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Hans-Heinrich Müller
Das Laboratorium Dorotheenstraße 10

Eine der Wiegen der modernen Chemie war die Apotheke. Hinter der Offizin, dem Verkaufslokal, lagen die Schneide-, Stoß- und Siebekammern sowie die Laboratorien, in denen der Apotheker die Arzneien herstellte. Und wenn sich im 18. Jahrhundert auch noch mancher Apotheker hinter verschlossenen Türen in der Kunst des Goldmachens versuchte, so wechselten andere Arzneikundige bereits in die Chemie, in die Wissenschaft von der stofflichen Verschiedenheit der Körper. Bekannt in Berlin waren dafür die Apotheken »Zum goldenen Bären« in der Spandauer Ecke Probststraße und »Zum weißen Schwan« in der Spandauer Straße Ecke Heidereuthergasse. Hier wurde auch die Scheidekunst betrieben, wie die Chemie damals genannt wurde.
     Außerdem gab es am Collegium medicochirurgicum je eine Professur für praktische (pharmazeutische) und theoretische (reine) Chemie. Die Professoren betrieben ihre chemische Forschung jedoch nur in privaten Laboratorien. Sie hatten aber den Vorzug der engen und räumlichen Bindung an die Akademie der Wissenschaften, die sich nach der

Reorganisation durch Friedrich II. (1712–1786, König ab 1740) 1744 zum Mittelpunkt der chemischen Forschung in Berlin entwickelte. Zum Aufschwung der chemischen Forschung trug nicht zuletzt die Errichtung eines chemischen Laboratoriums der Akademie in der Dorotheenstraße 10 (früher Letzte Straße) im Jahre 1753 bei – das erste staatliche Laboratorium in Berlin, das 1754 von dem bekannten Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709–1782) übernommen wurde.
     Das Laboratorium in der Dorotheenstraße 10, im Nordflügel des Akademiegebäudes, zu dem noch zwei Dienstwohnungen für den Chemiker und den Direktor der Berliner Sternwarte sowie zwei kleinere Wohnungen für die Labordiener gehörten, umfaßte fünf Räume: das eigentliche Laboratorium, die »Stube neben dem Laboratorium, die keinen Ofen hat«, eine Kohlenkammer, die »Präparationsstube vor dem Aufgang«, die »einen Ofen zum Einheizen hat«, und den Dachboden. Drei Räume machten also das eigentliche Laboratorium aus, ausgestattet mit zumindest einem Schmelz- und einem »Digerierofen« (zum Auslaugen von Stoffen). 1755 waren laut einer Inventurliste vorhanden: ein großer Blasebalg, eine kupferne Destillierblase mit Zubehör, eine im Kamin eingemauerte Retorte mit eiserner Kapelle (Abzug von Gasen) und einige weitere Kapellen, ein kupfernes »Balneum Mariae«, ein großer eiserner Mörser, ein Tisch mit elf
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Schubläden sowie sechs Schemel. Gerätschaften und Gefäße hat Marggraf aus eigenen Beständen mitgebracht, einen Teil davon bezahlte die Akademie. 1767 erhielt er von der Akademie 300 Taler für acht Öfen, darunter einen Glauberofen mit sechs Aufsätzen, Destillier-, Probier- und Schmelzöfen, dazu gußeiserne Geräte, 380 irdene Retorten, etwa 200 Glasgefäße und Reagenzgläser, Kolben, eine »Maschine von Glas nebst Zubehör zur Destillation in der Sonne« und zwei Tonnen weißen Ton. Der Akademie schenkte Marggraf einen Zinnkessel, Tiegel-, Scherben- und Kapell-Futter aus Messing, Ambosse mit Hämmern, Tiegel, Zangen, Pfannen, Töpfe und kleine Eisenmörser, eine eiserne »Amalgamiermaschine«, Schliffgläser, Schränkchen und vier Tische sowie »Pipes und alle übrigen Kleinigkeiten«. Marggraf meinte, »daß ich hierin mit vieler Uneigennützigkeit verfahren habe«.
