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Kurt Wernicke
»Da mag der Teufel Mucker sein«

Spottlied und Gassenhauer im Vormärz

Der nationalliberale Berliner Reichstagsabgeordnete und Publizist Alexander Meyer (1832–1908) besann sich im Kontext seiner Jugenderinnerungen »Aus guter alter Zeit« (erschienen 1909) an die Zeit des Vormärz – die er als Zwölfbis Sechzehnjähriger erlebte –, daß in jenen Jahren »der Hang zu politischer Satire übermächtig geworden war und durch alle Ritzen und Poren drang«. Schon die zeitweilige Aufhebung der Zensur für bildliche Darstellungen hatte 1842/43 zu einer Fülle bissiger, z. T. ätzender Karikaturen geführt. Die unmittelbare Reaktion der Berliner auf das unerhörte Ereignis, daß mit dem Attentat des einstigen Storkower Bürgermeisters Tschech (1789–1844) auf das preußische Königspaar am 26. Juli 1844 erstmals ein Anschlag eines Untertanen auf einen preußischen Monarchen zu verzeichnen war, schlug sich in einem respektlosen Gassenhauer nieder – dem »Tschech-Lied«. Das wurde zwar in den folgenden Monaten bei seinem Lauf durch Preußen und Deutschland vielfach variiert, aber schon die Berliner Erstfassung mit den herr-

lichen Zeilen Hatte je ein Mensch so'n Pech / wie der Bürgermeister Tschech / daß er diesen dicken Mann / auf zwei Schritt' nicht treffen kann ... beweist die ganze Respektlosigkeit der Berliner vor dem angeblich so geheiligten und von Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861; König 1840–1858) bei jeder Gelegenheit vor sich hergetragenen Gottesgnadentum, das aus der Sicht des »Romantikers auf dem Thron« ihm die unmittelbare Heiligung durch göttlich vermittelte Einsichten verschaffte. Aus dieser Fixierung auf eine ihm persönlich zukommende göttliche Weihe neigte Friedrich Wilhelm IV. dann auch sichtbar dem als konservative Reaktion auf den zunehmenden Rationalismus in der protestantischen Kirche seine Reihen festigenden Neo- Pietismus zu. Schon vier Monate nach seiner Thronbesteigung verlieh er dieser Tendenz mit der Berufung des neuen Kultusministers Eichhorn (1779–1856) deutlichen Ausdruck. Eichhorn stand für die protestantische Orthodoxie und den »christlichen Staat«, der aus Eichhorns und dessen Gesinnungsbrüder Sicht mit Vorliebe als eine Domäne frommen Eifers angesehen wurde.
     Dagegen formierte sich bald Widerstand – zunächst innerhalb der evangelischen Kirche. 1841 fanden sich auf Initiative des Pfarrers Leberecht Uhlich (1799–1872) aus der Gemeinde Pömmelte bei Schönebeck 16 Pfarrer aus der Provinz Sachsen zusammen und gründeten in Gnadau
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den Kreis der »Protestantischen Freunde«, der im Volke bald unter dem ursprünglich von den orthodoxen Gegnern hämisch geprägten Spottnamen »Lichtfreunde« bekannt wurde. Sie verwarfen die auf die Bibel pochende sture Schriftgläubigkeit der Orthodoxen und betonten, daß der Geist in Glaubenssachen den Richterstuhl einzunehmen habe – Hegels »Weltgeist« war nicht ganz unschuldig an solchen Schlußfolgerungen. Die »Hegelinge«, wie sie der Hallenser Professor Heinrich Leo (1799–1878) wütend genannt hatte, hatten mit ihrer vom Meister ererbten dialektischen Methode dem bibelgläubigen Obskurantismus seit Mitte der dreißiger Jahre (1835 war von David Friedrich Strauß, [1808–1874], »Das Leben Jesu, kritisch betrachtet« erschienen) schmerzhafte Scharten beigebracht. Mit der ministeriellen Entziehung der Lehrbefugnis für den Bonner Privatdozenten Bruno Bauer (1809–1882), der mit kritischen Werken zu dem historischen Gehalt der Evangelien Furore gemacht hatte, schlug das orthodoxe Establishment 1842 zurück und stachelte damit die »Lichtfreunde« zu verstärkter Wirksamkeit an. Ihre jährlichen Versammlungen zogen immer mehr Bekenner aus der evangelischen Pfarrerschaft an, bis bei der Frühjahrsversammlung im Mai 1845 im anhaltinischen Köthen (damals ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt) zweibis dreitausend Teilnehmer gezählt wurden – darunter

