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Stelle des von Chappe vorgeschlagenen Namens bürgerte sich ziemlich schnell die Bezeichnung »Telegraphe« (Fernschreiber) ein. Der Bau der Telegraphenlinie dauerte etwa ein Jahr. Die erste offiziell übertragene Nachricht war die Meldung, daß die französische Nordarmee am 15. August 1794 Le Quesnoy zurückerobert hatte, am 1. September folgte die Nachricht von der Eroberung Condés.2)
     Die schnelle Nachrichtenübermittlung militärischer Erfolge war gewiß ein aufsehenerregendes Ereignis, bewegte nun viele Geister in Frankreich und anderswo, erweckte allgemeines Interesse für die Telegraphie. Die Kunde von dem optischen Telegraphen gelangte auch rasch nach Berlin. Bereits am 25. September 1794 hielt das Mitglied der Mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Abel Burja (1752–1816), zugleich Professor der Mathematik der Königlichen Militärakademie, auf einer Akademiesitzung in Anwesenheit der Minister Heinitz (1725–1802) und Alvensleben (1745–1802) einen Vortrag über Telegraphie oder Fernschreibkunst.3)
     Franz Carl Achard (1753–1821), Physiker, Chemiker und Direktor der Physikalischen Klasse der Akademie, der an dieser Sitzung teilgenommen hatte, dürfte hier Impulse empfangen haben, wenngleich auch angenommen werden darf, daß er aus französischen und deutschen Zeitungen Infor-
Hans-Heinrich Müller
Achard und sein Telegraph

Im August 1794 wurde die erste Telegraphenlinie zwischen Paris und Lille eröffnet, die in zwei oder drei Minuten »Telegramme«, das heißt optische Zeichen, über 16 Stationen übermittelte, wofür sonst 60 Wegestunden benötigt worden wären.1) Der Erfinder war Claude Chappe (1753–1805). Ursprünglich für den geistlichen Beruf erzogen, wandte er sich der Physik zu und widmete sich nach Ausbruch der Französischen Revolution gemeinsam mit seinen Brüdern Abraham und Ignace dem Problem der Nachrichtenübermittlung. Nach mehrmaligem Wechsel des technischen Konzeptes legte er im März 1792 sein Projekt dem Nationalkonvent vor, der einen Monat später eine Kommission zur Prüfung des Vorschlages berief.
     Im April 1793 führte Chappe dieser Kommission seinen »Tachygraphen« (Schnellschreiber) mit Erfolg vor. Er hatte bewegliche, weithin sichtbare Arme, deren Stellung bestimmten Zeichen entsprach und die mit Hilfe eines Fernrohres beobachtet wurden. Im August 1793 beschloß der Nationalkonvent die Errichtung der ersten Relais- Strecke zwischen Paris und Lille. An

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Versuch einer Rekonstruktion des transportablen Feldtelegraphen von Achard
mationen über den Chappeschen Telegraphen erhielt. Neuem gegenüber immer aufgeschlossen, warf sich Achard nun auch auf das Feld der Telegraphie. Schon am 30. Oktober 1794 demonstrierte er auf der Akademieversammlung einen selbstentwickelten Telegraphen und erläuterte ein von ihm verfaßtes Telegraphen- Lexikon in deutscher und französischer Sprache.
     Am 3. März 1795 konnte man schließlich in der »Königlich privilegierten Berlinischen Zeitung. Von Staats- und gelehrten Sachen« lesen:
Der Direktor Achard hat ein transportables Feld- Telegraph, welches in kurzer Zeit aufgerichtet, abgenommen, auf einen Wagen geladen und von zwei Pferden gezogen werden kann, so von dem Französischen, wie auch von denen, die bereits durch Andere angegeben worden, ganz und gar abweicht, zu dessen Gebrauch er telegraphische Tabellen und ein in deutscher und französischer Sprache aus 23750 Wörtern besteht, ausgearbeitet; vermittelst dieser Tabellen und des Lexikons werden durch nicht mehr als 5 verschiedene telegraphische Zeichen, auf eine
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sehr leichte Art, die zu keiner Irrung Anlaß geben kann, außer dem ganzen Alphabet und sämtlichen orthographischen Bezeichnungen, noch 23 750 Wörter, oder, wenn man will, ganze Redensarten und Ideen ausgedrückt, wobei die Operation selbst auf das allerschnellste von Statten geht. Ein solcher Telegraph ist in Bellevue, und einer auf dem Julius-Turm der Festung Spandau errichtet worden. Den 1sten wurden die zur Bestimmung der Zweckmäßigkeit dieses Telegraphen nötigen Proben in allerhöchstem Beisein Sr. Majestät des Königs, Sr. Königl. Hoheit des Prinzen August Ferdinand und einer aus Mitgliedern der