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heit vortragen sollte. Dazu zählte auch die Wannsee-Konferenz von Anfang November 1948, zu der der Berliner CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg Persönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens eingeladen hatte. Doch sie wie auch andere Versuche scheiterten daran, daß Landes- und Parteipolitiker des Westens argwöhnten, bei diesen aus Berlin kommenden Appellen könnten sie vor den Wagen Moskaus gespannt werden. Besonders Kurt Schumacher, der Führer der westdeutschen Sozialdemokratie, lehnte jede Aktion rundweg ab, an der die SED beteiligt war.
     Als die Zeit drängte, rief der Parteivorstand der SED am 26. November 1947 zu einer gesamtdeutschen Kundgebung in Berlin auf. Erwartungsgemäß lehnten die westdeutschen Parteien und Gewerkschaften mit Ausnahme der KPD die Einladung ab. Sich dem Druck Konrad Adenauers, dem Patriarchen der Christdemokraten, beugend, verweigerte auch die Führung der Ost-CDU die Teilnahme. Darüber waren die Sowjets so erbost, daß sie im Dezember 1948 deren Vorsitzende Jakob Kaiser und Ernst Lemmer einfach absetzten.
     Am 6. und 7. Dezember 1947 tagte der 1. Deutsche Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden in der Deutschen Staatsoper (Admiralspalast) in Berlin. Von den 2 215 Delegierten sollen 664 aus den Westzonen gekommen sein. Die Mehrzahl hatte die SED über die Blockparteien, den FDGB und die
Gerhard Keiderling
Unterschriften
für die Einheit

Die erfolglose Volkskongreßbewegung

Seit Mitte Mai 1948 stand der sowjetische Sektor Berlins im Zeichen einer politischen Großaktion. Der 2. Deutsche Volkskongreß hatte zu einem Volksbegehren für eine unteilbare deutsche demokratische Republik aufgerufen. Wie bei solchen Anlässen üblich, waren öffentliche Gebäude mit Fahnen und Transparenten geschmückt, standen Werbetafeln auf zentralen Plätzen und Straßen, fanden Versammlungen in Betrieben und Einrichtungen statt, riefen die Ostberliner Presse und der Berliner Rundfunk täglich zur Teilnahme auf.
     Den Deutschen Volkskongreß hatte die SED Ende 1947 initiiert. Nachdem die vier Außenminister in Moskau im Frühjahr 1947 keine Einigung über Deutschland erzielt hatten, lagen die letzten Hoffnungen auf deren Londoner Treffen vom 25. November bis 15. Dezember 1947. Es gab quer durch alle parteipolitischen Lager in den vier Besatzungszonen und in Berlin Bemühungen um eine »nationale Repräsentation«, die den Außenministern das Verlangen der Deutschen nach Frieden, Demokratie und Ein-

