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Horst Wagner
Als Herr Rellstab zu seinem König schlich

Die Berliner Märzrevolution und das
Zeitungswesen

Robert Springers »Berlins Straßen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848«, eine der unmittelbarsten und detailreichsten Schilderungen der Ereignisse um die deutsche Märzrevolution, beginnt mit der satirisch gefärbten Beschreibung, wie die Nachricht von der französischen Februarrevolution in Berlin, speziell bei der »Vossischen Zeitung«, eintrifft. »Aber Herr Rellstab, warum verziehen Sie Ihren deutschen Mund so unwillig, warum sträubt sich Ihr kleiner, mäusegrauer Schnurrbart, wie die Rückenhaare gewisser Tiere, wenn sie beißen wollen? ... Ist es möglich? ruft er entsetzt; Paris, Abdankung Ludwig Philipps, die Republik proklamiert – und so etwas geschieht im 19. Jahrhundert.«1)
     Der revolutionärdemokratische Journalist Springer (1816–1893) macht keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber der bis dahin streng königstreuen, gut (groß-)
bürgerlichen »Vossischen Zeitung« und ihres prominentesten Mitarbeiters, des konservativen Kritikerpapstes Ludwig Rell-

stab (1799–1860). Bezogen war das vor allem darauf, wie die »Tante Voss« auf die Pariser Ereignisse vom 22. und 23. Februar 1848 – diesen ganz entscheidenden Anstoß für den Ausbruch der Revolutionen in Wien und Berlin – reagiert hatte. Hatte das Blatt mit viertägiger Verspätung, nämlich am 26. Februar in seiner Sonnabendausgabe, das Geschehen am 22. mit den Worten erwähnt: »Noch zeigt das Volk eine friedliche, fast lustige Stimmung und man vermeidet alles, was es reizen könnte«, so berichtete es am darauffolgenden Montag über den Nachmittag des 23. Februar: »Der Kampf wird immer ernster ... In den Straßen wird aus den Fenstern auf die Truppen geschossen ... Niemand weiß noch, wie das enden wird.« Am nächsten Tag, inzwischen der 29. Februar, rückten die ausführlichen Nachrichten aus Frankreich vom Innenteil auf Seite eins vor und trugen die Überschrift »Revolution in Paris. Die Republik proklamiert«. Hatte die »Vossische« bis dahin jeden eigenen Kommentar vermieden und nur französische Blätter unterschiedlicher Couleur ausführlich zitiert, so folgte schließlich am 4. März die erste eigene Stellungnahme: »Ihr werft mit frevelhaftem Leichtsinn die Flamme in morsche Gebäude, die ihr vorsichtig abtragen solltet«, hieß es da empört an die Adresse des Volkes von Paris. Und zu neuer heiliger Allianz gegen die Revolution aufrufend: »Eine Völkermauer wird Frieden, Herd und Freiheit Europas schirmen.« Der Kom-
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ßens König, Friedrich-Wilhelm IV., setzte 14 000 Soldaten und 36 Geschütze gegen die Aufständischen ein. Die Kämpfe, die auf seiten des Volkes insgesamt 274 Todesopfer forderten, dauerten bis gegen 5 Uhr morgens am 19. März. Etwa zur selben Stunde, es war ein Sonntag, machte sich Herr Rellstab aus der Redaktion der »Tante Voss« auf der Breiten Straße, wo er auch seine Wohnung hatte, auf den Weg zum Schloß. Er war, wie es in einer zeitgenössischen Chronik heißt, »ähnlich wie die höchste Person im Schloß, vielleicht gleichzeitig, auf den Gedanken gekommen, daß zur Herstellung des Friedens der Erlaß eines Aufrufes an das Volk mit der Unterschrift des Königs das einzige Mittel sei«. Er habe als Entwurf dafür »einen seiner kürzesten Artikel zustande gebracht«.2) Im Schloß wurde er erst einmal vom Kriegsminister und anderen hohen Militärs zum Frühstück gebeten und dann zum König vorgelassen. Dieser fand Rellstabs Text »sehr gut. Es sind Gesinnungen, die ich teile; ich habe auch schon etwas ähnliches aufgesetzt«, soll er gesagt haben. Und er drückte Rellstab seinen eigenen Text in die Hand, der zwar nicht so knapp war wie Rellstabs, in dem aber ein wesentlicher Satz fehlte. »Alle Truppen ziehen sich in ihre Kasernen zurück«, hatte Rellstab in seinem Entwurf geschrieben. »Kein Schuß soll mehr geschehen ...