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Hainer Weißpflug
Sein Spitzname war »Entenheinrich«

Der Zoologe Oskar Heinroth (1871–1945)

Oskar Heinroth wurde am 1. März 1871 in Kastel bei Mainz geboren. Er besuchte in Stuttgart die Grundschule und in Dresden das Gymnasium zum Heiligen Kreuz. Bereits in dieser Zeit widmete er der Naturbeobachtung, insbesondere der Zoologie, die er »besessen und systematisch« betrieb, mehr Zeit als der Schule, die »von biologischer Einstellung so weit entfernt war wie die Erde vom Mars«, wie er einmal sagte. Er beobachtete im Dresdener Großen Garten fast täglich Stock- und Brautenten, was ihm den Spitznamen »Entenheinrich« einbrachte. Zu Hause hielt er allerlei Tiere in Aquarien und Terrarien und züchtete Vögel.
     Nach bestandenem Abitur 1890 ließ sich Oskar Heinroth in Leipzig im Fach Medizin immatrikulieren. Daneben hörte er Vorlesungen über Zoologie und die Theorien Darwins, für die er sich sehr interessierte. Und natürlich beobachtete er auch hier Tiere, vor allem jene, die in Gewässern und Feuchtgebieten der Leipziger Umgebung lebten. Später studierte er in

