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und Aluminiumgrieß wurde in einem Tiegel durch eine »Zündkirsche« (Initialzündung) in einem kleinen Bereich – ohne weitere Zufuhr von Wärme – zur Reaktion gebracht. Dabei verbrannte das Aluminium unter hoher Wärmeentwicklung zu Aluminiumoxid. Es entstanden – sauber voneinander getrennt – Schlacke und reines flüssiges Eisen. Die Fachwelt wollte es nicht glauben, daß diese Reaktion ohne andere Hilfsmittel möglich war.
     Frühere Versuche mit Aluminium als Reduktionsmittel verliefen explosionsartig. Goldschmidts Idee bestand darin, das Gemisch vorsichtig zu entzünden. Mit seinem sogenannten »Thermitverfahren« begründete er die »Aluminothermie« als Verfahren zur Herstellung kohlenstofffreier Metalle bei hoher Temperatur und entwickelte sie zu einem fast eigenständigen Wissenschaftsgebiet. Nach diesem Verfahren wurden zum erstenmal schwer schmelzbare Metalle wie Chrom, Mangan und Molybdän rein dargestellt und konnten nun in größerem Maße für die Edelstahl- und Leichtmetallindustrie hergestellt werden. Hans Goldschmidt hat dieses Verfahren auch für die Schweißtechnik weiterentwickelt. Es wurde in der Folgezeit das übliche Schweißverfahren für Eisenbahn- und Straßenbahnschienen sowie für Stahlkonstruktionen.
     Unter Fachkollegen trug Hans Goldschmidt den Spitznamen »Thermitgoldschmidt«. Mehr als zwanzig Jahre später würdigte der
Maria Curter
Erfinder des Thermit- Schweißverfahrens

Der Chemiker Hans Goldschmidt (1861–1923)

»Am 21. Mai 1923 ist Hans Goldschmidt in Baden-Baden, wo er zur Kur weilte, im 63. Lebensjahre einem Herzschlag erlegen. Mit ihm schied ein Gelehrter von bewundernswürdiger Energie und unverwüstlichem Glauben an sein begonnenes Werk, feinem Instinkt für industrielle Aufgaben und ein Mann von prächtigem, gütigem Charakter von uns«, hieß es im Nachruf von Oskar Neuss, dem Leiter des Privatlaboratoriums von Hans Goldschmidt in Berlin. Fünf Tage später, am 26. Mai 1923, wurde der Gelehrte auf seinem Gut im brandenburgischen Paulinenaue beerdigt. Otto Hahn (1879–1968) hielt die Grabrede.
     Aufsehen in der wissenschaftlichen Welt hatte Hans Goldschmidt 25 Jahre zuvor auf der Tagung der Deutschen Bunsengesellschaft 1898 in Leipzig erregt. Dort führte er seinen »Thermit« erstmalig einem größeren Kreis vor. Ein Gemisch aus Eisenoxid