« Eben mit diesen beiden Sätzen war der König nicht einverstanden. Man müsse schließlich das Schloß schützen. Und so
Friedrich Wilhelm IV.
mentar ist nicht gezeichnet, aber Springer muß sich sicher gewesen sein, daß er von Rellstab stammte.
     Doch keine Mauer konnte den in Paris entfachten Sturm aufhalten. Nicht in Wien, wo am 13. März Metternich, der Allianzschmied von 1815, gestürzt wurde, nicht in Berlin, wo am 18. März das Volk, dem Pariser Beispiel folgend, auf die Barrikaden stieg. Preu-
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   25   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
schickte er Rellstab in seine Redaktion zurück mit dem Auftrag, alles zur Verbreitung seines – des Königs – Textes zu tun und außerdem »dreißig, fünfzig Bürger von guter Gesinnung« zur Aussprache mit dem König ins Schloß zu bringen.3)
Am Montag dann, man schrieb inzwischen den 20. März, erschien des Königs Proklamation »An meine lieben Berliner«, in der das »siegreiche Vordringen der Truppen« gerechtfertigt, die Bürger gemahnt wurden, auf »die väterliche Stimme« ihres Königs zu hören und »die Barrikaden hinwegzuräumen« als Spitzenmeldung der »Vossischen«. Dazu das vom König unterzeichnete, durch eine Kabinettsorder vom 18. März angekündigte neue Pressegesetz, dessen Paragraph 1 schlicht lautete: »Die Zensur wird hiermit aufgehoben«, während Paragraph 8 gleichzeitig die Polizei bevollmächtigte, »Druckschriften oder Bildwerke, durch welche nach ihrem Ermessen ein Strafgesetz verletzt ist, vorläufig in Beschlag zu nehmen«.4) Kein Wort in dieser Ausgabe der »Vossischen« von der sonntagmorgendlichen Initiative ihres prominentesten Redakteurs, des Herrn Rellstab. Dieser hat dafür aber die Idee, die »Vossische Zeitung« mit einem »Extrablatt der Freude« zu schmücken, das noch am 20. März herauskommt. Neben einem Überblick über die Ereignisse der Vortage wird nun im leitenden Artikel die Pressefreiheit als »Unterpfand für alles Künftige« gefeiert und der »besonnene Fortschritt« als »Ban-
Ludwig Rellstab
ner« des Blattes verkündet. Ganz in diesem Sinne ruft die »Vossische« alsbald – übrigens treulich gefolgt von der gleichgesinnten »Spenerschen Zeitung« – zur »Gestaltung eines Constitutionellen Clubs« auf, dessen Gründungsversammlung am Nachmittag des 28. März beginnt und dessen Zweck, so die »Vossische« vom 30. März, darin bestehe, »die Errungenschaften der letzten Tage fest
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   26   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
zuhalten und sie ebenso gegen jede Reaction wie gegen jede Überspitzung zu schützen«. Zum Sekretär dieses Klubs wird ein anderer Berliner Journalist gewählt, der zwar noch nicht so berühmt ist wie Herr Rellstab, der sich aber mit einer mutigen Verteidigung von Richard Wagners »Rienzi« gegen Rellstabs Angriffe bereits einen Namen gemacht hat: Ernst Kossack (1814–1880), Musikkritiker und Chef des Feuilletons an der »Berliner Zeitungs-Halle«.

