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einem Tempelhofer Gewerbegebiet das aus Hunderten Einzelgüssen bestehende Monument bereits tranchiert. Die Inspektion von Roß und Reiter, der auf dem Sockel aufgereihten Generalität samt Politiker und Künstlergestalten unterm Pferdeschweif, der allegorischen Figuren und Schrifttafeln ergab schwere Schäden durch Umweltgifte und mechanische Beschädigung. Einige stammen noch aus den Tagen der Novemberrevolution 1918, als auf den Preußenkönig und seine Begleitung geschossen wurde. Die Löcher sind später wohl nur notdürftig geschlossen werden. Jetzt geht man fachgerecht an das Problem und versieht jede verschlossene Wunde mit einer Jahreszahl.
     Tief eingefressene Furchen ziehen sich über Uniformen und Gesichter, verunstalten das berühmteste Monument des neunzehnten Jahrhunderts. Eine schwarze Schmutzschicht bedeckt das feinziselierte Metall. Erst wenn die Restauratoren Schrauben an den Köpfen, Händen und Beinen lösen und die Gußstücke voneinander trennen, sehen sie das ehemals goldtonige Metall schimmern. Der bereits durch Generalsfiguren für die zur Via triumphalis ausgestalteten Prachtstraße Unter den Linden berühmt gewordene Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857) hatte für sein Friedrich-Monument in Sankt Petersburg spezielles »Demidoff Kupfer« für den Guß bestellt, der in der Firma Gladenbeck in der Berliner Münzstraße in unzähligen Einzelteilen erfolgte.
Helmut Caspar
Roßkur für den Alten Fritz

Alter Fritz steig du hernieder
und regier uns Preußen wieder.
Laß in diesen schweren Zeiten
Friedrich Wilhelm weiter reiten.

So reimten die Berliner nach der Enthüllung des Rauchschen Denkmals für Friedrich II. (31. 5. 1851) angesichts der gescheiterten Revolution von 1848 mit Blick auf angeblich bessere Tage unter der Regentschaft Friedrichs des Großen hundert Jahre zuvor. Im Herbst 1997 »stieg« der grün patinierte König tatsächlich vom Sockel, um in einer Werkstatt zu verschwinden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, das Land Berlin und der Bezirk Mitte von Berlin teilen sich die Restaurierungskosten von zwei Millionen Mark. Zum Regierungsumzug 1999 soll die Bronze – 5,65 Meter hoch und 36 Tonnen schwer – wieder aufgestellt werden. Gereinigt, gefestigt, konserviert und geschützt durch das alte Eisengitter, wird das Denkmal dann auf dem originalen Standort Ruhe finden.
     Die sonst für den Hamburger Denkmalschutz tätige Restaurierungsfirma Roß hat in

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Die besonders weiche und dehnbare Bronzelegierung mit zehn Prozent Zink und vier Prozent Zinn wird jetzt erneut gemischt, wenn Risse geschlossen, Löcher gestopft und verlorene Teile wie Krückstock, Steigbügel und Zaumzeug nachgestaltet werden.
     Die Restauratoren haben zahlreiche unsachgemäße Reparaturen festgestellt, die nicht der Originallegierung entsprechen.
     Sie werden jetzt mit »Demidoff« ausgebessert. Ersetzt werden aus dieser Legierung auch eiserne Dorne, mit denen die Gußteile zusammengehalten wurden, denn Eisen löst sich in Verbindung mit der »höherwertigen«
Rückständen gebildeten Krusten ab. Sie sind in Regenschattenseiten, Kehlungen und anderen für solche Ablagerungen besonders geeigneten Hohlräumen besonders dick.
     In Verbindung mit Feuchtigkeit wirken die Beläge wie Schadstoffkompressen und beschleunigen Zersetzungsprozesse. Indem das Metall durch diese Umwelteinflüsse aufgerauht wird, vergrößert sich seine Angriffsfläche. »Dieser Kreislauf muß gestoppt werden. Grobes Schmirgeln, Sandstrahlen, rotierende Bürsten, chemische Metallreiniger oder gar Laserbehandlung haben sich nicht bewährt«, sagt Restaurator
Bronze auf. Im vorigen Jahrhundert hatte man die Folgen dieser Unverträglichkeit nicht beachtet, die übrigens bei der Restaurierung der kupfernen Quadriga vom Brandenburger Tor in den frühen neunziger Jahren große Probleme verursacht hatte.
     Große Sorgen bereiten die millimeterdicken Dreckschichten. Vorsichtig tragen die Restauratoren mit Skalpell, Wurzelbürsten und Pinsel die aus Ruß, Staubniederschlägen und anderen

