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Eckart Elsner (Hrsg.)
Bevölkerungsvorgänge in den ost- und mitteleuropäischen Hauptstädten

Statistisches Landesamt, Berlin 1996

Moskau–Berlin
in Zahlen 1994–1995

Statistisches Landesamt, Berlin 1996

Die Broschüre »Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung in den Hauptstädten Ost- und Mitteleuropas« (Innentitel) wurde im August 1997 fertiggestellt. Sie wird presserechtlich verantwortet vom Statistischen Landesamt Berlin. Das 110seitige Heft ist ein bemerkenswerter Beitrag zum Kennenlernen und Näherrücken von Berlin, Bratislava, Budapest, Prag, Warschau und Wien. Es hat Ausgaben in den fünf Sprachen der sechs Länder, die durch ihre Hauptstädte repräsentiert werden, sowie in Englisch. Vorläufer und wohl auch Wegbereiter dieser Publikation ist die Broschüre »Warschau–Berlin« von 1995, an deren äußere graphische Gestaltung mit den farbigen Städtewappen sich das Heft anlehnt.
     »Schon der statistische Vergleich innerhalb Westeuropas ist manchmal nicht ganz unproblematisch, besonders auf Gebieten der Wirtschaft«, schreibt Günther Appel, Leiter des Statistischen Landesamtes Berlin, im Vorwort. Das sei einer der Gründe, weshalb diese erste Untersuchung im wesentlichen auf demographische Aspekte beschränkt wurde. Eine weise Beschränkung, die von gemeinsamem Nachdenken in den statistischen Ämtern über das derzeit Machbare zeugt. Tatsäch-

