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Medizin als Ganzes, im Überblick, in einer Gesamtschau zu bieten, wobei er aufkeimenden Fachgebieten wie Psychologie, Physiologie und Seelenkunde, mit denen er sich intensiv beschäftigte, einen gehörigen Platz verschaffte. Seinen Zuhörern vermittelte er die für ihn unverrückbare Auffassung vom engen Zusammenhang von Seele und Organismus, der Notwendigkeit, sie als etwas einheitliches, voneinander abhängiges zu betrachten. Arzttum dürfe nicht auf die Behandlung kranker Organe eines beliebigen menschlichen Lebewesens reduziert werden. Die Seele sei ein Bestandteil des Individuums in gesunden wie kranken Tagen, die sich allerdings den Methoden der naturwissenschaftlichen Erkenntnis weitgehend entziehe. Er trachtete danach, mit einer philosophischen Denkweise, die er jedem Arzt dringend empfahl, dem noch vielfach unbekannten und verschlungenen Phänomen des Seelenlebens beizukommen. Besonders seine »Briefe an Aerzte« (mehrere Auflagen und Bände zwischen 1777 und 1784) und sein »Grundriß aller medicinischen Wissenschaften« (Berlin 1782) dienten diesem aufklärerischen Anliegen. Herz hielt gleichermaßen Vorträge über Philosophie (u. a. über Logik, Kosmologie, Ontologie, Metaphysik), die ihm stets eine besondere Freude bereiteten. Für viele seiner Zeitgenossen war er derjenige, der die Philosophie Immanuel Kants (1724–1804) von Königsberg nach Berlin brachte und
Bernhard Meyer
Denken in »Gränzörtern«

Markus Herz

Verheiratet war er mit Henriette Herz (1764–1847). Den Arztberuf ergriff er, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Philosophie betrieb er aus Leidenschaft und mit dem Herzen – aus Freude am Denken. Der Medizin und Philosophie hatte er etwas zu geben, den Ärzten und Philosophen etwas zu sagen. Dennoch haben weder die Philosophie- und noch weniger die Medizingeschichte seinem Namen einen Platz in ihren Annalen eingeräumt.
     Henriette reifte an seiner Seite und durch ihn zu jener Persönlichkeit, die noch Jahre über seinen frühen Tod am 19. Januar 1803 hinaus ein anziehendes Haus für Geistesgrößen und Honoratioren bot. Unverkennbar entsprangen jedoch seinem Denken, seiner Lebensweise die Ursprünge des Salons der Madame Herz. Die dort von ihm in der noch universitätslosen Stadt Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre gehaltenen Vorträge im Sinne von Vorlesungen über medizinische Themen boten Interessierten neuartige Anregungen in verschiedener Richtung. So unternahm er den Versuch,

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sie in der Residenzstadt verbreitete und interpretierte. König Friedrich Wilhelm II. ernannte Herz 1787 zum Philosophie- Professor, freilich ohne Lehrstuhl und Honorar. Die Herzschen Bemühungen ein halbes Jahrzehnt später, Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu werden, scheiterten an seiner jüdischen Herkunft. Schließlich wirkte er als angesehener niedergelassener Arzt und stand ab 1782 als »dirigirender Arzt« dem Jüdischen Krankenhaus in der Oranienburger Straße 8 vor.

Der Medizinstudent wurde Gutachter einer Schrift Kants

Zur Philosophie kam der am 17. Januar 1747 geborene Herz im Rahmen seines Medizinstudiums in Königsberg. Seinerzeit war es üblich, den angehenden Äskulapjüngern in den ersten Semestern vor dem Beginn des eigentlichen Medizinstudiums philosophische Vorlesungen zu bieten, die jedoch vielfach von ihnen ignoriert und als nicht zum Fachgebiet gehörend deklariert wurden. Herz hat später immer wieder die philosophische Gleichgültigkeit seiner Kollegen bedauert und durch sein Beispiel versucht, Änderung herbeizuführen, was ihm nicht gelang. Mit der am 21. April 1766 erfolgten Einschreibung an der Medizinischen Fakultät der Königsberger Albertina begann der regelmäßige und fleißige Be-