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anderen Massenorganisationen in der Ostzone mobilisiert. Der Kongreß nahm eine Entschließung zu einem deutschen Friedensvertrag an, den eine Delegation den vier Außenministern in London überreichen sollte. Die drei westlichen Außenminister lehnten den Empfang dieser Delegation ab, worauf die britische Regierung ihr die Einreise verbot.
     Die SED beließ es nicht bei einer einmaligen Veranstaltung. Ihr schwebte eine breite nationalpatriotische Volksbewegung mit dem Schwerpunkt im Westen vor, die als Ausgangsstellung für eine »antifaschistisch-demokratische« Durchdringung ganz Deutschlands benützt werden konnte. »Wir müssen uns klar darüber sein«, so erläuterte Otto Grotewohl, »wir können keine Politik im Westen betreiben, die uns wieder einen sektenhaften Charakter gibt.«1)
     Die Volkskongreßbewegung faßte in den Westzonen nicht Fuß. Man betrachtete sie als verlängerten Arm Moskaus. Die Parteien lehnten jede Mitarbeit ab, und schließlich verboten die Militärregierungen die Tätigkeit. Nicht anders erging es ihr in den Westsektoren Berlins.
     Am 5. Januar 1948 konstituierte sich ein Ständiger Berliner Ausschuß für Einheit und gerechten Frieden unter Vorsitz des bekannten Charité-Arztes Prof. Dr. Theodor Brugsch (parteilos). Seine Tätigkeit blieb auf den Ostsektor beschränkt, wo in den acht Verwaltungsbezirken, in Betrieben und Einrich-
tungen sogenannte Volksausschüsse gebildet wurden. Ihre Leitung lag fest in der Hand von SED-Funktionären, die die Bewegung als eine weitere »überparteiliche Massenorganisation« betrachteten.
     In der Alliierten Kommandantur der Stadt Berlin hatten die Vertreter der drei Westmächte im Februar 1948 ein Verbot des Volkskongresses in ganz Berlin verlangt, weil er als politische Organisation sich nicht um eine Zulassungsgenehmigung bemühte.
     Der sowjetische Vertreter legte erwartungsgemäß sein Veto ein. Daraufhin wurde die Tätigkeit der Volkskongreßbewegung in den Westsektoren offiziell verboten. Die Landesvorstände der SPD, CDU und LDP untersagten ihren Mitgliedern die Teilnahme an der SED-Bewegung.
     Anläßlich des 100. Jahrestages der Märzrevolution von 1848 fand am 17. und 18. März 1948 der 2. Deutsche Volkskongreß in Berlin statt. Er beschloß, ein Volksbegehren für einen Volksentscheid über die Einheit Deutschlands durchzuführen. Im einzelnen handelte es sich um einen Antrag des auf dem Kongreß neugebildeten Deutschen Volksrates an die Oberbefehlshaber der vier Mächte in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Alliierten Kontrollrates. Sie wurden ersucht, ein »Gesetz über die Einheit Deutschlands« zu beschließen oder einen Volksentscheid darüber anzuordnen. Das Gesetz bestand aus zwei Paragraphen:
     »§1: Deutschland ist eine unteilbare demo-
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kratische Republik, in der den Ländern ähnliche Recht zustehen sollen, wie sie die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 enthielt.
     § 2: Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.«2)
     Der Antrag sollte durch eine Unterschriftensammlung in der Zeit vom 23. Mai bis 13. Juni 1948 in allen Zonen unterstützt werden.
     Otto Grotewohl, im SED-Parteivorstand für den Volkskongreß zuständig, forderte: »Die Unterschriftensammlung muß ihrem Umfange nach der entscheidende Durchbruch des deutschen Volkes in der Frage der Einheit Deutschlands werden.«3)
     Eine groß angelegte Propagandakampagne, in die die Presse und der Rundfunk der Ostzone eingespannt wurden, rollte an. Seit Januar 1948 erschien die Wochenzeitung »Deutschlands Stimme« als Organ des Volkskongresses mit einer Auflage von einer Million Exemplaren, die vorwiegend in den Westen gingen. Der »entscheidende Durchbruch«, den die Sowjetunion und die SED sich für ihre Politik wünschten, blieb auch diesmal aus. So schrieb die SED-Kreisleitung Wedding an den Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck:
     »Von einer organisierten Volkskongreßbewegung im Bezirk kann bisher nicht gesprochen werden. [...] Die im Dezember und Januar unternommenen Versuche zur Bildung eines bezirklichen Komitees führten zu keinem wirklichen Erfolg, da sich der
