79 Berlin im Detail | Refugium am Heiligen See |
Katalogbuch aufgelistet, das die
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg herausbrachte. Erklärte Absicht ist es, mit der Ausstellung, den Veröffentlichungen und einem umfangreichen Rahmenprogramm einschließlich Lesungen und Konzerten dem
»Vielgeliebten« die ihm zukommende Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn Friedrich Wilhelm II. wurde in der Geschichtsschreibung bis auf den heutigen Tag fast
immer mit negativen Attributen belegt. Das hat sicher damit zu tun, daß der König im Gegensatz zu seinem Vorgänger Friedrich
II. vom Regieren wenig hielt und die Staatsgeschäfte anderen überließ, in den Feldzügen gegen das revolutionäre
Frankreich Niederlagen und anschließende Gebietsverluste hinnehmen mußte, die durch den Landraub bei der Teilung Polens nicht
ausgeglichen wurden, und es zuließ, daß das von Friedrich II. vorbereitete und dann 1794 erlassene Allgemeine Preußische
Landrecht durch Edikte gegen Glaubens- und Meinungsfreiheit teilweise außer Kraft
gesetzt wurde.
Als Friedrich Wilhelm II. starb, schob man die ungeheure Staatsschuld von 54 Millionen Talern auf das Wirken skrupelloser Untergebener und die Mätressenwirtschaft. Doch als der neue König Friedrich Wilhelm III. rachsüchtige Untersuchungen gegen die Gräfin Wilhelmine Lichtenau, des verstorbenen Königs langjährige Geliebte bürger- | ||||||
Hans Hauser
Refugium am Heiligen See Potsdam stand voriges Jahr im Zeichen eines königlichen Schwerenöters und
Mäzens: Friedrich Wilhelm II. Er starb am 16.
November 1797, nur 53jährig, nach
elfjähriger Regentschaft in seinem
Lieblingsschloß, dem Marmorpalais am Heiligen See in
Potsdam. Hier im Neuen Garten hatte sich der Gatte zweier Frauen aus fürstlichem
Geblüt und zwei weiterer zur »linken Hand«
angeheirateter Damen sowie Vater mehrerer legitimer und illegitimer Kinder ein
Refugium geschaffen, das durch die Eröffnung
restaurierter Räume im Marmorpalais sowie die Ausstellung »Friedrich Wilhelm II. und die Künste Preußens Weg zum
Klassizismus« national und international bekannt
wurde und viele Besucher anlockte. Zu dieser auf das Marmorpalais und die
benachbarte Orangerie verteilten Schau kam im
Berliner Schloß Charlottenburg eine sehenswerte Dokumentation über die unter dem Monarchen zu neuer Blüte gelangte
Königliche Porzellanmanufaktur in Berlin.
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licher Herkunft, anstellte, wurde nicht
allzu viel Belastungsmaterial gefunden, das für einen Prozeß gereicht hätte. Der hätte
ohnehin die nicht ganz sauberen Verhältnisse
bei Hofe entlarvt.
Mit Friedrich Wilhelm II. brach nach dem Tod Friedrichs II. am 17. August 1786 in Preußen eine neue Ära an. »Neue Hoffnung des Vaterlandes« hieß es auf Huldigungsmedaillen, doch wurden schon bald viele Erwartungen enttäuscht. Des Großen Friedrichs lebenslustiger Neffe und Nachfolger bewies gegenüber seinem flötenspielenden Onkel wenig Pietät. Der exzellente Cellospieler setzte sich über den letzten Willen des ungeliebten Vorgängers hinweg, ihn auf der Terrasse von Schloß Sanssouci zu bestatten, und bereitete das Grab in der Potsdamer Garnisonkirche, neben dem des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. Der neue König ließ zudem das Sterbezimmer im Schloß Sanssouci von dem aus Wörlitz herbeigerufenen Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff klassizistisch umgestalten sowie Möbel und Bilder entfernen. Das war mehr als ein Affront gegenüber dem teuren Toten. Öffentlich sollte an einem heiligen Ort gezeigt werden, daß es mit dem »Style Rocaille« und all dem barocken Bombast des Alten Regimes vorbei ist. Fürstliche Behausungen erhielten, wie schon in England und Wörlitz vorexerziert, villenartigen Zuschnitt. Die gezirkelten Gärten aus der 46jährigen Ära Friedrichs des Großen wichen sentimenta- | len Landschaftsparks mit
malerischen Durchblicken und exotischen Tempeln.
