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Hans-Karl Foerder
»... auch die Fürstin Bismarck war Kunde«

Aus der Geschichte des Familienbetriebes Telschow

Als Hans-Karl Foerder begann, eine Familien-Chronik zu schreiben, fand er zahlreiche Dokumente, die die Entwicklung des Conditoreibetriebes Buchholz-Telschow veranschaulichen. Die Geschichte der Firma umfaßt einen Zeitraum von 130 Jahren. Während seiner Blütezeit erlangte dieses Familien-Unternehmen durchaus Berühmtheit in der Stadt. Mit Hilfe von Aussagen Familienangehöriger und von Briefen soll der Familienbetrieb vorgestellt werden.
     Carl Telschow (1831–1912) trat um 1850 als Geselle in die Conditorei Buchholz ein. Damals ahnte er noch nicht, daß er die Tochter des Besitzers heiraten, später den Meisterbetrieb übernehmen würde und der Name Telschow für hohe Conditoreikunst stehen sollte.
     Gründer des Familienunternehmens aber war August Buchholz (1800–1881). Nach Lehre und Wanderschaft »kam er nach Berlin und war bei Spargnapani oder Steheli (er erzählte von beiden) Gehülfe« (Marie Lochau, Enkelin von August Buchholz). Sehr

Conditorei Buchholz in der Friedrichstraße 83 schräg gegenüber der Passage
früh und fast mittellos hat er sich 1826 selbständig gemacht, und so ging es in seinem Geschäft in der Friedrichstraße 83 zunächst recht spartanisch zu. Marie Lochau erinnerte sich: »Es muß eine originelle Wirtschaft gewesen sein, mit primitivster Einrichtung, anderthalb Schnapsgläsern, wie er sich
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Conditorei Carl Telschow in der Königgrätzer Straße 126
ausdrückte, die die Studenten, seine ersten Kunden, sich herumreichten. Der Verkehr muß überhaupt sehr gemütlich gewesen sein, einmal bezahlten sie, manchmal auch nicht.«
     1827 heiratete er Wilhelmine Mertens (1803_1875). Mit Fleiß und Tüchtigkeit haben es beide vorwärtsgebracht. Bekannt waren die von Meister Buchholz eingeführten Muskatbrötchen und der Potsdamer Zwieback. Sämtliche Backabfälle verpackten die Kinder in Tüten. Für jede gab's fünf Pfennig; und sie waren schnell verkauft, schließlich konnte aus den Kuchenresten eine nahrhafte süße Suppe gekocht werden.
»Als 1848 die Revolution in Berlin war«, so gibt Elly Telschow (Tochter von Carl und Marie Telschow) einen Bericht ihrer Mutter wieder, »... ließ ihr Vater (August Buchholz) den Laden schließen. Seine Leute mußten Tag und Nacht backen, bis es vorbei war. Er verhinderte klugerweise damit, daß seine Leute am Straßentumult teilnehmen konnten. Da aber der Kamin ständig rauchte, kam die Polizei und erkundigte sich, ob Kugeln gegossen würden.«
     August Buchholz, der sich aus Rücksicht auf den Gesundheitszustand seiner Frau aus dem Geschäft zurückzog, übergab die
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Conditorei seinem Gesellen Carl Telschow, nachdem dieser 1857 seine Tochter Marie (1829–1911) geheiratet hatte.
     Die Conditorei wurde von beiden weiterhin unter dem Namen Buchholz geführt. »Das Ladengeschäft ging gut, der Adel kam, auch die Fürstin Bismarck war Kunde.« (Elly Telschow) 1874 ging es Carl Telschow so gut, daß er die Conditorei verkaufte, das Haus Dessauer Straße 2 erwarb und sich zur Ruhe setzte. Doch das Geld reichte dann doch nicht aus: Carl Telschow mußte wieder arbeiten und sein Haus verkaufen.
     Er erwarb die Bolzanische Konditorei in der Königgrätzer Straße 126, gegenüber dem Potsdamer Bahnhof. Der Neubeginn war für die Telschows nicht einfach: »Im ersten Jahr ging das Geschäft schlecht, meine Mutter weinte am Weihnachtsabend. Dann kam der Aufschwung ...« Eine adlige Schulkameradin Marie Telschows empfahl das Geschäft ihrem großen Bekanntenkreis.
