des Deutsch-Französischen Krieges. Eine Zeitung meldete, der junge Adlon habe bei seinem Trip durch Frankreich viel gelernt, und »das hat er sehr geschickt in seinem kleinen Unternehmen verwendet«. Gemeint ist ein Ausflugslokal, welches er 1877 gekauft hatte und an das eine Ansichtskarte mit folgendem Text erinnert: »Raimundigarten Mainz. Restauration Adlon. Dich grüß ich, du breiter grüngoldiger Strom.«
     Die am Rhein gelegene Gaststätte hatte Zulauf und brachte Geld. Das brauchte der Wirt für den Unterhalt der Familie, in der drei Kinder (zwei waren verstorben) aufwuchsen, wie für die Modernisierung des
Lokals. Dessen Möblierung übertrug er seinem einstigen Lehrmeister. Danach richtete Adlon das Rheinische Schützenfest aus. In gleicher Funktion wirkte er 1881 in Frankfurt am Main beim Deutschen Turnfest. Die Bayerische Gewerbeausstellung 1882 sah ihn bereits als erfolgreichen, reichen Festwirt. 1888 sei der größte Wurf gelungen. Die Rede ist von einer Amsterdamer Weltausstellung, wo er »Pächter sämtlicher Restaurationsbetriebe« gewesen sein soll. Ein Märchen. Denn 1888 fand die Weltausstlelung in Barcelona statt. Oder verwechselten die Legendenschreiber Amsterdam mit Antwerpen? Dort gab es tatsächlich eine weltweite Schau, allerdings bereits 1885.
     Andere Ungenauigkeiten im Leben Adlons begegnen uns oft, vor 1888 wie danach. Ein Zweifel zieht den anderen nach sich. Wenn beispielsweise das Amsterdamer Intermezzo nicht stattfand, ist dann auch der Erwerb des Hotels »Mille Colonnes« am dortigen Rembrandtplatz eine Erfindung? Oder vermengte ein Journalist die wahre Information vom Hotelkauf mit einer, von der er nur läuten gehört hatte, nicht aber wußte, wo die Glocken hängen? Offene Fragen.
     Gewiß ist Adlons Trauer über den Tod seiner Frau. Die »treue Susi« starb 1878 (der Grabstein nennt fälschlicherweise 1873), sie war gerade 28 geworden. Daß er bereits ein Jahr später erneut heiratete, läßt sich mit der Sorge um seine Kinder erklären – Anna Katherina war sieben, Ludwig Anton fünf
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   72   Porträt Lorenz Adlon  Vorige SeiteNächste Seite
und Catharina Elisabeth vier Jahre alt. Fanny Mathilde Sophia Claus, 1851 in Stuttgart geboren, aus wohlhabendem Hause, hatte ebenfalls kein langes Leben, sie starb 1893.
     Die Jahre als Gastwirt hier und Festwirt dort hatten Adlon populär gemacht. Die ihn kannten und ihm wohlwollten, priesen seine Kontaktfreudigkeit, seinen gewinnenden Charme, rühmten, er könne ausdauernd ein Ziel verfolgen, sie lobten den Meister der Kalkulation, den Beherrscher der Handelsspannen.
     Wir wollen beachten, daß sich in jenen Jahren die Funktion des Hotels wandelte. Gekrönte Häupter, ganz Reiche übernachteten bislang bei ihresgleichen, Gasthöfe waren ihnen zu unfein. Jetzt konnten Hotels Niveau bieten, höhere Ansprüche befriedigen. Adlon wußte, was gebraucht wurde. Eine Idee entstand, ihr ordnete er alles unter.
     Aus deutschen Königreichen, Fürstentümern, Herzogtümern und anderen Kleinstaaten war 1871 ein einheitliches Kaiserreich geworden und Berlin seine Metropole. Nur in dieser Stadt, soviel war Adlon klar, könne seine Idee Gestalt annehmen. So selbstverständlich, wie sich der Entschluß heute anhört, war er seinerzeit ganz und gar nicht. Natürlich wußte er von den Gründerkrächen, den in Konkurse taumelnden Glücksrittern, dem gnadenlosen Tanz ums Goldene Kalb. Er war ein zu nüchterner