In der »Zeitungs-Halle« diskutiert man den Barrikadenbau

Diese seit Oktober 1846 erscheinende »Zeitungs-Halle«, die zwar nur über eine Auflage von 3 000 verfügt, deren Bedeutung aber in den Revolutionstagen rasch zunimmt, ist ein Blatt ganz anderen Zuschnittes als die offiziöse »Tante Voss« und der als Pflichtlektüre des Adels geltende »Onkel Spener«. Unter der Leitung des mit sozialistischen Ideen sympathisierenden Dr. Gustav Julius (1810–1851) stehend, ist sie ganz den revolutionärdemokratischen Ideen des Vormärz verpflichtet. In ihrer, dem Blatt den Namen gebenden Zeitungshalle, eine Art Lesecafé im ersten Stock des Redaktionsgebäudes in der Oberwallstraße 12/13 (Ecke Jägerstraße), treffen sich, ähnlich wie im Café Stehely am Gendarmenmarkt, die fortschrittlichen Geister dieser Zeit.
     Spricht man von den Ideen des Vormärz,

so sei hier wenigstens an einige der Schriftsteller und Journalisten erinnert, die – im einzelnen sehr unterschiedlich, geeint durch ihre Frontstellung gegen die mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 verbundene Knebelung des Geisteslebens – gleichsam den Boden für die Ereignisse im März 1848 und ihre publizistische Begleitung ebnen halfen. Heinrich Heine (1797–1856) hatte 1822 in seinen von der Zensur beschnittenen »Briefen aus Berlin« die Hofgesellschaft verspottet und sich zu »wahrer Freiheit« bekannt. Ludwig Börne (1786–1837) rechnete 1827 in seinen »Bemerkungen über Sprache und Stil« mit der Zensur ab, gab aber auch ironisch zu bedenken: »Wenn man nicht frei heraussprechen darf, ist man genötigt, für alte Gedanken neue Ausdrücke zu finden.«5) Karl Gutzkow (1811–1878) ging für seinen 1835 veröffentlichten Roman »Wally, die Zweiflerin«, in dem er eine neue Ehemoral propagierte, ins Gefängnis.6) »Berlin ist nicht mehr einfältig und im bloßen materiellen Leben befangen. Berlin denkt ... Die Macht des Adels ist hier durch die Macht des Geistes gebrochen«, hatte 1837 Adolf Glaßbrenner (1810–1876) euphorisch-utopisch geschrieben.7) Oder war dies eher satirisch gemeint? Wurde ihm doch seine ab November 1831 herausgegebene Zeitschrift »Don Quixote«, die er selbst als ein »Blatt für rasches Blut, für das Zwerchfell und die Milz« und als »Kreislaufbeschleuniger« bezeichnete, 8) bereits am 1. Januar 1834 von der eben
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   27   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
nicht gebrochenen »Macht des Adels« verboten. Ernst Dronke (1822–1891) hatte in seinem 1846 erschienenen Buch »Berlin« eine sozialkritische reportagehafte Schilderung des Lebens in der Residenzstadt gegeben, was ihm eine zweijährige Festungshaft einbrachte.9)
     Ganz anders als durch den erschrockenen Rellstab wurde in der »Zeitungs-Halle« auf die französische Februarrevolution reagiert. Um kein Verbot zu riskieren, blieben die Nachrichten aus Paris zwar unkommentiert im Blatt, im Lesekabinett aber wurde in diesen Tagen »mit einer Freiheit politisiert, wie sie bisher in Berlin unerhört gewesen war«, schrieb Adolf Streckfuß in seiner Berlin-Geschichte. »Man sprach ganz unbefangen über die Pariser Barrikaden und benutzte das Thema, um daran formulierte Vorlesungen über den Barrikadenbau zu knüpfen.«10) Die »Zeitungs-Halle« gehört zu den Initiatoren für die Volksversammlungen »In den Zelten« vom 6., 9. und 10. März, auf denen u. a. eine »Adresse an den allergnädigsten König und Herr« verabschiedet wurde, welche Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit forderte sowie eine »Amnestie aller wegen politischer und Press-Vergehen Verurteilten und Verfolgten«.11)
Die »Zeitungs-Halle« ist es auch, die als erste Berliner Zeitung hinsichtlich der Märzereignisse das Wort Revolution gebraucht.
     »Revolution in Berlin – Sturz des Ministeriums – Constitution« lautet die Überschrift
