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Wolf-Dieter Krück
Ein Wegbereiter modernen Bauens

Ehrenbürger Hans Scharoun (1893–1972)

Leben und Werk Hans Scharouns waren eng mit Berlin verbunden. Auf vielfältige Weise hat er mit dazu beigetragen, das Bau- und Kulturgeschehen dieser Stadt über Jahrzehnte hinweg zu prägen. In Würdigung seiner großen Verdienste um Berlin wurde Hans Henry Bernhard Scharoun am 26. Februar 1969 die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen.
     Am 20. September 1893 in Bremen als Sohn eines Brauereibesitzers geboren, führte ihn sein Lebensweg nach Abschluß des Humanistischen Gymnasiums in Bremerhaven an die Technische Hochschule Charlottenburg, damals noch bei Berlin. Dort studierte er von 1912 bis 1914 Architektur. Erste Wettbewerbserfolge errang Hans Scharoun bereits als junger Mitarbeiter des Architektenbüros Paul Kruchen. In den Ersten Weltkrieg als Landsturmmann einberufen, wurde er in Baukommandos eingesetzt. Gegen Kriegsende war er stellvertretender Leiter im Bauberatungsamt Insterburg (Ostpreußen), das den Wiederaufbau 1914 zerstörter ostpreußischer Städte leitete. Dieser Aufgabe widmete er sich auch nach Kriegsende. Zu


Hans Scharoun

diesem Zweck gründete Scharoun als freier Architekt sein eigenes Büro in Insterburg. Im Jahr 1925 folgte er einem Ruf als Professor an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau zu Adolf Rading (1888–1957) und wirkte hier bis 1932.
     In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gehörte er zur Avantgarde, die sich der Idee des »Neuen Bauens« als einer Alternative zur bisherigen Bauweise und auch gegenüber dem Rationalismus Le Corbusiers (1887–1965) verstand. Er betätigte sich in der