physikalischen und mathematischen Klasse der Königl. Akademie der Wissenschaften bestehenden Kommission angestellt. Sobald Se. Königl. Majestät in Bellevue eintrafen, wurde von da nach Spandau ein telegraphisches Signal gegeben, und die telegraphische Operation, welche der Direktor Achard in Spandau dirigierte, nahm augenblicklich ihren Anfang. Nachdem die Beobachtungen gemacht waren, die zur Entscheidung der Deutlichkeit dienten, mit welcher man von Bellevue nach Spandau ein jedes telegraphisches Zeichen in seinen verschiedenen Lagen sehen konnte, gab ein telegraphisches Signal an, daß diese Operation geendet, ein anderes, daß eine zweite anfangen sollte, in Bellevue, wurde durch ein Signal erwidert, daß man daselbst zur Beobachtung bereit; und nun wurde von Spandau nach Bellevue durch Zusammen- setzung von Wörtern aus einzelnen Buchstaben Es lebe der König geschrieben. Das Ende dieser Operation, der Anfang einer anderen und das Bereitsein in Bellevue diese zu beobachten, wurde mit größter Schnelligkeit von einem Telegraphen zum anderen gebracht, und jetzt wurde durch Wortzeichen, worunter solche zu verstehen, vermittelst welcher ganze Wörter mit einemmale ausgedrückt werden, deren Anzahl sich vermittelst der 5 telegraphischen Zeichen bis auf 23 750 erstreckt, geschrieben: und das königliche Haus. Nachdem wie zuvor das Ende dieser Operation angedeutet, und in Bellevue das Zeichen gegeben, daß die Beobachter bereit waren, wurde durch eine einzige Zeichenvorstellung in deutscher Sprache geschrieben: nach diesem Wunsch ist mein größter, des Allerhöchsten Beifalls meines Königs und der Königl. Allerhöchsten Familie gewürdigt zu werden, und in französischer: Le Telegraph est l'interprete des Coeurs des fideles Sujet's de Frederic Guillaume, Pere de son Peuple, Protecteur des opprimes chere de ses sujets autane que craint de ses ennemis.
     Zur Vorstellung eines Buchstabenzeichens, eines Wortzeichens und eines Zeichens, welche ganze Ideen ausdrückt, wird zu jedem 20 Sekunden gebraucht, hieraus läßt sich die Zeit sehr leicht bestimmen, die zur Fortpflanzung eines Schreibens in Buchstaben, Wörtern oder Ideenbezeichnungen nötig, und die besonders bei der Anwendung
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Optischer Telegraph von Claude Chappe, 1792
der Wort- und Ideenzeichen sehr kurz ist.
     Nach Endigung dieser Operation, welche den völligen allerhöchsten Beifall Sr. Königl. Majestät erhielt, geruhten Allerhöchstdieselben noch die Probe der Schnelligkeit, mit welcher der Telegraph abgenommen, wie auch dem Beweise, daß es mit allem Zubehör auf einen Wagen geladen werden kann, allergnädigst beizuwohnen. Es fand sich, daß es in 17 Minuten durch 8 Zimmerleute ganz auseinandergenommen, in 3 Minuten auf einen Wagen nebst allem Zubehör geladen und durch 2 Pferde gezogen wurde, worauf Se. Königl. Majestät Bellevue unter
allergnädigster Versicherung Ihres Allerhöchsten Beifalls zu verlassen geruhten, und die telegraphischen Untersuchungsproben ein Ende hatten.
     Dieser Zeitungsbericht ist eine der ganz wenigen zeitgenössischen Quellen über den optischen Telegraphen von Achard und seine praktischen Versuche im deutschsprachigen Raum, über die Achard die Akademiemitglieder am 12. März 1795 unterrichtete und am 19. März 1795 sich Diskussionen vor allem mit Mathematikern anschlossen,4) ohne etwas über die Ergebnisse zu erfahren. Es existieren weder hand-
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schriftliche Aufzeichnungen von Achard über den Telegraphen noch ist das deutsch- französische Telegraphenlexikon oder -wörterbuch gedruckt worden – jedenfalls erscheint es in keiner zeitgenössischen oder späteren Bibliographie. Lediglich im »Journal für Fabrik, Manufaktur, Handlung und Mode« vom Dezember 1795 gab ein gewisser Buschendorf eine etwas aufhellende Beschreibung des Achardschen Telegraphen, der sich von der Konstruktion Chappes unterschied, wenn es heißt:
     Herr Achard in Berlin hat eine andere sehr einfache, aber nur weniger ausführbare Art, bedeutende Figuren fürs entfernte Auge zu bilden, angegeben. Ein Lineal, ein Zirkel und ein Dreieck, die alle drei mit ihrem Ende an einer gemeinschaftlichen Achse beweglich sind, decken und schneiden sich wechselweise, und formen dadurch mancherlei verschiedene Gestalten.
