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Gerhard Keiderling
Berlin ist endlich trümmerfrei

Nach 1948/49 blieb die Enttrümmerung – als schwere Kriegslast und notwendige Voraussetzung für den Wiederaufbau – eine vordringliche Aufgabe in Ostwie in West-Berlin. Allerdings differierten Mittel und Wege.
     Der Ostberliner Magistrat erklärte im Dezember 1948 die Beseitigung der rund 17 Millionen Kubikmeter Trümmermassen, die noch im Ostteil lagen, zu einer Schwerpunktaufgabe. Die Leitung wurde dem Amt für Abräumung in der Magistratsabteilung für Bauwesen übertragen. Nach einem Jahr hieß es, daß 4 000 Arbeitskräfte erst 1,1 Millionen Kubikmeter Schutt beseitigt hätten. So griff man neben der amtlichen Abräumung – Mitte 1951 waren noch 3 000 bezahlte Trümmerarbeiter tätig – verstärkt auf »freiwillige« Arbeitseinsätze zurück.
     In Vorbereitung des Deutschlandtreffens der FDJ Pfingsten 1950 und der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951, zweier politischer Großveranstaltungen in Ost-Berlin, rief man die Bevölkerung zu »Aufbau- Sonntagen« auf. Außerdem wurden »Aufbaubrigaden« der FDJ aus allen Teilen der DDR geholt. Sie halfen bei der Errichtung des Stadions Mitte (später Walter-

