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Heiko Schützler
Suchdienst im Lehrter Bahnhof

Das Nachrichtenwesen in Berlin 1945

Mit Kriegsende stand auch das Post- und Fernmeldewesen vor einem Neuanfang. Zur Vereinfachung der Verwaltungsarbeit waren überregionale zentrale Einrichtungen in Berlin zunächst der kommunalen Verwaltung unterstellt worden. Daher war der Magistrat auch für die bisher dem Reichspostministerium direkt unterstehenden Einrichtungen zuständig.
     In manchen Bezirken hatte man in den letzten Kriegstagen noch telefonieren und Telegramme versenden können, auch die Rohrposst war gebietsweise noch intakt.1) Nach der Kapitulation stellte die Besatzungsmacht zunächst jeden zivilen Nachrichtenverkehr ein.
     Ernst Kehler, als Angehöriger des Nationalkomitees Freies Deutschland mit der 1. Bjelorussischen Front unter Marschall Shukow nach Berlin zurückgekehrt, wo er vor dem Krieg als Postbeamter tätig gewesen war, wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht mit dem Wiederaufbau des Nachrichtenwesens in Berlin beauftragt. Am 16. Mai, einen Tag nach der Vorstellung

des Magistrats bei der sowjetischen Besatzungsmacht und einen Tag vor dessen offizieller Konstituierung, begab er sich zum Gebäude der Reichspostdirektion nach Charlottenburg, wo er sich den ehemaligen leitenden Beamten vorstellte. Alle waren bereits im Pensionsalter und nur des Krieges wegen wieder eingesetzt.2) Am darauffolgenden Tag erbrachte eine Besprechung Kehlers mit ihnen folgendes Bild:3) Die Deutsche Reichspost war zusammengebrochen. In Berlin waren von 80 Postämtern 70 und von 108 Zweigpostämtern 52 schwer beschädigt übriggeblieben. Der Post- und Fernmeldeverkehr ruhte völlig.
     Das Fernmeldenetz war lahmgelegt: Von 45 Wählervermittlungsstellen, 15 Unterämtern und neun Knotenämtern waren elf Vermittlungsstellen, drei Unterämter sowie vier Knotenämter übriggeblieben, die starke Beschädigungen aufwiesen und durch weitgehende Kabelunterbrechungen ohne Verbindung miteinander waren.
     Von 63 000 Postangehörigen vor dem Krieg standen im Mai 1945 noch 7 800 zur Verfügung.
     Erste Aufgabe nach Kriegsende waren Aufräumarbeiten, zu denen sich die Bediensteten, die dazu in der Lage waren, in ihren Arbeitsstellen einfanden. Ab August genehmigten die Alliierten die Wiederaufnahme des Postdienstes.4) Die eigentliche Arbeit begann mit der Zustellung millionenfach liegengebliebenen Post, was in der zerstörten Stadt sehr schwierig war, hatten
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Postkarte mit den sieben für Berlin gültigen Bärenmarken, 1945
doch Anschriften kaum noch praktische Bedeutung. Aus diesem Grunde wurde in einer noch benutzbaren Halle im zerstörten Lehrter Bahnhof ein Suchdienst eingerichtet, um die Briefe dem Empfänger oder, wenn das unmöglich war, dem Absender zustellen zu können. Nachrichten von Lebenden weitergeben zu können, motivierte die Postmitarbeiter in hohem Maße. Um so mehr mußte es sie schockieren, beim Aufräumen Säcke voller zurückgehaltener Briefe sowjetischer Kriegsgefangener zu finden.5)
     Am 22. Mai wurde ein Stafettendienst zur Beförderung von Briefen und Postkarten
eingerichtet,6) und am 24. Juli konnte der Briefkastenleerungs- und Briefverteildienst innerhalb der Stadt wiederaufgenommen werden.7)
     Eine weitere Aufgabe war die Reorganisation des Fernsprechverkehrs in Berlin. Hierzu traf sich Ernst Kehler, der sich zuvor dem sowjetischen Nachrichtenverantwortlichen, Oberst Batulow, vorgestellt hatte, am Nachmittag des 17. Mai mit den Leitern der Fernmeldeämter. Nach einem unbefriedigend verlaufenen Gespräch wurden sie in den Folgetagen ihrer Ämter enthoben und Kehler wandte sich direkt an die Ange-
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stellten mit dem Auftrag, die Orts- und Fernverbindungen zu erfassen und so umfänglich wie möglich betriebsfähig zu machen. Wie sich herausstellte, war trotz der Schäden an Kabelnetz und Vermittlungsstellen eine große Zahl von Verkehrsbeziehungen erhalten geblieben. Die in den folgenden Wochen einsetzenden Demontagen an Fernsprech- Vermittlungsstellen zwangen zur Umstrukturierung, um den Ortsfernsprechdienst durch organisierte Veränderungen im Verbindungskabelnetz zu sichern. Alle Fernsprechteilnehmer hatten ihre Apparate bei der Abteilung Post- und Fernmeldewesen des Magistrats abzuliefern, entsprechende Sammelstellen wurden in den Postämtern eingerichtet.8) Sämtliche Fernsprechanschlüsse mußten neu beantragt werden. Es wurden grundsätzlich nur solche