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Horst Wagner
»Die Herren Berliner spekulieren mit mir«

Vor 85 Jahren kam Albert Einstein an die Preußische Akademie der Wissenschaften

Seinen 35. Geburtstag am 14. März hatte er noch in Zürich gefeiert, wo der 1879 in Ulm geborene, in München aufgewachsene, später am Patentamt in Bern beschäftigte Albert Einstein (BM 4/95) seit 1909 eine Professur innehatte und Routinevorlesungen an der eidgenössischen Technischen Hochschule hielt. Zwei Wochen später, am Sonntag, dem 29. März 1914, traf der Mann, der schon als 26jähriger mit seiner Formel E = mc2 das Tor zu einem neuen Zeitalter der Physik aufgestoßen hatte, auf dem Bahnhof Zoo in Berlin ein, um seine Arbeit als ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften aufzunehmen. Eine Stellung, die es ihm ermöglichen würde, sich künftig frei von materiellen Sorgen ganz auf seine mathematisch- physikalischen Forschungen zu konzentrieren. Denn für ein Jahresgehalt von 12 000 Mark – das höchste, das damals in Deutschland für einen Professor gezahlt wurde – sollte er keine weiteren formellen Verpflichtungen haben, als einmal in der Woche, donnerstags Nachmittag, an

den Sitzungen der Akademie teilzunehmen.
     Die Berufung hatte Einstein vor allem seinem berühmten Berliner Kollegen Max Planck (1858–1947) zu verdanken, der damals zwar nicht mit allen wissenschaftlichen Thesen Einsteins einverstanden war, aber in ihm »eine außerordentliche Kraft« sah, die es »nach Möglichkeit zu nutzen« galt. Mit dieser Begründung Plancks jedenfalls war Einstein bereits im Juli 1913 mit 44 gegen 2 Stimmen zum Mitglied der preußischen Wissenschaftsakademie gewählt worden.1) Und Planck persönlich hatte gemeinsam mit Walther Nernst (1864–1941) Einstein damals in Zürich besucht, um dessen Zustimmung einzuholen.
     »Die Herren Berliner spekulieren mit mir wie mit einem Leghuhn. Aber ich weiß nicht, ob ich noch Eier legen kann«, soll Einstein in seiner humorig- schnoddrigen Art einmal im Kreis Züricher Freunde gesagt haben.2) Doch neben persönlichen Bedenken – er fürchtete für Berlin Konflikte zwischen seiner Frau Mileva und seiner dort ansässigen Cousine Elsa, mit der er ein heimliches Liebesverhältnis hatte – waren es vor allem politische, die ihn zögern ließen, in die Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches zu kommen.
     Einstein war Pazifist, haßte alles Militärische als »schlimmste Ausgeburt des Herdenwesens« und sah mit Sorge, wie die »Marschiererei« immer mehr das Leben in Deutschland bestimmte.3) Aber er sah auch,
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daß in Berlin eine andere preußische Tradition gepflegt wurde, sich die Stadt zusehends zu einem Zentrum der Wissenschaft entwickelte und erhoffte sich viel von einem unmittelbaren Austausch mit seinen Berliner Kollegen. So hatte er schließlich am 7. Dezember 1913 schriftlich erklärt, daß er die inzwischen durch »allerhöchsten Erlaß des Kaisers und Königs« vom 12. November bestätigte Wahl annehme. Er knüpfte daran allerdings die Bedingung, seine Schweizer Staatsangehörigkeit behalten zu können. Und er ist, wie seine Berliner Sekretärin Helene Dukas bezeugte – bis 1923 auch immer mit seinem Schweizer Paß gereist.4)
     Zu seiner Ankunft in Berlin am 29. März 1914 sind wohl keine Journalisten am Bahnhof erschienen. Aber immerhin fordert die renommierte »Vossische Zeitung« das neue Akademiemitglied alsbald auf, für sie etwas Populäres über seine Relativitätstheorie zu schreiben. »Dieser Aufforderung komme ich gern nach«, so Einstein am 26. April in der »Vossischen«. »Denn wenn auch ein tieferer Einblick in die Relativitätstheorie ohne Aufwendung erheblicher Mühe nicht zu erzielen ist, mag es doch auch für den Fernerstehenden reizvoll sein, einiges über Methoden und Ergebnisse dieses neuen Zweiges theoretischer Forschung zu erfahren.«
     Einstein hebt in dem Beitrag zwei Hauptergebnisse seiner Theorie hervor, »die auch den Laien interessieren müssen«. Zum einen müsse die »Existenz eines raumerfüllenden,

 

der Lichtfortpflanzung dienenden Mediums, des Lichtäthers, fallengelassen werden«. Zum anderen »ergibt die Theorie, daß die Trägheit eines Körpers keine absolut unveränderliche Konstante ist, sondern mit dem Energie- Inhalte wächst ... Die Energie eines Körpers ist zugleich bestimmend für die Masse desselben.«
     Am 2. Juli dann hält Einstein seine Antrittsrede im neuen, erst am 22. März 1914 eingeweihten Gebäude Unter den Linden, das neben der Akademie auch die Preußische Staatsbibliothek beherbergt. Die Akademie war kein Forschungsinstitut mit Arbeitszimmern, sondern – so Armin Hermann in seiner Einstein- Biographie – »ein gepflegter Herrenclub mit schönen Besprechungs und Sitzungszimmern. In den Nischen der gros-