     Marie Telschow kümmerte sich nicht nur um Geschäft und Haushalt, sie fühlte sich auch dem Personal verpflichtet. So sorgte sie sich nicht nur um die soziale Absicherung ihrer Angestellten, sondern auch um deren Erziehung. Mehrere Aussagen ihrer Tochter Elly belegen dies: Das Personal wohnte im Haus der Conditorfamilie. »Der Mittagstisch mit den Gesellen war gemeinsam ... Abends wurde das Essen in den Keller (hier befanden sich die Backstube und die Schlafräume der Gehilfen) gebracht:
Butterbrote – belegte –, Bier, oft Bratkartoffeln, Rührei, Eier.« – Wenn die Ladenmädchen Ausgang hatten, bekamen sie etwas vom Lohn, den die Conditorfrau verwaltete; um 22 Uhr mußten sie zu Hause sein. – Zu Weihnachten erhielt jeder ein Geschenk: »Jedes Ladenfräulein und Mädchen mußte einen Wunschzettel schreiben. Hauptsächlich nützliche Sachen, aber ein Gegenstand mußte immer darauf stehen, der nur der Freude diente.«
Nach und nach zog sich Carl Telschow nun wieder aus dem Geschäft zurück, 1895 wurde er endgültig Rentier. Seine Kinder Georg (1858–1918), kein Conditor, sondern ein Kaufmann, der seit 1893 mit dem Vater zusammenarbeitete, und Anna (1859–1921; verwitwete Foerder), die ohnehin immer im Geschäft half, übernahmen die Leitung der Conditorei. Sie wohnten in eigenen Wohnungen über dem Geschäft bzw. nebenan, Leipziger Platz 5.
     1899 wurde die Conditorei umgebaut und renoviert. Aus jener Zeit ist auch ein Besuch von Viktor Klemperer überliefert, damals kaufmännischer Lehrling, der mit einem Freund zum Englisch-Unterricht wollte.
     Er schrieb: »Wir fuhren zusammen vom Geschäft zum Potsdamer Platz, tranken vor dem Unterricht bei Telschow Schokolade ...«
Bekannt wurde Telschows Conditorei vor allem durch ihre Kuchen, die von hoher Güte waren. So taucht das Café neben den berühmten Häusern wie Josty oder Kranzler
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1901 begann eine lang anhaltende Expansion des Conditorei-Betriebes, indem zunächst im Nachbarhaus Königgrätzer Straße 125 Räume für »Comptoir und Ablieferung« hinzugenommen wurden. 1905 ging das glänzende Geschäft am Potsdamer Bahnhof verloren, die Häuser mußten dem Neubau des großen Hotels »Fürstenhof« weichen.
     Ersatz fanden Georg Telschow und Anna Foerder in der Köthener Straße 39. Sie kauften das Haus für den Betrieb, zogen mit ihren Familien ein, ebenso wie Verkäuferinnen und Gesellen. Aber das Ladengeschäft dort konnte nicht viel einbringen, so daß gleichzeitig in der Leipziger Straße 8 die erste Filiale eröffnet wurde. Schon 1906 kam in dem alten Haus Potsdamer Platz 3 die zweite Filiale hinzu. Als das Haus 1909 geräumt werden mußte, fand Telschow im Nebenhaus Potsdamer Straße 141, später bekannt als »Telschow-Haus«, im ersten Stock einen guten Ersatz. Diese Filiale trug wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei.
     Aus einer kleinen, bescheidenen Conditorei, die sich unter Marie Telschows Einfluß zur Damen-Conditorei entwickelt hatte, war inzwischen ein Familienunternehmen mit Produktionsbetrieb und mehreren einträglichen Filialen geworden.
     Der eigentliche Aufschwung aber begann mit der Filiale »Zoo«, die 1913 in der Joachimsthaler Straße 1 entstanden war.
     Die Gasträume waren groß, besonders
Georg Telschow
auch immer wieder in zeitgenössischen »Berlin-Führern« und in der Literatur auf. »Die Konditoreien Berlins genossen hinsichtlich der Qualität ihrer Erzeugnisse einen guten Ruf. Als vorzüglich galten die Backwaren der Konditorei Telschow am Potsdamer Platz, auf deren Terrasse im Sommer darüber hinaus Rote Grütze und Dicke Milch beliebte Erfrischungen waren.« (H.-CH. Täubrich, »Zu Gast im alten Berlin«, 1990.)