such der Philosophievorlesung von Immanuel Kant. Bald schon spürte Herz eine eigentliche Neigung zur Philosophie, der er jedoch wegen der unsicheren finanziellen Zukunft entsagte und der kurativen Medizin als sicheren Broterwerb den Vorzug gab. Dennoch war sein augenblickliches Interesse überschäumend, und Kant wählte den Medizinstudenten Markus Herz 1770 gegen den erklärten Widerstand der Universität zum Kritiker (Respondenten) seiner Schrift anläßlich der Inauguration als Professor für Logik und Metaphsysik.
     Herz wurde der erklärte Lieblingsschüler Kants, obwohl er sein Studium bald aus finanziellen Gründen unterbrechen, in Berlin fortsetzen und dann in Halle beenden mußte. Beide verband eine lebenslange herzliche Freundschaft: »Ich werde nie aufhören den Tag, an welchem ich mich den Wissenschaften übergab für den glücklichsten, und denjennigen da Sie mein Lehrer wurden für den ersten meines Lebens zu halten.« (Brief von M. Herz an I. Kant vom 11. September 1770) Inspiriert und gleichermaßen begeistert von Kants Beitrag zur philosophischen Interpretation der sich mehrenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, verfaßte Herz noch als Student und vor seinem Examen 1774 die Schrift »Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit« (Königsberg 1771).
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Diskussionspartner von Moses Mendelssohn

Als Herz 1770 nach Berlin zurückkehrte, befand sich in seinem Reisegepäck auch ein Empfehlungsschreiben von Kant an Moses Mendelssohn (1728–1786). Damit geriet der angehende Arzt mehr und mehr in die geistig- philosophische Ausstrahlung seines künftigen Wohnnachbarn in der Spandauer Straße. Ihm wurde er über anderthalb Jahrzehnte hinweg ständiger philosophischer Diskussionspartner. Es ist nicht überliefert, in welchen Fragen und Details Herz seinem väterlichen Freund gesprächsweise Anregungen vermittelte, ihn bestärkte, Zweifel zerstreute und selbst zu mehr Klarheit gelangte. Zum Gottesbeweis Mendelssohns rang sich Herz allerdings nicht durch. Ebensowenig mochte er den Gedanken Mendelssohns zum Übergang der bildlichen (gedanklichen) Welt in die Wirklichkeit folgen. Herz meinte, daß »die Wirklichkeit die Denklichkeit in sich begreift«, was jedoch nicht deren Umkehrung einschließe. Außerdem war er Mendelssohns behandelnder Arzt, stand ihm in seiner letzten Stunde bei.
     Kant war weit in Königsberg und durchlebte gerade sein »stilles Jahrzehnt«, in dem er mit der »Kritik der reinen Vernunft« (1781) den transzendentalen Idealismus begründete. Herz konnte wohl beruflich und wollte mit Rücksicht auf Mendelssohn diese

Wendung seines philosophischen Ziehvaters nicht nachvollziehen, jedenfalls schrieb er ihm: »Ich bin in der praktischen Sphäre, die sich täglich mehr und mehr um mich erweitert ganz verstrickt, und sie macht mir es leider physisch und moralisch unmöglich, an jenen süßen erhabenen Spekulationen, mit denen sie jetzo die Welt so sehr beglüken, ... so recht warmen Antheil zu nehmen! ... das System so ganz zu erfassen, es zu durchdringen, dazu hat mich leider mein praktisches Leben völlig unfähig gemacht ...« (Brief von M. Herz an I. Kant vom 7. April 1789)
     Ende der 70er Jahre, auf dem Höhepunkt seiner Vorlesungen im Salon wie auch im Collegium medicochirurgicum und am Jüdischen Krankenhaus, vertrat Herz eine philosophische Grundausrichtung, die von seiner inzwischen erfolgreich betriebenen Hinwendung zu den Berührungspunkten von Medizin und Philosophie bestimmt war. »Ich liebe das Umherwandeln in den Gränzörtern der beyden Länder, der Philosophie und der Medizin, und habe meine Freude daran, wenn ich da Vorschläge und Einrichtungen zu Gemeinregirungen entwerfen kann. Es wäre gut, dünkt mir, wenn ähnliche Gränzörter zwischen der Philosophie und ihren benachbarten Gebieten fleißig von den Philosophen so wohl als von den praktischen Gelehrten und Künstlern aller Art fleißig besucht würden; jene würden dadurch dem häufigen gerechten
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Tadel der unnützen Grübeley, und diese dem der Empirie entgehen.« (Brief von M. Herz an I. Kant vom 27. Februar 1786) Hinzu kam 1782 ein ihm gehörig zusetzendes Nervenfieber, das seine Arbeit längere Zeit deutlich einschränkte.

