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Maria Curter
Revolution in den Amtsstuben

Was wäre ein Büro oder Amt ohne Akten? Was wären die Akten ohne Ordnung? Fein säuberlich abgeheftet, lesbar numeriert oder beschriftet, mit verschiedenfarbigen Deckeln versehen stehen sie heute in Regalen und Schränken, bilden einen Blickfang für jeden Besucher, sind Zierde eines ordentlichen Büros. Dafür sorgt unter anderem die »Stolzenberg GmbH«, Hersteller von Schnellheftern aller Art und Registraturen, in Berlin-Reinickendorf, Alt Reinickendorf 25–27, mit ihren rund 100 Beschäftigten. Im Dezember 1997 beging ein alteingesessenes Unternehmen der Stadt sein 100jähriges Firmenjubiläum. Welches kleine oder mittlere Unternehmen kann heute schon auf eine so lange Geschichte – zumal auch noch in Berlin – zurückblicken.
     Ämter und Akten gibt es seit Jahrhunderten. Doch wie schwer hatten es unsere altvorderen Aktenverwalter. Blatt für Blatt wurde übereinandergelegt, mit Pappe umgeben und zum Paket verschnürt. Wehe, wenn ein Windhauch kam, dann war die schöne Ordnung dahin. Auch saßen die Beamten mit Nadel und Faden am Schreibtisch, um fein säuberlich mit Zwirn alles zusam-

Werbung der Firma um 1910
menzuheften, was zusammengehörte. Die Veränderungen im Büro verdanken wir einem gewissen Carl Gladitz, seines Zeichens rathäuslicher Beamter in Soden bei Salmünster.
     Was ihn bewogen hatte, innerhalb von zwei Jahren gleich fünfmal im Kaiserlichen Patentamt in Berlin Schutzrechte geltend zu machen, ist heute nicht mehr zu erkennen. Carl Gladitz meldete vor gut 100 Jahren
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drei Erfindungen neben zwei Zusätzen zum Patent an. Die erste war eine »Sammelmappe mit umbiegbaren Blechrändern« (DRP 84487) am 3. Mai 1895, die durch die »Anordnung von möglichst dicht aufliegenden federnden Schiebern auf einer Deckleiste, zum Zwecke, je nach Stärke der Ein- cher mit einer größeren Anzahl Walzenpaare hinter einander, zum Zweck, das zu copierende Papier eine längere Strecke unter Druck laufen zu lassen.«
Sein drittes Patent nun – vom 30. September 1897 mit dem Titel »Sammelmappe« (DRP 106178) – ist eigentlich eine »Vorrich-
lagen die Blechbänder in ihrer umgebogenen Stellung festlegen und ein Lockern unmöglich machen«, wie es in der Patentamtssprache hieß – der Schnellhefter war erfunden.
     In zwei Zusätzen, vom 9. Oktober 1896 (DRP 92901) und vom 6. März 1897 (DRP 94038), wurde der ursprüngliche Schieber durch Drehschieber bzw. Vorreiber oder durch federnde Klappen ersetzt. Gegen Ende des Jahres 1895 reichte Gladitz seine zweite Erfindung, die »Vorrichtung zum gleichzeitigen Copieren der beiden Seiten eines Schriftstückes« (DRP 90326), ein. Sein Patentanspruch bestand darin: »Eine Copiervorrichtung zum gleichzeitigen Copieren der beiden Seiten eines Schriftstückes in einem Durchgange, gekennzeichnet durch die Anordnung zweier gleichmäßiger gefeuchteter, endloser Tü-

Preisliste um 1910

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tung an Sammelmappen, bei welchen die Einlagen auf umbiegbaren Blechbändern gesammelt werden; dieselbe ermöglicht es, die umbiegbaren Blechbänder bei etwaigem Bruch leicht ersetzen bezw. mit den aufgehefteten Einlagen aus der Grundplatte entfernen und durch andere Blechbänder ersetzen zu können. Um ein leichtes Auswechseln der Blechbänder ohne Benutzung irgend welcher Werkzeuge zu ermöglichen, kann die eine Mappenhälfte eine Grundplatte tragen, welche mittelst Oesen oder auf andere Weise an der Mappe befestigt wird.« Damit war der Vorläufer des sogenannten Aktendullis geschützt.
     Nun ließ es Carl Gladitz nicht, wie manch Zeitgenosse, beim Schutz seiner Erfindungen bewenden. Ein Patent bringt erst dann Geld, wenn es
Aus der Gründungsurkunde
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jemand benutzt. Deshalb suchte er sich ein Unternehmen, mit dessen Hilfe er seine Sammelmappen herstellen konnte. Er fand eine Textilfirma am Ort und einen Bankier in Freiburg. Am 29. Dezember 1897 gründete sich unter seiner Mitwirkung im Städtchen Soden-Salmünster (Hessen) das Unternehmen »Stolzenberg«, das bald darauf nach Oos (Baden-Baden) zog. Der Name stammt vom Wahrzeichen des Ortes – der Burgruine Stolzenberg.
     Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Firma dermaßen, daß sie auch in Berlin eine Niederlassung einrichtete. Sie befand sich zunächst in der Markgrafenstraße 76/77, hatte um 1900 Ausstellungsräume in der Charlottenstraße 23 und war später in der Lindenstraße 86 ansässig. Streng vertraulich teilte das »Internationale Auskunfts- und Inkasso-Bureau Wys Muller & Co.« im Mai 1914 auf Anfrage mit, »Zweck des Unternehmens ist der Vertrieb deutscher Büroeinrichtungen System Stolzenberg« und, daß »die Firma Fabrik Stolzenberg G. m. b. H. ... gut geleitet wird. Es werden heute einige 30 kaufmännische Angestellte, darunter etwa 20 Damen, und ferner mehrere Hausdiener beschäftigt. Die Zahlungen erfolgen pünktlich und man kann dem Unternehmen mit Vertrauen entgegenkommen. Das Personal wird gut bezahlt und auch gut behandelt und wechselt daher selten. Urlaub wird erteilt ... den ältesten Angestellten 14 Tage bis 3 Wochen. In den Wochentagen beginnt
die Geschäftszeit von Vormittags 8 Uhr und währt bis Nachmittags 5 Uhr. Sonntags und Feiertags ist das Geschäft geschlossen.«
     Anfang der 30er Jahre aber ging der ursprüngliche Betrieb in Oos in Konkurs, die Niederlassung in Berlin, mehrfach umgegründet, blieb erhalten. Sie stellte neben Schnellheftern vor allem Büromöbel und Kopiermaschinen her.
     Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sich das Unternehmen nach Reinickendorf in die Emmentaler Straße 132/150 zurück, dann nach Alt Reinickendorf 25–27.
     In den vergangenen Jahren hat sich das Unternehmen zu einem bedeutenden Hersteller von Registraturwaren aus Karton entwickelt. Kein Wunder bei dem derzeitigen Aufschwung in Büros und Ämtern. Denn alles will ja seine Ordnung haben, auch nach 100 Jahren.

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