ihres Berichtes vom 20. März. Im leitenden Artikel wird die gerade aufgehobene Zensur als eine Schmach bezeichnet, »die wir mit unserem Blute nun hoffentlich für ewige Zeiten ausgelöscht haben werden. Welch ein System war dies, den Laut des Schmerzes, den Hauch der Klage, das Wort der Beschwerde, ja selbst die Schilderung des wahren Zustandes gewalttätig zu ersticken und zu vernichten, welch ein System!« Welch eine Sprache, auch in den Sätzen, mit denen Herausgeber Julius die Schilderung der Ereignisse vom 18. und 19. März kommentiert: »Volk! Dein Sieg ist groß und herrlich und du hast dich nicht bloß als ein heldenmüthiges, sondern, was nicht minder schön, als ein hochherziges, großmüthiges, edles Volk bewährt ... Gemeinsame Arbeit an der Herstellung eines Alle einander hülfreich vereinigenden wohlgeregelten Gesellschaftszustandes – das sei unsere Losung!« Die »Zeitungs-Halle« unterstützt den bereits am 22. März gebildeten »Politischen Club der Demokraten«, der wesentlich radikaler auftritt als der von der »Vossischen« geförderte »Constitutionelle Club«. Ebenso öffnet sie ihre Spalten dem am Abend des 29. März gegründeten provisorischen »Centralen-Arbeiter-Club« und berichtet, wie auf dieser Versammlung der Schuhmacher Hätzel für »eine gründliche politische Bildung der Arbeiterklasse« eintritt. Während die »Vossische Zeitung« am 4. April ihren erschreckten Lesern berichtet, daß bei einer Volksver-
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   28   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
sammlung »In den Zelten« auch ein Arbeiter der Borsig-Werke auftrat, der kritisiert hatte, daß der Entwurf des neuen Wahlgesetzes »die in Kost und Lohn Stehenden und eines eigenen Herdes Entbehrenden vom Wahlrecht ausschließt« und »hierdurch fast alle Fabrikarbeiter nach wie vor politisch rechtlos befunden und an der neuen Ordnung der Dinge, welche sie vor allem errungen hatten, weder Anteil noch Interesse haben würden«, druckt die »Zeitungs-Halle« am 5.  April – als Korrespondenz aus Paris – die u. a. von Marx und Engels unterzeichneten »Forderungen der Kommunistischen Partei«, in denen nicht nur eine ungeteilte deutsche Republik und das allgemeine, gleiche Wahlrecht, sondern auch die Verstaatlichung der »fürstlichen und feudalen Landgüter, aller Bergwerke, Gruben usw.« sowie die unentgeltliche Benutzung aller Transportmittel durch »die unbemittelten Klassen« gefordert wurden. Vor der Märzrevolution gab es in Berlin nur vier Tageszeitungen: neben der »Vossischen« und der »Spenerschen«, beide aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammend, die seit 1819 bestehende »Allgemeine Preußische Zeitung« als offizielles Regierungsblatt und als Gegenspieler seit 1846 die »Zeitungs-Halle«. Gleichsam als Frucht der Revolution erblüht nun eine neue bunte und vielfältige Presselandschaft. Am 1. April 1848 kommt die »National-Zeitung« heraus. »Wir wollen den Fortschritt in jeder Beziehung«, heißt es im Leitartikel der ersten Nummer des Blattes, das seinen Sitz in der Lindenstraße 81 hat. »Wir wollen dies vom nationalen Standpunkt, obgleich wir überzeugt sind, daß wie jeder Mensch in sich den Charakter seines Volkes ausprägen soll, die Tugend eines ganzen Volkes darin besteht, in der Idee der Humanität aufzugehen.« Am gleichen Tag erscheint die erste Nummer der »Locomotive – Zeitung für politische Bildung des Volkes«. Sie steht unter der Leitung des Schriftstellers Friedrich Wilhelm Held (1813–1872) und gibt sich wesentlich radikaler als die liberale »National-Zeitung«. »Wenn durch eine Revolution die bestehende Regierungsgewalt gestürzt ist, so geht naturgemäß die Regierungsgewalt in die Hände des Volkes über«, schreibt sie in ihrem Begrüßungsartikel und nennt in ihrer zweiten Nummer Friedrich Wilhelm IV. einen »königlichen Demagogen«, der sich in den Händen einer »reactionären Camarilla« befände. Zu den Autoren der »Locomotive« gehört auch der eingangs zitierte Robert Springer. Köstlich – und vielleicht noch immer aktuell – sein feuilletonistischer Leitartikel »Brief an eine demokratische Närrin« in Nr. 186 des Blattes. »Ihr Weiber«, heißt es darin, »wollt an den Urwahlen teilhaben. Wohl, aber versichert uns erst, daß Ihr nicht denjenigen bevorzugt, der Euch bei der Fensterpromenade am süßesten zugelächelt hat; versichert uns, daß Ihr Staatsbürgertalent nicht mit kräftigen Schenkeln und üppigen Bärten verwechselt.