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Wie auf ein Zauberwort
wuchsen die Barrikaden

Antrag an die Stadtverordnetenversammlung 1897

Nur wenige Wochen vor dem 50. Jahrestag der Märzrevolution von 1848 in Berlin trat am 29. Dezember 1897 der Mediziner Paul Langerhans, seit 1873 Berliner Stadtverordneter und seit 1893 Stadtverordnetenvorsteher, vor die Berliner Volksvertreter, um mit einer bedeutsamen Rede in die Auseinandersetzungen um ein von der Stadt zu errichtendes Denkmal für die Gefallenen einzugreifen. (BM 3/93) 1820 in Berlin geboren, hatte Langerhans die Märzereignisse als 28jähriger erlebt.
     Paul Langerhans erklärte u. a.: »Meine Herren, wir haben den Antrag hier gestellt, weil wir die Schmähungen gegen die Erhebung von 1848 gegen die heißen Wünsche, die durch Europa gingen, gegen die Begeisterung, die damals die Völker beseelte, zurückweisen müssen. Die Zurückweisung geschieht auf eine einfache Weise hier, wenn wir diesen Antrag annehmen, in dem wir bekunden: wir sind nicht dieser Meinung, daß jene Zeit geschmäht werden sollte. Die Zeit von 1848 und ihre Begeisterung und die Folgen dieser Begeisterung haben es bewirkt, daß alle absoluten Monarchien in konstitutionelle Monarchien verwandelt worden sind; sie haben es bewirkt, daß die letzten Reste der Sklaverei, die Frondienste abgeschafft wurden.
     Doch, meine Herren, ich will mich nicht zu tief in die politischen Auseinandersetzungen einlassen; die gehören am Ende nicht hierher. Zwei Punkte aber muß ich doch berühren, die vielleicht etwas ins Politische hineinspielen, zwei Entschuldigungsgründe für Diejenigen, die uns nicht zustimmen. Man hat gesagt, der Straßenkampf in Berlin sei geführt worden von untergeordnetem Gesindel, er sei hervorgebracht worden durch Fremde und geführt worden

durch Fremde, die hier Revolution machen wollten. Meine Herren, das ist nicht wahr, und ich habe deshalb hier das Wort genommen, weil ich hier als leidlich authentischer Zeuge bekunden kann, warum das nicht wahr ist. In den Tagen vor dem 18. März waren auf den Straßen Berlins auch Unruhen, weil ja in der ganzen Welt Unruhen waren, und weil die Leute sich sagten, überall fangen die politischen Zustände an gebessert zu werden, bei uns nicht. Diese Umstände veranlaßten die Polizei, da sie mit den Unruhen nicht leicht fertig werden konnte, ausgesuchte Berliner Bürger zu einer Art Schutzwachmannschaften zu vereinigen. Den Bürgern wurden zur Erkennung ihres Amtes eine weiße Schleife um den Arm gelegt, und es wurde ihnen weißumwickelte Stäbe ... gegeben. Damit sollten sie die Unruhen, die ausbrächen, beruhigen und für die Ordnung eintreten. Diese Schutzbeamten zogen am 18. März Mittags nach dem Schloßplatz und ließen durch eine Deputation, deren Sprecher der damalige Stadtrath Woeniger war, dem König eine Adresse überreichen. Der ganze Schloßplatz war von den schwarzen, weil festlich, gekleideten Männern bedeckt, und es hatte kaum noch ein Anderer Platz. Wer von Ihnen noch so alt ist, daß er das gesehen hat, der wird wissen, daß von einem >Gesindel<, daß dazwischen gewesen sein soll, nicht die Rede sein konnte. Da kamen Dragoner und zogen von der früheren Stechbahn von der Seite des Schloßplatzes, auf dem jetzt das sogenannte rothe Schloß steht, mit gezogenen Säbeln heran und trieben einhauend die Bürger auseinander, die Bürger, die aus allen Theilen der Stadt gekommen waren, denn in allen Stadtgegenden bestanden Wachen für diese Schutzbeamten. Diese stoben auseinander und brachten die Nachricht von jenem traurigen Einhauen auf die Bürger in alle Stadtgegenden. Nun wuchsen wie auf ein Zauberwort die Barrikaden auf den Straßen empor. Meine Herren, ich habe mich damals auch vielfach auf den Straßen aufgehalten, und ich kann bezeugen, daß die Leute, die die Barrikaden bauten,
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kein Gesindel waren. Da waren höchst angesehene, höchst reiche und hochgestellte Männer dabei; einige davon leben noch; es wäre ihnen vielleicht unangenehm, wenn ich die Namen, die ich kenne, heute nennte: ich denunzire nicht.
     Dann spricht doch auch dafür, daß man nicht sagen kann, der Straßenkampf sei nur von Gesindel geführt, das sofortige Erscheinen der Schützengilde, die wohlbewaffnet und mit einer Kanone sich den Kämpfenden anschloß; dafür spricht, daß die ganze studirende Jugend sich der Bewegung anschloß. Und, meine Herren, wenn Sie dann weiter lesen, in welcher Weise die Bürger sich dazu verhielten, dann erinnere ich Sie vor Allem daran, in welcher Weise bei der Beerdigung der Leichen der Märzgefallenen die ganze Stadt sich betheiligte. Die Universität und alle Behörden, alle Vereine betheiligten sich daran, voran die gesammte Geistlichkeit Berlins im Ornat. Meine Herren, eine solche Ehre erweist man nicht Lumpen, wie sie genannt werden.
     Und, meine Herren, ein zweiter Punkt, den ich auch noch berühren muß, um unseren Antrag zu befürworten, ist der, daß man gesagt hat und heute noch uns entgegenhält: die Revolution oder der Straßenkampf war ja ganz unnütz, es war ja schon am 18. März früh Morgens durch Proklamation alles versprochen, was man irgend wünschen konnte. Solche Behauptungen können nur herrühren von Leuten, die jene Proklamationen aus damaliger Zeit nicht gelesen haben, und von Leuten, die nicht mehr wissen, daß am 22. Mai 1815 durch die Gesetzsammlung schon eine Vertretung des Volkes versprochen war. Sie war versprochen worden, – wir hatten sie nie gesehen. Vergleichen Sie, wenn Sie an meinen Worten zweifeln, heute noch die Proklamationen, die erlassen worden sind, mit den Proklamationen, die nach dem 18. März erlassen worden sind, und Sie werden den gewaltigen Unterschied finden. Vor allem sprechen die Thaten dagegen: denn die nächste Folge des Straßenkampfes, die schon am 19. März eintrat, war die, daß das reaktionäre Mini-

