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Helmut Caspar
Münzen mit Geschichte

Neue Bände des »Griechischen Münzwerks« erschienen

Zu den Traditionsunternehmen der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gehört das »Griechische Münzwerk«. 1886 von dem Altertumshistoriker und späteren Literaturnobelpreisträger Theodor Mommsen ins Leben gerufen und schon bald von Behrendt Pick, Kurt Regling und Hugo Gaebler bearbeitet, hat es alle Stürme der Zeiten überlebt, wurde von der Preußischen Akademie und der Akademie der Wissenschaften der DDR gepflegt und wird, mit anderen Langzeitprojekten von den Inscriptiones Graecae, dem Corpus Vitrearum Medii Aevi und dem Goethe- Wörterbuch bis zur Marx- Engels- Gesamtausgabe, an der jetzigen Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften fortgeführt. »Auf Jahre« sei Stoff für Untersuchungen vorhanden, sagt Arbeitsstellenleiterin Edith Schönert- Geiß. Sie beschreibt das »Münzwerk« als Mammut- Unternehmen, das ursprünglich alle antiken Münzen umfassen sollte, sich aber wegen des bedeutenden Arbeitsumfangs auf die Griechen beschränkte.

Seit 1956 dabei, erfaßt die Historikerin die in zahlreichen Museen und Privatsammlungen liegende numismatische Hinterlassenschaft der griechischen Antike. In der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23 (Mitte), steht ein riesiger Fundus von rund 250 000 Gipsabdrücken vorwiegend thrakischer und kleinasiatischer Münzen sowie einige hunderttausend Exzerpte von Münzen aus Münzkatalogen und Münzsammlungen zur Verfügung.
     Durch Datierung und historische Einordnung der Münzen gelangen Spezialisten zu oft überraschenden Erkenntnissen. Viele Geldstücke spiegeln Machtverhältnisse, Religion, Bauwerke, Skulpturen, Dinge des Alltags, Sitten und Gebräuche wider, über die Autoren der Antike kaum berichtet haben. Man würde auch manche Herrscher, Münzbeamte oder Stempelschneider nicht kennen, stünde ihr Name nicht auf den Geprägen. Viele Münzen zeigen starke Gebrauchsspuren, sind also lange im Umlauf gewesen. Daß sie oft weit weg vom Herkunftsort gefunden wurden, zeigt ihre Nutzung im Fernhandel.
     Seit der Wiederaufnahme der Forschungen elf Jahre nach Kriegsende sind acht Bände des »Griechischen Münzwerks« im Berliner Akademie Verlag erschienen. Edith Schönert- Geiß hat fast alle verfaßt und bereitet jetzt eine Bibliographie zur antiken Numismatik Thrakiens und Moesiens vor.
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Rund 3 500 Titel werden mit kurzen Inhaltsangaben und Wertungen erfaßt. Das Buch soll in diesem Jahr herauskommen. Fachleute haben dann einen unvergleichlichen Fundus in der Hand, der die Forschung sicher weiter beflügeln wird.
     Bereits 1998 – anläßlich des 65. Geburtstages von Edith Schönert- Geiß – gab der Berliner Akademie Verlag die Festschrift »stephanos nomismatikos« heraus. Darin enthalten ist auch das umfangreiche Schriftenverzeichnis der Jubilarin.
     Zu den jüngsten Veröffentlichungen des »Griechischen Münzwerks« gehört der Band von Ulrike Peter »Die Münzen der thrakischen Dynasten (5.–3. Jahrhundert vor Chr.). Hintergründe ihrer Prägung«. Schwerpunkt sind die Münzen des odrysischen Königreichs. Bearbeitet werden in einem weiteren Band die kaiserzeitlichen Münzen von Topeiros. Sie gehören zu den wenigen Zeugnissen, die diese irgendwo in Nordgriechenland am Fluß Nestos und der Via Igratia gelegene Stadt hinterlassen hat. Danach wird Ulrike Peter mit bulgarischen Kollegen die umfangreiche kaiserzeitliche Prägung der Stadt Philoppopolis (Plovdiv) bearbeiten, kenntlich unter anderem an den sieben Hügeln, auf denen die Stadt errichtet wurde. Münzen mit den Abbildungen der tempel- und figurengeschmückten Anhöhen dienten bulgarischen Archäologen als Orientierungshilfe.
