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Horst Wagner
8. Mai 1949:
Ehrenmal in Treptow eingeweiht

Dieser 8. Mai 1949, vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands, ist ein Sonntag. Im neuangelegten Ehrenhain am Rande des Treptower Parks, in dem 7 000 beim Sturm auf Berlin gefallene Sowjetsoldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, zu Füßen des 30 Meter hohen Monuments mit der Figur des Soldaten, der ein Kind auf dem Arm trägt und mit dem Schwert ein Hakenkreuz zerschlägt, haben Einheiten der sowjetischen Besatzungstruppen Aufstellung genommen. Unter den erschienenen deutschen Gästen der Ko-Vorsitzende der SED und spätere DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und Ostberlins Oberbürgermeister Friedrich Ebert. An der Spitze einer Abordnung der Volkspolizei steht Polizeipräsident Paul Markgraf, ein ehemaliger Wehrmachtsoberst und Mitglied des »Nationalkomitees Freies Deutschland«. Das Wort ergreift der sowjetische Stadtkommandant von Berlin, Generalmajor Kotikow. Er erinnert an die tödliche Bedrohung, die der Überfall Nazideutschlands für sein Land schuf. Das Denkmal werde ständig davon

zeugen, um welchen Preis der Sieg der Sowjetunion errungen wurde. Nach ihm spricht Otto Grotewohl. Auch wenn einmal der letzte sowjetische Soldat deutschen Boden verlassen hat, sagt er sinngemäß, werden wir diese Gedenkstätte als ein Mahnmal des Friedens in unseren Schutz nehmen.
     »Eine bleibende monumentale Gedenkstätte ... für die Größe der internationalen Befreiungsmission der Sowjetarmee zu schaffen«, hatte die Aufgabenstellung für den künstlerischen Wettbewerb geheißen, den der Militärrat der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland bereits 1946 ausgeschrieben hatte. Etwa 40 Entwürfe sollen damals eingegangen sein, darunter auch solche, die einen 300 Meter hohen Gedenk-Turm vorsahen. Schließlich wurden vom Militärrat zwei Projekte bestätigt. Eines für das Ehrenmal in Pankow-Schönholz. Den Zuschlag für das Ehrenmal in Treptow erhielten der Bildhauer J. W. Wutschetitsch und der Architekt J. B. Belopolski. Es sei ihm nicht darum gegangen, so Wutschetitsch später, einen bestimmten Heerführer oder Helden in seinem Denkmal zu verewigen, sondern er wollte eine volkstümliche, aber auch symbolträchtige Figur schaffen. Sein Modell dafür suchte er sich im Sommer 1948 bei Sportwettkämpfen sowjetischer Soldaten im Stadion von Weißensee. Es war Iwan Stepanowitsch Odartschenko, ein Arbeiter aus dem russischen Tambow, der am Sturm auf Berlin teilgenommen hatte. Odartschenko
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stand Wutschetitsch ein halbes Jahr Modell und gehörte danach noch zur Ehrenwache für das Mahnmal.
     Bald rankten sich auch Geschichten und Legenden um den Mann, der das Kind auf dem Arm trägt, Geschichten von Rettungsaktionen sowjetischer Soldaten für deutsche Kinder während der Kämpfe um Berlin. Eine davon hatte der Schriftsteller Boris Polewoi in seiner Reportage »Frontlinie Eisenstraße« (womit die Treptower Elsenstraße gemeint war) erzählt: Über den Soldaten T. A. Lukjanowitsch, der Polewoi am 29. April 1945 an die vorderste Frontlinie in Treptow begleitet hatte, auf ein neben seiner toten Mutter liegendes kleines Mädchen aufmerksam wurde, es aus der Feuerlinie trug, dabei von einem deutschen Scharfschützen getroffen wurde und fünf Tage danach an seinen schweren Verletzungen starb. Eine Tat, für die später auch ein Gedenkstein in der Elsenstraße errichtet wurde.
     Eine andere Spur nahmen sowjetische und DDR-Journalisten 20 Jahre nach Kriegsende auf. Zu dieser Zeit waren die Memoiren des sowjetischen Marschalls Tschuikow erschienen, der darin unter anderem vom Sturm auf Hitlers Reichskanzlei in der Berliner Voßstraße berichtet. Dabei schildert er auch, wie der zu seinem Truppenteil gehörende Gardesergeant Nikolai Massalow beim Feuergefecht an der Potsdamer Brücke über den Landwehrkanal ein kleines deutsches Mädchen in Sicherheit brachte. Diese Tat, so
Marschall Tschuikow, habe in der Hauptfigur des Treptower Ehrenmals symbolischen Ausdruck gefunden. Nikolai Massalow wurde daraufhin von uns Journalisten im sibirischen Dorf Tjashin bei Kemerowo besucht, wo er als Wirtschaftsleiter eines Kindergartens arbeitete – ein bescheidener, wortkarger Mensch, dem es offenbar peinlich war, auf einmal international berühmt zu werden. Hatte sich doch schon damals das Gedenken am Ehrenmal in Treptow zu einem ziemlich pompösen Ritual gestaltet, zu dem alljährlich am Tag der Befreiung die gesamte Partei- und Staatsführung der DDR erschien und Delegationen aus den Ostberliner Betrieben abgeordnet wurden.
     Mehr als 45 Jahre nach der Einweihung des Ehrenmals in Treptow verabschiedeten sich die letzten russischen Truppen aus Berlin, besuchten zu diesem Anlaß am 31. August 1994 Bundeskanzler Helmut Kohl und Rußlands Präsident Boris Jelzin gemeinsam die Treptower Gedenkstätte. Nachdem der russische Staatschef sein Bedauern darüber ausgedrückt hatte, daß es nicht zu einer gemeinsamen Verabschiedung der Truppen durch die vier Siegermächte von 1945 gekommen sei, wandte sich der Bundeskanzler in seiner Rede auch direkt an die Kriegsveteranen der ehemaligen Sowjetunion und versprach ihnen, daß Deutschland ihren gefallenen Kameraden stets ein ehrendes Andenken bewahren werde.
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