Friedrich Wilhelm II. ließ Sanssouci im Stich und siedelte sich im Neuen Garten am anderen Ende Potsdams an. Zu vieles erinnerte ihn an die Standpauken, die der Alte Fritz ihm wegen »unmoralischen« Lebenswandels gehalten hatte. Das von 1787 bis 1791 nach Plänen von Karl von Gontard und Carl Gotthard Langhans anstelle eines kleinen Landhauses am Heiligen See errichtete Marmorpalais wurde zur Lieblingsresidenz des Monarchen. Die am Rande des Gartens, der von dem ebenfalls aus Wörlitz herbeigeholten Johann August Eyserbeck d. J. gestaltet worden war, gebaute Gotische Bibliothek diente zur Aufbewahrung deutscher und ausländischer Bücher zeitgenössischer Autoren. Sie sind Dokumente der vielseitigen Interessen ihres Besitzers. Als Beutegut mit vielen anderen Beständen von der Roten Armee mitgenommen, werden sie von der Schlösserstiftung schmerzlich vermißt. Der Bibliotheksturm erfuhr im vorigen Jahr nach langjähriger Restaurierungsarbeit an einem ausgegrabenen Kanal seine Wiedergeburt. Auf der Pfaueninsel hatten der »dicke Wilhelm« und Madame Rietz ein schloßartiges Liebesnest. Übrigens war die ebenso schöne wie kluge Dame die heimliche Heldin der Potsdamer Ausstellung, denn viele Kunstwerke für die königlichen Räume und Sammlungen gehen auf Ankäufe zurück, die sie in Auftrag gegeben hatte. | |||||
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Das Marmorpalais geplant als Landhaus ohne Seitenflügel | ||||||
Ursprünglich war das Marmorpalais als Privathaus gedacht. Die Dienerschaft hielt sich in Nachbarbauten auf. Die als versunkener antiker Tempel gestaltete Küche war unterirdisch mit der Herrschaft verbunden. Dem König wurde das Schloß schon bald zu klein. Doch die Fertigstellung zweier Seitenflügel hat er nicht mehr erlebt. Sein Sohn Friedrich Wilhelm III. überließ das Anwesen sich selbst, und erst dessen Sohn, Friedrich Wil- | helm IV., vollendete den Bau. Daher
kann man neben fürstlicher Wohnkultur, wie
sie in der Zeit der Französischen Revolution modisch wurde, auch romantische Ritterszenen und biedermeierliche
Tugendbilder an Fassaden und Decken bemerken.
Das Marmorpalais ist eine der wichtigsten Baustellen der Preußischen Schlösserstiftung. Sie wandte bisher 16 Millionen Mark für Sanierung und Restaurierung auf. Das | |||||
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Gebäude ist inzwischen schwammfrei,
die Dächer sind dicht und die Mauern trocken. Im Winter wird das Haus vom Keller
über Luftschächte mäßig beheizt, um Bilder
und Möbel vor Schaden zu bewahren. Das Sommerschloß, das mit den anderen preußischen Bauten der Berlin-Potsdamer
Kulturlandschaft auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht, ist zwar eines der wichtigsten Werke des Frühklassizismus in Deutschland, doch war sein Bekanntheitsgrad bisher gering. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es als sowjetischer Offiziersklub, in benachbarten Villen saß
der Geheimdienst KGB. Der Neue Garten wurde in einen Freizeitpark mit Radrennbahn, Badestrand und Pionierhaus verwandelt. Das im Grenzbereich liegende Areal
stand nicht auf touristischen Programmen, abgesehen von Schloß Cecilienhof, in dem das Potsdamer Abkommen geschlossen wurde.
Die Nutzung als Armeemuseum der DDR bewahrte das Marmorpalais zwar vor dem Verfall, die damalige Schlösserverwaltung hatte allerdings kaum Mittel, Kriegs- und Nachkriegsschäden zu beheben. Um Waffen, Uniformen und Geschütze zeigen zu können, wurden aber Zwischenwände in Kabinette und Säle eingefügt; Kabel auf Paneele genagelt, Elektroheizungen angeschaltet. Die Leute vom Armeemuseum verstellten Wände, ließen Malereien verschwinden, rissen Seidentapeten heraus. Fußböden aus | edlen Hölzern wurden durch
Betonestrich, Linoleum und Spannteppich ersetzt. Die Statik des Mauerwerks war durch Grundwasserabsenkungen gefährdet. Durch
Regulierung des Heiligen Sees wird jetzt
dafür gesorgt, daß die Holzstämme, auf denen
das Schloß zur Hälfte steht, nicht
austrocknen. Schon lange ist das zur
Armeeausstellung gehörende schwere Kriegsgerät aus
dem Schloßbereich verschwunden. Jetzt
breiten sich hier, wie ehedem, Blumenrabatten und Springbrunnen aus.
