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Harry Nehls
Cauer-Skulptur auf
der Grabstätte Sarre

»Mehr noch als die Grabstätte Chodowieckis (auf dem Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde an der Chausseestraße, d. V.) springt einem in der gleichen Reihe ein umgitterter großer Portikus ins Auge, in dem die Figur einer Trauernden steht. Dieses Grabmal ist um 1893 für eine Familie Th. Sarre geschaffen worden.«1) Offensichtlich war dem Autor der vorstehenden Zeilen nicht bekannt, wer sich hinter der Familie Th. Sarre verbirgt. Und in der Tat findet man dazu in der einschlägigen Berlin-Literatur nur spärliche Hinweise.
     Theodor André Sarre (1. Dezember 1816 – 24. Februar 1893), Sohn des Seifensieders Jean Henri Sarre (3. März 1786 – 17. Dezember 1863) und der Caroline Friederike Wilhelmine geb. Pöhn (16. Mai 1789 – 3. November 1863), war der Sproß einer ursprünglich in Metz ansässigen Hugenottenfamilie. Als Refugiés kamen die Sarres gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg-Preußen, wo sie zunächst in Buchholz bei Berlin eine neue Heimstatt fanden. Der älteste bekannte Vorfahre war ein gewisser Pierre Sarre (1655–1739). Über dessen Sohn Philippe (1696–1780), der 1749 Gärtner am

