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Hans-Heinrich Müller
Erste Luftballons über der Stadt

Am 5. Juni 1783 erlebten die Einwohner des Dorfes Annonay in Frankreich eine Sensation. Die Brüder Etienne- Jacques (1745–1799) und Michel-Joseph (1740–1810) de Montgolfier, Söhne eines Papierfabrikanten, die Gefallen an naturwissenschaftlichen Experimenten fanden, führten einen Heißluftballon vor, bald »Montgolfière« genannt.
     Es war ein Ballon von elf Metern im Durchmesser, bestehend aus geknüpften Leinwandstücken, gefüttert mit Papier und von einem Netz aus Bindfäden zusammengehalten. Zum Erstaunen der Anwesenden hielt sich der Ballon zehn Minuten in der Luft, bis die warme Luft aus den Nähten und Knopflöchern entwich und der Ballon wieder auf die Erde herabsank.
     Mit der Erfindung des Luftballons vor mehr als 200 Jahren hatte einer der ältesten Menschheitsträume endlich Erfüllung gefunden. Das Zeitalter der Luftfahrt wurde eingeläutet. Wenig später wurden die Versuche wiederholt. Auf Anraten des Pariser Professors Jacques- Alexander- César Charles stieg im Beisein einer riesigen Menschenmenge am 27. August 1783 ein Ballon vom Marsfeld auf, dessen Hülle mit Gummi ab-