Auch nach der Freigabe der ersten Räume im Erdgeschoß für die Ausstellung zum Gedenken an Friedrich Wilhelm II. geht die Sanierung weiter. Deckenmalereien und Stukkaturen müssen gereinigt, ergänzt und farblich neu gefaßt werden; bei den vor zweihundert Jahren aus Italien herbeigeschafften Kaminumrandungen werden Fehlstellen geschlossen. Tischler verlegen intarsierte Fußböden, die nach Befunden neu geschaffen wurden. Fenster werden repariert und nach dem im jeweiligen Raum vorherrschenden Farbton innen neu gestrichen. Im Keller wurden originale Türen entdeckt. Sie dienten als Vorlagen für neue Eingänge. Handwerker der Region haben für Jahre alle Hände voll zu tun, sagt der zuständige Architekt Peter Bartmann. An versteckten Stellen seien sogar noch Reste originaler Seidentapeten ausgemacht worden. Die Stoffe werden im vogtländischen Mühltroff nachgewebt. Bei verlorenen | |||||
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Ausstattungen, etwa den durch
Granaten zerstörten Wandmalereien, wird von Fall
zu Fall entschieden, wie weit die Rekonstruktion gehen soll. »Spuren der Geschichte
sollen nicht verwischt werden. Der Besucher erlebt so Höhen und Tiefen in der
Schloßgeschichte, lernt unterschiedliche
künstlerische Handschriften kennen«, erläutert
der leitende Restaurator Andreas Liebe. Er weist auf gelbe Verfärbungen an bemalten
Paneelen. Sie wurden mit Borsalzen
imprägniert, als das Marmorpalais noch
Armeemuseum war. Die feuerhemmende Schicht sitzt
extrem fest und kann nur unter Gefährdung der darunter befindlichen Malereien
entfernt werden. Das will keiner riskieren. Ob eine hinter Paneelen entdeckte
Sandsteingrotte vom Vorgängerbau sichtbar
bleiben soll, muß noch entschieden werden.
Wer sich dem Marmorpalais nähert, vermißt Kronen, Monogramme und aufwendige Wappenschilder. Sie paßten nicht zum neuen, sozusagen bürgerlichen Geist, der mit Friedrich Wilhelm II. in Preußen Einzug hielt. Vielmehr wird der Betrachter von Gold geblendet. Der gründlich sanierte hölzerne Aussichtsturm ist mit Blech belegt, das einen marmorartigen Anstrich erhielt. Obenauf drei vergoldete Putten, die über das Schloß Blumen halten. Sie wurden von dem Berliner Kupferschmied Achim Kühn als Treibarbeit über Holzmodellen neu geschaffen. Vergoldet wurden auch Gitter, die dem rot-weißen Baukomplex einen zusätzli- | chen Akzent geben. Während das Schloßinnere Raum um Raum bei laufendem Besucherverkehr wiederhergestellt wird, ziehen sich die Arbeiten am Außenbau noch lange hin. Reinigung und Festigung der Reliefs und Säulen sowie der Fenster- und Türeinfassungen aus schlesischem
Marmor verlangt von den Steinrestauratoren
Höchstleistungen. Zu groß sind die Schäden an dem empfindlichen Material, besonders dort, wo Wind und Wetter ungehemmt
angreifen. Beträchtliche Schäden zeigen
die Säulen der Innenhofarkaden. Sie stammen von der barocken
Knobelsdorff-Kolonnade im Park von Sanssouci, die Friedrich
Wilhelm II. hatte abreißen lassen, um Baumaterial zu gewinnen. Daß Marmor aus den eigenen Provinzen verwendet wird, war dem Herrscher wichtig. Polnische
Denkmalpfleger halfen jetzt ihren Potsdamer Kollegen erfolgreich bei der Suche nach
Resten zur Ausbesserung von Fehlstellen.
Bildquelle: Archiv Autor | |||||
© Edition Luisenstadt, 1998
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