lich dürfte die Basis der seriös vergleichbaren Angaben noch recht schmal sein. Ausschlaggebend hierfür sind sicherlich zum einen die zahlreichen Erfassungsmethoden und Bezugsgrößen in den vier ehemals sozialistischen Ländern, die von denen in der Bundesrepublik und in Österreich abweichen, zum anderen aber auch historisch gewachsene nationale Besonderheiten.
     Trotz dieser Beschränkung wird eine Fülle interessanter Daten geboten. Die neuesten sind von 1995, die Mehrzahl ist von 1994. Dies kann als akzeptabel gelten, da sich binnen weniger Jahre keine einschneidenden demographischen Bewegungen ergeben. Die zu erwartende Aktualisierung bedarf keiner so aufwendigen Vorarbeiten, wie sie für diesen Erstling zu leisten waren, könnte also mit Zeitgewinn bewerkstelligt und in einen Ein- oder Zweijahresrhythmus eingetaktet werden, falls dies beabsichtigt ist.
     Bereits die ersten Abschnitte des Textteils sind mit Erfolg um Allgemeinverständlichkeit bemüht und setzen damit Maßstäbe. Wir lesen in knapper Diktion die wichtigsten, sorgfältig formulierten Angaben über Bevölkerungen und Stadtgebiete, Entwicklung der Einwohnerzahlen seit der Jahrhundertwende sowie zwischen 1970 und 1995, zu Altersstruktur, Geschlechtsstruktur und zum Familienstand: Ledige, Verheiratete, Verwitwete, Geschiedene. Zu diesen Positionen gibt es übrigens aus Berlin keine Angaben, sie wurden bei Volkszählungen bisher nicht erhoben. Die Tendenz in Berlin dürfte sich in den 80er und 90er Jahren ähnlich wie in den anderen Hauptstädten entwickelt haben – die Zahl der Ledigen und der Geschiedenen ist gestiegen, die Zahl der Verheirateten gesunken. Besonderheit: »Die Hauptstadt des traditionell besonders religiösen Polens weist nur soviel Geschiedene wie Budapest auf« (S. 29).
     Es folgen die wichtigsten Angaben zu Geburten (für Warschau liegen keine differenzierten Anga-
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ben zu ehelichen oder unehelichen Geburten vor), Schwangerschaftsabbrüchen (nur für Bratislava, Budapest und Prag, zugleich ein weiterer Hinweis auf Unterschiede zwischen den Statistiken), zu Sterbeziffern und Säuglingssterblichkeit. Den Schluß bilden ausführliche Tabellen als gesonderter Teil.
     Die Broschüre ist eine Bereicherung des Angebots an demographischen Unterlagen und zudem so verfaßt, daß sie einem relativ breiten Kreis dienen kann, beispielsweise interessierten Pädagogen. Sie »ermöglicht einen innereuropäischen Vergleich interessanter statistischer Daten«, so der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, im Grußwort. Sein Hinweis darauf, daß alle Hauptstädte der Welt heute vor ähnlichen Problemen stehen, etwa im Verkehrs- und Umweltbereich, beim Bekämpfen der Kriminalität oder im Wohnungsbau, deutet auf Möglichkeiten weiterer Statistik-Vergleiche.
     »Moskau–Berlin in Zahlen 1994–1995« ist in Zusammenarbeit des Statistischen Landesamtes Berlin mit dem Moskauer Stadtkomitee für amtliche Statistik entstanden. Die zweisprachige Broschüre (59 Seiten) ist breiter als der vorgenannte Städtevergleich angelegt. Nach Vorworten der beiden Bürgermeister, Luschkov und Diepgen, umfaßt sie insgesamt elf Bereiche, von Geographie und Bevölkerungszahlen über Erwerbstätigkeit, Lebensbedingungen und Verkehr bis zum Brandschutz, im Grunde dessen Gegenteil, nämlich Zahl der Brände und Todesopfer. Man darf diese Publikation nicht überschätzen. Sie ist offensichtlich ein erster bescheidener Versuch, ausgewählte Angaben zu den beiden recht unterschiedlichen Hauptstädten anzubieten. Eine Reihe davon ist, sofern Moskauer Provenienz, zumindest cum granu salis zu werten.
     Da ist beispielsweise die Moskauer Arbeitslosenquote von 0,3 Prozent (1994) und 0,4 Prozent (1995), unkommentiert basierend auf der Zahl der registrierten Arbeitslosen, und das waren 1995 nur 23 700 bei 5,3 Millionen Erwerbstätigen.
Unter der Rubrik »Straftaten« sind für Moskau (1995) insgesamt 92 675 ausgewiesen, das sind 1 074 je 100 000 Einwohner. Die Vergleichszahlen für Berlin: insgesamt 580 829 Straftaten, was 16 729 je 100 000 Einwohner bedeutet. Hier darf man vollends an der Vergleichbarkeit der Moskauer Angaben zweifeln. Grundlage der Statistik hier wie dort: »Bei der Polizei bekannt gewordene Straftaten«. Angaben in anderen Rubriken, so zu Bildungswesen, Kultur und Verkehr, erscheinen dagegen realistisch.
     Es ist deutlich zu hoch gegriffen, wenn es im deutschen Grußwort heißt, die beiden statistischen Ämter »ermöglichen über Zahlen und Definitionen einen umfassenden Vergleich unserer beiden Städte«.
     Immerhin bieten die Definitionen der Kennziffern für Moskau eine gewisse Lesehilfe. Darin heißt es beispielsweise, unter Privathaushalt sei bereits eine Person zu verstehen, »die ständig in einem Wohnraum oder in einem Teil eines Wohnraums lebt und sich mit allem Notwendigen des Lebens versorgt«, also auch die Großmutter und erwachsene Kinder. Für eine neue Ausgabe der Broschüre, deren Anliegen ja durchaus zu begrüßen ist, sollten jedenfalls höhere Anforderungen gestellt werden. Als Übergangslösung wäre ein weitergehend interpretierender Text denkbar, um das Verständnis zu erleichtern und bestimmte Aussagen zu relativieren.

