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mäldegalerie war im Bodemuseum, dem ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museum, zu besichtigen. Die wiedervereinigte Gemäldegalerie trifft sich nun in der Mitte der Stadt – am Kulturforum im Bezirk Tiergarten.
     Pläne für einen neuen Galeriebau gehen auf die sechziger Jahre zurück, als an der Mauer das Westberliner Pendant zur Ostberliner Museumsinsel entstand. Gebaut wurden unweit des damals noch leeren Potsdamer Platzes das Kunstgewerbemuseum, das Kupferstichkabinett, die Kunstbibliothek, die Neue Nationalgalerie und die Staatsbibliothek. Im Juni dieses Jahres nun wird nach fünfzehnjähriger Planungs- und Bauzeit die neue Gemäldegalerie er-öffnet.
     Der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Wolf-Dieter Dube, landete mit der neuen Gemäldegalerie einen Treffer. 1983 nach Berlin berufen, konnte er sich mit der eher unruhigen Museumsarchitektur am Kulturforum nicht befreunden. Die aus den sechziger Jahren stammenden Entwürfe des Architekten Rolf Gutbrod wurden verworfen und zugunsten eines reinen Oberlichtmuseums neu gezeichnet. Klare, übersichtliche, von oben und nicht durch Seitenfenster beleuchtete Ausstellungsräume auf nur einer und nicht zwei Ebenen, ein Rundgang, der auch einer ist, Verzicht auf Innenhöfe und ein Treppenhaus, volle Konzentration auf die Bilder – das bietet der neue, in der Öf-
Helmut Caspar
Alte Meister ziehen
in eine neue Galerie

Die Hohenzollern waren begeisterte Kunstsammler. Mit solchem Besitz wetteiferten die fürstlichen Höfe zwischen Madrid, Paris, London, Dresden und Sankt Petersburg. Im 18. Jahrhundert häufte Friedrich II. Bilder in seiner Galerie unweit von Schloß Sanssouci an, doch erst mit der Gründung der Königlichen Museen im Jahr 1830 mauserte sich Berlin zu einer Stadt mit reichhaltigem, jedermann zugänglichem Gemäldebesitz.
     So konnte man später in der Gemäldegalerie Bilder sehen, die bis etwa 1800 gemalt wurden, in der Nationalgalerie Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
     Bis zur Wiedervereinigung war das durch Kriegseinwirkungen und Beutezüge dezimierte Museumsgut ungleichmäßig über beide Stadthälften verteilt. Der Löwenanteil der Berliner Gemälde befand sich, da von den Amerikanern sichergestellt und in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zusammengefaßt, in den aus der Kaiserzeit stammenden Museumsbauten in Dahlem, die eigentlich für die völkerkundlichen und außereuropäischen Sammlungen bestimmt und nie als Galerie konzipiert waren. Ein nicht unbedeutender Teil der alten Ge-

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fentlichkeit bisher kaum bekannte Galeriebau.
     Wie es sich bei einer Schatztruhe gehört, ist das Äußere schlicht gestaltet, das Innere aber überraschend reichhaltig. Die Münchener Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler setzten als Gewinner eines Wettbewerbs die Vorgaben in die Tat um, eine Galerie in klassischen Proportionen, ohne modernistischen Schnickschnack und ablenkende Elemente, zu schaffen. Der Bau folgt im Inneren der von Leo von Klenze für die Alte Pinakothek in München entwickelten klassischen Disposition; Pate stand auch die Sempergalerie in Dresden. Der terrakottagefaßte Außenbau auf hohem dunklem Granitsockel entlang der Stauffenbergstraße schließt sich, so Dube, »preußisch-rationaler Tradition« an.
     Kompliziert war für Hilmer und Sattler die Einbindung des Neubaues in die bereits vorhandene Museumsarchitektur. Einen speziellen Zugang besitzt das neue Galeriegebäude nicht, man muß ihn in dem aquariumartigen Bau erst einmal finden, in den es eingegliedert ist. Wenn man die große, leere, ausgesprochen unwirtliche Eingangshalle für das Kupferstichkabinett und die Kunstbibliothek betritt, findet man linkerhand mit einiger Mühe das Portal zur Gemäldegalerie. An einem Leitsystem wird, verlautet in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, noch gearbeitet. Durch ein rundes Gelenk, die Rotunde, ist die Galerie mit der
ungemütlichen Eingangshalle verbunden. Dieser Raum mit einem kleinen, von außen schwierig zu ortenden Glasturm erinnert an die riesige Kuppelhalle im ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bodemuseum, in dem der Hohenzollern als großer Kunstsammler gedacht wird.