     An chemischen Substanzen und Materialien, den sogenannten »Präparata«, gab es im Laboratorium Borax, Tinckal, geschleimten Ton, künstliches Selenit, Serpentinenstein, Kochsalz, Ammoniaksalz, Glaubersalz, Alkali Soda, Petroleum, Vitriol, Beinasche und verschiedene Metalle. Groß war der Vorrat an gläsernen und irdenen Gefäßen auf dem Dachboden. Allein 1 400 solcher Gefäße zeugten davon, daß sich Marggraf mit naßchemischen Verfahren befaßte. Beherrscht wurde aber das Laboratorium von 14 Öfen (Schmelz-, Destillier-, Generalöfen usw.),
wovon die Hälfte tragbar war. Die Ausstattung des Berliner Laboratoriums unter Marggraf war außerordentlich gut und brauchte keinen Vergleich mit den Akademielaboratorien in London oder Paris zu scheuen. Seit 1763 verfügte das Laboratorium über einen Etat von 250 Talern, womit notwendige Anschaffungen getätigt, verbrauchte Instrumente und Geräte ersetzt und Laborgehilfen entlohnt werden konnten. 1764/65 wurde das Laboratorium umgebaut und etwas erweitert.
     Nach dem Tode von Marggraf 1782 übernahm Franz Carl Achard (1753–1821) das akademische Laboratorium und bezog die Dienstwohnung. Er übernahm auch »Instrumente und Apparate«, die Marggraf gehörten, darunter Geräte, die das Akademielaboratorium nicht besaß. Der Erbin von Marggraf, der »Demoisell Poeschken«, bezahlte er dafür etwas mehr als 61 Taler. Unter Achard wurde auf sein Verlangen der Etat des Laboratoriums auf jährlich 400 Taler erhöht, so daß die Arbeitsbedingungen etwas verbessert werden konnten. Achard ergänzte und vervollkommnete das Inventar durch den Ankauf von Geräten und »Bewegungsmaschinen«, wie Eudiometer, Barometer und Thermometer, Brenngläser, Glasröhren, Wind- und Regenmesser, »Kondukteure«, Chemikalien, damals noch Drogen genannt, wie Salze, Säuren, Alkalien, Erden usw., die zum Teil aus der königlichen Hofapotheke bezogen wurden. Das Laboratorium
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diente nicht nur zu Untersuchungen und Experimenten, zu Forschungszwecken oder zur Nachprüfung von Entdeckungen, sondern Achard hielt im Laboratorium auch Vorlesungen, so 1788/89 über Färberei vor Berliner Textilfabrikanten und Druckern.
     Wie Marggraf hatte auch Achard in seiner Dienstwohnung ein privates Laboratorium eingerichtet, das mit Instrumenten, Geräten und Apparaturen ausgestattet war, die die Akademie nicht besaß. Aus seiner privaten Sammlung schenkte Achard 1787 der Akademie eine größere Anzahl chemischer und physikalischer Instrumente und »Maschinen«. Ein Verzeichnis weist 88 Positionen aus, so: Elektrisiermaschine, Schleifund Glasschneidemaschine, eine »Mariottsche Maschine«, Barometer und 50 Thermometer, Leidener Flasche, Elektrophore und Elektromesser, Voltaischer Kondensator, Hygrometer, Prismen, Waage, Magnetstein, Zylinder und »Zuckergläser«, die zur Aufbewahrung von Präparaten dienten. Im April 1791 schließlich verkaufte Achard der Akademie 300 physikalische Instrumente für 600 Taler. Die von der Akademieleitung beauftragten Gutachter stellten fest, daß diese Sammlung »die neuesten und besten Instrumente aus fast jedem Teil der Naturlehre enthält« und die Akademie »sich rühmen kann, einen schönen und wohlfeilen Zuwachs an Instrumenten erhalten zu haben«.
Als ein denkwürdiger Tag für das Laboratorium kann der 31. Oktober 1799 gelten, als sich Achard an die Akademie mit dem Antrag wandte, das Laboratorium als Rohzuckerfabrik benutzen zu dürfen, und damit auch das Ende dieses Laboratoriums einleitete. Die Akademieleitung billigte sein Ansinnen, und er begann, das Laboratorium als »königliche Rohzuckerfabrik« einzurichten. Damit besaß er zunächst eine geeignete Arbeitsgrundlage für seine Rüben- und Zuckerforschung. Er stattete das Laboratorium mit den notwendigen Pfannen, Pressen und anderen Utensilien aus, die zur Rübenverarbeitung und Zuckerkristallisierung erforderlich waren. Die Akademie stellte dafür 70 Taler bereit.
