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geräte, spanische Reiter, Kontrollgeräte, Abfertigungsbaracken. Besucher, die nichts zu sehen bekommen als Leere zwischen vier unterschiedlich hohen Wänden, reiben sich verwundert die Augen, finden das nach Plänen des Architektenbüros Kohlhoff & Kohlhoff als Preisträger eines künstlerischen Wettbewerbs Geschaffene eher karg.
     »Wo soll man hier denn Blumen hinlegen«, fragt eine alte Dame, die in einem der bald nach 1961 abgerissenen Häuser an der Bernauer Straße gewohnt hat. Ein anderer Besucher bemängelt, daß so viel Friedhofsgebiet für die Gedenkstätte geopfert wurde.
     Der Pfarrer der Versöhnungsgemeinde, Manfred Fischer, ist hingegen mit dem Ergebnis zufrieden. Gegen manche Widerstände hatte er für den Erhalt eines Stücks Mauer gekämpft, als woanders schon die Segmente demontiert und verkauft wurden.
     Die Bernauer Straße gehörte 1961 komplett zum Bezirk Wedding, damals Westberlin, während eine Häuserzeile auf östlicher Seite stand. Hier sprangen Rudolf Urban und Ida Siekmann am 19. und 22. August 1961 in den Tod, weil sie aus ihren Wohnungen in die Freiheit gelangen wollten. Später wurde die ganze Häuserzeile sowie in den achtziger Jahren die Versöhnungskirche gesprengt, um Schußfreiheit zu schaffen.
     Die Häuser wurden nach der Wende nicht
Helmut Caspar
Ort der Stille statt Schreckenskammer

Mauer- Gedenkstätte in der Bernauer Straße

Soll die Mauer- Gedenkstätte in der Bernauer Straße aussehen wie eine Schreckenskammer, die das Instrumentarium der Menschenfängerei und die Wirkungen des Schießbefehls vorführt, oder soll sie eher ein Ort der Stille sein? Die vor Jahren noch heiß diskutierte Frage ist geklärt. Die am 13. August 1998 eingeweihte Anlage ist eher zurückhaltend gestaltet. Die »Gedenkstätte Berliner Mauer« zeigt sich als leerer Ort, eingefaßt durch sieben Meter hohe Stahlwände, die außen braun korrodiert sind, im Inneren aber eine Verspiegelung haben, die die 70 Meter lange Originalmauer nach beiden Seiten verlängert. Kaum zwei Zentimeter hohe Sehschlitze zwischen den Betonplatten gestatten einen Blick in den heute wie damals unzugänglichen Todesstreifen, auf dem noch der asphaltierte Weg für die Grenzer zu sehen ist.
     Die Gestalter haben darauf verzichtet, auf dem kleinen Geviert das ganze Mauer- Arsenal zu versammeln: Beobachtungstürme, Hundelaufanlagen, Selbstschuß-

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wieder aufgebaut. Man schaut heute nur noch in Hinterhöfe.
     Um die Widmung, die kurz vor der feierlichen Weihe auf die alte Inschrift geschraubt wurde, hatte es im Vorfeld Streit gegeben. Prominente Bürgerrechtler aus DDR-Tagen und Maueropfer hatten Einspruch mit dem Hinweis eingelegt, sie sei nicht genau genug. Ursprünglich lautete der sechszeilige Text »Gedenkstätte Berliner Mauer in Erinnerung an die Teilung der Stadt vom 13. August 1961 bis zum 8. November 1989 und zum Gedenken an die Opfer errichtet durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin«. Die Nennung lediglich von Opfern war Kritikern zu verwaschen. Die nun gefundene Lösung präzisiert: »... zum Gedenken an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft«.
     Erschwerend wirkte bei der Ausführung des schon 1993 preisgekrönten Plans von Sven Kohlhoff, daß die Gedenkstätte auf einem Teil des an der Bernauer Straße und der Ackerstraße gelegenen Sophienfriedhofs entstehen sollte.
     Dagegen wehrte sich der zuständige Pfarrer Johannes Hildebrandt mit dem Einwand, daß die Totenruhe durch die DDR- Grenzer schon einmal gestört worden sei und die hier angelegten Kriegsgräber unbegrenzt unter staatlichem Schutz stünden. Hildebrandt ließ im April 1997 32 Mauersegmente abbauen, weil sie auf Massengräbern von Kriegstoten standen. Was aus den jetzt auf
einem abgelegenen Teil des Friedhofs stehenden Mauerteilen wird, ist noch unklar.
     Die Mauer hat nun in Berlin ihr Denkmal. Hier kann in Würde der mindestens 250 Toten des DDR- Grenzregimes gedacht werden. Von den einst streng bewachten Sperranlagen in und um Berlin ist bis auf wenige originale Reste nichts mehr zu sehen. In der Euphorie der Wende wollte im Winter 1989/90 keiner mehr den »antifaschistischen Schutzwall« sehen. Unter Beifall wurden unmittelbar nach der Verkündung der »Reisefreiheit« am 9. November 1989 die ersten Segmente mit Kränen aus den Verankerungen gehoben. Ausgespart blieben ein Stück Bernauer Straße, die East-Side- Gallery und einige durch »Mauerspechte« beschädigte Originalteile im Bezirk Mitte. Seit einiger Zeit markiert eine rote Linie auf dem Asphalt den Mauerverlauf quer durch die Stadt.

