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Horst Wagner
18. April 1929
»Indianerhäuptling Big Chief in Berlin«

Unter dieser Schlagzeile berichtete der »Berliner Lokal-Anzeiger« am Donnerstag, dem 18. April 1929, über die Ankunft des 107 Jahre alten Häuptlings der Osagaindianer auf dem Bahnhof Friedrichstraße. Big Chief White Horse Eagle – so sein Titel und Name – entstieg dem Zug in vollem Häuptlingsdreß mit meterlangem Federschmuck, nahm einen der auf dem Bahnsteig erschienenen Polizisten in den Arm und stellte sich mit ihm den Fotografen. Anschließend gab er im nahe dem Bahnhof gelegenen Central-Hotel, wo er sein Berliner Wigwam aufschlug, eine Pressekonferenz. Er sei auf seiner zweiten Weltreise, deren eigentliches Ziel Indien sei, auch nach Berlin gekommen, um hier Vorträge über indianische Sitten und Gebräuche zu halten. Außerdem wolle er Shakehands mit Präsident Hindenburg machen. Das Gleiche habe er schon 1887 während seiner ersten Weltreise mit Reichskanzler Bismarck getan, den er damals zum Ehrenhäuptling der Osagaindianer ernannte. Im übrigen bewundere er die Deutschen sehr, »weil sie die größten aller weißen Krieger sind«.


Zeitungsbild des weitgereisten Häuptlings White Horse Eagle in Indianerkleidung mit meterlangem Federschmuck

Natürlich erzählte er auch aus seinem Leben. Vor etwa 80 Jahren sei er von seinen roten Brüdern zum Oberhaupt von 105 Indianerstämmen gekürt worden. Seine erste Frau, die »Blume der Prärie«, habe ihm acht Töchter und zwei Söhne geschenkt, weile aber schon »seit langen Jahren bei dem großen Manitu«. In zweiter Ehe sei er mit einer weißen Frau, von den Indianern »Queen Wa-The-Na« genannt, verheiratet, die ihm eine getreue und kluge Beraterin sei. Seine Nach-

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kommenschaft habe »etwa Kompaniestärke«. Einer seiner Enkel sei ein berühmter Professor in Kalifornien. Vom »weißen Vater in Washington«, dem USA-Präsidenten, habe er, White Horse Eagle, ein schönes Haus geschenkt bekommen. Seinen Lebensunterhalt verdiene er mit Vorträgen und eben durch seine Popularität.
     Zwei Tage später, am Sonnabend, dem 20. April 1929, berichtete das »Berliner Tageblatt« unter der Überschrift »Der betrübte Indianer«, White Horse Eagle habe Schwierigkeiten, den Auftrag auszuführen, den ihm New Yorks Oberbürgermeister Walker erteilt habe, nämlich Walkers »Freund Gustav«, dem Berliner Oberbürgermeister Gustav Böss, persönliche Grüße zu bestellen. Dabei wolle er mit dem Big Chief von Berlin die Friedenspfeife rauchen und ihm den Kopfputz eines Ehrenhäuptlings überreichen.
Aber leider habe Böss so viel anderes zu tun. Der eröffnete an diesem Tag nämlich gerade die Ausstellung »Gas und Wasser« in den Hallen am Kaiserdamm. Als Entschädigung soll White Horse Eagle, der am Vortag Blumen am Bismarckdenkmal niedergelegt hatte, von der Berliner Ethnographischen Gesellschaft empfangen worden sein. Wie der Empfang verlief und was White Horse Eagle sonst noch in Berlin erlebte, darüber findet sich in den Blättern der folgenden Tage leider nichts. Andere Ereignisse, wie der Tod des Prinzen Heinrich, die Hundertjahrfeier des Deutschen Archäologischen Instituts und schließlich die blutigen Auseinandersetzungen am 1. Mai, haben offenbar den Indianerhäuptling aus den Schlagzeilen vertrieben.

Schlagzeile im »Berliner Lokal-Anzeiger« vom 18. April 1929

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Berlinische Monatsschrift Heft 4/99
© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de