     In bestimmten Akademiekreisen stieß die »Zuckerfabrik im Laboratorium« auf Unverständnis und Ablehnung, weil dadurch nicht nur die chemische Forschung behindert werde, sondern weil das Laboratorium wie auch die Dienstwohnungen durch die »aufsteigenden Dämpfe« in Mitleidenschaft gezogen wurden, so daß sich bald Reparaturen notwendig machten. Die Regierung stellte für die Sanierung der Wohnungen und des Laboratoriums 500 Taler zur Verfügung. Doch die Reparaturen waren letztlich nur ein Notbehelf. Es wurden Forderungen nach einem Neubau laut, um der chemischen Entwicklung gerecht zu werden. Auf nachhaltige Bitten der Akademie genehmigte Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797)
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den Laboratoriumsneubau, der etwa 5 300 Taler verschlang. Am 28. Dezember 1801 konnte dann Martin Heinrich Klaproth (1743–1817), der Entdecker zahlreicher Elemente, wie Uran, Cer, Strontium und Chrom, dem Achard 1800 die Stelle als ordentlicher Chemiker der Akademie überließ, in das sanierte und umgebaute Gebäude einziehen und seine wegweisenden analytischen Forschungen betreiben. Achard verlegte seine Tätigkeit nach Cunern in Schlesien, um sich nun ganz der Rübenzuckerfabrikation zu widmen.
     In der Dorotheenstraße 10 haben nach dem Tode Klaproths 1817 zahlreiche Chemiker gewirkt, wie Eilhard Mitscherlich (1794–1863), Gustav (1798–1873) und Heinrich Rose (1795–1864) und auch Friedrich Wöhler (1803–1882). Aber den stürmischen Fortschritten in der Chemie war dieses Laboratorium nicht gewachsen. Als der bekannte Chemiker August Wilhelm Hofmann (1818–1892), der Begründer der Teerfarbenchemie, von London kommend die Nachfolge Mitscherlichs antrat, erhielt er von der preußischen Regierung die Zusicherung zum Neubau eines chemischen Instituts. Zu diesem Zweck wurde das hinter dem alten Akademielaboratorium zur Georgenstraße gelegene Gelände angekauft. Nach dem Umbau wurde dieses Laboratorium ein Teil des Universitätsinstitutes, wobei die alte Personalunion zwischen dem Chemiker der Akademie und dem Ordinarius der Universität
bestehenblieb. 1869 wurde das Institut eingeweiht und bot Raum für 70 Praktikanten. Die gleichzeitig einsetzende stürmische Entwicklung der chemischen Industrie, die zu einer steigenden Zahl von Chemiestudenten führte, ließ das Institut rund zehn Jahre nach seiner Fertigstellung bereits wieder zu klein werden. Es machte sich die Errichtung eines zweiten Laboratoriums notwendig, das im physikalischen Institut auf dem ehemaligen Gelände der Artilleriewerkstatt errichtet wurde. Aber auch dieses Institut war der schnellen Entwicklung der chemischen Industrie nicht gewachsen. Gebaut wurde nun ein neues chemisches Institut auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofes der Charité an der Communikation am Neuen Thor, der heutigen Hannoverschen und Hessischen Straße. Nach dreijähriger Bauzeit erfolgte am 14. Juli 1900 die Einweihung des neuen Hauses, das etwa 250 Arbeitsplätze hatte und von Nobelpreisträger Emil Fischer (1852–1919) geleitet wurde.
     Das Haus in der Georgenstraße verwandelte sich in das Institut und Museum für Meereskunde. Das Laboratorium in der Dorotheenstraße 10, an dem 1892 Gedenktafeln und Büsten von Marggraf und Achard angebracht wurden, fiel 1945 dem Krieg zum Opfer.
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