Ulbricht- Stadion bzw. Stadion der Weltjugend), des Stadions an der Cantianstraße (ehemaliger »Exer«), der »Pionierrepublik« in der Wuhlheide, wo überall große Schuttmengen verarbeitet wurden, und beim Abräumen der Aufmarschstraßen für die »Kampfdemonstrationen«.
     Im April 1950 beschloß der Magistrat die vorübergehende Einstellung der Arbeiten in den Außenbezirken, um alle Kräfte auf vier Schwerpunkte im Zentrum zu konzentrieren: Unter den Linden, Friedrichstraße zwischen Bahnhof und »Linden«, Alexanderplatz und das sogenannte neue Zeitungsviertel um den Gendarmenmarkt. Mehr als 40 Millionen DM-Ost wurden dafür bereitgestellt. Später kamen weitere Schwerpunkte hinzu, wie die Stalinallee und das Neanderviertel (um die heutige Heinrich- Heine- Straße). Vielfach wurden Ruinen weggesprengt, so im alten Regierungsviertel (Reichskanzlei), am Alexanderplatz (Lehrervereinshaus und Hertie- Warenhaus) und am Bahnhof Friedrichstraße (»Wintergarten«).
     Am 25. Februar 1951 meldete die »Berliner Zeitung«: »Die Schloßruine ist verschwunden.« Die Sprengungen hatten auf Befehl der SED- Führung schon im September 1950 begonnen. (Vgl. DDR- Pläne für die Hauptstadt Deutschlands, in: BM 2/97). Mit Blick auf die öffentliche Kritik, die der Schloßabriß auslöste, rief die SED aber nicht zu »Aufbausonntagen« auf. Im Frühjahr 1951 wurde das leere Schloßareal mit Ziegelsplitt von
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der nahen Trümmerverwertungsanlage an der Burgstraße planiert und aus restlichen Schloßtrümmern eine Tribüne an der Spreeseite für die künftigen politischen Großveranstaltungen errichtet.
     Die Berliner beteiligten sich sehr rege an den Masseneinsätzen, so daß beachtliche Leistungen bei Enttrümmerung und Aufbereitung von wiederverwendbarem Material erzielt wurden. Gleichzeitig verstärkte sich der politische Druck. Die Teilnahme an »Aufbausonntagen« wurde als Antwort auf »imperialistische Kriegs- und Spaltungspläne« deklariert. Über Parteien, Organisationen und Betriebe wurden die Ostberliner ständig zu »freiwilligen Selbstverpflichtungen« gedrängt, bei deren Erfüllung »Aufbaunadeln«, Sach- und Geldprämien winkten.
     Die Erfahrungen mit den Massenarbeitseinsätzen – bis Ende 1951 waren weitere 2,6 Millionen Kubikmeter Schutt beseitigt – bewog die SED- Führung dazu, auf diesem Wege fortzuschreiten. Am 25. November 1951 proklamierte sie ein »Nationales Aufbauprogramm Berlin«, bestehend aus der Weiterführung der Enttrümmerung und aus dem Aufbau eines beispielgebenden städtebaulichen Ensembles entlang der Stalinallee. Das erste Echo war überwältigend. Am 2. Januar 1952 fanden sich mehr als 50 000 Berliner rings um den Strausberger Platz ein. Auch in den folgenden Wochen und Monaten kamen Tag für Tag Tausende. Die Ostberliner Presse bilanzierte regelmäßig, wieviel »Halb-
schichten« – das waren drei Aufbaustunden – geleistet, wieviel Kubikmeter Schutt abgefahren oder wieviel Ziegelsteine geputzt worden waren. Im Oktober 1954 teilte die »Berliner Zeitung« mit, daß im Rahmen des »Nationalen Aufbauwerkes (NAW)« seit 1950 10,4 Millionen Kubikmeter Trümmer beseitigt und 377 Millionen Ziegelsteine für den Wiederaufbau geborgen worden seien.
     Die Schuttmassen wurden auf dem Wasserweg in die Kiesgruben am Seddinsee (Fassungsvermögen 5 Millionen Kubikmeter) und in die Tongruben von Ketzin und Schmergow an der Havel und zu Lande mit Lkw und Trümmerbahn zu den Trümmerbergen an der Oderbruchstraße (Fassungsvermögen 4 Millionen Kubikmeter) und in Friedrichsfelde (Fassungsvermögen 8 Millionen Kubikmeter) transportiert. Die schon vorhandene Trümmerbahn wurde erweitert. Von der Stalinallee zuckelte der »Trümmerexpreß« durch die Boxhagener Straße hinaus zur Kippe in Friedrichsfelde. Eine 4 Kilometer lange Strecke führte Anfang 1952 vom Büschingplatz über die Landsberger Allee bis zum Zentralviehhof, wo die Trümmer auf Eisenbahnwaggons verkippt wurden. Auch in Nebenstraßen wurden Schmal oder Vollspurbahnen angelegt. Eine Lok mit 60 Loren vermochte rund 600 Kubikmeter Trümmer abzufahren. Selbst die BVG transportierte auf Straßenbahngleisen Schutt.
     Die vorrangige Verkippung der Trümmer wurde in der Ostberliner Presse als Ver-
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schwendung kritisiert. Die »Berliner Zeitung« schrieb am 3. August 1952 unter der Überschrift »Trümmersteine schwimmen die Spree hinauf«, daß sich in dem Schutt noch viele verwendbare Ziegelsteine und andere Materialien befänden. Doch es mangelte an modernen Trümmerverwertungsanlagen. 1950/51 standen erst zwei Anlagen, die Steintrümmer zu Ziegelsplitt zerkleinerten, auf dem Gelände der ehemaligen Börse an der Burgstraße und in der Michaelkirchstraße.
     In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre kam auch in West-Berlin die Enttrümmerung weit voran. Als Anfang 1950 aufgrund der Blockade und ihrer Nachwirkungen die Zahl der Arbeitslosen mit über 300000 ihren höchsten Stand erreichte, wurden viele von ihnen zu Enttrümmerungs- und anderen Abräumungsarbeiten eingesetzt. In einem Bericht vom Februar 1949 hieß es: »Die Enttrümmerung hat sich als eine Möglichkeit der >produktiven< Arbeitslosenunterstützung erwiesen. Im Juli 1948 waren mit Enttrümmerungsarbeiten nur 5000 Arbeitskräfte beschäftigt. Bis zum 31. Januar 1949 war diese Zahl auf 21000 angestiegen, wobei sich der Anteil der Frauen auf 40 bis 45 v. H. beläuft.«
     Um 1952/53 wurde die Enttrümmerung stärker mechanisiert. Die Deckung des Baustoffbedarfs aus der Trümmerverwertung spielte noch bis 1955 eine Rolle. Moderne Aufbereitungsanlagen für Ziegelsplitt standen am Zoo, am Kreuzberger Hafenplatz und in Siemensstadt. Der sogenannte Messeberg in

