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Horst Wagner
4. Februar 1928:
Harfenjule, Penner und Patentluden beim Zilleball

Es war besonders ballreich, dieses erste Februarwochenende des Jahres 1928 in Berlin. Begonnen hatte es am Freitagabend mit dem Ball der Polizeioffiziere im Marmorsaal des Zoos, wo – wie der »Lokal- Anzeiger« zu berichten wußte – »die blauen und grauen ordensgeschmückten Uniformen der Polizei und der Vertreter der Wehrmacht, die Fracks des Zivils und das Durcheinander der Balltoiletten« ein glänzendes Bild abgaben.
     Am gleichen Abend feierte die Berliner Medizinerschaft das 15jährige Bestehen ihres Vereins bei einem Ball in den »Rheinterrassen«, der ebenfalls die Aufmerksamkeit des »Lokal- Anzeigers« fand.
     Im Hotel »Esplanade« fanden sich anläßlich der gerade stattfindenden »Grünen Woche« der »Allgemeine Deutsche Jagdschutzverein« mit seinem Vorsitzenden Alfons Prinz zu Ysenburg und anderen erlauchten Gästen zu einem Wohltätigkeitsball zusammen, dessen Erlös für die Hinterbliebenen »der im Kampf mit Wilddieben

gefallenen Forst- und Jagdschutzbeamten« gedacht war, wofür auch Reichspräsident Hindenburg seine Spende überwiesen hatte.
     Die Buntheit des Ballgeschehens steigerte sich am Sonnabend, dem 4. Februar 1928, zum Gauklerfest, dem sogenannten Reimannball. Zu diesem hatte die sich ansonsten in Sachen Vergnügungen zurückhaltende »Vossische Zeitung« sogar ihren berühmten Feuilletonisten Sling alias Paul Schlesinger entsandt, weil sich dort »zum ersten Mal die Gelegenheit bot, die neuen Kroll'schen Festsäle in Betrieb zu sehen«.
     Die Architektur dort, so Sling, sei »ziemlich modern, aber ohne daß man dabei verrückt wird«. Eigentlich habe man »überhaupt nichts genaues unterscheiden können, denn das Licht wechselte immerzu, mal blau, mal rosa, mal gelb, richtige Stimmung«. Über die weiblichen Ballteilnehmer berichtete Sling: »Man kann sagen, jede hatte im Durchschnitt ein halbes Kostüm an ... Eine hatte nur was aus schwarzer Spitze an, ohne daß die Betreffende sich erkältete.«
     Über den Höhepunkt dieses Ballwochenendes berichtete Sling in der »Tante Voss« leider gar nicht und der »Lokal- Anzeiger« nur kurz. Dafür war er schon Tage vorher groß im »Berliner Tageblatt« für Sonnabend, den 4. Februar, 9 Uhr abends im Sportpalast angekündigt worden: »Der
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»Berliner Tageblatt«, 29. 1. 1928
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Hofball bei Zille« anläßlich dessen 70. Geburtstages, mit dem Zille- Hofballett, dem Einzug der Zille- Modelle und mit einer künstlerischen Würdigung des Meisters durch Claire Waldoff. Karten dafür waren für 10 Mark (an der Abendkasse 15 Mark) verkauft worden.
     »Notkostüme« gab es für fünf Mark, denn es herrschte natürlich Kostümzwang. Die Damen machten sich als Harfenjule oder Fischerliese, als Badeengel oder Bollenjuste zurecht, die Herren als Matrose oder Apachenjüngling, als Penner oder Patentlude.
     Das waren zwar Zilles Figuren, aber so ein Ball nicht unbedingt sein Milieu. Zu seinem 70. Geburtstag am 10. Januar 1928 hatte ihm Erich Weinert ein Gedicht gewidmet, dessen letzte Strophe hieß:

Kann ich Dir mit einem Glückwunsch nützen,
Weiter fall ich dir nicht mehr zur Last,
Daß Du endlich vor den Flimmerfritzen
Und den Zillebällen Ruhe hast.

Es war nämlich, streng genommen, nicht der erste Zilleball. Schon 1912 hatte der Meister seinen Namen für einen Karikaturistenball hergeben und sich dort, mehr gegen seinen Willen (aber schließlich gehörte er inzwischen zur Berliner Prominenz), hinbegeben müssen. Im Winter 1924/25 fand dann der »Hofball bei Zille« im Großen Schauspielhaus, dem

späteren Friedrichstadtpalast, statt.
     Auch 1928 dürfte Zille, dem, wie es in der Ankündigung hieß, die persönliche Leitung des Balles übertragen worden war, wieder vorwiegend still und zurückgezogen an einem der Tische gesessen haben. Der Reporter des »Lokal- Anzeigers« jedenfalls hat ihn nicht gefunden unter dem ganzen bunten Völkchen. »Das wimmelt und krabbelt und schiebt sich von einer Ecke zur anderen, alles dem Siebzigjährigen zu Ehren«, schrieb er entschuldigend. Und weil es so schön war, wurde das Ganze 1929, ein halbes Jahr vor Zilles Tod, wiederholt.

Bildquelle: Archiv LBV

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