     Die Geschichte des »Griechischen Münz-
werks« ist aufs engste mit Bestrebungen im 19. Jahrhundert verbunden, das geprägte Geld als herausragende historische und künstlerische Quellen zu nutzen und aus ihm geistigen Gewinn zu ziehen. Theodor Mommsen, dem unter anderem eine umfassende Darstellung der römischen Münzgeschichte zu verdanken ist – sein Denkmal schmückt den Ehrenhof der Humboldt- Universität zu Berlin –, hatte 1886 vorgeschlagen, »eine zusammenfassende Publikation über die Münzen – ein corpus nummorum« herauszubringen. Dabei dachte der Gelehrte an griechische und römische Münzen. Der preußische Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinal- Angelegenheiten, von Goßler, stellte sich in einem Brief an die Königliche Akademie der Wissenschaften hinter das Projekt, über das im Berliner Akademie- Archiv eine umfangreiche Akte existiert.
     Wegen des umfangreichen Materials beschränkte sich die Akademie auf die Münzen von Moesien, Thrakien und Makedonien. Das habe sich als sinnvolle Entscheidung erwiesen, so Edith Schönert- Geiß. Als sie 1956 die Arbeit am »Griechischen Münzwerk«, angeregt vom Direktor des Berliner Münzkabinetts, Arthur Suhle, aufnahm, waren die Münzen der Provinz Thrakien zum größten Teil noch unbearbeitet. Von den 42 Münzstätten waren erst drei abgehandelt. Inzwischen sind zehn Prägestätten hinzugekommen: Perinthos, Byzantion,
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Deultum, Bisanthe, Dikaia und Selymbria, Maroneia, Bizya sowie Augusta Traiana und Traianopolis. Deultum und Bizya wurden von der bulgarischen Mitarbeiterin Jordanka Jurukova bearbeitet, für die anderen Bände ist Edith Schönert- Geiß verantwortlich.
     Kernstück eines jeden Corpusbandes ist der Katalog, in dem alle erreichbaren Münzen erfaßt und beschrieben sind. Auf der Basis dieser Bestände erfolgt eine geld-, kultur- und landesgeschichtliche Interpretation, die auch stilistische, chronologische, ikonographische und metrologische Probleme erörtert. Auf diese Weise bietet jeder Band nicht nur einen ziemlich lückenlosen Überblick über die Münzprägung einer Region oder Stadt, sondern auch, ganz im Sinne Mommsens, Ansatzpunkte für weiterführende historische, kultur- und religionsgeschichtliche Forschungen.
     Welche Wertschätzung das »Griechische Münzwerk« hat, mag ein großzügiges Geschenk unterstreichen, das die Berlin- Brandenburgische Akademie im vergangenen Jahr bekam. Peter Robert Franke (München), ein führender Forscher auf dem Gebiet der antiken Numismatik, übergab der Forschungsstelle rund 7 000 Abgüsse thessalischer Münzen. Sie stammen aus großen Kabinetten in Berlin, London, New York, Wien und anderen Städten sowie aus privaten Sammlungen. Dazu kommen Fotos, eine Literaturkartei und Siegelabdrücke.
Die Dokumentation ist von herausragender wissenschaftlicher Bedeutung und steht ab sofort der Forschung zur Verfügung.
     Spenden übrigens sind in der langen Geschichte des »Griechischen Münzwerks« nichts Unbekanntes. Theodor Mommsen selber stiftete die beträchtliche Summe von 24 000 Mark, die er anläßlich seines fünfzigjährigen Doktorjubiläums erhalten hatte. Damit ermöglichte der Gelehrte die Fortführung des numismatischen Unternehmens, dessen Abschluß noch lange nicht in Sicht ist.
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© Edition Luisenstadt, 1999
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