Familiengrabstätte Theodor Sarre auf dem Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde an der Chausseestraße 127
Hofe Friedrichs II. (1712–1786, König ab 1740) war, erzählt Edouard Muret (1833–1904) in seiner »Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen« folgende Anekdote: »Ich möchte hier auch eine Familientradition erwähnen. Dieselbe betrifft den Sohn des ... aus Metz eingewander-
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ten Gärtners Pierre Sarre, dessen Familie noch heut (1885, d. V.) in unsrer Residenzstadt blüht und unter ihren Mitgliedern Männer zählt, welche sich durch Tüchtigkeit, Rechtschaffenheit und Wohlthun auszeichnen. Dieser hatte sich die Kultur von edlen Obstbäumen und das Treiben von Frühobst zur Aufgabe gemacht und ließ dem König Friedrich II. stets die ersten und schönsten der von ihm getriebenen Kirschen in einer besonders hierzu bestimmten Schachtel zugehen, die eines seiner zahlreichen Kinder nach Sanssouci zu tragen pflegte und dem dienstthuenden Kammerdiener übergab. Der Dank des Königs bei Rückgabe der ihres Inhalts ledigen Schachtel war die beste Anerkennung und die dem König bereitete Tafelfreude der schönste Lohn für den Erfolg, mit dem der brave Kolonist der Gartenkunst oblag. Nach einem harten Winter waren wiederum die ersten Kirschen reif geworden. Eine der Töchter Sarres machte sich mit denselben auf den weiten Weg nach Potsdam und übergab in der gewohnten Weise die Schachtel dem Kammerdiener. Aber sie mußte diesmal viel länger als gewöhnlich auf die Antwort warten. Endlich übergab ihr der Kammerdiener die wohl versiegelte Schachtel mit der Weisung, daß der König keinen Gebrauch mehr von den Kirschen machen könne. Mit Thränen verließ das erschrockene Mädchen das Schloß, langte spät am Abend im väterlichen Hause an und berichtete den seltsamen Verlauf ihrer Sendung. Der Vater, bestürzt und in Ungewißheit darüber, ob den Kirschen nicht dennoch irgend ein Makel angehaftet oder eine Unachtsamkeit der Überbringerin dieselben etwas beschädigt hätte, öffnete hastig die Schachtel. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er nun fand, daß die Kirschen nicht mehr vorhanden waren, die Kirschkerne dagegen, jeder mit einem Friedrichsdor sauber in Papier gewickelt, sich vorfanden. Obenauf lag ein schriftlicher Befehl des Königs, der den Gärtner Sarre zu einem bestimmten Tage nach Potsdam beschied. Die Freude war groß in dem bescheidenen Gärtnerhause. Zur festgesetzten Stunde traf der alte Gärtner in Sanssouci ein und wurde mit mehreren andern Wartenden zum König geführt. >Hier ist der Mann<, sprach der König zu den Anwesenden, indem er auf Sarre wies, >der mir schon seit Jahren die ersten und schönsten Kirschen aus seinem Garten liefert. Lasset es Euch von ihm sagen, wie er es macht, da Ihr nicht imstande seid, Ähnliches zu leisten, trotz des schweren Geldes, das ich zahlen muß. Schert Euch!< Es waren die Gärtner der königlichen Gärten, denen diese Rede galt. Der große König ließ sich nunmehr mit Sarre in ein freundliches Gespräch ein und versprach ihm eine Besichtigung seines Gartens. Schon nach wenigen Tagen erfüllte er sein Versprechen, ließ sich die einzelnen Treibhäuser zeigen und kaufte eine Anzahl von Orangenbäumen für Sanssouci. Dieselben sind vom Professor
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Die letzte Sitzung des Konsistoriums. Gemälde von Carl Hochhaus, 1878
(August, d. V.) Kopisch (1799–1853, d. V.) bei Bearbeitung seines Werkes über Sanssouci mit dem Namen Sarre als ihres ersten Pflegers erwähnt worden und sollen noch heut der königlichen Orangerie angehören.«2)
     Doch zurück zu Theodor Sarre. Im Revolutionsjahr 1848 trat er in das Kupfer- und Messingwerk von Carl Justus Heckmann (1786–1878) ein. Fünf Jahre später, 1853, heiratete er dessen älteste Tochter Mathilde (8. März 1830 – 28. September 1879).
Heckmann gehörte neben Franz Anton Egells (1788–1854), Louis Ravené (1793–1861) und August Borsig (1804–1854) zu den erfolgreichsten Industriellen Berlins. 1819 hatte der gelernte Kupferschmied seine eigene Werkstatt eröffnet und damit den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. 1869 erhielt Adolph Menzel (1815–1905) den Auftrag, zum 50jährigen Bestehen der Firma ein farbiges Jubiläumsblatt anzufertigen.3) Im selben Jahr zog sich der 83jährige Heckmann aus
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dem Geschäftsleben zurück und übergab die Leitung des ehemals am Schlesischen Tor gelegenen Kupfer- und Messingwerkes seinen beiden Söhnen August und Friedrich – und seinem Schwiegersohn Theodor Sarre. Für den zuletztgenannten errichtete Heckmann zusätzlich noch ein Bankgeschäft und überließ ihm die vorpommersche Zuckerfabrik Stralsund mit den dazugehörigen Gütern Dewin und Voigdehagen sowie das im Oderbruch gelegene Rittergut Herzershof. In seinen letzten zwei Lebensjahrzehnten bekleidete Theodor Sarre viele öffentliche Ämter und Ehrenämter, so z. B. das des Stadtrates und Stadtältesten. Auch hat er Künstler durch Aufträge gefördert, und als Mitglied der sogenannten Deputation zur Ausschmückung des Berliner Rathauses stiftete er das Bild des Malers Hugo Vogel (1855–1934) »Der Empfang der französischen Refugiés durch den Großen Kurfürsten«.4)
     Sarres Porträt ist bislang nur auf dem 1878 datierten Ölgemälde von Carl Hochhaus (1852–nach 1880) mit der Darstellung der letzten Sitzung des Konsistoriums der Französisch-Reformierten Kirchengemeinde in Gegenwart des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich III., im alten Konsistorialgebäude in der Niederlagstraße 1/2 am 2. März 1874 nachweisbar. Leider gibt Edouard Muret in seiner Beschreibung des Bildes nur an, daß »der Stadtrat Th. Sarre« unter denjenigen zu su-
chen sei, die sich »am Tische oder sonst im engen Raume gruppiert befinden«.5)
     Die aufwendige Grabstätte der Familie Theodor Sarre aus rotem Granit auf dem Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde an der Chausseestraße ist vermutlich von dem Architekten und königlichen Baurat Hermann Wentzel (1820–1889), dessen Grabmal sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof befindet, entworfen worden. Die antikisierende, leider schon etwas lädierte Marmorskulptur zwischen den beiden glattpolierten Granitsäulen schuf nach Ausweis der Künstlersignatur am Rand der runden, profilierten Basis (»C. Cauer. Roma 1882«) der Bildhauer Carl Cauer (1828–1885). Mit der Zuweisung der Begräbnisfigur an den Bildhauer Carl Cauer erledigt sich zugleich die irrige Behauptung, ihr »Verbleib« sei »unbekannt« bzw. sie sei »undatiert«.6)
     Unsere Betrachtung darf hier nicht enden, ohne kurz auf den bedeutenden Sohn von Theodor und Mathilde Sarre, Friedrich Sarre (22. Juni 1865 – 31. Mai 1945), den Altmeister der islamischen Kunstforschung, hingewiesen zu haben. Zwischen 1895 und 1908 unternahm der promovierte Kunsthistoriker mehrere Forschungsreisen nach Kleinasien und in den Vorderen Orient, die zum Teil von seiner Tante Maria Elisabeth Wentzel-Heckmann (20. März 1833 – 5. Februar 1914), der jüngsten Tochter des schon erwähnten Carl Justus Heckmann und späteren Frau des Architekten Hermann Wentzel,
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finanziert wurden. Aufgrund ihres Mäzenatentums wurde sie später zum Ehrenmitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin ernannt, ein für das wilhelminische Preußen ungeheures Ereignis. Einen Namen machte sich Friedrich Sarre insbesondere durch seine von 1911 bis 1913 unternommenen Ausgrabungen in der einstigen Kalifen-Residenz Samarra. Über ein Vierteljahrhundert – von 1904 bis 1921 ehrenamtlich und von 1922 bis 1931 als beamteter Direktor – leitete er die Islamische Abteilung des Kaiser-Friedrich-Museums, der er inmitten der Inflationszeit (1922) seine wertvolle islamische Altertümersammlung schenkte. Verheiratet war Friedrich Sarre seit dem 20. Oktober 1900 mit Maria Humann (1875–1970), der Tochter des berühmten Ausgräbers von Pergamon, Carl Humann (1839–1896). Friedrich Sarre starb nur wenige Tage nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges im Alter von achtzig Jahren in seiner nicht minder berühmten, 1906 erbauten (und inzwischen sanierten) Turmvilla in Neubabelsberg. Seine Grabstätte, die sich im Gegensatz zur väterlichen äußerst bescheiden ausnimmt, befindet sich auf dem Alten Friedhof in Klein-Glienicke.7)
     Zum Schluß möchte es der Verfasser nicht versäumen, sich für die großzügig gewährte Unterstützung und Auskünfte bei Herrn Prof. Dr. med. Dr. h. c. Hans-Joachim Sarre (25. März 1906 – 31. Mai 1996) und seiner Frau, Dr. Irmgard Sarre in Freiburg i. Br.,
sowie bei Frau Irene Wätjen, geb. Sarre, in Ascona/Tessin zu bedanken.