 

erstmals auch zum erheblichen Teil protestantische Laien. Die Köthener Versammlung gab mit ihrem selbstbewußten Auftreten gegen die regierungsoffizielle Bevorzugung der neopietistischen Orthodoxie der »Hohepriester, Pharisäer und Schriftgelehrten« sowohl im innerkirchlichen Streit wie im öffentlichen Leben Veranlassung zu ebenso öffentlich vorgetragenen Kundgebungen für die »Lichtfreunde« von der Seite ihrer Sympathisanten. »Viele von diesen mag nicht eigentlich religiöses Interesse herbeigelockt haben, sondern mehr

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nur die Lust an öffentlich bewegtem Leben und an parlamentarischer Demokratie, die nur in dieser Art von Volksversammlungen gestattet war«, urteilte ein Zeitgenosse sicher nicht zu Unrecht 1853 in Meyers Conversations- Lexicon.
     Eines der Zentren von Sympathie war – fast möchte man sagen natürlicherweise – Berlin, wo schließlich sogar der Magistrat in einem aufsehenerregenden Schritt mit einer Eingabe an den König vom 22. August 1845 zugunsten des Rechts u. a. auch der »Lichtfreunde« eintrat, die im Allgemeinen Landrecht verbriefte Gewissensfreiheit in öffentlicher Diskussion in Anspruch nehmen zu können. Dem vorausgegangen war schon am 1. August eine Versammlung in dem Restaurantkomplex Die Zelte, die von einigen im Mai in Köthen anwesenden Privatpersonen einberufen worden war und der Verabschiedung einer Protestadresse diente, mit der generell »Gewissens- und Lehrfreiheit als Grundlage echt menschlicher Bildung und die einzige Gewährung ihrer Fortentwicklung« eingefordert und Anklage gegen »eine gewisse Partei« erhoben wurde. Diese verfolge, auf ihren Einfluß trotzend, nur hierarchische Zwecke, beunruhige die Gewissen, befördere die Sittlichkeit zerstörende Heuchelei, verdächtige und verketzere Andersdenkende, trüge darauf an, sie auszustoßen und als Sektierer zu behandeln. Nach unterschiedlichen Berichten waren zwischen 200 und 500 Personen versammelt
– zumeist Mitglieder des gerade ein Jahr alten Handwerkervereins in der Johannisstraße 4, dem Pfarrer Uhlich im ersten Halbjahr 1845 auch schon einen Besuch abgestattet hatte. Es wurden sofort Unterschriften für die Resolution gesammelt, und erwartungsgemäß kamen etliche hundert zusammen. Um weitere Zustimmungen zu dokumentieren, wurde angekündigt, daß der Text bei vier Initiatoren zur Unterschriftsleistung ausgelegt werde (schließlich kamen 1569 Unterschriften zusammen). Als man fertig war, sollte die Versammlung mit einem Liede schließen. Auf die Frage, was gesungen werden solle, war die lebhafte Antwort: »Das Muckerlied aus dem Handwerkerverein!« Bei einer zweiten Versammlung am 12. August im Restaurant »Tivoli« hinter dem Kreuzberg, diesmal von 800 bis 1 000 Personen besucht, aber durch das polizeiliche Verbot von Ansprachen allein auf das Absingen von Liedern beschränkt, erklang neben »Was ist des Deutschen Vaterland?«, »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los« und dem Burschenschafterlied »Wir hatten gebauet ein stattliches Haus« auch wieder das »Muckerlied«.
     Was war das nun für ein Lied, dessen Absingen das unbestrittene Organ der Orthodoxie, die »Evangelische Kirchenzeitung«, durch ihre abfälligen Bemerkungen in die Nähe eines Sakrilegs rückte? Den entscheidenden Hinweis liefert der Drucker und Verleger des Handwerkervereins, Eduard
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Krause (1816–1882; s. BM 9/98), mit einer Werbeanzeige in der ebenfalls von ihm verlegten, etwa Anfang September 1845 in den Buchhandel gekommenen Flugschrift von Julius Berends (1817–1891) »Was wir wollen! Eine Betrachtung der beiden Berliner Proteste«. Krause preist dort die von ihm gedruckten und verlegten »Feierabendlieder von Wilhelm Steinhäuser« mit dem Zusatz »Das bekannte Muckerlied findet sich in dieser Sammlung unter dem Titel Glaubensfrohsinn«. Der Maler Wilhelm Steinhäuser (1816–nach 1857), damals – als einer der im Oktober des Vorjahres gewählten Vertreter der im Verein organisierten Gesellen/Gehilfen – ein prominentes Mitglied des Handwerkervereins (er hatte mit anderen Gesellen zusammen im Januar 1845 den Aufruf »An die Handwerker Berlins« unterzeichnet, der zum Eintritt in den Verein aufforderte), publizierte im Juni 1845 ein Bändchen Gedichte unter dem oben erwähnten Titel.
     Diese aber waren im Handwerkerverein zu dieser Zeit z. T. schon Allgemeingut und wurden dort gern gesungen, da die Texte fast durchweg auf bekannte Melodien zugeschrieben worden waren. Als Nr. 22 taucht dort »Glaubensfrohsinn« auf, nach der Melodie »Was ist des Lebens höchste Lust?« (eine damals sehr verbreitete Volksweise, die aus dem 1794 uraufgeführten Singspiel »Die Schwestern von Prag« stammte; Text von Joachim Perinel, Melodie von Wenzel Müller):
Fort mit der alten Muckerei,
Die nur den Kopf verdreht!
Es singt sich noch einmal so frei
Wenn's frisch vom Herzen geht;
Denn haben wir, was recht, getan,
Sieht uns der Herr wohl gnädig an.