     Andere Bescheibungen gibt es nicht, aber immerhin eine Anerkennung für Achard von einem sich mit Telegraphie befassenden Zoologen namens Johann Andreas Benignus Bergsträßer (1732–1812), der in seinem »Telegraphen- Buch« schrieb:
     Welcher Telegraphiker in Deutschland ist zuerst öffentlich beschenkt worden? – Antwort: Herr Achard in Berlin, dem ich hier öffentlich Glück wünsche.5)
     Ein halbes Jahrhundert später findet sich in der bekannten Krünitzschen »Ökonomisch- technologischen Encyklopädie« die fast wortwörtliche Widergabe des Berichtes in der »Ber-
linischen Zeitung« vom 3. März 1795, allerdings mit dem interessanten Zusatz:
     Nach den vorgesehenen Versuchen erhielt der Direktor Achard von dem Könige ein eigenhändiges Kabinettschreiben, dem ein Geschenk von 500 Talern beigefügt war.6)
     Wenn der Achardsche Telegraph auch seine Bewährungsprobe erfolgreich bestanden hat, so gibt es aber Zweifel an den 23 750 Wörtern und Redensarten anzumelden. Vermutlich liegt hier ein Irrtum, ein Druckfehler oder eine Übertreibung des Berichterstatters vor. Es scheint kaum denkbar, daß Achard in der kurzen Zeit der Entwicklung seines Telegraphen ein so umfangreiches Wörterbuch oder Lexikon in deutscher und französischer Sprache verfaßt hat. Vielmehr muß man von 2 375 Wörtern ausgehen, schon aus dem Grunde, daß die Bedienung eines beweglichen Feldtelegraphen möglichst einfach sein und die Einstellung jedes Zeichens schnell erfolgen mußte. Ein Lexikon dieses Umfangs hätte gewiß ausgereicht, zumal vierzig Jahre nach Achard die eingerichtete Telegraphen- Linie Berlin–Koblenz mit einem dazu verfaßten »Wörterbuch für die Telegraphisten- Correspondenz« ausgekommen ist, das nur rund 2 000 Wörter, Silben, Buchstaben und Redensarten enthielt.
     Achard, phantasievoll und einfallsreich, ein erfolgreicher Experimentator, hatte in der Telegraphie eigenständige Wege be-
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schritten, und seiner erfinderischen Leistung sollte man sich gern erinnern, wobei man sich jedoch fragen muß, ob Achard von der Peitsche der Schulden, die ihn fast zeitlebens bedrängten, zu diesem Telegraphen- Projekt angetrieben worden ist. Doch letzten Endes war dem optischen Telegraphen von Achard kein Dauererfolg beschieden, er verschwand bald in der Versenkung, weniger wegen technischer Mängel als vielmehr wegen des Fehlens eines tatsächlichen Bedarfs in dem von Kleinstaaten zerrissenen Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Nachrichtenübermittlung im militärischen Bereich war damals durch Kuriere und Melder einfacher und unabhängiger von Witterung und Tageszeit. Achard selbst wandte sich der Zuckererforschung zu und schuf mit der ersten Zuckerfabrik im schlesischen Cunern im Jahre 1801 die Voraussetzungen eines Industriezweiges von weltweiter Bedeutung (BM 1/92, 9/94). Zehn Jahre nach dem Tode Achards erlebte die optische Telegraphie eine kurze Blüte, um dann bald von Morseapparat und elektrischen Telegraphen abgelöst zu werden. Quellen:
1     Albert Neuburger, Erfinder und Erfindungen, Berlin 1925, S. 60 f.
2     Volker Aschoff, Franz Karl Achard und die optische Telegraphie, in: Technikgeschichte, Bd. 44, Nr. 3, 1977, S. 248; vgl. auch Derselbe, Aus der Frühgeschichte der optischen Telegraphie, in: Schriften der Georg- Agricola- Gesellschaft zur Förderung der Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Nr. 2, 1976, S. 9 ff.
3     Berlin- Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, I–IV, Nr. 33, 25. 9. 1794; 30. 10. 1794, 5. 2. 1795
4     Ebenda, 12. 3. 1795 und 19. 3. 1795
5     Johann Andreas Benignus Bergsträßer, Übersichten und Erweiterungen der Signal- Order und Zielschreiberei in der Ferne oder neue Synthematographe und Telegraphe, Leipzig 1795, S. 59
6     Johann Georg Krünitz, Ökonomisch- technologische Encyklopädie, T. 181, Berlin 1843, S. 578 ff.; vgl. auch »Berlinische Monatsschrift« 6/1997, S. 10 f.

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