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Heidrun Siebenhühner
Geburtsstunde der Seismologie

Der 18. April 1889 wird als ein bedeutsames Datum in der Wissenschaftsgeschichte angesehen. An diesem Tag nämlich erfolgte in Potsdam die erste als solche erkannte Registrierung eines Fernbebens. Das war gleichbedeutend mit der Geburtsstunde der Seismologie, also einer Geowissenschaft, die sich mit der Untersuchung der Ursachen, Wirkungen und geographischen Verbreitung natürlicher Erdbeben befaßt.
     Dieses Ereignis fand am Ende eines Jahrhunderts statt, in dem die Entwicklung der verschiedenen Zweige der Geowissenschaften im Berliner Raum einen starken Aufschwung zu verzeichnen hatte. Diese Entwicklung – wie auch die Herausbildung Berlins als Wissenschaftszentrum überhaupt – war auf das engste verbunden mit der Entwicklung und Stellung der Stadt als politisches, wirtschaftliches und geistig-kulturelles Zentrum des Königreiches Preußen bzw. des Deutschen Reiches.
     Der Beginn der Entwicklung der Geowissenschaften reicht in Berlin schon bis in das 18. Jahrhundert zurück. Im Jahre 1770 nämlich erließ König Friedrich II. (1712–1786, König ab 1740) die Verfügung, daß in den

Universitäten des Landes von nun an auch die Mineralienkunde gelehrt werden solle. Berlin besaß zu dieser Zeit zwar noch keine Universität, jedoch ein Berginstitut (ab 1774 Bergakademie genannt), in dem im Oktober 1770 vor 22 Studenten die Vorlesungen begonnen hatten. Diese Königliche Bergakademie bezog im Jahre 1801 ihr erstes festes Domizil (zusammen mit der 1799 gegründeten Königlichen Bauakademie) am Werderschen Markt (Mitte). In diesem Gebäude wurde auch das Königliche Mineralien-Cabinet untergebracht.
     Die bereits 1700 gegründete Sozietät der Wissenschaften – die spätere Preußische Akademie der Wissenschaften – hatte den Geowissenschaften zwar noch keine besondere Bedeutung beigemessen, und auch die Gründung der Berliner Universität 1810 brachte diesem Wissenschaftszweig zunächst noch nicht den entscheidenden Aufschwung. Es war schließlich Alexander von Humboldt (1769–1859), der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend dazu beitrug, daß sich die geophysikalischen Wissenschaften – als Teilgebiet der Geowissenschaften – im Berliner Raum wirkungsvoll entwickeln konnten. So betrieb er z. B. als erster in Berlin – zeitweise – ein geomagnetisches Observatorium und unterstützte den Geodäten (Geodäsie: Wissenschaft von der Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche) Johann Jakob Baeyer (1794–1885; BM 9/96) sowie den Physiker und Meteorologen
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Heinrich Wilhelm Dove (1803–1879; BM 1/98), den »Vater der Meteorologie« in Berlin.
     Im gleichen Zeitraum übte der aus der Uckermark stammende Leopold von Buch (1774–1852) einen bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung der Geologie im Berliner Raum aus. Neben der Bergakademie befanden sich nun in Berlin die zentrale Leitung des Bergbaus im gesamten preußischen Staat und auch die Zentrale der Preußischen Landesaufnahme. Sie wurde seit 1816 unter Leitung des preußischen Generalstabs systematisch betrieben; der Geodät und Generalleutnant Johann Jakob Baeyer spielte dabei eine wachsende Rolle. So machte er 1861 mit der Initiierung der Mitteleuropäischen Gradmessung, der Durchführung einer 1862 in Berlin stattfindenden internationalen Beratung dazu und der Gründung des Zentralbüros der Europäischen Gradmessung 1866 in Berlin den ersten bedeutenden Schritt zur Institutionalisierung der geophysikalischen Wissenschaften im Berliner Raum. Dieses Zentralbüro der Europäischen Gradmessung (ab 1887 als Erdmessung bezeichnet) wurde im Jahre 1870 zum Preußischen Geodätischen Institut erweitert.
     Baeyers Nachfolger wurde der Geodät Friedrich Robert Helmert, der 1843 in Freiberg/Sa. geboren worden war und 1917 in Potsdam starb. Er gehörte seit 1877 zum wissenschaftlichen Beirat des Instituts und wurde 1886 dessen kommissarischer Leiter.
Im Jahr 1887 übernahm Helmert den neuerrichteten Lehrstuhl für Höhere Geodäsie an der Berliner Universität und wurde Direktor des Preußischen Geodätischen Instituts, dessen Sitz er 1892 nach Potsdam verlegte. Hier in Potsdam arbeiteten bereits seit 1876 das Astrophysikalische Observatorium und seit 1889 das Magnetische Observatorium des Königlich Preußischen Meteorologischen Instituts, das im Jahr 1847 in Berlin gegründet worden war.
     Das Preußische Geodätische Institut wurde unter der Leitung von Helmert zu einem international anerkannten Zentrum der Geodäsie ausgebaut. Darüber hinaus wurden hier – mit weltweiter Ausstrahlung – verschiedene Teilgebiete der Geophysik erforscht und weiterentwickelt, insbesondere die Gravimetrie (die Untersuchung des Schwerefelds der Erde) und die Seismologie.
     Das Geodätische Institut hatte die Funktion des Zentralbüros der Internationalen Erdmessung – entsprechend einem internationalen Abkommen – bis zum Jahr 1916 inne. Als selbständiges Forschungsinstitut für Untersuchungen auf den Gebieten Geodäsie, Gravimetrie und Seismologie bestand es bis zum Jahre 1969 und wurde dann zum historischen Kern des 1969 neugegründeten Zentralinstituts für Physik der Erde der Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Telegraphenberg in Potsdam.
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