Unter dem Pferdeschwanz postiert: das »geistige Preußen«

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Dirk Sturmfels. Bei Strahlverfahren etwa würden scharfkantige Konturen eingeebnet und feine Ziselierungen vernichtet. Daher müsse man zum Skalpell greifen und die Krusten Millimeter für Millimeter abtragen, ohne das eigentliche Metall zu verletzen. Landeskonservator Jörg Haspel nennt das »Substanzfetischismus«, denn höchste Priorität habe nun einmal das Original. Untersuchungen des Stützkorsetts hätten ergeben, daß das bei der Neuaufstellung 1980 verwendete korrosionsarme Eisen wiederverwendet werden kann. Die Statik sei daher gewährleistet. Mit welchem Überzug das Denkmal konserviert wird, stehe noch nicht fest. Bewährt hätten sich licht-, wasser- und wärmeresistenter Wachs, der allerdings alle paar Jahre erneuert werden muß. Das Reiterdenkmal Friedrich Wilhelms IV. auf der Freitreppe der Nationalgalerie wurde übrigens mit einer Konservierungsschicht versiegelt, die in der Autoindustrie beim Schutz von Metallteilen gute Dienste tut.
     Die Entstehungsgeschichte des Denkmals reicht in das ausgehende achtzehnte Jahrhundert zurück. Friedrich der Große (1712–1786, König ab 1740) verbat sich, ihm schon zu Lebzeiten Denkmäler unter freiem Himmel zu errichten. Nur ein toter Monarch oder Feldherr sei dieser Ehre würdig. Bereits 1779, sieben Jahre vor dem Tod des Königs, wurde ungeachtet der Wünsche des Herrschers in der Berliner Garnison Geld für ein zu errichtendes Friedrich-Monument
gesammelt. Hofbildhauer Tassaert entwarf in Anlehnung an Schlüters Großen Kurfürsten ein Reiterdenkmal. Den Sockel mit der Inschrift »Von Mars und den Musen geliebt« sollten antike Götter bewachen. Friedrich II. lehnte ab.
     Das Projekt wurde erst unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. (1744–1797, König ab 1786) wiederbelebt. Dieser Monarch allerdings wollte die Verehrung für seinen ungeliebten Onkel nicht zu weit treiben. Denn ein großartiges Monument mitten in Berlin hätte möglicherweise einen Schatten auf ihn, den als Feldherr wenig erfolgreichen Nachfolger, geworfen. Bildhauer und Architekten wie Schadow und Rauch, Langhans, Gilly, Gentz und Schinkel hörten auf die Stimme des Volkes und entwarfen in den folgenden Jahrzehnten Reiterfiguren und Tempel, Säulen und überkuppelte Särge.
     Verwirklicht wurde das Friedrich-Monument zunächst nicht in Berlin, sondern im fernen Stettin, nachdem sich Friedrich Wilhelm II. auf Drängen seiner Ratgeber doch zu der Denkmalsidee bekannt hatte. Für Berlin wurde lediglich festgelegt, ein »Bildniß zu Pferde« am Eingang zu den Linden zu errichten. Das war eine wichtige Entscheidung, die für alle Standortplanungen bindend war. Während Schadow den »Stettiner« König stehend mit Dreispitz und Uniformrock darstellte, verlangte Friedrich Wilhelm II. für Berlin ein »römisches Kostüm«, weil es in den Augen des Erbauers des Bran-
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denburger Tores noch am ehesten Überzeitlichkeit und Heldentum repräsentiert.
     Der in die Toga gehüllte Held tauchte noch einmal in den Planungen unter Friedrich Wilhelm III. (1770–1840, König ab 1797) auf, der seinen Vorfahren gern, vom Volk entrückt, auf die Spitze einer riesigen trajanischen Säule gestellt hätte. Nur mit Mühe konnten Schinkel und Rauch ihren inzwischen durch Geldsammlungen zum Handeln genötigten Herrn von dieser Idee abbringen. Der gab schließlich klein bei und ließ Rauch gewähren. Der Entwurf des Bildhauers von 1830 sah vor, um den Sockel sechs bedeutende Generale der friderizianischen Armee als Wächter aufzustellen. Nach der Grundsteinlegung 1840 wurde die Konzeption erweitert, aus den wenigen Assistenzfiguren wurde eine veritable Begleitmannschaft im Schmuck des Schwarzen Adlerordens.
     Besonders viele Änderungen gab es bei den Sockelfiguren. So wurden die vier »Monarchentugenden« Gerechtigkeit, Weisheit, Stärke und Kriegstüchtigkeit auf den Sockel gesetzt, letztere verkörpert durch die römische Göttin Bellona. Die ursprünglich vorgesehene »Mäßigung« war unerwünscht. Eine hochkarätige Kommission wählte die darzustellenden Generale und die nicht eben große Riege der Minister, Künstler und Gelehrten aus, die, von berühmten Reitergeneralen bewacht, unterhalb des Pferdeschwanzes Aufstellung fanden und zum Brandenburger Tor schauen.
Den Zweiten Weltkrieg hatte das Monument, wie andere Denkmäler Unter den Linden auch, eingemauert überstanden. Es gibt Bilder von den Weltfestspielen 1950, auf denen man den mit Plakaten beklebten Betonmantel des Alten Fritzen erkennen kann. Fast wäre das Denkmal in den fünfziger Jahren als Edelschrott im Schmelztiegel gelandet. Im Hippodrom, einem entfernten Teil des Parks von Sanssouci, überdauerte es dank des mutigen Einsatzes von Kulturpolitikern und Museumsleuten, erst zerlegt, dann aufgerichtet, die Zeiten. Ergänzt sei, daß die auch im Westen aufmerksam registrierte Heimholung des Reiterdenkmals, mit der SED-Chef Erich Honecker 1980 die damals vielbestaunte ostdeutsche Preußen-Renaissance einläutete und die polnische Parteiführung verunsicherte. Die Nachtund-Nebel-Aktion führte zu aufgeregten Nachfragen über die Wiederentdeckung jenes Königs, der durch seine mit Österreich und Rußland betriebene Teilungspolitik wesentlich zum Verschwinden des polnischen Staates beigetragen hatte.

Anmerkungen:
1 Siehe Herbert Schwenk: »Eilt, einen Tempel ihm zu weihn«. Zur Geschichte des Denkmals für Friedrich II. In: »Berlinische Monatsschrift« 3/1996, S. 3 ff.
     2 Siehe Christa Grimm: Friedrich, der Versteckte. In: »Berlinische Monatsschrift« 6/1994, S. 80
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