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Hans Hauser
Neuer Edelstein in der Kulturlandschaft

Das Jüdische Museum in Kreuzberg

Schon vor der Schlüsselübergabe an seinen Direktor Michael Blumenthal im Januar 1999 fand das Jüdische Museum an der Lindenstraße in Kreuzberg Lob in höchsten Tönen. Obwohl die Eröffnung der Ausstellung in dem von Daniel Libeskind entworfenen Bau und dem mit ihm unterirdisch verbundenen ehemaligen Kammergerichtsgebäude erst für Herbst 2000 vorgesehen ist, kann der ungewöhnlichste Neubau der Hauptstadt bereits besucht werden. Kultursenator Peter Radunski nannte bei der Schlüsselübergabe die mit silberglänzendem Blech verkleidete und nur durch gezackte Fenster unterbrochene Kreation einen »neuen Edelstein in der Berliner Kulturlandschaft«. Das Museum sei nicht nur ein Haus der Trauer, des Blicks zurück und der melancholischen Innerlichkeit, sondern auch ein Zentrum der fröhlichen Begegnung. Das Jüdische Museum werde als internationale Begegnungsstätte eng mit Partnern wie der Neuen Synagoge Centrum Judaicum, dem Haus der Wannseekonferenz, der Gedenkstätte Topographie des Terrors sowie mit der


Der Architekt Daniel Libeskind  

Stiftung Stadtmuseum, dem Deutschen Historischen Museum und anderen Sammlungen und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten.
     Rund 121 Millionen Mark wurden von der Stadt aufgebracht, um das einzigartige Gebäude zu errichten und zugleich das mit ihm verbundene alte Kammergerichtsgebäude zu restaurieren und für die neue Nutzung herzurichten. Bisher präsentierte das Berlin Museum in dem Barockbau seine reiche Sammlung zur jüdischen Geschichte und Kultur.