sterium entlassen und ein Ministerium gebildet wurde, das größtentheils aus hochachtbaren liberalen Männern bestand, und daß sehr bald, am zweiten oder dritten Tag nachher, die Volksbewaffnung durch Gesetz proklamirt wurde ... Aus den kurzen Auseinandersetzungen, die ich hier gegeben habe, werden Sie auch erkannt haben, welche enormen Folgen für die schnelle Entwicklung unserer freiheitlichen Institutionen jene Kämpfe damals gehabt haben. Ich will es nicht leugnen, daß, obwohl an den Tagen des 18. und 19. März bei offenen Thüren aller Häuser so wenig Verbrechen gegen das Eigenthum vorgekommen sind wie sonst zu keiner Zeit, bei den späteren Bewegungen und Schachzügen hin und wieder auch Leute mit unlauteren Absichten und Thaten die Erhebung verunreinigt haben.
     Nun, meine Herren, haben wir aber einen zwingenden Grund nach meiner Ansicht: es liegt ein Gemeindebeschluß vor von 1848, der nicht wieder aufgehoben ist, und in diesem Gemeindebeschluß steht: >Die Versammlung beschließt ferner, ein Monument für die Gebliebenen im Friedrichshain und ein zweites innerhalb der Stadt zu errichten.<
Wenn das Monument innerhalb der Stadt seit jener Zeit nicht errichtet worden ist, so lag das an der Riesenreaktion, die nach 1848 folgte, und daran, daß uns das wahrscheinlich nicht gestattet worden wäre. Aber auf dem Friedhof, auf unserem eigenen Terrain, auf dem Kirchhof, der für die gefallenen Kämpfer eingerichtet und dazu hergegeben war, – da können wir wohl verlangen, daß jenen Männern ein einfacher Grabstein mit der Inschrift, wie sie in unserem Antrage vorgesehen ist, errichtet werde. Ich bitte Sie, dieser bescheidenen Forderung zuzustimmen, die wir nach dem Beschlusse von damals, den die Gemeindebehörden in Bezug auf die Errichtung eines Denkmals gestellt hatten, heute aufstellen, und unseren Antrag anzunehmen.«
(Aus: Amtlicher stenographischer Bericht über die Stadtverordnetenversammlung am 29. Dezember 1897, S. 403–404.)

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