Nationales Aufbauprogramm

 

der Charlottenburger Wandalenstraße, eine Trümmeraufschüttung von rund 1,5 Millionen Kubikmetern, wurde nach 1958 wieder abgetragen, um für den Wiederaufbau dringend benötigten Ziegelsplitt zu gewinnen.
     Ein besonderes Problem brachte die Trümmerablagerung mit sich, denn innerhalb West-Berlins war der Platz hierfür knapp

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bemessen. Unter den rund 45 Schuttabladeplätzen, die es nach 1945 gab, gehörten der Humboldthain (Fassungsvermögen 8 Millionen Kubikmeter) und das Schöneberger Südgelände (Fassungsvermögen 0,9 Millionen Kubikmeter) zu den großen Schutthalden. Es kamen ferner hinzu der Lochowdamm in Wilmersdorf, die Hasenheide, die Morellenschlucht am Glockenturm des Olympiastadions, der Charlottenburger Schloßgarten und das Poststadion. Die politische Isolierung West-Berlins nach 1949 machte eine Verbringung des Trümmerschutts ins Umland unmöglich. Der Magistrat beschloß daher im Juni 1950, auf dem Gelände der während des Krieges begonnenen Wehrtechnischen Fakultät an der Teufelsseechaussee im Grunewald einen Trümmerberg mit einem Fassungsvermögen von 12 Millionen Kubikmetern anzulegen.
     Am 14. November 1957 wurde der zehnmillionste Kubikmeter Schutt angefahren. Täglich brachten etwa 600 Lastzüge rund 6 800 Kubikmeter zum Berg. Mit der Modellierung des Teufelsbergs begannen Begrünung und Anpflanzung sowie der Bau von Wintersportanlagen.
     Der Westberliner Anteil an der Gesamttrümmermenge von 75 Millionen Kubikmetern bei Kriegsende war bekanntlich auf 45 Millionen Kubikmeter geschätzt worden. Bis Sommer 1948 waren 4,5 Millionen und bis zum 31. Oktober 1949 weitere 5,5 Millionen Kubikmeter abgetragen worden. Danach
stiegen die Leistungen. Allein 1951 waren es 19 Millionen Kubikmeter, bis 1954 kamen weitere 10 Millionen und bis Ende 1956 noch einmal 17 Millionen Kubikmeter hinzu. Die Finanzierung dieser Leistung wäre ohne Zuschüsse aus ERP- Mitteln (Marshallplan- Hilfe) nicht möglich gewesen. Bis Ende 1958 wurden aus diesem Fonds 166,25 Millionen DM bereitgestellt.
     Ende der fünfziger Jahre näherte sich in beiden Teilen Berlins die Enttrümmerung ihrem Abschluß. In Ost-Berlin hatte der Magistrat 1954 angekündigt, man werde die noch verbliebenen Mengen von rund vier Millionen Kubikmetern mit Ausnahme des Bezirks Mitte, der wegen seiner schweren Schäden erst 1957 trümmerfrei sein könne, bis 1956 abgeräumt haben. Doch die Arbeiten zogen sich länger hin. Am 3. Juli 1956 erließ der Ostberliner Magistrat eine neue »Anordnung zum Plan der Enttrümmerung«, die den Umfang der noch zu beseitigenden Trümmer, die dafür aufzuwendenden Kosten und die zu erwartenden Erlöse aus der Trümmerverwertung bilanzieren sollte. Auch wenn die Anordnung im November 1958 stillschweigend wieder aufgehoben wurde, so war offensichtlich, daß die Enttrümmerung im Bezirk Mitte noch lange nicht zu Ende war. Nach dem Beschluß vom Juli 1958, die Stalinallee (ab 1961 Karl-Marx- Allee) zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz zu bebauen, lag nunmehr der Schwerpunkt hier. Unverändert wurden