Für die Zeitgenossen war er der »philosophische Arzt«

Die philosophischen Ansichten und Äußerungen von Markus Herz lassen sich keineswegs auf die Beziehungen von Philosophie und Medizin beschränken. Abhandlungen wie der »Versuch über den Geschmack« (1790) sind ausschließlich philosophischen Problemstellungen gewidmet. Dennoch scheint er am produktivsten und originellsten in jener Thematik, die den Arzt und Philosophen gleichermaßen erfordern. Von Zeitgenossen als »philosophischer Arzt« gesehen, schwebte ihm eine glückliche Verbindung von Wissenschaften verschiedenster Richtungen und Philosophie vor: »Es liegt daher in ihrem (der Philosophie – B. M.) Wesen, neben keiner andern Wissenschaft oder Kunst sich abgesondert zu erhalten, sondern sie vereinigt sich immer mit ihrer Gesellschafterin und erhöhet dadurch immer ihren Werth. Man ist nicht zugleich Philosoph und Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher, Dichter oder Arzt, sondern philosophischer Rechtsgelehrter, Geschichtsforscher, Dichter oder Arzt.« (Journal der

practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst. Bd. 5. 1798.) Nach der Philosophie räumte Herz der Medizin den »vorzüglichen Rang in der Reihe der gesammten Künste und Wissenschaften« ein. (Grundriß aller medicinischen Wissenschaften. 1782) Die Philosophie wird als subjektivische Wissenschaft größtenteils durch Kritik erlernt, während die Medizin als objektivische Wissenschaft in der »Erlernung der Resultate«, also bewährter Erfahrungen, liege, wobei ihr die Aufgabe zukommt, »den Menschen mit allen seinen Kräften im gesunden Zustand (zu) erhalten«. Betrübt war Herz über die Auffassung von ärztlichen Kollegen, die Philosophie sei »eine Sammlung unnützer Grübeleyen, eine Beschäftigung müßiger Köpfe«. (Über den Schwindel. 1791) Für ihn übernimmt die Philosophie mehr die Funktion, »daß sie uns Anleitung giebt, wie wir durch Nachdenken auf Resultate aller Art kommen sollen, ... mehr die Vernunft zum richtigen Gebrauch bildet«. Hier soll die Philosophie die Funktion übernehmen, einen besseren, gebildeteren, aufgeklärteren Arzt (Menschen) zu formen. Bemerkenswert immerhin, daß Herz diese Aufgabe nicht einer Religion zuordnete.
     Herz lebte im Zeitalter aufkommender theoretischer Neugierde, der er sich optimistisch öffnete. Auf sein Natur- und Weltverständnis wirkten Newton und Descartes. In der Medizin erlebte er dialektische Elemente der Naturauffassung und der
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Zusammenhangsbetrachtung, wie sie von Lorenz Oken (1779–1854), Caspar Friedrich Wolff (1734–1794) und vor allem von dem Begründer der Experimentalphysiologie, dem Schweizer Albrecht von Haller (1708–1777), vertreten wurden. Herz benutzte als eine solche disziplinübergreifende Erkenntnis aus der Chemie die Untersuchung von Urin und Auswurf. So resultierte aus der Urinanalyse der Nachweis von Zucker und Eiweiß. Systematische Fiebermessung und regelmäßige pathologische Sektion setzten sich durch. Herz sah sich aber auch mit anderen »Gesundheitssystemen« konfrontiert, von denen nur auf den »Mesmerismus« (Lehre von der Heilkraft des Magnetismus nach Franz Anton Mesmer) und die Reizlehre des Schotten John Brown (Gesundheit beruhe auf einer mittleren Reizerregung) verwiesen sei. Naturerkenntnisse allein als Ergebnis von menschlichem Denken erschienen ihm immer unwahrscheinlicher: »Versuche, mannichfaltige und oft wiederholte Versuche allein wären fähig, uns über die Kräfte einfacher Arzeneyen und ihre Verhältnisse gegenüber widernatürlichen Beschaffenheiten des Körpers Aufschlüsse zu geben.