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Chemiker, Philosoph und Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald (1853–1932) diese Entdeckung als Gedenkstein der deutschen Chemie.
     Als Hans Goldschmidt sich seine Idee als »Verfahren zur Herstellung von Metallen oder Metalloiden oder Legirungen derselben« patentieren lassen wollte, wäre das beinahe abgelehnt worden. Der damalige Vorsitzende des kaiserlichen Patentamtes entgegnete Goldschmidt: »Sehen Sie, Herr Doktor, Sie zünden das Gemisch an und es brennt weiter, das ist doch keine Erfindung; wenn Sie eine Zigarre anzünden, brennt sie auch weiter«, worauf Goldschmidt in seiner trockenen Art erwiderte: »Nur kann man mit einer brennenden Zigarre keine Schienen schweißen.« Vom 13. Mai 1895 an wurde das Patent mit der Nummer 96317 erteilt. Viele Jahre später, als die Aluminothermie eine Großindustrie und Goldschmidt ein angesehener Mann geworden war, sagte der Patentamtsvorsitzende von damals: »Kollege Goldschmidt, Gott sei Dank, daß wir Ihnen damals das Patent erteilten. Was hätten wir uns blamiert!«
     Johannes (Hans) Wilhelm Goldschmidt wurde am 18. Januar 1861 als zweiter Sohn des Theodor Goldschmidt in Berlin geboren. Nach Abschluß des Gymnasiums in Altenburg studierte er Naturwissenschaften und widmete sich vor allem der Chemie. Er ließ sich zunächst an der Universität Heidelberg
immatrikulieren, kehrte dann nach Berlin zurück, war vorübergehend in Leipzig und ging später wieder nach Heidelberg, wo er im Bunsenschen Laboratorium arbeitete und am 7. Juni 1886 von der philosophischen Fakultät promoviert wurde. Anschließend studierte er noch einige Semester Chemie und Elektrochemie in Heidelberg, Straßburg und an der Technischen Hochschule in Charlottenburg. 1888 trat Hans Goldschmidt als Teilhaber in die väterliche Firma ein.
     Der Vater, Kolorist und Chemiker, hatte 30jährig 1847 in der Köpenicker Straße 27 (heute BEHALA-Gelände in Kreuzberg) die »Chemische Fabrik Th. Goldschmidt« gegründet, die sich ab 1849 am Planufer 93 befand. Sie stellte hauptsächlich Hilfsmittel für die Baumwolldruckerei und -färberei, insbesondere Zinnpräparate her. Als der Bedarf sowie der Preis für dieses Metall stiegen, gewann es Theodor Goldschmidt durch Entzinnung von Weißblech, das schon für Konservendosen benutzt wurde. Als der Vater 1879 starb, wurde die Firma zunächst von seinem Schwiegersohn, dem Chemiker und Afrikaforscher Otto Kersten, weitergeführt und ab 1882, nach Beendigung des Studiums, vom älteren Sohn Karl Goldschmidt übernommen.
     Während Karl Goldschmidt (1857–1926) die Organisation und die kaufmännische Leitung in der Hand hatte, kümmerte sich der jüngere Bruder Hans um die wissenschaftlichen und technischen Belange.
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Beeinflußt durch seine Lehrer, den Chemiker Robert Bunsen (1811–1899) und den Physiker Adolf Slaby (1849 – 1913), und bedingt durch die väterliche Firma, wandte er sich zunächst der Elektrolyse zu. Slaby, an der Technischen Hochschule Charlottenburg tätig, hatte Hans Goldschmidt auf die Idee gebracht, Zinn elektrolytisch von Weißblechschnitzeln abzulösen. Die Idee an sich war nicht neu, aber es fehlte die produktionsreife technische Umsetzung. Jahrelang – die Firma war 1889 nach Essen umgezogen – stellte Hans Goldschmidt Versuche in dieser Richtung an. Schließlich brachte er die Weißblechabfälle als Anode in eine warme Natronlauge, durch die Strom geleitet wurde. Daraufhin setzte sich das Zinn an der eisernen Katode ab, von der es sich leicht ablösen ließ. Zu Blöcken umgeschmolzen, wurde es dann verkauft. 1896 ließ sich Hans Goldschmidt sein alkalielektrolytisches Verfahren zur Entzinnung von Weißblech patentieren. Im ersten Jahr nach seiner Einführung stieg die Zinngewinnung der Firma auf das Doppelte, und 1900 wurden schon 15 000 Tonnen des Nichteisenmetalls so gewonnen.
     Sein zweites Arbeitsgebiet wurde dann die schon beschriebene »Aluminothermie«, die ihn bis an sein Lebensende nicht mehr losließ. Ferner arbeitete er an der Elektrostahlerzeugung. Gemeinsam mit dem Chemiker Alfred Stock (1876–1945) stellte er erstmalig das Element Beryllium her. Nicht
nur seine Firma, sondern auch das Heer profitierten im Ersten Weltkrieg von seinen Erfindungen. Brandbomben, Leuchtspurgeschosse und Edelstähle für Panzer waren das Ergebnis.
     Nach einem Zerwürfnis mit seinem Bruder schied Hans Goldschmidt aus der Firma aus und ging 1916 wieder nach Berlin. Hier forschte er in seinem Privatlabor weiter. Er erarbeitete ein Verfahren zur Herstellung von Kondensationsprodukten aus Harnstoff und Formaldehyd; später gründete er ein eigenes Unternehmen auf dem Gebiet der pharmazeutischen Chemie.
     Viele Ehrungen wurden Hans Goldschmidt zuteil. So erhielt er u. a. die Elliot-Cresson-Medaille des Franklin-Instituts in Philadelphia, wurde zum Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gewählt und 1913 wurde ihm der Professorentitel verliehen. Die Technische Hochschule in Dresden ernannte ihn 1918 zum Ehrendoktor. Goldschmidt war Mitbegründer der Deutschen Bunsengesellschaft und während des Ersten Weltkrieges deren Vorsitzender, Mitglied der Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik, Vizepräsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft sowie Mitglied weiterer Gesellschaften.
     Eine Straße im Berliner Bezirk Tempelhof ist nach ihm benannt.
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