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von Bruno Taut (1880–1938) im November 1919 als private Organisation gegründeten »Gläsernen Kette«. 1926, nach Eröffnung seines Berliner Büros, trat er der Berliner Architektenvereinigung »Der Ring« – hervorgegangen aus dem 1923 gegründeten »Zehnerring« – bei. Seine Vorstellungen setzte er um in Wohnbauten (Insterburg) und Wettbewerbsentwürfen, u. a. für Hochhäuser (Berlin- Friedrichstraße), Ausstellungsexponaten sowie in visionären Entwurfsskizzen zum Thema Volkshaus und Stadtkerne. Er übernahm Aufträge des Deutschen Werkbundes zum Bau eines Einfamilienhauses für die Stuttgarter Weißenhof- Ausstellung (1927) sowie für ein transportables Holzhaus – als Mittelstandshaus gedacht –, das auf der deutschen Gartenbauausstellung gezeigt wurde. Für die Werkbundausstellung »Wohnen und Werkraum 1929« in Breslau entwarf und realisierte er ein Ledigenwohnheim mit Gemeinschaftseinrichtungen im Erdgeschoß.
     Höhepunkt dieser Schaffensperiode war ohne Zweifel die in drei Bauabschnitten von 1929 bis 1932 nach seiner städtebaulichen Planung und nach Entwürfen der »Ring«- Mitglieder Walter Gropius (1883–1969), Hugo Häring (1882–1958), Otto Bartning (1883–1959) und Scharoun selbst sowie Alfred Forbat (1897–1972) und Paul Rudolf Henning entstandene Großsiedlung Siemensstadt im Westen des Bezirks Berlin- Spandau. Die etwa 1 370 Wohnungen in zu-
meist fünfgeschossigen Gebäudezeilen, inmitten großzügiger, gartenähnlicher Grünanlagen, boten für 3 500 Einwohner beispielgebende Wohnbedingungen. Diese Siedlung galt lange Zeit weltweit als Maßstab moderner Baukultur.
     Endgültig nach Berlin übersiedelte er als freier Architekt 1932, im selben Jahr beteiligte er sich an der vom Stadtbaurat Martin Wagner organisierten Bauausstellung »Sonne, Luft und Haus für alle«. Für die hier vertretenen Prinzipien der modernen Architektur gab es in der Zeit des NS-Regimes keine Realisierungsmöglichkeiten. Auch Hans Scharoun mußte sich in seiner Tätigkeit als Architekt bis 1945 auf den Bau privater Einfamilienhäuser beschränken.
     Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann für Scharoun eine neue Schaffensperiode voller Aktivitäten, Initiativen und großer – wenn auch nicht immer unumstrittener – schöpferischer architektonischer Leistungen.
     Scharoun, am 13. Mai 1945 durch die Sowjetische Militäradministration als 1. Nachkriegs- Stadtbaurat des provisorischen Magistrats von Groß-Berlin unter Oberbürgermeister Arthur Werner eingesetzt, stand u. a. vor der schier unlösbaren Aufgabe der Instandsetzung von Betrieben, Verkehrsbauten sowie der Sicherung und Schaffung von Wohnraum. Wenn auch der unter seiner Leitung vom »Planungskollektiv« des Stadtbauamtes erarbeitete und 1946 im Weißen
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Saal des Berliner Schlosses in der Ausstellung »Berlin plant« vorgestellte »Kollektivplan« wegen seiner vorgesehenen radikalen Umstrukturierung der Stadt nicht umgesetzt wurde, so löste er damit einen Meinungsstreit über moderne städtebauliche Gestaltungskriterien, Großstadtplanung und -entwicklung aus, der bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.
     Gemeinsam mit dem Landschaftsgestalter Reinhold Lingner erarbeitete er 1946 auch einen Grünflächenplan für die Stadt. Dabei mußte u. a. eine Lösung für die vom Krieg hinterlassenen Trümmermassen gefunden werden. Im Ergebnis der Konzeption entstanden, teilweise auf gesprengten Luftschutzbunkern und Flakstellungen, fünf Trümmerberge, so auch im Volkspark Friedrichshain der Kleine (48 Meter) und der Große Bunkerberg (78 Meter), letzterer von den Berlinern liebevoll »Mont Klamott« genannt.
     Hans Scharoun engagierte sich für die Wiederaufnahme des Lehrbetriebes an der Technischen Hochschule Berlin, die am 9. April 1946 als Technische Universität wieder eröffnet werden konnte und an der er bis zu seiner Emeritierung als Professor 1958 den Lehrstuhl für Städtebau innehatte. Er übernahm die Leitung des 1947 neugegründeten Institutes für Bauwesen an der Deutschen Akademie der Wissenschaften – der späteren Deutschen Bauakademie.
     Die Architektin Ludmilla Herzenstein, Mitarbeiterin Scharouns im Planungskollektiv beim
Stadtbauamt, legte 1949 Scharouns Entwürfe für Planung und Ausführung der Laubenganghäuser in der heutigen Karl-Marx- Allee 102/104 und 126/128 zugrunde.
     In den fünfziger Jahren entstanden zahlreiche Entwürfe und preisgekrönte Wettbewerbsbeiträge, die jedoch alle nicht zur Ausführung kamen. Dafür wurden Pläne für Wohnbauten realisiert. Im Jahr 1956 unternahm er den Versuch, die Großsiedlung Siemensstadt zu erweitern bzw. mit der Planung für Charlottenburg Nord fortzuführen. Das Konzept, auch gedacht als eine gedankliche Fortsetzung der Baukunst der zwanziger Jahre, konnte jedoch durch bürokratische Einflußnahme nicht wie vorgesehen verwirklicht werden. Dennoch entstanden bis 1960 in dreibis achtgeschossigen Wohnhäusern zirka 1 290 Wohnungen.
     Mit dem 1956 preisgekrönten Wettbewerbsbeitrag zum Neubau der im Krieg zerstörten Berliner Philharmonie hinter dem ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium in Wilmersdorf begann die wohl bedeutendste Schaffensperiode im Leben Scharouns. Entwurf und Realisation verdeutlichen am genauesten seine Auffassung vom Bauen, die von Funktion und Nutzung als wesentlichste Kriterien, die an einen Bau gestellt werden, ausgeht und versucht, diese durch entsprechende Raum- und Gestaltbildung zum Ausdruck zu bringen. Bei der Philharmonie schuf er mit dem Grundriß eine Anordnung, in der die Zuhörer im Kreis um das Musik-
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podium herum gruppiert sind und die ihnen so optimale Hörbedingungen bietet. Scharoun plädierte bereits 1958/59 für den heutigen Standort der Philharmonie, dem Senat und Abgeordnetenhaus aus städtebaulichen und politischen Gründen zustimmten. Gedacht war, am ehemaligen Kemperplatz, in der Mitte Berlins, ein kulturelles Kommunikationszentrum zu schaffen. Mit der Grundsteinlegung der Philharmonie am 19. September 1960 und der feierlichen Eröffnung am 15. Oktober 1963 nahm die Idee des Kulturforums Tiergarten Gestalt an. Das wohl bedeutendste Bauwerk Scharouns ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, es ist zugleich ein Beispiel für die gelungene Synthese zwischen Architektur und bildender Kunst.
     Übrigens wurde die Außenhaut aus goldeloxierten Lochplatten erst 1978–1981 angebracht. Der von Anfang an projektierte, aus finanziellen Erwägungen aber zurückgestellte Kammermusiksaal konnte erst 1984–1988 durch den Architekten und Assistenten Scharouns, Edgar Wisniewski (* 1930), ausgeführt werden. Edgar Wisniewski war es auch, der nach Scharouns Plänen weitere markante Bauwerke im Kulturforum errichtete, die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Fertigstellung 1978) und das Staatliche Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz mit dem Musikinstrumenten- Museum (Fertigstellung 1984). Mit der Eröffnung der Gemäldegalerie im Jahr 1998 wurde ein architektonisches Ensemble verschiedener
kultureller Einrichtungen vorläufig abgeschlossen, das, in seinen Prämissen von Scharoun entworfen, die Handschriften namhafter Architekten unseres Jahrhunderts vereint.
     Weiter entstanden so wichtige Bauwerke wie das Doppel- Hochhaus in der Berliner Rollberge- Siedlung, die BRD- Botschaft in Brasilien (1971) und das Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven (1970–1975). Der von ihm 1962 erarbeitete Bebauungsplan für den Mehringplatz wurde 1968–1972 in veränderter Form vom Architekten Werner Düttmann (1921–1983), einem späteren Präsidenten der Akademie der Künste West-Berlin, realisiert.
     Scharoun war nicht nur ein herausragender Architekt, sondern auch ein bedeutender Kulturpolitiker. Als erster Präsident der am 2. Dezember 1954 gegründeten Akademie der Künste West-Berlin wirkte er unermüdlich für deren nationale und internationale Repräsentanz. Auch als Ehrenpräsident blieb er bis zu seinem Tode am 25. November 1972 in Berlin der Akademie der Künste eng verbunden.
     Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Landeseigenen Waldfriedhof Zehlendorf, Potsdamer Chaussee 75. Seit 20. September 1993 heißt die Straße an der Philharmonie Scharoumstraße.

Bildquelle: Archiv LBV

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Berlinische Monatsschrift Heft 2/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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