« Auf diese Weise gelange man auch zum »künftigen Besitz einer vollständigen medizinischen Seelenlehre«. (Journal ... Bd. 2 und Bd. 5) Nur noch wenige Jahrzehnte sollten vergehen, ehe Virchow, du Bois-Reymond, Helmholtz und von Brücke das Experiment als grundlegende Methode zur Gewinnung neuer, gesicherter Kenntnisse in der Medizin für immer durchsetzten.
     Der nur Krankheitssymptome behandelnde Arzt war ihm lediglich Praktiker, gar »unwissender Empiriker«: »Mit anderen Worten, ich setze den Unterschied zwischen dem ächten Künstler und gemeinen Kurirer keineswegs in das eigentlich Heilen der Krankheit, sondern in das Erkennen der Krankheit, die zu heilen ist ... Aber gerade dieses Erkennen, dieses Geben der Krankheit in ihrer vollständigsten Individualität ist es, was nirgend gefunden und in keinem Buche nachgeschlagen werden kann, dieß ist es, wozu Beobachtungsgeist, Künstlerblick, Scharfsinn, Beurtheilungsvermögen und Genie erforderlich« seien. (Journal ... Bd. 2) Die Mehrzahl der Ärzte strebe nach lernbaren und anwendungsfähigen »Heilformeln«, wonach sie den Wert einer Wissenschaft beurteilen. Philosophie und Seelenlehre dagegen bieten derartiges kaum, und so geraten sie aus dem Blickfeld der Ärzte. Diese Probleme erwiesen sich als dauerhaft und kennzeichnen noch heute vielfach unvollkommenes medizinisches Denken. Die modernen Begriffe sind Medizinethik, medizinische Psychologie und soziales Umfeld des Patienten, die nur allzuoft hinter fallbezogene Diagnostik und Therapie zurückgedrängt werden. Herz hingegen wußte schon vor über 200 Jahren: »Die Seelenlehre verschafft ihm (dem Arzt – B. M.), ebenso wie die Anatomie, die
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Kenntniß eines Gegenstandes, in welchem er Veränderungen hervorzubringen hat, und durch welchen er sehr oft Veränderungen hervorbringen kann.« (Versuch über den Schwindel) Alle diese Eigenschaften wünschte er sich von einem Arzt, von dem er sagte: »Man muß ein trefflicher Arzt sein, oder man ist keiner.« (Grundriß aller medicinischen Wissenschaften)

Denkanstöße

Den Begriff, den wir von der Welt haben, kann so wie jeder andere aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet werden. Entweder seiner Wirklichkeit nach, in sofern er ein vollständiger Gegenstand unserer Erkenntnis ist, oder seiner Entstehung nach, insofern wir durch das sinnliche Erkenntnisvermögen oder durch die reine Vernunft zu demselben gelangen. Im zweiten Fall kann wiederum die Form oder die Art, welche uns notwendig ist, um den Begriff zu bilden, von dem Begriff selbst abgezogen und der Betrachtung ein besonderer Gegenstand werden; oder der Begriff bleibt zwar unser Objekt, nur daß wir ihn nicht erwägen, wie er unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen sich außer uns verhält, sondern einzig und allein, wie er durch dieses wirklich vorgestellt werden kann.
     Zu dem Begriff eines einfachen Dinges sowohl als zum Begriff einer Welt gelangen wir auf zwei verschiedenen Wegen, die wir