gedichtet und der mit leicht »entzündlicher Luft«, mit Wasserstoff, gefüllt war. Er landete nach 45 Minuten im 16 Kilometer entfernten Dorf Gonesse. In den nächsten Monaten überstürzten sich die Ereignisse in der Luftfahrt geradezu, folgte nun Versuch auf Versuch. Am 19. September 1783 konnte man in Versailles dem Aufstieg einer »Montgolfière« zusehen, deren Besatzung aus einem Hammel, einem Hahn und einer Ente bestand, die wohlbehalten nach acht Minuten in einer Entfernung von 3,3 Kilometern auf die Erde zurückkehrten. Ihren Höhepunkt erlebte die frühe Ballonfahrt am 1. Dezember 1783, als Charles zusammen mit einem Begleiter bis in eine Höhe von 2 000 Metern aufstieg und nach einem zweistündigen Flug sicher landete.
     Die Kunde von den aufsehenerregenden Ballonfahrten drang auch ziemlich schnell nach Berlin. Wie alle Fachleute, so reizten diese Erfolge auch Franz Carl Achard (1753–1821), den Direktor der Physikalischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften. Achard, der sich in seinen Forschungen und Experimenten mit den verschiedensten Luftarten und Lufterscheinungen befaßte und mannigfaltige Gase analysierte, mußten Heißluft und »entzündliche Luft« schon von Berufs wegen ungemein fesseln, und er stürzte sich nun auch in das Abenteuer Ballonfahrt. Schon am 27. Dezember 1783 ließ er im Lustgarten in
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Aufstieg einer Montgolfière in Saint- Antoine, Paris 1783
Gegenwart des gesamten Königlichen Hauses und vieler Zuschauer einen Luftballon aufsteigen, einen »Aerostat«, wie es damals hieß, in dem man auch eine »Luftmaschine« zu erkennen glaubte. Achards Ballon, der erste in Berlin, war eine »Charlière«, aus Goldschlägerhäutchen, der äußerst dünnen Blinddarmhaut von Ochsen, gefertigt, gefüllt mit »entzündlicher Luft, die sich bei der Auflösung des Zinks in Salzsäure entwickelt«, er maß etwa einen Meter im Durchmesser. Der »Aerostat« schwebte schnell zur Domkirche empor, er nahm seinen Weg über die königliche Schloßapotheke (heute etwa über den Palast der Republik) zur Königstraße in Richtung Rat- haus und war »in acht Minuten den Blicken entschwunden«; er flog zwischen dem Frankfurter und dem Schlesischen Tor weiter nach Friedrichsfelde und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Um die Unkosten für seinen Ballonversuch zu decken, hatte Achard zu Geldspenden aufgerufen, aber mit geringem Erfolg. Auch Friedrich II., von Achard um eine Unterstützung gebeten, lehnte diese sehr ungnädig ab.
     Einen Monat später, am 29. Januar 1784, beschäftigte sich bereits die Akademie der Wissenschaften anläßlich der Geburtstagsfeier des Königs mit den physikalischen und chemischen Problemen der neuen Erfindung. Im Beisein verschiedener Staats-
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minister, Gesandter ausländischer Staaten und anderer Standespersonen las Achard auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen und Versuche über »montgolfiersche Luft«. Er bewies, daß diese weder entzündbar sei noch als Gas betrachtet werden könne, vielmehr nur atmosphärische, aus den brennenden Körpern aufsteigende verdünnte Luft sei, die, als Füllung für den Ballon benutzt, diesen in die Höhe treibe.
     Der nächste, der in Berlin einen Versuch mit einem Luftballon unternahm, war der Apotheker und Assessor am Obercollegium medicum, der Chemiker und Entdecker solch wichtiger Elemente wie Uran, Strontium, Chrom und Cer, Martin Heinrich Klaproth (1743–1817), der am 24. Januar 1784 auf dem Cöpenicker Feld eine mit Wasserstoff gefüllte »aerostatische Kugel« aufsteigen ließ, ebenfalls aus Goldschlägerhäutchen zusammengesetzt und mit Sinnbildern und Inschriften, bezogen auf Friedrich II., verziert. Sein Ballon trieb in die Stralauer Vorstadt und war bereits nach zwei Minuten in den Wolken verschwunden. Einen Tag darauf ließ die Freimaurerloge Royal Yorck in der heutigen Dorotheenstraße einen Ballon in die Höhe steigen. All diese Versuche hatten bewiesen, daß es möglich war, Gasballons in höhere Luftschichten zu senden. Die aufsehenerregenden Nachrichten jedoch, die aus Frankreich über die bemannten Luftballons nach Berlin gelangten, erweckten in den Berlinern den Wunsch
nach ähnlichen Taten. Bisher seien, wie man spöttisch sagte, nur »Kinderballons« aufgestiegen; jetzt wollte man größere Ballons sehen, die schwere Lasten tragen oder gar einen kühnen Luftreisenden mit in die Höhe nehmen könnten.
     Achard versprach, diesen Wunsch zu erfüllen. Durch Anzeigen in Zeitungen gab er bekannt, Mitte Januar 1784 einen fünffüßigen Gasballon und zwei größere Heißluftballons aufsteigen zu lassen, und zwar im Reußischen Garten an der Panke. Für die Veranstaltung wurden »unterschriebene und besiegelte Eintrittsbillets«, die einen Taler kosteten, ausgegeben. Die Besitzer dieser Eintrittsbillets konnten »die Art, wie die Bälle gefüllt und das Physikalische der Versuche überhaupt, nebst allem, was dabei merkwürdig ist«, in Augenschein nehmen. Wegen auswärtiger Gäste mußte der Tag für die Vorführung auf den 1. Februar verlegt werden, unter der Voraussetzung, daß es an diesem Tage »weder regnet, noch schneit noch heftig stürmisch ist«. Den »Herren Subscripenten und Pränumeranten, die mit Eintrittsbillets versehen sind oder sich versehen wollten«, wurde in der Woche vor dem Aufstieg Einrichtung und Füllungsart der beiden Ballons sowie das Aufsteigen des fünffüßigen Gasballons in Achards Zimmer gezeigt. Bei dieser Vorführung hatte Achard zu lange Gase und saure Dämpfe eingeatmet, was heftiges Blutspeien bei ihm hervorrief, weshalb es zunächst nur
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zum Aufstieg des fünffüßigen Gasballons kam. Am 1. Februar 1784, mittags 12 Uhr, war der Ballon gefüllt. Man befestigte an ihm eine Blechbüchse mit einem Zettel, auf dem man dem Wiederbringer des Ballons eine Belohnung von zwei Louisdor versprach. Im Beisein der Prinzen Heinrich und Ferdinand und einer ungeheuren Menschenmenge ließ man den Ballon aufsteigen. Er erreichte sofort eine Höhe von 180 Metern, trieb ab und wurde später im Dorf Sernow zwischen Kloster Zinna und Luckenwalde gefunden. Den unwissenden Bauern und Einwohnern war der Ballon als unheimliches Teufelswerk erschienen. Ein durchreisender Unteroffizier enthüllte das Geheimnis, und der Dorfschulze hat darauf Achard den Ballon wieder zugestellt.
     Infolge der Erkrankung Achards mußte der in Aussicht gestellte Abflug der beiden großen Heißluftballons verschoben werden, so daß das Publikum, das trotz großer Kälte erschienen war, Unmut äußerte. Doch am 15. Februar 1784, einem Sonntag, sollten nun die großen Heißluftballons von 4,5 Meter Höhe und 4 Meter Breite, die ersten Heißluftballons in Berlin, aufsteigen.
     In Gegenwart einer großen Zuschauermenge, unter der sich Prinz Heinrich, ein Bruder des Königs, befand, ließ man den ersten Ballon aufsteigen, der bald aus beträchtlicher Höhe im Garten der Charité niederging. Einen guten Aufstieg hatte auch der zweite Heißluftballon. Er landete in der
Nähe der Pulverfabrik, in der Gegend zwischen Invalidenstraße und Alt-Moabit. Achard hatte, um den Ballon während der Fahrt weiter mit Heißluft zu versorgen, ihn unten mit einer Rolle brennenden Ölpapiers versehen.
     Durch Verbrennen von Stroh und Wolle wurde schließlich noch ein dritter, großer Ballon mit Heißluft gefüllt, und am 18. Februar, in Gegenwart des Prinzen Ferdinand, dem jüngsten Bruder des Königs, und des Herzogs von Braunschweig, erfolgte der Aufstieg. Der Ballon bestand aus Taft und war mit Papier und Hausenblase (Fischleim) überzogen. Doch der Aufstieg mißglückte. Die Ballonhülle bekam infolge technischer Ungeschicklichkeit einen Riß, verfing sich in den Gerüststangen und zerriß vollständig.
     Daß Achard Eintrittsbillets verlangte, fanden viele ungewöhnlich. Es erschien ein längeres Spottgedicht in französischer Sprache, deren erste Zeilen lauteten:

     Achard nimmt Taler
     Die Summe ist unbekannt;
     Der eine sagt zwei Tausend und mehr,
     Der andere sagt Hundert.
     Und das nur fliegen zu sehen
     Was? Das Geld in der Tasche?
     Nein? Eine Montgolfiersche Kugel
     in der Luft ohne Schwein ...

     Man weiß nicht, ob dieses Spottgedicht aus den Kreisen der Akademie oder aus der französischen Kolonie stammte. Aber auch

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in anderen Kreisen suchte man nach Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten des prominenten Gelehrten und fand sie in seinen unglücklichen häuslichen und geldlichen Verhältnissen, in seinen doch beträchtlichen Schulden, die ihn zeitlebens bedrängten.
     Doch den Vorwurf der Bereicherung, der im Gedicht und in Gerüchten erhoben wurde, wies Achard zurück. Er gab am 21. Februar 1784 in den Zeitungen einen Rechenschaftsbericht und fügte eine detaillierte Kostenrechnung seiner Ballonversuche bei. Danach betrugen die Ausgaben für Materialien und Hilfspersonal 962 Taler. Dagegen habe er nur 538 Billets verkauft, so daß »ein Übermaß der Kosten von 424 Taler« entstand. Achard bekräftigte, daß es nicht in seiner Absicht lag, finanziellen Nutzen aus den Versuchen zu ziehen. »Kränkend würde es allerdings sein, wenn er hörte, daß man ihm die Absicht anmutete, er hätte sich bei dieser Gelegenheit auf Kosten des Publikums bereichern wollen; wenn ihm nicht die Niederträchtigkeit und grobe Unwissenheit der Urheber solcher Reden ein gerechtes Midleid einflößte, er wünscht zu ihrem Besten, daß sie sich zuvörderst diejenigen Kenntnisse verschaffen möchten, die zu einer ähnlichen Beurteilung nötig sind.«
     Die Achardschen Versuche hatten mit dem mißglückten dritten Ballonstart in Berlin ihr Ende erreicht. Achard zog sich auf Grund
der Vorwürfe aus allen weiteren Ballonversuchen verstimmt zurück und widmete sich wieder seinen chemischen und physikalischen Untersuchungen in der Akademie. Die Ballonfahrten gingen zudem immer mehr in die Hände von Berufsluftschiffern über, die daraus ein Gewerbe machten, wobei sich die mit Wasserstoff gefüllten »Charlieren« als zweckmäßig erwiesen. Für die Berliner vergingen noch einige Jahre, ehe sie den ersten geglückten Aufstieg eines bemannten Luftballons bewundern konnten. Es war der französische Mechaniker und Berufsluftschiffer François Blanchard, der am 27. September 1788 auf dem Exerzierplatz im Tiergarten seine 33. Luftreise antrat, später mit einem Begleiter die Straße von Calais überquerte und 1798 einen Ballonflug mit 16 Passagieren vollführte.

Literatur:
     Kurt Brockerhoff, Die Erfindung des Luftballons und die ersten Berliner Ballonversuche von Achard und Klaproth, in: Berlinische Blätter für Geschichte und Heimatkunde, 1. Jg., Berlin 1934, S. 111 ff.
     Charakteristik von Berlin. Stimme eines Kosmopoliten in der Wüste, Bd. 2, Philadelphia 1785, S. 52 ff.
     Vossische Zeitung, Sonntagsbeilage, Nr. 13, v. 28. 3. 1880 Chemiker- Zeitung, Nr. 43, 1925, S. 313
     Christoph Friedrich Rinck, Studienreisen 1783/74, Altenburg 1897, S. 138 u. 240

Bildquelle: Archiv LBV

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