« Und, als Programm re-
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   29   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
Karikatur aus »Kladderadatsch« vom 4. Februar 1849
volutionärer Demokratie: »Wir wollen Euch freimachen von der unauflöslichen Fessel, womit man Euch an den Mann geschmiedet hat, von den Schwüren lebenslänglicher Knechtschaft, welche Euch die Kirche leisten läßt ...« Springer wünscht aber auch: »Bleibt die lieblichen, himmlischen Kinder, die uns mit Rosenfingern auf den Mund klopfen, wenn wir politisch langweilig werden.« Am 8. April kommt in der Johannisstraße 4 die erste Nummer der zweimal wöchentlich erscheinenden »Deutschen Arbeiter-Zei- tung« heraus, zu deren Redaktionskomitee der Goldarbeiter und Kommunist Ludwig Bisky (1817–1863) gehört, und die als ihr Ziel »die Hebung der arbeitenden Klasse in gesellschaftlicher und bürgerlicher Beziehung, ... die Abhilfe der Nöthe und der Mängel die sie betreffen« bezeichnet. Ähnliche Ziele hat sich »Das Volk« gestellt, das seit dem 25. Mai vom Schriftsetzer Stephan Born (1824–1898) dreimal wöchentlich als »Organ des Central-Comitees für Arbeiter« herausgegeben wird. Am 1. Juli kommt das vom Junghegelianer
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   30   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteNächste Seite
Arnold Ruge herausgegebene, bisher in Leipzig erscheinende revolutionär- demokratische Blatt »Die Reform« nach Berlin.
     Besonders zahlreich erblühen in den Frühjahrs- und Sommertagen des Jahres 1848 die satirischen bzw. Witzblätter. Am 6. Mai bringt Adolf Glaßbrenner das erste Heft seiner »Freien Blätter« heraus. Der Schöpfer der Berliner Volksfiguren hat seinen Anteil auch bei der Gründung des »Kladderadatsch«, dessen erstes Heft am 7. Mai erscheint. (BM 5/97) Noch am selben Tag erblickt auch »Der Krakehler« im Verlag von Ernst Litfaß das Licht der Berliner Welt. Weitere Titel: »Die ewige Lampe«, »Tante Voss mit dem Besen«, »Der trinkende König Gambrinus«, »Berliner Großmaul«, »Staatszeitung der Hölle«, »Berliner Struwelpeter« ... Von den insgesamt 35 satirischen Neugründungen dieser Tage überlebt allerdings nur der »Kladderadatsch«. Er besteht bis 1944, freilich um den Preis allerübelster Anpassung.
     Als 48er Kind erscheint am 12. Mai übrigens auch die erste »Berliner Zeitung«, die sich schon in ihrer zweiten Nummer vom 23. Juni den Titel »Berliner Abendzeitung« gibt und von da an zwei Monate lang täglich herauskommt. Als reaktionärer Gegenspieler erweist sich in dieser Zeit die »Neue Berliner Zeitung«, die bekundet, »an dem constitutionell monarchistischen Principe festhalten« zu wollen.12) Am 1. Juli 1848 schließlich fahren die konservativ- königlichen Kräfte schwereres Geschütz auf. An
diesem Tag erscheint – nach einigen vorangegangenen Probenummern – die erste Ausgabe der »Neuen Preußischen Zeitung«
unter dem Motto: »Vorwärts mit Gott für König und Vaterland«. Wegen des Eisernen Kreuzes im Zeitungskopf wird sie bald auch »Kreuzzeitung« genannt. Es sei »unabweisbare Pflicht«, schreibt sie gleich an der Spitze ihrer ersten Ausgabe, »den entfesselten Geistern der Empörung mit Kraft und Nachdruck entgegen zu treten«, und fordert zum »Kampfe gegen die Revolution und ihre verderblichen Grundsätze« auf.