Kreis der Beteiligten zu 90 % auf Parteimitglieder beschränkte.«4)
     Da nützte auch nicht die späte Selbsterkenntnis der SED, daß sie mit dem Vorzeigen des »Beispiels Ostzone« nur »den Bolschewistenschreck in Deutschland erheblich selbst gefördert« hätte.5)
     Die Einheitspropaganda des Ostens blieb nicht ohne Eindruck auf die Westmächte und auf die Landes- und Parteipolitiker in den Westzonen. Willy Brandt, der Berlin-Beauftragte der SPD, schlug Kurt Schumacher einen Gegenstoß vor, »der uns aus der Abwehrstellung gegenüber dem Volkskongreßrummel herausbringt«.6) Ihm schwebte aber nichts besseres vor, als sich mit einem eigenen Aufruf an die Vereinten Nationen zu wenden. Auch Jakob Kaiser plädierte »für eine Art Gegenvolksbegehren« und suchte dafür bei der Berliner SPD Unterstützung. Am Ende wurde nichts daraus, weil die Westmächte, die vor dem Abschluß ihrer Londoner Verhandlungen über die Bildung eines starken westdeutschen Staates als Bollwerk gegen den Kommunismus standen, sich gegen jedwede gesamtdeutsche und nationale Aktivität wandten.
     Der 23. Mai 1945 war auch in Berlin der erste Einzeichnungstag für das Volksbegehren. Im sowjetischen Sektor begannen Beauftragte, mit den Eintragungslisten durch die Häuser, Betriebe und Verwaltungen zu gehen. Auf Bahnhöfen und Plätzen, in Restaurants und Kinos wurden die Menschen
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zur Unterschriftsleistung aufgefordert. Mehrfache Eintragungen kamen so zustande.
     Die US-Militärregierung hatte die Durchführung des Volksbegehrens in ihrem Sektor am 20. Mai 1948 verboten. Die britische und französische Militärregierung hielten sich mit einem formellen Verbot zurück, behinderten ansonsten die Aktion. Als Listen auf den zum ostzonalen Reichsbahnbereich gehörenden S-Bahnhöfen ausgelegt wurden, schritt Militärpolizei ein. Sie beschlagnahmte die Listen und verwies die Helfer von den Bahnhöfen. Es wurden auch Helfer der verbotenen Aktion vorübergehend festgenommen.
     Die Ostberliner Presse protestierte gegen die Verfolgung demokratischer Kräfte durch die »Spalter Deutschlands.«
      Das Volksbegehren fiel in das politisch angeheizte Klima kurz vor der Währungsreform und der Blockade. Es bedurfte nicht der Aufrufe von SPD, CDU und LDP, der Aktion fernzubleiben. Die Mehrheit der Westberliner stand dem »Volkskongreßrummel« von Anbeginn skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die SED beklagte dies laufend in ihren internen Berichten. Die Gründe suchte sie aber nicht bei sich selbst und ihrem prosowjetischen Programm, sondern bei den »imperialistischen Spaltern«, den »Schumacher-Agenten« und den »UGO-Leuten«.
     Nach offiziellen Angaben trugen sich 812 378 Bürger, das waren 35 Prozent der Teilnahmeberechtigten, in die Unterschriftenlisten ein. Über den Anteil der
Westberliner gab es keine Mitteilung.
     Die Beteiligung von über 12 Millionen in der SBZ überraschte nicht. Sie konnten sich dem ständigen politischen Druck einfach nicht entziehen; viele hofften durch die Einheit auf eine andere gesellschaftliche Perspektive, allzu viele hatten resginiert. In einem vertraulichen Bericht, der Ende 1947 dem Berliner SPD-Landesvorstand zugespielt worden war, hieß es: »Es sei allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Ostzone bereits >abgeschrieben< worden sei. In bürgerlichen Kreisen werde die Meinung vertreten, daß ein >aussichtsloser Kampf< gegen die Sowjetrussen und die SED geführt werde, da diese Kreise von keiner Seite Unterstützung erhalten. Es mache sich deshalb eine gewisse Enttäuschung über die Haltung der Westmächte bemerkbar, und weite Bevölkerungsschichten in der Ostzone seien deshalb müde geworden und bereit zu resignieren.«7)

Quellen:
1 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (im folgenden: SAPMO-BArch), DY 30 IV/2/1.01/73, Bl. 80 2 »Neues Deutschland« (B), 16. April 1948
3 SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/1/42, Bl. 22
4 SAPMO-BArch, NY 4036, Nr. 762, Bl. 99
5 SAPMO-BArch, DY 30 IV/2/1/42, Bl. 24
6 Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn-Bad Godesberg, Bestand Schumacher, Nr. 126 a 7 Ebenda, SPD-LV Berlin, Nr. 1305, Bl. 30

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