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auch im Oberstock. Im Sommer kam ein großer Vorgarten mit fünf Reihen von Tischen hinzu. Diese Konditorei war eine Goldgrube und der größte Erfolg in der Geschichte der Telschow-Firma.
     Die Umsätze wuchsen, und für das florierende Geschäft reichten die Produktionsstätten bald nicht mehr aus. Da eine Expansion in der Köthener Straße nicht gelang, wurde der Betrieb auf Anregung von Anna Foerder 1915 in die Bülowstraße 15 verlegt. Im Seiten- und Quergebäude befanden sich Bäckerei und Fabrikation, im Vorderhaus lagen Wohnungen und ein Café, das allerdings wenig einträglich war. Während Anna Foerder auch in der Bülowstraße eine Wohnung nahm, zog Georg Telschow mit seiner Familie in eine Villa in Lichterfelde. Wenig später kauften Georg Telschow und Anna Foerder das an die Bülowstraße anschließende Haus Schwerinstraße 3, ein Mietshaus, in dem später viele ihrer Angestellten wohnten.
     Der Erste Weltkrieg schien dem Familienunternehmen nichts anhaben zu können. Auch Georg Telschow muß von der »Flamme der Vaterlandsliebe«, die in Berlin zu Beginn des Krieges spürbar war, erfaßt worden sein: Er »hatte auf dem Perron des Potsdamer Bahnhofs einen langen Tisch aufstellen lassen, und (seine Tochter) Edith und mehrere Verkäuferinnen der Konditorei schenkten Kaffee für die ausziehenden Truppen aus, gaben Brote und Kuchen. Papa
Anna Foerder
eilte mit Zigarrenkisten von Waggon zu Waggon und verteilte Zigarren an die Soldaten«, erinnert sich Georg Telschows Tochter Hildegard. Später sorgten er und seine Schwester Anna Foerder für die Verwundeten.
     Anfang 1918 starb Georg Telschow, noch nicht 60 Jahre alt, nach kurzer Krankheit, drei Jahre darauf im Alter von 61 Jahren Anna Foerder.
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     Nunmehr übernahm die vierte Generation die Leitung der Firma: Ernst Telschow (1889–1990; ältester Sohn von Georg Telschow), Chemiker, Promotion bei Otto Hahn, Georg Förder (1891–1945; Sohn von Anna Foerder, die verschiedene Schreibweise der Namen hatte mit der Rechtschreibreform um 1900 zu tun), der sein Studium der Nationalökonomie abbrach und nach Berlin zurückkam, und Helmuth Telschow (1897– 1977), Georg Telschows zweiter Sohn, Kaufmann mit einigen Fachkenntnissen.
     Trotz der Inflation 1922/23 expandierte das Unternehmen zunächst: Sechs neue Filialen entstanden im Laufe der nächsten
zehn Jahre. Allerdings mußten auch drei geschlossen werden. Die Gewinne gingen in den Krisenjahren dann aber zurück.
     Die neugegründeten Cafés waren wenig erfolgreich, wirklich lohnenswert war nur die Investition in das Steglitzer Geschäft in der Albrechtstraße am Rathaus, die als achte Filiale betrieben wurde. Die einstige Blütezeit des Familienunternehmens schien endgültig vorbei.
     Ernst Telschow, der seit 1930 in der Verwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft beschäftigt war, nahm seine Aufgaben als Geschäftsführer nur noch beratend wahr. Sieben Jahre später wurde er Generalsekretär der Gesellschaft. Georg Förder, der

kurze Zeit Mitglied der USPD und KPD gewesen war, später Verbindungen zur DDP und zum Freiherr-v.-Stein-Kreis hatte, wurde 1936 verhaftete, weil er Mitglieder der Schwarzen Front unterstützte. Er ver-
Filiale in der Potsdamer Straße 141
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büßte eine Zuchthausstrafe von sieben Jahren und kam danach in ein Konzentrationslager.
     Die Aufgaben der Gesellschafter übernahmen nun die Ehefrauen Elise Foerder (1891–1978) und Annemarie Telschow,
die Geschäftsführung blieb bei Helmuth Telschow. Elise Foerder besuchte die Rackow-Schule, um sich kaufmännische Kenntnisse anzueignen.