Sie möchten rings die ganze Welt
Zum Bethaus richten ein;
Doch da hat sie der Fuchs geprellt!
Will's Gott, das darf nicht sein.
Muß alles haben Zeit und Ort,
Drum heißt es hier: der Mucker fort!

Gott schuf ja nicht den Wein dahier
Allein für Priesterbrauch;
Versichert jeder Kellner mir:
Daß er für Laien auch.
Das glauben wir und zweifeln nicht,
Was auch der Mucker contra spricht!

Drum trinken wir denn auch voll Lust
Manch rundes Gläschen leer,
Sind keiner Sünde uns bewußt
Und fordern fröhlich mehr.
Trinkt doch der König selber Wein,
Da kann's unmöglich Sünde sein.

Wir wollen uns durch Fasten nicht
Das Paradies erflehn,
Und werden dennoch in's Gericht
Mit leichtem Herzen gehn.
Der Herr fragt dort wohl nicht den Geist
Nach dem, was hier sein Leib gespeist.

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Soll doch der Herr das Herz nur schau'n,
Und das ist gut bestellt,
Das fürchtet weder Tod noch Grau'n
Und liebt die ganze Welt.
Was mancher Pfaff von Liebe spricht,
O weh! das sitzt im Herzen nicht!

Drum soll uns nicht den Kopf verdrehn
Die alte Muckerei:
Das Leben ist noch 'mal so schön,
Sind alle Herzen frei.
Lacht Himmel doch und Sonne drein,
Da mag der Teufel Mucker sein.

Dem Neo- Pietismus, der ganz auf den Verzicht von Sinnenfreude setzte, um das Individuum durch seine ungestörte Zwiesprache mit dem persönlichen Gott zum Seelenheil zu führen, mußte solches frohgemute christliche Bekenntnis zur Diesseitigkeit und Lebensfreude, verbunden mit direktem Angriff auf pfäffische »Muckerei« (»Mucker« wird schon im 18. Jahrhundert als Bezeichnung für Frömmler verwandt. Es entstammt möglicherweise der Berliner Aufklärung, deren Frontstellung gegen den Pietismus eklatant war), natürlich zutiefst zuwider sein. Daß es bei der Versammlung am 12. August »mit Enthusiasmus mehrere Male« gesungen wurde, war der »Evangelischen Kirchenzeitung« immerhin eine denunziatorische Bemerkung wert.
     Den »Lichtfreunden« als einer Massenbewegung von Laien machten die preußi-