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die Ostberliner zu »Aufbau- Sonntagen« und »NAW- Einsätzen« aufgefordert. Die Ruinen des Polizeipräsidiums in der Dircksenstraße fielen Ende 1958. Heftige Diskussionen löste der Beschluß zum Abriß des im Kriege stark zerstörten Schlosses Monbijou aus. Aber es wiederholte sich die Schloßtragödie von 1950. Schloß Monbijou wurde 1957/58 zugunsten einer Parkanlage beseitigt.
     Das Straßenbild in den enttrümmerten Vierteln beider Stadthälften ähnelte sich damals nur bedingt. Im Ostteil, wo man auf Eigentumsverhältnisse wenig Rücksicht nahm, dominierten große, begrünte Flächen. In Baulücken wurden Grünanlagen, Kleinsport- oder Kinderspielplätze angelegt. Ausgenommen die Renommierbauten entlang der Stalinallee, harrten die freien Flächen des Wiederaufbaus, der erst in den sechziger Jahren einsetzte. In West-Berlin ging der Wiederaufbau durch die öffentliche und private Hand nicht zuletzt aufgrund der Enttrümmerungsgesetze von 1953 und 1954 zügiger voran. Dennoch sah man auch hier viele Freiflächen und vereinzelte Ruinengrundstücke. Häuserlücken in den Geschäftsstraßen wurden oft durch Flachbauten geschlossen. Selbst in der Tauentzienstraße hielten sich solche Halb- Gebäude noch bis in die siebziger Jahre. Im wesentlichen endete um 1960 die Enttrümmerung im Osten wie im Westen. Abschlußberichte wurden nicht vorgelegt. Die Berliner bemerkten an den Baukränen und Gerüsten,
die allerorten aufgestellt waren, das Ende dieses Nachkriegskapitels. Daß die Ruinen früher als nach dem Kriege angenommen beiseitigt worden waren, nahm man als selbstverständlich hin.
     An die Zeit der Enttrümmerung erinnern noch heute in beiden Stadthälften künstliche Berge, die die Stadtlandschaft mit prägen. Der Teufelsberg ist mit 115 Metern der höchste von allen. Der erste Trümmerschuttberg in West-Berlin war der Insulaner (75 Meter), der am 11. August 1951 »eingeweiht« wurde. Es folgten die Humboldthöhe (85 Meter) im Wedding, die Tempelhofer Marienhöhe (73 Meter), die im Juni 1954 eingeweihte Rixdorfer Höhe (68 Meter) im Volkspark Hasenheide, die Rudower Höhe (64 Meter) sowie der Müllberg in Lübars, auf dem später ein Freizeitpark angelegt wurde. In Ost-Berlin wurden der »Mont Klamott« (78 Meter) im Friedrichshain im Frühjahr 1951 und die Oderbruchkippe (91 Meter), der heutige Volkspark Prenzlauer Berg, in den sechziger Jahren fertiggestellt. Daß es in Ost-Berlin auch noch die Trümmerberge in Friedrichsfelde, östlich des heutigen Tierparks, und in Biesdorf sowie auf dem Gelände des heutigen Anton-Saefkow- Parks am S-Bahnhof Greifswalder Straße und weitere Trümmerhügel in den Pankower Arkenbergen und um einen gesprengten Bunker in der Köllnischen Heide (Treptow) gibt, ist meist nur Eingeweihten bekannt.

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