sorgfältig voneinander unterscheiden müssen. Wir erhalten sie entweder durch die reine Vernunft oder durch das sinnliche Erkenntnisvermögen. Im ersten Fall haben wir zu unserem Zweck nur den Begriff der Zusammensetzung nötig. Diesen denken wir zu allen vorhandenen Dingen, so viel ihrer sind, hinzu, und wir haben alsdann ein größtes Ganzes, welches darum nicht größer gedacht werden kann, weil nichts übrig ist, das von dieser allegemeinen Zusammensetzung ausgeschlossen werden kann.
     Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit. (1771) Zitiert nach: Philosophische Bibliothek. Band 424. Hamburg 1990. S. 11 und 14

Der ganze Unterschied der Regierungsformen läuft auf die verschiedene Art und den verschiedenen Grad von Einschränkung hinaus, welche der willkürlichen Ausübung unserer Kräfte gegeben wird. Diejenige, welche die Erfüllung unserer Bestimmung die wenigsten Hindernisse in den Weg legt, daß ist diejenige, welche die Bearbeitung unserer Fähigkeiten nach der Regel der höchsten Glückseligkeit am wenigsten schwierig macht, ist streitig an und für sich die beste; und auch die beste in Ansehung des guten Geschmacks. Es ist unmöglich, daß in einem vollkommen despotischen Staate der gute Geschmack blühen kann.
     Ebenda. S. 205/206

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Die Medizin verdient nächst der Philosophie einen vorzüglichen Rang in der Reihe der gesammten Künste und Wissenschaften. Diese (die Medizin – B. M.) macht objektivistisch betrachtet die Grundlage aller übrigen aus; jene ist es in subjektivistischem Verstande. Sie lehrt daher den Menschen mit allen seinen Kräften im gesunden Zustand zu halten, die, auszuüben und anzuwenden, der Gegenstand der übrigen Wissenschaften ist.
     Sie hat auch mit der Philosophie dieß gemein, daß sie so wenig als diese erlernbar ist. Man wird weder Philosoph noch Arzt durch Nachahmung oder durch Regeln, sondern bloß durch eigenes Genie.
     Grundriß aller medicinischen Wissenschaften. Vorrede. Berlin 1782

Geschmack ist die Fähigkeit, das wahre Schöne und Hässliche in den Gegenständen zu erkennen und zu entdecken.
     Es giebt Schönheit und Hässlichkeit in jedem sinnlichen und vernünftigen Gegenstande, in jeder Kunst, in jeder Wissenschaft, in jeder Seelenfähigkeit, in jedem Begriffe, in jeder Bewegung ... Schönheit ist nichts anderes, als die klar vorgestellte Vollkommenheit; und diese besteht in der Mannichfaltigkeit, welche zur Einheit übereinstimmt. Ist diese Einheit ein sinnlicher Gegenstand, so wird sie sinnliche, ist sie ein Gegenstand der Vernunft, so wird sie vernünftige Schönheit.

     Versuch über den Geschmack und die Ursachen seiner Verschiedenheit. 2. Auflage. Berlin 1790. S. 3 und 7

Geschmacksbildung erfolgt durch die Freyheit im Denken. Je weiter dieser Wirkungskreis ist, den die Seele bey der Ausübung einer Kraft vor sich sieht, desto größer ist die Lust, die das Wirken ihr gewährt, desto mehr strengt sie sich an, um immer weiter vorwärtszukommen. Jeder Anblick einer Gränze hingegen macht sie niedergeschlagen und mutlos; die Vorstellung der Schranken, die bey der Wirksamkeit sich ihr darbieten, vergällt die angenehme Empfindung, die ihr aus dem inneren Bewußtsein ihrer Vervollkommnung erwächst.
     Ebenda. S. 156

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