     Nach und nach stiegen die Gewinne wieder. Doch dann fielen Bomben auf Berlin, und in der Nacht vom 23. zum 24. November 1943 wurden die Filialen am Potsdamer Platz und am Zoo sowie firmeneigene Häuser zerstört. Am 12. Dezember 1943 schrieb Elise Foerder: »Hinter uns liegen schwere Wochen ... Wir haben zwar heute noch kein Gas und keine Fensterscheiben, aber seit vorigen Sonntag wieder Licht und Heizung ... Vom Zoo ab ist jedes Haus, die K(aiser-).W(ilhelm-). Gedächtnis-Kirche, der Zoo, das Aquarium u. auf der rechten Seite der Budapester, Kurfürsten, an der ich dicht wohne, Burggrafen, Schill, Nettelbeck, getroffen. In der Kurfürsten liegen Steinlawinen ... So wie hier ist es im Hansaviertel, Moabit, Charlottenburg, das Tiergartenviertel, Linden, Leipziger Platz. Berlin ist nicht wiederzuerkennen. Vier unserer Geschäfte sind vernichtet ...«
     Aber auch das Haus Bülowstraße wurde getroffen, in dem der Backbetrieb lag.
»Telschow-Haus«, Potsdamer Straße 141 ,
nach dem Umbau 1928
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»23. 7. 44. Das Vorderhaus Bülowstraße ist ... von einer Mine getroffen. Der Betrieb ist ziemlich durchgepustet, konnte aber nach gründlicher Säuberung, alle Angestellten helfen fest mit, gestern schon wieder backen. Am Dienstag sollen die Filialen wieder aufgemacht werden. Ich bin morgens bis abends dabei und helfe, wo zu helfen ist, sorge für trinken und essen. Auch heute, Sonntag, war ich bis 2 h dort, denn Ukrainer schaffen die Steine, Balken und Träger hinaus, damit der Hof entlastet wird, unter dem die Lager liegen. Es liegen noch 100 Zentner Zucker und Mehl darunter.« (Elise Foerder)
     Bei Kriegsende stand Elise Foerder völlig allein da: Ernst Telschow war Anfang 1945 mit Familie nach Göttingen gezogen und Helmuth Telschow im März 1945 zu seiner Frau in die Schweiz geflohen. Georg Foerder kam im Mai 1945 krank aus dem KZ.
     Gemeinsam mit ehemaligen Angestellten begann Elise Foerder mit Aufräumungsarbeiten, um den Betrieb wieder aufnehmen zu können. »Nach monatelangen Bemühungen bekam ich als einzige Konditorei die Erlaubnis Brot zu backen. Diese Bevorzugung verdanke ich Georg, der Opfer des Faschismus war ... Nach und nach kamen die Filialen in Ordnung und konnten geöffnet werden ... 45 Angestellte haben eine Existenz und ihr Brot ... Für die Amerikaner haben wir hin und wieder kleine Aufträge, stehen aber jetzt wegen Eisbereitung für
den ganzen Sektor in Verhandlung ...«, berichtete sie am 28. März 1946.
     Viele Schwierigkeiten gab es zu überwinden: Innerhalb der vier Sektoren existierte kein einheitliches Verteilungssystem, einige Zutaten erhielt man nur gegen entsprechende Marken, für jede Filiale war ein anderes Amt zuständig, notwendige Reparaturen blieben mangels Material liegen.
     Alle Bemühungen, die Filiale »Zoo« wieder zu errichten, scheiterten. Auch die neue Filiale am Rheineck, am Beginn der Schloßstraße, die 1950 bereits eröffnet werden konnte, brachte keine Gewinne.
     Neben der Produktion für die eigenen Konditoreien belieferte die Firma nun auch das Café Berlin, Aschinger und Kempinski.
     Dennoch wuchsen die Schulden, Personal mußte entlassen werden. Von den 61 Angestellten, die 1946 bei Telschow arbeiteten, waren 1953 noch 20 für die Firma tätig. Die Filialen Roseneck und Rheineck mußten wegen zunehmender Verluste geschlossen werden. Die Liquidation, zu der die Industrie- und Handelskammer bereits 1956 aufgefordert hatte, zog sich über Jahre hin. Durch günstige Grundstücksverkäufe konnten alle Schulden getilgt und Ansprüche ehemaliger Angestellter beglichen werden. Am 9. November 1964 wurde die Firma gelöscht.

Bildquelle:
Archiv H.-K. Foerder

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