»Sie sind nützliche Menschen geworden«

Nur noch viereinhalb Monate sollen vergehen, bis die von der »Kreuzzeitung« und anderen reaktionären Kräften ausgestreute Saat Früchte trägt. Am 14. November bringt die »Vossische Zeitung« an der Spitze ihrer Ausgabe das von General Wrangel, Oberbefehlshaber der Truppen in den Marken, unterzeichnete Verbot der »Zeitungs-Halle«, der »Locomotive«, der »Reform«, des »Kladderadatsch« und weiterer Blätter. Dazu Erläuterungen zum gleichfalls von Wrangel am 12. November verkündeten Ausnahmezustand. Die »Vossische«, die natürlich nicht unter den verbotenen Blättern ist, erweist ihre inzwischen erfolgte Rückkehr ins königlich-konservative Lager mit ihrem Kommentar vom 15. November: »Was thut jetzt Noth? Besonnenheit und Selbstbeherr-

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   31   Probleme/Projekte/Prozesse Märzrevolution und Zeitungswesen  Vorige SeiteAnfang
schung«, heißt es da. Und in kaum zu übertreffender Demagogie auch in bezug auf die aufgehobene Pressefreiheit: »Es ist unleugbar ein größerer Verdienst und ein größerer Ruhm, ein mindestens teilweise bestrittenes Recht aufzugeben, wenn durch dessen Behauptung unsägliches Elend über alle hereinzubrechen droht, durch dessen Aufgabe aber der Friede erhalten und das Wohl des Landes gefördert wird ...« Die an diesem Tag schon nicht mehr erscheinende »Zeitungs-Halle« hat in ihrer Ausgabe vom 11. November die Antwort auf solche Demagogie gleichsam vorweggenommen: »Was sollen wir uns in Täuschungen wiegen? Wir haben es dahin kommen lassen durch die Schuld der Schwachen, welche leider stets die Mehrheit waren, daß die Contre-Revolution sich übermächtig fühlt.« Herr Rellstab schreibt in den folgenden Jahren weiter seine Kritiken und Feuilletons bei der »Tante Voss«, wird ein bißchen liberaler und auch ein bißchen volkstümlicher, bleibt aber königstreunational. Robert Springer gibt das politische, das revolutionärdemokratische Element in seiner Publizistik zusehends auf, wird ein Meister des Lokal-Feuilletons und blickt in seinem 1868 erscheinenden Sammelband »Berlin wird Weltstadt« ein bißchen wehmütig zurück auf die Zeit vor 20 Jahren, wo sich im Roten Zimmer des Cafés Stehely am Gendarmenmarkt »diese rothen Geister« trafen. Sie »sind jetzt verschollen oder arbeiten an kon- servativen Zeitungen oder an mageren Kammerberichten ... Mit anderen Worten:
Sie sind nützliche Menschen geworden.«13)

Quellen und Anmerkungen:
1     Robert Springer: Berlins Straßen, Kneipen und Clubs im Jahre 1848; Berlin 1850 (Reprint Leipzig 1985), S. 4, S. 15
2     Adolf Wolff: Berliner Revolutionschronik. Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848, Bd. I, Berlin 1851, S. 203 ff.
3     Ebenda
4     Siehe auch: Die Revolution von 1848.
Eine Dokumentation. Herausgegeben von Walter Grab, München 1980, S. 53 f.
5     Ludwig Börne: Gesammelte Schriften, Bd. 1, Nürnberg 1888, S. 22
6     Siehe »Berlinische Monatsschrift«, Heft 5/1993
7     Adolf Glaßbrenner: Unsterblicher Volkswitz. Herausgegeben von K. Gysi und K. Böttcher, Berlin 1954, S. 67/68
8     Berliner Don Quixotte. Unterhaltungsblatt für gebildete Leser. Nr. 135 vom 24. 11. 1832
9     Ernst Dronke: Berlin. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von I. Hundt, Berlin 1987
10     Adolf Streckfuß: Berlin im 19. Jahrhundert, Bd. 3, Berlin 1867, S. 341
11     Adolf Wolff: Berliner Revolutionschronik,
Bd. 1, S. 31
12     Adolf Wolff: a. a. O. Bd. 3, S. 525
13     Robert Springer: Berlin wird Weltstadt; Berlin 1868, S. 183

Bildquellen: Verein für die Geschichte Berlins

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