     Hinter der Rotunde tut sich eine wundersame Welt auf. Die langgestreckte, in hellen Farben gehaltene Pfeilerhalle wird durch runde Oberlichter beleuchtet. Auch sie zitiert einen Raum im Bodemuseum, die Basilika, die sich der Eingangshalle anschließt. Die Pfeilerhalle ist das Herz der Galerie, obwohl sie keine Bilder zeigt, sondern in der Mitte ein Bassin hat. Eine von Walter De Maria geschaffene Skulptur in diesem Becken ist das einzige Kunstwerk in dem Raum, von dem aus man die Bildersäle erreicht.
     Die Galerie kombiniert die eigentliche Schausammlung mit 800 Spitzenwerken der europäischen Malerei vom 13. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert mit einer Studiengalerie im Erdgeschoß. In diesem öffentlich zugänglichen Depot werden weitere 400 Bilder gezeigt, und auch Wechselausstellungen sollen hier arrangiert werden. Einen solchen Luxus leistet sich kaum ein anderes Museum, betont Galeriedirektor Jan Kelch.
     Gezeigt würden die Bilder pur, ohne die nach 1900 im Kaiser-Friedrich-Museum aufgrund der Konzeption Wilhelm von Bodes zusätzlich aufgestellten Skulpturen, Möbel
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und kunsthandwerklichen Arbeiten. In der Skulpturengalerie, die nach der Jahrtausendwende im generalsanierten Bodemuseum ihre Spitzenstücke zeigt, seien, wie in Kaisers Zeiten, neben Plastiken auch einige Gemälde zu sehen.
     Während das Parkett aus dunkel gefärbter Eiche gefügt ist, weil das von oben einfallende Licht nicht auf die Bilder reflektiert werden soll, wurde für die Wandbespannungen der einzelnen Bildersäle kräftiges Rot, Grün, Blau und Grau gewählt. Je nach Standort des Betrachters, scheinen die breiten Stoffbahnen eine etwas andere Einfärbung und Struktur zu haben. Die Architekten konnten von den üblichen weißen Wänden abgebracht und davon überzeugt werden, daß starke Farben die Bilder erst richtig zum Leuchten bringen. Je nach Witterung und Helligkeit können die Oberlichter geöffnet oder abgedunkelt werden. Wo der Besucher seinen Rundgang beginnt, ob bei den »nordalpinen« oder den »südalpinen« Meistern, ist ihm überlassen. Fängt er bei den Altdeutschen, also im Norden, an, so begegnet er den großen Altären und Porträts von Cranach, Dürer und anderen Meistern des 16. Jahrhunderts. Weiter geht es zu den frühen Niederländern. Es folgen die Manieristen um 1600 sowie die Flamen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Rembrandt und seine Zeitgenossen. Es schließen sich Bildnisse englischer Maler des 17. und 18. Jahrhunderts an. Der Raum leitet über
zu französischen und deutschen Meistern des Barock und Rokoko. Zurück geht es zu den Malern, die südlich der Alpen tätig waren: Canaletto, Tiepolo, Tintoretto und Raffael, und wer dann noch aufnahmefähig ist, kann sich an den noch früheren Altären italienischer Meister erfreuen, womit der Bogen zu den altdeutschen Malern geschlossen ist. Seitliche Kabinette mit Serviceeinrichtungen geben den Blick in den Tiergarten frei.
     Berlin besitze ein Galeriegebäude, das modernsten ästhetischen und technischen Ansprüchen genügt, lobt Dube das Werk, überzeugt, daß die deutsche Hauptstadt nun wieder einen Spitzenplatz in der internationalen Kunstszene einnimmt. Zu hoffen ist, daß mit der Eröffnung der neuen Gemäldegalerie und später dem Bau einer Cafeteria endlich urbanes Leben am Kulturforum eingekehrt, dessen granitene Unwirtlichkeit Besucher zur Zeit noch flüchten läßt und lediglich Rollschuh- und Skateboardfahrer anlockt.
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© Edition Luisenstadt, 1998
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