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Joachim Methlow
Chemiker und Bestseller-Autor

Julius Stinde (1841–1905)

Julius Ernst Wilhelm Stinde wurde in Kirchnüchel bei Eutin am 28. August 1841 geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Lensahn in Holstein. Er besuchte ein Gymnasium in Eutin und begann 1858 in Lübeck eine Apothekerlehre. Danach studierte er Chemie an den Universitäten von Kiel, Gießen und Jena. 1863 schloß er seine Studien mit der Promotion zum Dr. phil ab. Danach trat Julius Stinde eine Stellung in Hamburg als Werkführer einer Chemiefabrik an.
     Schon in dieser Zeit fühlte er sich zur Schriftstellerei und zum Journalismus hingezogen. Stinde war freier Mitarbeiter der Zeitung »Reform«, in der er wissenschaftliche Aufsätze, Gedichte, Erzählungen und Theaterrezensionen veröffentlichte. Diesen Nebenerwerb machte Stinde schließlich zu seinem Hauptberuf: Er wurde Redakteur beim »Hamburger Gewerbeblatt«. Außerdem war er Korrespondent der »Spenerschen Zeitung«, der »Wiener Presse« sowie der »Fliegenden Blätter«. Ende der 60er Jahre verfaßte er plattdeutsche Volksstücke für

Julius Stinde
das Hamburger Karl-Schulze-Theater. Mit diesen Stücken hatte Julius Stinde viel Erfolg und verdiente an ihnen auch gut.
     1876 übersiedelte er in die aufblühende Reichshauptstadt Berlin. Er wohnte zuerst in der Dorotheenstraße 82, dann in der Mittelstraße 63 und zog schließlich in Wilmersdorf in die Nachodstraße 15. In dieser Wohnung lebte er bis zu seinem Tode. Hier in Berlin fand Julius Stinde auch das Thema, das ihn überaus populär machte: seine Wilhelmine Buchholz und ihre Familie. Die Erzählun-
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gen, die schließlich auf sieben Bände anwuchsen, wurden von Carl Freund verlegt. Diese in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts spielende Reihe erzählt vom Leben in einer gutbürgerlichen Familie, die im Zentrum der Stadt, in der Landsberger Straße, Wohnung und Arbeitsstätte hat. In den ersten vier Bänden behandelt Julius Stinde, der uns in der Figur der Wilhelmine Buchholz selbst gegenübertritt, alles, was die Menschen in Berlin damals bewegte, interessierte, worüber sie redeten: Regatta in Grünau, Presseball, Weihnachtsmarkt, Kremserfahrten in den Grunewald und vieles mehr. Aber nicht nur die angenehmen Seiten des Lebens werden gezeigt, auch Krankheit und die Arbeitslosigkeit sind Themen. Stinde läßt seine Leser teilhaben an der Verheiratung der Töchter von Frau Buchholz, schildert die Silberhochzeit von Kurt und

Titelblatt zur »Familie Buchholz«, zweiter Teil

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Wilhelmine Buchholz ihre seichten Geschichten an den Mann bringen wollten. Zu dem Namen Wilhelmine Buchholz ist Julius Stinde übrigens schon in Hamburg gekommen. Im Verlag Richter hatte Stinde 1869 ein Buch mit dem Titel »Blicke durch das Mikroskop« veröffentlicht, das ein Flop wurde. Um den Verlust wieder wettzumachen, bat ihn der Verlag um ein Buch über das richtige Wäschewaschen. Der Autorenname sollte weiblich sein, und so wählte man Wilhelmine Buchholz, den Namen einer in Hamburg bekannten Wäscherin.
     Stinde reiste gern. So fuhr er jedes Jahr in den Harz, seinen Geburtstag im August verbrachte er regelmäßig bei seinen Eltern in Lensahn in Holstein. Als Bestseller-Autor konnte er sich dann natürlich auch weite Reisen leisten: nach Italien, später auch nach Ägypten. Am 8. August 1905 ist Julius Stinde in Olsberg gestorben, auf einer Reise. Er ist auf dem Friedhof in Lensahn neben seinen Eltern begraben.
     Stindes Wilhelmine Buchholz erwies sich als sehr langlebig, so gab es und gibt es immer wieder Neuauflagen. 1943 entstanden bei der Ufa zwei Filme; in den Jahren 1951 und 1952 gab es eine Rundfunkbearbeitung des RIAS. Der NWDR ließ in den 50er Jahren eine Filmversion folgen, im ZDF erschien 1974 eine Fernsehbearbeitung.

Bildquelle: Repros Autor

Die Buchholzens auf dem Anhalter Bahnhof
Wilhelmine Buchholz, fährt mit seiner Familie in die Schweiz, nach Italien und in den Orient. Der siebente und letzte Band, »Hotel Buchholz«, ist der Gewerbe-Ausstellung von 1896 im Treptower Park gewidmet.
     Die Buchholz-Erzählungen waren ein so großer Erfolg, daß sich Trittbrettfahrer einstellten, Nachahmer, die mit dem Namen
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© Edition Luisenstadt, 1998
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