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sen Wandelgänge standen Sofas und luden ein zum Gespräch, aus dem, wie Heisenberg einmal gesagt hat, Wissenschaft entsteht.«5) Im großen Sitzungssaal spricht Einstein über »Die Methoden der theoretischen Physik«. Bei diesen gehe es darum, gewisse allgemeine Prinzipien zu finden und aus diesen dann alle einschlägigen Naturerscheinungen abzuleiten, wobei der Forscher der Natur »jene allgemeinen Prinzipien gleichsam ablauschen« müsse.6)
     Einstein ist gerade erst vier Monate in Berlin, als am 1. August 1914 mit der kaiserlichen Mobilmachung der Erste Weltkrieg beginnt. Einstein ist entsetzt. An seinen Freund Paul Ehrenfest in Holland schreibt er in diesen Tagen: »Unglaubliches hat nun Europa in seinem Wahn begonnen. In solcher Zeit sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört.«7) Während seine Akademiekollegen Planck, Nernst, Haber (1868–1934) und 90 weitere namhafte Persönlichkeiten Anfang Oktober den zu bedingungsloser »Vaterlandsverteidigung« aufrufenden Appell »An die Kulturwelt« (BM 11/94) unterschreiben, gehört Albert Einstein gemeinsam mit dem Berliner Physiologen Georg Friedrich Nicolai zum Verfasser eines Gegenmanifests »An die Europäer« und ist im November 1914 Gründungsmitglied des pazifistischen Bundes »Neues Vaterland«, der es als sein Ziel betrachtet, »eine politische und wirtschaftliche Verständigung zwischen den Kulturvölkern herbeizuführen«.8)
Fast 19 Jahre, vom 29. März 1914 bis zum 10. Dezember 1932, hat Einstein in Berlin gewirkt und gewohnt. (Letzteres zeitweilig auch im Vorort Caputh.) Ende April 1914 ist ihm seine Frau Mileva (von der er sich 1919 scheiden läßt, um seine Cousine Elsa zu heiraten) nach Berlin gefolgt. Zusammen mit den Kindern Hans-Albert und Eduard beziehen sie eine Wohnung in Dahlem, Ehrenbergstraße 33, ganz in der Nähe der neuen Kaiser- Wilhelm- Institute, wo Einstein auch ein Arbeitszimmer bekommt.
     Am 2. Juni 1915 macht er mit einem ersten öffentlichen Vortrag in der Treptower Sternwarte ein breiteres Berliner Publikum auf sich und seine Relativitätstheorie aufmerksam. »Das jüngste Mitglied unserer Akademie der Wissenschaften«, so die »Vossische Zeitung« in ihrem Bericht, versuchte vor »einer verhältnismäßig großen Zahl von Zuhörern ... klarzulegen, wie Ort und Zeit nicht voneinander zu trennen, wie Längen und Zeiten vom Bewegungszustand abhängig sind«.
     Am 4. November des gleichen Jahres legt er auf einer Gesamtsitzung der Akademie seine Abhandlung »Zur allgemeinen Relativitätstheorie« vor und beweist mit dieser Weiterentwicklung seiner 1905 begründeten speziellen Relativitätstheorie, daß er durchaus in der Lage ist, »noch Eier zu legen«.
     Am 5. Mai 1916 wird er zum Vorsitzenden der Deutschen Physikalischen Gesellschaft gewählt. Im gleichen Jahr erscheint sein
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Name auf einer Liste der Berliner Polizeibehörde zur Beobachtung »namhafter Pazifisten«, hatte er sich doch nicht nur in der Schweiz mit Romain Rolland getroffen, sondern auch mitgeholfen, für inhaftierte Gesinnungsfreunde pazifistische Literatur ins Gefängnis zu schmuggeln.9)
     1918 begrüßt er die Novemberrevolution in einem Brief an seine Mutter: »Ich bin sehr glücklich über die Entwicklung der Sache. Jetzt wird es mir erst recht wohl hier.«10) Am 16. November gehört er zu den Gründungsmitgliedern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei. Am 14. Dezember 1919 erscheint sein Foto als Titelbild der »Berliner Illustrirten Zeitung« mit der Unterschrift: »Eine neue Größe der Weltgeschichte: Albert Einstein, dessen Forschungen eine völlige Umwälzung in der Naturbetrachtung bedeuten und den Erkenntnissen eines Kopernikus, Kepler und Newton gleichzusetzen sind.«
     Im August 1920 hat er sich mit Angriffen auseinanderzusetzen, die ein gewisser – später als Hochstapler entlarvter – Paul Weyland erst in der Zeitung »Tägliche Rundschau« und dann auf einer von ihm organisierten Massenkundgebung in der Berliner Philharmonie gegen ihn führt, der die Relativitätstheorie – hier die Nazis vorwegnehmend – als undeutsch bezeichnet und dagegen das »gesunde Volksempfinden« mobilisieren will.11) Nach dem am 24. Juni 1922 von Rechtsextremisten verübten Mord an
Außenminister Rathenau, den er zu seinen persönlichen Freunden zählte, setzt Einstein seine seit 1915 regelmäßig gehaltenen Vorlesungen an der Linden- Universität ab und verläßt für einige Zeit Berlin, da er auch für seine Sicherheit fürchtet.
     So erreicht ihn die Nachricht, daß ihm, nachträglich für 1921, der Nobelpreis für Physik verliehen worden ist, nicht in der deutschen Hauptstadt, sondern am 13. November 1922 vor der chinesischen Küste auf dem Dampfer Kitano Maru, mit dem er zu einer Vortragsreise nach Japan unterwegs ist. Weil Einstein, der auf Festivitäten keinen Wert legt, den Preis nicht selbst entgegennehmen will oder kann, kommt es zu einem Streit, ob das für ihn der Schweizer oder der deutsche Botschafter tun könnte, da Einstein die Schweizer Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben, aber nach dem Eintritt in die Preußische Akademie der Wissenschaften automatisch auch preußischer bzw. deutscher Staatsbürger geworden ist. Schließlich nimmt der deutsche Botschafter in Stockholm am 10. Dezember 1922 den Preis für ihn in Empfang.12)
     Nicht ganz ohne Streit geht es auch zum 50. Geburtstag Einsteins 1929 ab. Zwar kommt Oberbürgermeister Gustav Böß (1873–1946; OB von 1921–1929) in die Haberlandstraße 5, wo Einstein zusammen mit Elsa seit 1917 wohnt, nennt ihn den »größten Sohn Berlins«13) und kündigt an, daß der Magistrat ihm ein Havelgrundstück als »Ehren-
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gabe« zur Verfügung stellen wolle, das Haus in Caputh, Waldstraße 7/8. In der Stadtverordnetenversammlung gibt es daraufhin Widerstand von rechtsgerichteten Kreisen, so daß Einstein Böß bittet, von der Schenkung Abstand zu nehmen, und das Grundstück aus eigenen Mitteln erwirbt.
     Am Morgen des 10. Dezember 1932 verlassen Einstein und seine Frau dieses Haus im Auto eines Freundes, um über Amsterdam in die USA zu Gastvorlesungen zu reisen. Dort erreicht ihn die Nachricht von der Machtübernahme der Nazis. Am 11. März 1933 gibt er in einer Presseerklärung aus Pasadena bekannt, daß er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde.
     Als eine Art Berliner Testament Einsteins, der bis zu seinem Tode am 18. April 1955 in Amerika wirkte, kann eine Schallplattenaufnahme angesehen werden, die kurz vor seiner Abreise, im Herbst 1932, auf Veranlassung der Deutschen Liga für Menschenrechte in Berlin hergestellt wurde. »Meine Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit«, so Einstein auf dieser Platte, »hat mich oft in Konflikt mit den Menschen gebracht, ebenso meine Abneigung gegen jede Bindung und Abhängigkeit, die mir nicht absolut notwendig erschienen ... Aus Stellung und Besitz entspringende Vorrechte sind mir immer ungerecht und verderblich erschienen, ebenso ein übertriebener Personenkultus. Ich bekenne mich zum Ideal der Demokratie, trotzdem mir die Nachteile
demokratischer Staatsform wohl bekannt sind. Sozialer Ausgleich und wirtschaftlicher Schutz des Individuums erschienen mir stets als wichtige Ziele der staatlichen Gemeinschaft.«14)