Quellen und Anmerkungen:
1 Alfred Etzold, Der Dorotheenstädtische Friedhof, Berlin 1993, S. 24; ganz ähnlich auch Klaus Hammer, Historische Friedhöfe und Grabmäler in Berlin, Berlin 1994, S. 62
2 Edouard Muret, Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, Berlin 1885, S. 50
3 Vgl. Kunst in Berlin 1648–1987, Ausstellungskatalog Berlin 1987, S. 309 f. Nr. H 9 (Artikel von Marie Ursula Riemann) und Marie Riemann-Reyher, Adolph von Mentzel, Reiseskizzen aus Preußen, Berlin 1992, S. 158 f.
     4 Abgebildet in: Christiane Eifert, Als die Hugenotten kamen, Berliner Forum 8 (1985), S. 17
5 Muret a. a. O., S. 102. Vgl. Badstübner-Gröger, Hugenotten in Berlin, Berlin 1988, S. 103 f.
     6 Elke Masa, Die Bildhauerfamilie Cauer im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1989, S. 110 f. Nr. 135
7 Vgl. Harry Nehls, »Gottes ist der Orient!« Vergessene Kunstwerke aus der Sammlung des Berliner Orientalisten Friedrich Sarre, in: Museums Journal 4 (1995), S. 6 ff. und ders., Palmyra in der Gelehrtenvilla. Ein wiederentdecktes Grabrelief aus der Sammlung F. Sarre, in: Antike Welt 4 (1995), S. 271 f.

Bildquellen:
Fotos Nehls, Muret, Geschichte der Französischen Kolonie, 1885

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