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Hainer Weißpflug
30. Januar 1979
Das Landeswaldgesetz wird erlassen

Der 30. Januar 1979 war für die Erhaltung und Plege der Berliner Wälder ein bedeutsames Datum. Zum erstenmal wurde für jene Teile, die zum damaligen West-Berlin gehörten, ein Gesetz mit dem Zweck erlassen, »den Wald wegen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Bodenfruchtbarkeit, das Landschaftsbild sowie die Erholung der Bevölkerung zu erhalten, nach Möglichkeit zu mehren und seine ordnungsgemäße Pflege nachhaltig zu sichern ...« (Paragraph 1 des Gesetzes GVBl. S. 177) Welche Bedeutung das Berliner Gesetz zur Erhaltung des Waldes (Landeswaldgesetz) hat, zeigt ein Blick in die Stadtgeschichte.
     Berlin und seine Schwesterstadt Cölln kamen zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert zu ansehnlichem Waldbesitz. Teils durch Schenkung, teils durch Kauf verfügte die Stadt damals über 2 500 bis 3 000 Hektar Wald. Bald schon wurden diese Waldflächen aber gerodet, um Brenn- und Bauholz sowie Bauland zu gewinnen, oder

sie wurden durch Waldweide, Pechbrennerei und Waldzeidlerei (Bienenzucht) übernutzt und verwüstet. Mehrfach versuchten die Kurfürsten und später die Könige von Preußen, Holzordnungen durchzusetzen, um dem Raubbau Einhalt zu gebieten: so mit Verordnungen über den Holzhandel 1694 und 1716 bzw. mit der 1745 erlassenen »Holtz- und Forstordnung der Kgl. Residentzien Berlin«. Aber die Stadt »fraß« sich weiter regellos in die Wälder hinein.
     Um 1870 hatte Berlin keinen Waldbesitz mehr. Zu diesem Mißstand, eine Großstadt ohne grüne Lunge zu sein, kam ein zweiter hinzu: Die Stadt erstickte regelrecht an den Abwässern aus den Haushalten, den Brauereien, Färbereien, Gerbereien und anderen Gewerben, die entweder in den Gassengräben vor sich hin stanken oder des nachts in die Spree befördert wurden. Seuchen wie Ruhr, Pocken und Typhus waren die Folge, und die Stadtväter suchten nach einem Ausweg.
     Zur gleichen Zeit begannen Bodenspekulanten, den Wald im Berliner Umland für wenig Geld vom Preußischen Staat zu kaufen, um teure Villensiedlungen wie beispielsweise im Grunewald zu errichten. So wurden bis zum Jahre 1909 insgesamt 1 800 Hektar Wald vom Staat und spekulierenden Privatbesitzern verkauft und bebaut. Auf dem 2. Berliner Waldschutztag am 16. Januar 1909 wendeten sich die Teil-
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nehmer gegen die Bodenspekulationen und die Vernichtung der Wälder im Berliner Umland. In den Leitsätzen hieß es: »Schon seit einer ganzen Reihe von Jahren werden die Wälder in fast allen Teilen der Umgebung Berlins durch umfangreiche Abholzungen sowohl auf fiskalischem wie auf kommunalem und privatem Land auf das rücksichtsloseste verringert. Beispielsweise genannt seien nur die großen Abholzungen in der Tegeler Heide, dem Grunewald, an der Oberspree und in Schönholz. Und ein noch viel größeres Vernichtungswerk droht für die Zukunft. Dabei werden die eigenartigsten Waldgebiete und die schönsten Waldbilder nicht geschont und Flußund Seeufer, die unbedingt allgemein zugänglich bleiben sollten, durch Übergang in Privatbesitz der allgemeinen Nutzung entzogen ... Die Vernichtung der Wälder und die übermäßige Zusammendrängung der Bevölkerung gefährden und schädigen die Gesundheit außerordentlich, führen zu einer Verleugnung alles sittlichen Zusammenhanges mit dem Heimatboden und erschweren es auf das äußerste, die Kultur der Stadtbevölkerung über ihren jetzigen Stand zu heben.« (Der Kampf um unsere Wälder. Verhandlungen und Material des Zweiten Berliner Waldschutztages am 16. Januar 1909. Verlagsbuchhandlung Julius Springer, S. 37) Weiter wurden die zuständigen Staatsbehörden und Kommunalverwaltungen, der Landtag und die Presse zu energischer Gegenwehr aufgerufen; es wurde gefordert, den Bestand der Wälder und Naturschönheiten in und um Berlin ungeschmälert zu erhalten; um die Übernahme der Wälder durch die Stadt gegen Entschädigungen zu erreichen, wurde vorgeschlagen, einen Zweckverband Berlin zu bilden. Langwierige Verhandlungen begannen nun, und selbst der deutsche Kaiser schaltete sich ein. Am 19. Juli 1911 verordnete Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtages der Monarchie mit Wirkung ab 1. April 1912 die Vereinigung der Stadtkreise Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Rixdorf, Wilmersdorf, Lichtenberg und Spandau sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim zu einem Zweckverband. Als eine der Aufgaben des Verbandes wurde der Erwerb und die Erhaltung »größerer, von der Bebauung frei zu haltender Flächen (Wälder, Parks, Wiesen, Seen, Schmuck-, Spiel-, Sportplätze usw.) gesetzlich festgeschrieben.
     Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte Berlin rund 25 000 Hektar Wald; in Deutschland hatte nur Görlitz einen größeren Waldbestand. Dieser Zustand währte allerdings nicht lange. Neben den schweren Zerstörungen der Stadt und Belastungen für ihre Bevölkerung hinterließ der Krieg tiefe Wunden in Berlins Wäldern. So waren z. B. 50 Prozent des Baumbestandes des Grunewaldes vernichtet worden. 1945/46 mußten wichtige
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Betriebe und die Bevölkerung mit Brennholz aus den Wäldern versorgt werden. Holzdiebstähle vergrößerten die Schäden noch.
     7 300 Hektar Wald blieben den Westberlinern schließlich nach Gründung von BRD und DDR 1949.
     Dieser Wald war aber immer noch nicht per Gesetz geschützt. Das galt übrigens für ganz Deutschland. Weder in der Weimarer Zeit noch im Dritten Reich, in dem es immerhin schon ein für das ganze Land gültiges Naturschutzgesetz (1935) gab, existierte ein einheitliches Forstgesetz. Zunehmend setzte sich aber in den sechziger Jahren die Erkenntnis durch, daß dem Wald für die Gesellschaft eine so große Bedeutung zukommt, daß seine Inanspruchnahme, Erhaltung und Erneuerung durch ein Gesetz für die ganze Bundesrepublik geregelt werden müsse. Gegen den Widerstand forstlicher Interessenverbände, besonders aus Bayern und Niedersachsen, wurde am 2. Mai 1975 das Bundeswaldgesetz (BWaldG, BGBl. I, S. 1037 ff.) erlassen. Es bildete den Rahmen, der durch die Gesetzgebung der Länder ausgefüllt werden sollte, und enthielt unmittelbar geltende Rechtsvorschriften über den Waldbegriff, die Waldeigentumsarten und Waldbesitzer sowie mittelbar geltendes Recht (Rahmenrecht) über forstliche Rahmenplanung, Erhaltung des Waldes, Erstaufforstung, Bewirtschaftung des Waldes, Schutzwald, Erholungswald und Betreten des Waldes. Dieses Rahmen-
recht mußte nun durch Waldgesetze der einzelnen Bundesländer, die ihren Verhältnissen und Bedingungen gerecht werden sollten, komplettiert werden.
     Mit dem Gesetz zur Erhaltung des Waldes vom 30. Januar 1979 vollzog der Berliner Senat diesen Schritt und erließ die gesetzlichen Regelungen für den Umgang mit dem Wald auf dem Territorium Westberlins.
     Dieses Waldgesetz wurde 1988 präzisiert und gilt seit 1989 für das gesamte Waldgebiet des Landes Berlin, das seit dem 15.12.1990 einer Berliner Forstverwaltung untersteht. 17 300 Hektar Wald werden seither einheitlich nach dem Landeswaldgesetz vom 9. Dezember 1988 betreut. Mit der Rückgabe der 9 500 Hektar Wald aus dem Berliner Umland durch die Treuhand im Frühjahr 1995 verfügt Berlin wieder über rund 27 000 Hektar Wald und ist damit der größte Landeigner Deutschlands und die waldreichste Stadt Europas, wie die Zeitschrift »Grünstift«, Heft 5/1995, feststellte. Daß es dennoch immer wieder notwendig ist, die Einhaltung des Gesetzes zu erzwingen, zeigen die jüngsten Auseinandersetzungen um die Bebauung des ehemaligen Geländes der US-Truppen im Grunewald oder die nach wie vor alarmierenden Fakten über den Gesundheitszustand der Berliner Wälder.
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