Quellen:
1     Friedrich Herneck, Albert Einstein, Leipzig 1979, S. 50
2     Armin Hermann, Einstein – Der Weltweise und sein Jahrhundert, München/Zürich, 1995, S. 9
3     Albert Einstein, Mein Weltbild, Hrsg. von Carl Seelig, Frankfurt a. M. 1981, S. 9
4     Friedrich Herneck, Einstein und sein Weltbild, Berlin 1976, S. 60–64
5     Armin Hermann, a. a. O., S. 15
6     Ebenda, S. 17
7     Albert Einstein, Über den Frieden, Hrsg. von O. Nathan u. H. Norden, Bern 1975, S. 20
8     Wolfgang Schlicker, Albert Einstein – Physiker und Humanist, Berlin 1981, S. 13–14
9     Ebenda, S. 14 und 16, Armin Hermann, a. a. O., S. 213 f.
10     Armin Hermann, a. a. O., S. 225
11     Armin Hermann, a. a. O, S. 240–243, Albert Einstein, Meine Antwort, »Berliner Tageblatt«, 27. 8. 1920
12     Vgl. Armin Hermann, a. a. O., S. 283–291
13     Armin Hermann, a. a O., S. 348
14     Friedrich Herneck, a. a. O. (Nr. 4), S. 100

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Berlinische Monatsschrift Heft 3/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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