80   Novitäten Spreedurchstich  Nächste Seite
durchstich werde »eine Flotte von Lastkähnen und Schleppern flaggengeschmückt vor Anker gelegt«. In wenigen Jahren werde dort »die Spree durch ihr neues Bett fließen«.
     Die Spreebegradigung auf 400 Meter und die Verbreiterung ihres Bettes um 20 Meter standen im Zusammenhang mit dem hier geplanten Bau einer riesigen »Halle des Volkes« (unweit der Stelle, wo heute das Bundeskanzleramt entsteht). Als Krönung einer 38,5 km langen Nord-Süd-Achse sollte sie mit einer Höhe von 290 Metern und 315 Meter Seitenlänge nicht nur den Reichstag zwerghaft erscheinen lassen, sondern auch den Petersdom in Rom mit seiner 132 Meter hohen Kuppel bei weitem übertreffen. In ihr sollten 180 000 Menschen Platz finden, dreimal soviel wie im Petersdom.
     Von dieser Halle war in den Zeitungsberichten vom Baubeginn noch nicht die Rede. Auch nicht von der »Welthauptstadt Germania«, in die Berlin umbenannt werden sollte. Doch die Hammerschläge vom 14. Juni 1938 sollten Auftakt sein zur Realisierung eines gigantischen, größenwahnsinnigen Planes, der in den folgenden Jahren in den Köpfen Hitlers und seines Gefolgsmannes Albert Speer immer wahnwitzigere Formen annahm. Am 30. Januar 1937, dem vierten Jahrestag seiner Machtübernahme, hatte Hitler Speer zum »Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt« ernannt. Ein knap-

Horst Wagner
14. Juni 1938:

Baubeginn mit
Spreedurchstich

»Heute beginnt der große Neubau Berlins«, titelte am 14. Juni 1938 der längst vom rechtskonservativen zum strammen Nazi-Blatt konvertierte »Berliner Lokal-Anzeiger«. Auf 16 Baustellen gleichzeitig nehmen Dampframmen, Bagger und Preßlufthämmer die Arbeit auf. »Hunderttausende von Volksgenossen« sollten »Zeugen dieses großen Geschehens« sein. Sie könnten »ohne besondere Einlaßkarte in die Nähe der Tribünen gelangen«.
     Besondere Erwähnung fanden der Stra-ßenabschnitt zwischen S-Bahnhof Tiergarten und Charlottenburger Brücke, wo an der neuen »Ost-West-Achse« das »Haus des deutschen Gemeindetages« entstehen sollte, sowie drei Baustellen am Königsplatz (heute Platz der Republik): »Dort wird der Grundstein für den Spreedurchstich und die Tunnels für die neue Nord-Süd-U-Bahn und die Nordsüdstrecke der Reichsbahn gelegt.« Beide Strecken waren dazu gedacht, die »beiden neuen Zentralbahnhöfe Berlins«, den Südbahnhof (geplant in der Nähe des Flugplatzes Tempelhof) und den Nordbahnhof (in Wedding), zu verbinden. Zum Spree-

SeitenanfangNächste Seite


   81   Novitäten Spreedurchstich  Vorige SeiteAnfang
pes Jahr später schrieben die Zeitungen erstmals vom »Generalbebauungsplan für Berlin« und veröffentlichten entsprechende Modelle, Pläne und Zeichnungen. 1939, kurz vor Kriegsbeginn, steuerte Hitler die Idee bei, die Kuppel über der »Halle des Volkes« mit einem Reichsadler zu schmücken, der anstelle des üblichen Hakenkreuzes eine Weltkugel in seinen Fängen halten sollte. Ende Juli 1940 lieferte Speer eine »Arbeitskräfte-Bedarfsaufstellung« zu, die vorsah, men lediglich die Umgestaltung des Straßenzuges zwischen Brandenburger Tor und heutigem Ernst-Reuter-Platz als Ost-West-Achse für Paradeaufmärsche, die Verlegung der Siegessäule vom ehemaligen Königsplatz (wo sie der Nord-Süd-Achse im Wege gestanden hätte) zum Großen Stern, ein Stück Spreebegradigung sowie einige Arbeiten an Bahnanlagen.

Bilquelle: Archiv Autor

die Bauarbeiterzahl im ersten Nachkriegsjahr von 39 000 auf 182 000 zu erhöhen. Nach Kriegsende wehten auf Reichstag und Brandenburger Tor die Fahnen der sowjetischen Sieger. Vom »Generalbebauungsplan« blieben zumeist nur Skizzen und Modelle. Realisiert wurden von den am 14. Juni 1938 begonnenen Baumaßnah-

Gipfel des größenwahnsinnigen »Generalbebauungsplanes«: die »Halle des Volkes« mit kupfergedeckter Kuppel neben Reichstag und Brandenburger Tor (Modellfoto)

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de