Rechner, um den Vorteil einheimischer Kaufleute, Industrieller, Wirte und Betreiber von Cafés zu unterschätzen oder deren Neid und Konkurrenz gegenüber Fremden zu übersehen. Er hatte vorgesorgt und kannte in seiner Branche die Berliner, die bereits Fuß gefaßt hatten, machte Geschäfte mit ihnen.
     Manchen wundert, wie Adlon es deichselte, das Café Hiller Unter den Linden 62/63 zu kaufen. Längst kannte er Carl Hiller. Das Adreßbuch von 1887 weist Adlon bereits als Besitzer des Restaurants aus, welches der Baedecker als »von altem Ruf« preist. Es folgte die Partnerschaft mit Rudolf Dressel, dessen renommiertes Haus ebenfalls eine Nobeladresse hatte – Unter den Linden 50.
     Zu notieren wäre: Laurenz nannte sich nun Lorenz Adlon. Gründe, wollen wir auf Spekulation verzichten, sind nicht erkennbar. Sein Sohn und Nachfolger machte es ihm gleich. Laut Geburtsurkunde hieß er Ludwig Anton. Einen solchen suchte man in Berlin vergebens, aber den Hotelbesitzer Louis Adlon kannte man. Namensänderungen müssen in der Familie populär gewesen sein, denn Louis zweite Gattin, Hedwig, nannte sich Hedda.
     Inzwischen zeichnete sich Lorenz Adlons Aktionsfeld genauer ab – die Prachtstraße Unter den Linden, wo sich die vornehme Welt traf, Berlinbesucher flanierten und der Kaiser hoch zu Roß seinen täglichen Auftritt hatte. Diese Meile war nicht im Sturm zu
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nehmen. Zwar brachten Adlons Restaurants Gewinn, für das große Ziel reichte er nicht. Wie sich aber zeigte, fürchtete der Mann aus Mainz auf seinem Weg auch keinerlei Umwege. Er pachtete das Hotel »Continental« mit 195 Zimmern, Neustädtische Kirchstraße (später wird er es kaufen), er übernahm die tief im Westen gelegenen Zoo-Terrassen, deren kulinarisches Niveau er auf ungeahnte Höhen hob. Und als 1896 die Große Berliner Gewerbeausstellung öffnete, war Adlon führend mit im Geschäft.
     Seine Tage waren lang. Er knüpfte neue Kontakte, pflegte alte, sondierte hier, verhandelte dort, und immer wieder prüfte er einen Vorgang: Unter den Linden 1, bester Platz für ein Luxushotel. Das Grundstück
ches zu veräußern? Alle Familienmitglieder müßten zustimmen. Wer könnte sie veranlassen, einem Verkauf zuzustimmen? Nur der Kaiser. Und Wilhelm II. kannte Lorenz Adlon inzwischen.
     Der Hohe Herr wurde tatsächlich derjenige, welcher. Wie alles geschah und wann genau, blieb verborgen. Bekannt ist: Lorenz Adlon erwarb am 3. April 1905 das Grundstück Unter den Linden 1, ließ umgehend, trotz Protestes, das Palais Redern abreißen und von den Bauräten Carl Gause und Robert Leibnitz den Bau des Hotels beginnen. Während dieser nervenaufreibenden Zeit hatte Adlon, auch das zeigt, aus welchem Holz er geschnitzt war, zwar immer das Redernsche Gelände im Blick, hielt jedoch zu-
jedoch war bebaut, das denkmalgeschützte Palais Redern stand dort, dessen Fassade der unsterbliche Schinkel entworfen hatte. Zu glauben, hier dürfe er bauen – unmöglich. Das wußte Adlon. Und machte sich trotzdem ans Werk.
     Was folgte, findet kaum seinesgleichen, läßt Rückschlüsse zu auf Charakter und Denkart des Akteurs. Grundstück und Palais waren unveräußerliches und unteilbares Familienvermögen. Wie ist Unveräußerli-