genehmigt und angeschlossen, die für den Wiederaufbau unbedingt notwendig waren. Zunächst bekamen daher nur der Magistrat und seine Abteilungen, wichtige Unternehmen, Ärzte, Krankenhäuser, Versorgungs- und Lebensmittel- Großhandelsbetriebe, Feuerwehr, Polizei und dgl. einen Anschluß; reine Privatanschlüsse gab es kaum. Das erste Telefonbuch, erschienen am 27. Juli, enthielt 434 Seiten. Im Schlußteil, in der Abteilung »Sonstiges«, waren auf lediglich 67 Seiten die privaten Hauptanschlüsse vermerkt.9) In den ersten Monaten nach Kriegsende kamen auf diese Weise bereits wieder einige zehntausend Anschlüsse zusammen. Am 20. Dezember 1945 wurde im Bezirk Schöneberg, PotsdamerEcke Grunewaldstraße, der erste öffentliche Münzfernsprecher nach dem Krieg in Betrieb genommen.10)
     Zu den Liegenschaften des Reichspostministeriums, die nun dem Magistrat unterstanden, gehörten weiterhin u. a.: Die Reichspostforschungsanstalten in Kleinmachnow und Zeuthen, das Zeugamt in Tempelhof, das Postministerium mit Postmuseum in der Mauerstraße, das Heim für ledige Mütter »Lebensborn Meta Ohnesorge« in Rupenhorn sowie Sportanlagen. Ein kurioses Erbe fand sich dabei in Zeuthen- Miersdorf, wo die Reichspost eine eigene Forschungsstelle für Kernspaltung eingerichtet und einen eigenen Reaktor betrieben hatte.11)
     Die Bestände des beträchtlich zerstörten Postmuseums waren größtenteils vernichtet. Nachforschungen über den Verbleib wertvoller Stücke, insbesondere der Mauritiusmarken, blieben erfolglos.12)
     Der Abteilung für Post- und Fernmeldewesen gliederte man die ehemalige Reichsdruckerei an; unter dem Namen »Staatsdruckerei« wurden dort Postwertzeichen gedruckt. Da die Drucktechnik teilweise unversehrt geblieben war, konnten die sich einfindenden Fachkräfte die Arbeit schnell wieder aufnehmen.
     Die ersten Nachkriegsbriefmarken zu 5 und 8 Pfennigen erschienen mit dem Motiv des Berliner Bärem am 9. Juni 1945 als Be-
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standteil eines Satzes von insgesamt sieben Werten. Zuvor war die Frankierung – die alten Marken waren inzwischen ungültig – durch Abstempeln der Post gegen Barzahlung vorgenommen worden.13)
     Es stellte sich heraus, daß in der ehemaligen Reichsdruckerei umfangreiche Fälschungen vorgenommen worden waren; so fanden sich in großer Zahl ausländische Geldscheine, hauptsächlich Dollars und Pfundnoten, sowie Ausweise, insbesondere sowjetische Parteidokumente.14) Hier besteht möglicherweise ein Zusammenhang mit dem »Unternehmen Bernhard«, so benannt nach dessen Leiter, SS- Sturmbannführer Bernhard Krüger. Hierbei hatten auf Grund von Spezialkenntnissen in einem Sonderkommando zusammengefaßte Häftlinge des KZ Sachsenhausen als Fälscher tätig zu werden. Die Idee war, mit falschen Pfundnoten die britische Währung und damit die Wirtschaft ins Wanken zu bringen. Von Anfang 1943 bis Frühjahr 1945 wurden zu diesem Zweck Blüten im Gesamtwert von 130 Millionen Pfund hergestellt. Nach deren Entdeckung durch die Bank von England ging man ab 1944 bevorzugt zu Dollarnoten über.15)
     Die Nachrichtenübermittlung bewies ihre Notwendigkeit gerade im zerstörten Nachkriegsdeutschland. Die schnelle Wiederherstellung des Post- und Fernmeldewesens, hier dargestellt am Beispiel Berlins, kann daher gar nicht hoch genug bewertet werden.
Quellen:
1     Ernst Kehler, Statt Hammer und Sichel der Berliner Bär, Gespräch mit Gerhard Keiderling, in: »Berlinische Monatsschrift«, Heft 5/1995, S. 51 f.
2     Ernst Kehler, Einblicke und Einsichten, Berlin 1989, S. 244 f.
3     Abteilung für Post- und Fernmeldewesen, Bericht des Stadtrates Ernst Kehler, in: Ein halbes Jahr Berliner Magistrat, S. 41 ff.
4     Befehl der Alliierten Kommandantur zum Postverkehr, 11. August 1945, mit Wirkung vom 2. August, LAZ: Nr. 4671
5     Ernst Kehler, Statt Hammer und Sichel der Berliner Bär, a. a. O., S. 52
6     LAZ: Nr.3806, S. 5 ff., S. 11/1, S. 42
7     LAZ: Nr. 3001, S. 34
8     Anordnung des Magistrats, 6. Juli 1945, VOBI 1945, S. 48 f.
9     Kehler: Einblicke und Einsichten, a. a. O., S. 248; »Berliner Zeitung«, »Deutsche Volkszeitung« vom 27. 7. 45
10     »Berliner Zeitung« vom 28. 12. 45
11     Vgl. Ernst Kehler, Einblicke und Einsichten, a. a. O., S. 251
12     Vgl. ebenda, S. 250
13     Vgl. LAZ: Nr. 3251; 3806, S. 6 f.; 4771, S. 108
14#160;    Ernst Kehler, Einblicke und Einsichten, a. a. O., S. 250
15     Vgl. Jochen Lang, Die Gestapo. Instrument des Terrors, München 1993, S. 286 ff.

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