Die Berliner Mauer in Zahlen und Fakten

Die Berliner Mauer, am 13. August 1961 errichtet und am 9. November 1989 gefallen, trennte 10 795 Tage und Nächte eine Stadt und eine ganze Nation. Ein roter Strich quer durch die Stadt kennzeichnet heute den Verlauf der blutgetränkten Grenzanlagen. Nach Angaben des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin gab es »Schußabgaben durch DDR- Grenztrup-

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pen« in 1 709 Fällen sowie Geschoßeinschläge in Berlin (West) mit Personenschaden durch 20 Projektile und mit Sachschaden durch 436 Projektile. Insgesamt gab es von 1961 bis 1989 von westlicher Seite 37 Anschläge gegen die Mauer.

Nach bisherigen Erkenntnissen sind vom August 1961 bis März 1989 an der Berliner Mauer 250 Personen bei Fluchtversuchen ums Leben gekommen. Durch Schußwaffengebrauch wurden über 260 Personen verletzt. Gezählt wurden laut Statistik der Westberliner Polizei an den Grenzanlagen 3 245 Festnahmen, denen in der Regel langjährige Haftstrafen folgten. 5 075 Flüchtlingen gelang es, die Sperranlagen zu überwinden. Von ihnen waren 574 Angehörige der »bewaffneten Organe der DDR«.

Die Sperranlagen in und um die Stadt hatten eine Gesamtlänge von 155 Kilometern, davon zwischen Ost- und Westberlin 43,1 und zwischen Westberlin und der DDR 111,9 Kilometer. Die etwa 3,60 Meter hohe Betonplattenwand war 106 Kilometer lang. Jedes Segment aus stahlarmiertem, 15 Zentimeter starkem Beton war 1,20 Meter breit, besaß einen 2,10 Meter tiefen Sokkel und wog etwa 2,6 Tonnen. Der drei bis vier Meter hohe Metallgitterzaun maß 67 Kilometer. Es gab einen 105 Kilometer langen Kfz-Graben, einen 127 Kilometer langen Kontakt- und Signalzaun, einen sechs bis sieben Meter breiten und 124 Ki-

lometer langen Kolonnenweg sowie 302 Beobachtungstürme, 20 Bunker, 260 Hundelaufanlagen.

Nach dem Abriß der Mauer im Winter 1989/90 sind nur noch wenige Originalteile erhalten. Durch »Mauerspechte« zum Teil stark lädierte Reste stehen in der Niederkirchnerstraße, an der Mühlenstraße (East-Side- Gallery), auf dem Invalidenfriedhof und an der Bernauer Straße. Im »Haus am Checkpoint Charlie« erinnert seit 1963 eine Ausstellung an die Mauer und ihre Opfer. In der Nähe des Reichstagsgebäudes und in der Zimmerstraße wird durch Kreuze der Toten gedacht. Als »Tränenpalast« ist die Übergangsstelle im Bereich des Bahnhofs Friedrichstraße erhalten, heute ein beliebter Veranstaltungsort.

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© Edition Luisenstadt, 1998
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