Das Adlonsche Familiengrab mit dem Relief des Hotelgründers

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gleich Ausschau nach anderem. Das Grundstück war ihm nämlich zu klein. Unter den Linden 2 war nicht zu haben. Das dahinterliegende Grundstück Wilhelmstraße 70 gehörte der englischen Krone. Kurz entschlossen kaufte er deshalb beide Nachbargrundstücke, Wilhelmstraße 70 a mit dem Hotel Reichshof und 70 b. Das nun zur Verfügung stehende Gelände hatte eine bizarre Form: eine 38 Meter breite Fassade zu den Linden, von fast gleicher Länge die Front zum Pariser Platz; in der Tiefe erreichte das Terrain (bis etwa Höhe Behrenstraße) 132 Meter; an die Wilhelmstraße stieß ein nur schmales Stück, daneben lag jenes Gebäude, das Adlons Weingroßhandlung beherbergte.
     Die Arbeit schritt zügig voran, zwei Jahre nach dem Kauf stand das Hotel. Wie Adlon den Erwerb der Grundstücke und die Arbeiten am Hotelpalast finanzieren konnte, bleibt undurchsichtig. Jedenfalls gelang es ihm, ausreichend viele Geldgeber zu gewinnen, die Hypothekenbank in Hamburg etwa, die Erben des Kommerzienrats von Dippe, den Architekten Gause und dessen Erben, die Hildesheimer Bank. Dann erschien in den Berliner Zeitungen die Anzeige:
     HOTEL ADLON, BERLIN Unter den Linden 1, am Pariser Platz. Vornehme herrliche Lage. Moderne Einrichtung. Grosser Comfort. Palmen-Garten. Goethe-Garten. Akademie-Garten. Halle zum Five o´clocktea. Grosse und kleine Festsäle mit besonderer Anfahrt. Restau-
rant am Pariser Platz. Eröffnung am 26. Oktober 1907. LORENZ ADLON, EIGENTÜMER.
     Vor der Eröffnung geruhten am 24. Oktober 1907 Allergnädigst Seine Majestät, der Kaiser und König selbst nebst Gattin und Prinzen und Prinzessinen, das Haus zu besuchen und »den Ehrentrunk entgegen (zu nehmen), und das war 84er Steinberger Kabinett Auslese bestes Faß«.
     Viel edles Getränk floß auch zwei Tage später durch edle und weniger goldene Kehlen. Nachdem »die Halle sich gänzlich gefüllt hatte, bestieg Herr Adlon einen Stuhl, um ... darüber heitern Ausdruck zu geben, daß das große Werk trotz aller Hindernisse ... wohlgelungen sei und nun auch den vollen ihn beglückenden Beifall des Kaisers und der Kaiserin gefunden habe«.
     Zeitungen jubelten über das Wunder »... in der preußischen Triumphstraße«. Gewaltiges sei entstanden, »... nirgends (sei) ein Hotel in der Welt so glücklich und glänzend gelegen«. Die Berliner hätten es »... sofort den >Augapfel der Kaiserstadt< getauft«. Auf zweieinhalb eng bedruckten Zeitungsseiten schreibt Dr. E. Carlotta über die Leistungen von 35 Lieferfirmen: A. Bembé, Mainz, Adlons einstiger Lehrherr, habe das Mobiliar für Apartments und andere Räumlichkeiten hergestellt, geliefert, eingebaut. Die Firma B. Ganz und Cie. aus Mainz lieferte Läufer für Treppen und Korridore, die staunenswerter Weise 350 Zentimeter breit waren. Die großen Berliner Kaufhäuser Israel und Rudolph
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Hertzog hätten herrliche Smyrnateppiche geliefert, die deutscher Herkunft seien, sowie Gardinen vornehmster Art, Decken, gefüllt mit den erlesensten Eiderdaunen. Badezimmer, belegt mit kostbaren Mosaiken und Fliesen – die originelle Schöpfung der Firma N. Rosenfeld & Co habe ca. 200 000 Mark gekostet. Marmorporträt von Walter Schott. Durch Adlons Antlitz zieht sich ein tiefer Bruch, als solle die Zerrissenheit eines Lebens angemahnt werden.

Aus Gästebüchern des Hotels »Adlon«:
Lord Astor, Louis Blériot, Aristide Briand, Bernhard Fürst von Bülow, Enrico Caruso,

Und die Lieferung der Saalburger Marmorwerke betrüge, in Ziffern ausgedrückt, einen Wert von 280 000 Mark.
     Lorenz Adlon hatte sein Ziel erreicht, das Hotel war eine Sensation. Dank seiner Fähigkeit, Angestellte derart zu lenken und zu disziplinieren, daß sie sich völlig in den Dienst seines Unternehmens stellten, verlor die Luxusherberge in den folgenden mehr als zehn Jahren nichts von ihrem großartigen Ruf weltweit.
     Nach Deutschlands Niederlage 1918 und dem Sturz der Monarchie jedoch war Adlon nicht mehr der alte. Man erzählte, er sei während der Revolutionstage vor der dem Kaiser vorbehaltenen mittleren Durchfahrt des Brandenburger Tores angefahren worden. Seither beherrsche ihn der Zwang, diese Stelle immer wieder aufzusuchen. Genau dort erlitt er 1921 erneut einen Unfall, an dessen Folgen er am 7. April starb. Sein Grabmal auf dem Alten Domfriedhof Sankt Hedwig in der Liesenstraße ziert ein
Charles Chaplin, Jackie Coogan, Gottfried von Cramm, Marlene Dietrich, Carl Duisburg, Friedrich Ebert, Albert Einstein, Douglas Fairbanks, König Feisal von Ägypten, Henry Ford, Adolf Furtwängler, Fritz Haber, Knut Hamsun, Gerhart Hauptmann, William Randolph Hearst, Paul von Hindenburg, Emil Jannings, Herbert von Karajan, Buster Keaton, Robert Koch, Fritz Kortner, Charles Lindberg, Harold Lloyd, Ernst Lubitsch, Thomas Mann, John Pierpont Morgan, Mary Pickford, Max Planck, Walther Rathenau, Max Reinhardt, Cecil Rhodes, John Davison Rockefeller, Philipp Scheidemann, Max Schmeling, Hugo Stinnes, Gustav Stresemann, Richard Tauber, Arturo Toscanini, Luis Trenker, Cornelius Vanderbilt jr., Edgar Wallace, Billy Wilder, Stefan Zweig.

Bildquellen:
Fotos Autor; Max Rapsilber, Das Hotel Adlon in Berlin, o. O., 1911

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Berlinische Monatsschrift Heft 5/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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