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In dem neuen Museum lösen sich Leere und Fülle, Ruhe und Bewegung ab, »reguläre« Ausstellungsräume liegen neben leeren Räumen (»Voids«), in denen der Besucher ganz mit sich allein ist. Es gibt eine repräsentative Treppe im Inneren und einen Holocaust-Turm, durch den das schwache Tageslicht kaum den Boden erreicht. Gänge führen an Mauern entlang und in Sackgassen, zwingen zur Umkehr, Fensterzacken unterbrechen glatte Betonwände. Keine leichte Arbeit für die Museumsgestalter, die Räume mit Exponaten zu bestücken.
     Was Daniel Libeskind bewog, die von üblichen Museumsbauten abweichende Form des »gefrorenen Blitzes« oder des zerborstenen Davidsterns zu wählen, faßt er so zusammen: »Der erste Aspekt ist der unsichtbare, irrational zusammenhängende Stern, der mit dem nicht vorhandenen Licht individueller Adressen leuchtet. Der zweite Aspekt ist der Abbruch des zweiten Aktes der Oper von Arnold Schönberg >Moses und Aron<, der in einer nichtmusikalischen Erfüllung des Wortes kulminiert. Der dritte Gedanke gilt den deportierten und vermißten Berlinern. Die vierte Grundlage des Projekts ist Walter Benjamins städtische Apokalypse entlang der Einbahnstraße. Jede der 60 >Stationen des Sterns<, den Benjamin beschreibt, repräsentiert einen der 60 Abschnitte in ihrer Abfolge entlang der Zickzackform des Gebäudes«. Er habe neben dem vornehmen barocken Kollegienhaus gespürt, daß auf der
anderen Seite eine unsichtbare Matrix von Verbindungen existierte, von Beziehungen zwischen deutschen und jüdischen Persönlichkeiten. Obwohl der Wettbewerb vor dem Fall der Mauer stattfand, habe er den Eindruck, daß das eine verbindende Element, das die Grenzen zwischen Ost und West überschritt, die Beziehung zwischen Deutschen und Juden war. Nach dieser Entdeckung habe er eine irrationale Matrix entworfen, »die sich in Beziehung zu einem komprimierten und verzerrten Stern setzen lassen würde: eine Ähnlichkeit mit dem gelben Stern, der an anderer Stelle so häufig getragen worden ist«.
     Museumsdirektor Blumenthal nennt die Darstellung der 2000jährigen Geschichte der Juden in Deutschland und im deutschsprachigen Raum als Ziel der Arbeit des Museums. »Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der tragischen Zerstörung der einstmals blühenden jüdischen Gemeinden in Deutschland schlägt dieses Museum sein Domizil in der neuen Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland auf. Seit der Römerzeit spielten Juden eine Rolle in der deutschen Geschichte. Unsere ständige Ausstellung wird diese Geschichte in erzählender Form darstellen und dabei Texte, Multimedia-Techniken und historische Objekte verwenden.« Die Darstellung werde die Besucher in die Lage versetzen, Einblicke in das Leben und die Schicksale der Juden über die Jahrhunderte hinweg zu gewinnen, in Zeiten, die erfüllt
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waren von Toleranz und kultureller Blüte, aber auch von Ausgrenzung und Verfolgung. Am Beispiel von berühmten wie ganz unbekannten Juden wolle das Museum zeigen, »daß jüdisches Leben aufs engste mit der deutschen Geschichte verwoben war und daß Juden auf allen Gebieten des geistigen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens eine bedeutende Rolle gespielt haben«. Der Museumsdirektor weist darauf hin, daß die jährlichen Kosten von rund 18 Millionen Mark bisher nicht vollständig gesichert sind. Je sieben Millionen würden der Bund und das Land Berlin beisteuern, der Rest müsse durch Spenden aufgebracht werden.
     Der Libeskind-Bau, dessen Grundstein am 9. November 1992 gelegt worden war, wird mit dem Kammergerichtsgebäude bis Herbst 2000 mit Bildern, Zeremonialgegenständen, Büchern und anderen Exponaten ausgestattet. Der Bestand der bisherigen Jüdischen Abteilung des in der Stiftung Stadtmuseum aufgegangenen Berlin Museums bildet dafür zusammen mit zahlreichen Neuerwerbungen den Grundstock.
     Um die Frage, ob das Jüdische Museum Teil der Stiftung Stadtmuseum bleibt oder eine eigenständige Einrichtung wird, hatte es in den vergangenen Jahren einen heftigen Streit gegeben. Vernunft hat sich durchgesetzt, denn seit 1. Januar 1999 ist das Jüdische Museum eine selbständige Stiftung.
     Fast schon vergessen ist, daß Mitte der siebziger Jahre die Errichtung eines jüdi-
schen Museums in West-Berlin kaum durchsetzbar erschien. Erwogen wurde allenfalls die Erweiterung des Berlin Museums um eine Abteilung »Jüdisches Museum« in Verbindung mit einer theaterhistorischen Abteilung, da es zwischen beiden Bereichen starke Beziehungen gegeben hat. Untergebracht werden sollten die Judaica in einem Nachbau des Ephraim-Palais gegenüber dem Berlin Museum. Bekanntlich wurde dieses Stadtpalais aber unter Verwendung der 1935 beim Abbruch geborgenen Steine im Nikolaiviertel in Ost-Berlin rekonstruiert, so daß ein Neubau geplant und schließlich nach vielen Schwierigkeiten realisiert wurde.
     Nach mehr als 60 Jahren hat Berlin wieder ein eigenständiges Jüdisches Museum. Das unmittelbar vor der Errichtung der Hitlerdiktatur im Januar 1933 in der Oranienburger Straße 31 eröffnete Museum wurde fünf Jahre später von den Nazis geschlossen. Die Exponate dieses aus einer jüdischen Kunstsammlung hervorgegangenen ersten Museums wurden nach dem Pogrom von 1938 in alle Winde verstreut. Einige Stücke kehrten an den Ursprungsort, die Neue Synagoge Centrum Judaicum, zurück. Das neu gegründete Jüdische Museum knüpft an die alte Tradition an und hofft nun, seine Bestände, die Bibliothek und das Archiv durch Ankäufe und durch Spenden und Stiftungen aufstocken zu können.

Bildquelle: Autor

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© Edition Luisenstadt, 1999
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