Oskar Heinroth
Kiel, Halle und wiederum in Leipzig.
     Heinroth, der trotz seiner »Nebenbeschäftigungen« das Medizinstudium intensiv betrieb, promovierte bereits nach zehn Semestern. Nach einem Jahr als Militärarzt konnte er sich nunmehr vollständig dem Studium der Zoologie widmen, was ihm sein Vater gestattete, nachdem er dessen Wunsch nach einem »Brotstudium« erfüllt hatte. Damit begann auch Heinroths Berliner Zeit.
     Nicht nur die sehr guten Voraussetzungen, die die Berliner Universität für das Zoologiestudium bot, sondern auch der schon da-
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mals weltberühmte Berliner Zoo unter Direktor Ludwig Heck (1860–1951) bewogen Heinroth, nach Berlin zu gehen. Am 30. April 1896 schrieb er sich an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ein, absolvierte in sieben Semestern alle zoologischen Spezialkurse und nahm an der wissenschaftlichen Arbeit des Zoologischen Institutes teil. Noch während seines Studiums erhielt er vom Zoo die Erlaubnis, verendete Tiere zu sezieren und Pfleglinge zu beobachten.
     Er durfte sogar den Zoodirektor bei dessen Abwesenheit vertreten. In dieser Zeit entstand eine seiner ersten großen wissenschaftlichen Arbeiten: »Verlauf der Schwingen- und Schwanzmauser der Vögel«.
     Nach Abschluß seines Zoologiestudiums begann er als Volontärassistent am Berliner Zoo, da dieser keinen Etat für eine bezahlte Assistentenstelle hatte. Heinroth verdiente seinen Lebensunterhalt mit Referaten und Artikeln. Nach der Rückkehr von einer Südsee-Expedition, in die Heinroth viel Zeit (mehr als zwei Jahre) und Geld investierte, bekam er endlich eine bezahlte Assistentenstelle im Zoo.
     1910 schließlich entstand die Idee, im Berliner Zoologischen Garten ein Aquarium zu errichten. Das von Alfred Brehm (1829–1884) gegründete und 1869 eröffnete Aquarium Unter den Linden Ecke Schadowstraße mußte im selben Jahr wegen finanzieller Probleme der »Berliner Aquarium Comandit-Gesellschaft auf Actien« schlies-
sen. (BM 5/98) Ludwig Heck verstand es, den Aufsichtsrat des Aktienvereins des Berliner Zoos für die Idee eines Aquariums zu gewinnen. Heinroth wurde nach Köln, Amsterdam, London und Neapel geschickt, um die größten Aquarien der damaligen Zeit zu studieren.
     Nach Berlin zurückgekehrt, konzipierte er ein dreigeschossiges Gebäude: das Erdgeschoß mit See- und Süßwasseraquarien, eine mittlere Etage mit Terrarien für Amphibien und Reptilien, das obere Stockwerk mit einem Insektarium. Im Zentrum aber sollte eine große Mittelhalle über anderthalb Stockwerke entstehen: die Krokodilhalle. Hier erdachte Heinroth eine Weltneuheit. Erstmalig sollten die Besucher quasi durch einen Tierkäfig mit gefährlichen Echsen geführt werden. Die mit üppigem Urwalddickicht bewachsene Halle sollte über eine Bambusbrücke betreten werden können, die über einen Urwaldtümpel mit Krokodilen führte. Heinroth ging bei seinen Plänen immer davon aus, dem Besucher beste Besichtigungsmöglichkeiten und den Tieren günstigste Lebensbedingungen zu schaffen. So ließ Heinroth z. B. für die Fische 350 t Seewasser in Elbkähnen nach Berlin bringen, das von der Feuerwehr mit einer 1 km langen Schlauchleitung vom Landwehrkanal aus in die Becken gepumpt wurden. Spätere Wasserwechsel erfolgten dann aber aus Kostengründen mit künstlich hergestelltem Meerwasser.
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Nach Heinroths Vorstellungen entstanden die Bauzeichnungen, und am 17. Oktober 1911 begannen mit dem Abriß der alten Maschinenhäuser und der Sprengung eines Fabrikschornsteins die Bauarbeiten für das Aquarium. 21 Monate lang wurde gebaut, eine Zeit, die für Heinroth mit vielen Schwierigkeiten, Auseinandersetzungen mit Bauleuten und Beschwerden des Zoodirektors verbunden war. Am 18. August 1913 konnte das Aquarium des Berliner Zoos eröffnet werden. Es hatte bereits einen Tierbestand von 400 Arten mit vielen Tausenden von Einzeltieren, der bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf annähernd 800 Arten anwuchs. Damals gehörten zu den besonderen Tieren ein Komodowaran, eine Art, die erst 1912 entdeckt worden war, Nashornleguane, Giftechsen und die »Wandelnden Blätter«, eine Heuschreckenart, die im Aquarium gezüchtet wurde. Heinroths besondere Vorliebe galt den Schlangen, und häufig führte er Besucher selbst durch die Schlangenabteilung.
     Das Aquarium erlangte unter Heinroths 30jähriger Leitung Weltruf. 1943 wurde das Aquarium von Bomben getroffen, überlebende Tiere kamen in andere zoologische Gärten. Schwer zerstört wurden Zoo und Aquarium im Frühjahr 1945.
     Heinroth starb am 26. Mai 1945 an den Folgen wiederholter Erkrankungen und ungenügender Behandlung in den letzten Kriegsmonaten, an Unterernährung und
gebrochenem Lebenswillen. Wie seine zweite Frau, die bekannte Direktorin des Berliner Zoologischen Gartens, Katharina Heinroth (1897–1989), schrieb, wollte er Berlin, den Zoo und sein Aquarium nicht verlassen, »ich kann nicht weg, lieber möchte ich mit allem untergehen«.
     Heinroth, schon zu Lebzeiten als »einer der Geistesfürsten« unter den Naturforschern bezeichnet, lehnte eine akademische Laufbahn ab. Er hegte tiefes Mißtrauen gegen überkommene festgeschriebene Lehrmeinungen und verabscheute jegliche Autorität. Vielleicht ehrte ihn deshalb keine deutsche Universität mit akademischen Würden.
     Die Ornithologen stellen ihn in eine Reihe mit ihren verdienstvollen Vertretern Christian Ludwig Brehm (1787–1864), Johann Friedrich Naumann (1780–1857) und Ernst Hartert (1859–1933). Auf ornithologischem Gebiet hat Heinroth sehr viel geleistet; das wird besonders an seinen zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten und Artikeln deutlich, vor allem aber in dem vierbändigen Werk »Die Vögel Mitteleuropas – in allen Lebens- und Entwicklungsstufen photographisch aufgenommen und in ihrem Seelenleben bei der Aufzucht vom Ei ab beobachtet«. Diese Arbeit ist das gemeinsame Lebenswerk von Heinroth und seiner ersten Frau Magdalena Wiebe.
     Seit seiner Jugendzeit beschäftigte sich Heinroth mit der Aufzucht verschiedenster
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Vögel: Beobachtung der Gänseaufzucht auf dem elterlichen Grundstück, Aufzucht verschiedener Wildvögel während der Studienzeit und von Exoten auf seiner Südseereise. Schließlich betrieb er in der eigenen Wohnung in Halensee eine Vogelaufzuchtstube. Die Hauptlast dieser Arbeit mußte Heinroths erste Frau Magdalena tragen, da er meist – oft auch sonntags – im Zoo war und immer häufiger die Pflichten des Direktors übernahm.
     20 Jahre lang zogen die Heinroths mitteleuropäische Vögel auf. Ab 1924 begann die Veröffentlichung der Ergebnisse, die auf exakter Beobachtung und Dokumentation beruhten. Die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen übernahm die Herausgabe des Werkes mit etwa 3 000 Einzelaufnahmen auf zahlreichen Schwarzweiß- und Farbtafeln. Zehn Jahre dauerte die Herausgabe des gesamten Werkes; 1924 erschien der erste Band und ließ die Fachwelt aufhorchen, 1927 der zweite, 1928 Band 3 und 1931/32 schließlich Band 4. Nach Abschluß dieser Arbeiten verstarb Heinroths Frau und Mitautorin. Das Werk wird von Fachleuten noch heute als Standardwerk gewürdigt. 1966–1968 erschien ein unveränderter Nachdruck des Werkes.
     Besonders bedeutsam sind Heinroths mit Fakten und Fotos belegten Aussagen über angeborene Triebhandlungen der Vögel. In seinen schon auf dem »V. Internationalen Ornithologen-Kongreß« in Berlin 1910 veröffentlichten Studien über die Biologie der
Anatiden (Familie der Entenvögel) vergleicht er die Rufe, Verkehrsformen, Ausdrucksbewegungen aller von ihm beobachteten Schwan-, Gänse- und Entenarten bei der Balz, bei der Brut, der Aufzucht und der Führung der Jungen. Er entwickelte Begriffe wie Prägung, Hetze, Imponiergehabe, Triumphgeschrei. Diese Erkenntnisse machten ihn zum »Vater der Verhaltensforschung«, wie Katharina Heinroth in ihrem Buch über ihren Mann schrieb: »Heinroth löste durch seine Forschungsmethode und durch die Einführung des Gesichtspunktes der Evolution die Verhaltensforschung von den Geisteswissenschaften und machte sie zu einer exaktinduktiven Forschung, also einer Disziplin der Naturwissenschaften. Er brachte den Stein ins Rollen, den Lorenz und seine Schüler zu einer Lawine werden ließen ...« Und auch der Berliner Naturschützer Victor Wendland (1896–1990) erinnerte anläßlich Heinroths 100. Geburtstag an seine Verdienste: »Was Verhaltensforschung ist, wissen heute wohl alle diejenigen, die sich etwas eingehender mit zoologischen oder psychologischen Fragen beschäftigen, daß aber Dr. Oskar Heinroth ... der Begründer dieser neuen Wissenschaft ist, die heute einen so gewaltigen Umfang angenommen hat, ist ... durchaus nicht allgemein bekannt.«

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