schen Behörden auf der Grundlage einer Allerhöchsten Kabinettsorder des vom Gottesgnadentum erleuchteten Königs von Anfang August sehr bald ein repressives Ende: Ein darauf fußendes Ministerialreskript des Innenministers vom 10. August verbot alle Versammlungen von »Lichtfreunden«, sobald sie durch Zahl oder Standesverschiedenheit ihrer Teilnehmer oder auch durch den Ort ihrer Vereinigung den Charakter der Volksversammlungen annähmen. Schon im nächsten Jahr war das »Muckerlied« offenbar aus der »Hitliste« des Handwerkervereins gestrichen, denn unter den aus Vereinsmitgliedern gebildeten Berliner Gemeinden des Bundes der Gerechten ward es nicht mehr explizit angetroffen. Dafür erfreute man sich dort am Vortrag der Freiligrathschen Texte »Von unten auf« und »Vor der Fahrt« aus dessen Sammlung »Ca ira!«, die nach der Melodie der Marseillaise die Revolution feierten. Auch in das im Juni 1847 auf dem Buchmarkt auftauchende »Liederbuch des Berliner Handwerker- Vereins (Johannisstraße 4)« wurde es nicht aufgenommen, obgleich sich unter den 103 Titeln nicht weniger als neun befinden, die als Verfasser »W. Steinhäuser, Vereinsmitglied« angeben. Allem Anschein nach war die Formierung einer öffentlich wirksamen Opposition auf dem Umweg über religiösdissidentische Organisationsformen nach dem Höhepunkt im Sommer 1845 – wenigstens in Berlin – nicht mehr von so massiver
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Durchschlagskraft. Die Oppositionsbewegung im Gesellenmilieu fokussierte sich deutlicher in Richtung auf die latente Nationalbewegung, und »Was ist des Deutschen Vaterland?« ersetzte auf den Gesellenherbergen religiöskritische Bekundungen in Gesangsform.
     Ein Grund für die Verabschiedung vom »Muckerlied« könnte auch gewesen sein, daß Steinhäuser selbst im Winter 1845/46 wohl eine Art »Erweckung« durchlebt hatte und mit dem Traktat »Unsterblichkeit im Bunde einer Lichtgerechten Welt und Gottesanschauung, begründet im materiellen Wesen der Natur. Eine Schrift für die Interessen einer befriedigenden Wahrheit und gegen die vornehme Freigeisterei des 19. Jahrhunderts« auf seine weltlich gesinnten Vereinsfreunde im (natur-) religiösen Sinne einzuwirken suchte – womit er für den Handwerkerverein, der sogar statuarisch die Verfolgung besonderer kirchlicher Interessen ausschloß, »erledigt« war. Auch 1848 trat er – außer mit einem Prolog zu einem »Evangelium der Gegenwart« – nicht mehr in Erscheinung, obgleich er in Berliner Wohnungsanzeigern bis 1857 nachweisbar ist.
     Gemessen am Tschech-Lied war allerdings Steinhäusers »Muckerlied« mehr als zahm – es konnte ja, im Gegensatz zu jenem, sogar in der Öffentlichkeit gesungen werden. Daneben kursierte aber im Zusammenhang mit der »Lichtfreunde«- Bewegung ein weite-
res »Muckerlied« von erheblich schärferem Zuschnitt, und es ist nicht zweifelsfrei nachweisbar, ob die beiden Lieder nicht zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten einander ablösten oder ersetzten. Dieses andere »Muckerlied« hatte sich angeblich – so teilte es wenigstens der das Werkchen vertreibende Leipziger Musikverlag Friedlein & Hirsch mit – im Gästebuch der Rudelsburg gefunden, womit hinsichtlich der Autorenschaft diffus auf die Studentenschaft der Universitäten Halle, Jena oder Leipzig verwiesen werden konnte. Auch der Komponist der Melodie »für eine Baßstimme und Chor mit Begleitung des Pianoforte ad libitum« blieb in der Anonymität:

Halb zehn Uhr täglich beten und Bibelsprüch im Maul,
sonst hab' ich nichts vonnöten
bin ganz erschrecklich faul;
ich war ein armer Schlucker, hatt' kaum das liebe Brot,
da wurde ich ein Mucker und nun hat's keine Not.

Bei jeder neuen Sitzung,
die uns're Bande hält,
da wird mir Unterstützung
durch blankes bares Geld;
daß ich bin fromm geworden
hat mir gar sehr gefrommt,
vielleicht, daß noch ein Orden
mir in das Knopfloch kommt.

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Den Kopf gehängt zur Erde
geh ich des Morgens aus,
mit heuchelnder Gebärde
tret ich in's Caffeehaus,
trink Wasser dort mit Zucker
und werbe Fromme an –
kein Mensch ahnt, daß ein Mucker
zu Hause saufen kann.

Zu hohen Zinsen leih' ich
was ich beim Muckern spar,
und meine Seele weih' ich
dem Himmel immerdar;
und den Gewinn notier ich
im frommen Brüderheft;
auf diese Weise führ' ich
in Frieden mein Geschäft.

Des Abends im Theater
sitz' ich mit gier'gem Sinn
und schmunzle wie ein Kater
nach jeder Tänzerin;
mit meinem Operngucker
schau ich nach Wad und Brust;
ach, lieber Gott, ein Mucker
hat auch so seine Lust.

Dann schleich' ich still zur Klause,
da, wo mich niemand sieht,
und nach dem Abendschmause
sing' ich ein frommes Lied
recht laut an heil'ger Stätte
von Jesu Glanz und Thron;
derweilen macht mein Bette
die kleine Jette schon.

Ich preise die Regierung,
ich finde alles gut
und fliehe die Verführung
der jetz'gen Freiheitsbrut;
so leb' ich armer Schlucker
ganz heiter, Gott sei Dank,
und das Geschäft als Mucker
treib' ich mein Leben lang.

Es wäre mehr als verwunderlich, wenn in einer Stadt wie Berlin, wo das Tschech-Lied zwar nicht öffentlich, aber ungeniert kursierte, die recht ätzende Satire auf das vom Establishment geförderte – und in Berlin so schön präsente – Frömmlertum nicht seine Sänger gefunden hätte. Belege liefern uns die Informierenden Mitarbeiter des Polizeipräsidenten, auf deren Konfidentenberichte wir bezüglich des Innenlebens des Vereins und der Gesellenherbergen weitestgehend angewiesen sind, leider nicht.

Bildquelle:
Staatsbibliothek PK, Musikabteilung

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