     Karl-Heinz Arnold

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andauernden Diskussionen und restriktiven Festlegungen um die Weiterführung des Krankenhauses herum. Nun hat sich Moabit mit dem benachbarten Diakonie-Krankenhaus Lazarus und dem Paul-Gerhardt-Stift zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts »Krankenhaus Moabit« zusammengeschlossen. Da lesen die Ärzte, Schwestern und Patienten die für sie wichtigste Aussage bereits im Senatorinnenvorwort: Die Pläne, das Krankenhaus Moabit »zu einem Gesundheitszentrum« zu entwickeln, werden »erfolgreich verwirklicht«. (S. 8) Bedeuten diese Worte das Ende der sich hinziehenden Unsicherheiten? Allen Beteiligten wäre es zu wünschen.
     Den Hauptteil zur Geschichte des Städtischen Krankenhauses Moabit bestreitet der Altmeister der Berliner Medizingeschichte Manfred Stürzbecher. Dabei stützt er sich auf seine früheren Publikationen zu Moabit. Stärker als zuvor gelingt Stürzbecher die Verknüpfung der speziellen Geschichte des Krankenhauses Moabit mit dem Gesundheitswesen der Stadt generell und allgemeinen medizinhistorischen Betrachtungen. So etwa das Zusammenwirken mit der Charité und dem 1906 errichteten Rudolf-Virchow- Krankenhaus, die soziale Zusammensetzung der Patientenschaft, die Berufsentwicklung des Pflegepersonals und die Nutzung der damals neuen Röntgenstrahlen. Ausführlich und detailliert wandert Stürzbecher durch die verschiedenen Jahrzehnte und unterschiedlichen politischen Ordnungen. Viele seiner Betrachtungen macht er an den leitenden Ärzten fest, um von diesen in die Breite der Medizin und der Gesundheitspolitik zu gelangen. Dabei setzt sich beim Leser gewollt und berechtigt die Erkenntnis fest, daß dieses Krankenhaus in seiner personellen Besetzung und daraus folgend in seiner medizinischen Leistungsfähigkeit und seinen wissenschaftsforschenden Ambitionen eine über ein städtisches Haus hinausgehende Stellung einnahm. Um nur die bekanntesten Ärzte zu nennen, die hier zeitweilig tätig waren, wie die Nobelpreisträger Robert Koch
125 Jahre Krankenhaus Moabit 1872–1997

Beiträge von M. Stürzbecher/ M. Bühring/ W. Flemmig/ H. Neumann/ C. Pross/ J. Schauer–Oldenburg/ V. Taenzer/ H.–H. Wegener

Weidler Buchverlag, Berlin 1997

Zunächst muß der Leser ordnen: Das Krankenhaus Moabit, als städtische Einrichtung eröffnet, besteht 125 Jahre, datiert demnach von 1872. Das Krankenhaus im Friedrichshain, zwei Jahre später, also 1874 feierlich eingeweiht, wird jedoch als das erste städtische Krankenhaus der Stadt Berlin in den Annalen geführt. Wie geht das? Der profunde Kenner der Geschichte des Berliner Gesundheitswesens Manfred Stürzbecher verweist auf das vorgesehene Provisorium der ursprünglichen Baracken und die Tatsache, daß Moabit bei der Eröffnung Friedrichshains bereits wieder geschlossen wurde, um kurz danach (1875) als zweites städtisches Krankenhaus dauerhaft etabliert zu werden (S. 15 ff.). So kann der Vorgang interpretiert werden, im Falle der Charité allerdings entschieden die Oberen 150 Jahre zuvor anders. Das Jahr der Fertigstellung (1710) des nie als Pesthaus genutzten Gebäudes gilt als Gründungsdatum, obwohl die Order von König Friedrich Wilhelm I. über die Verwendung des Hauses als Krankenhaus erst vom Januar 1727 stammt.
     Die vorliegende Publikation will keine Festschrift im üblichen Sinne sein, obwohl sie das Jubiläum zu Recht feiert. Das Krankenhaus Moabit und seine früheren wie derzeitigen Mitarbeiter haben die öffentliche Anerkennung verdient. Das würdigen in ihren ehrenden Vorworten Beate Hübner als Senatorin für Gesundheit und Soziales, Jörn Jensen als Bezirksbürgermeister und Diethard Rauskolb, der zuständige Bezirksstadtrat von Tiergarten. Sie alle kommen nicht um die seit Mitte der 80er Jahre

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(1843–1910) und Werner Forßmann (1904–1979), oder eben ihre Wirkungsstätte vornehmlich in Moabit fanden wie Heinrich Curschmann (1846–1910), Georg Klemperer (1865–1946) und Erwin Gohrbandt (1890–1965). Bedauerlich allerdings, daß im Gegensatz zu den interessanten biographischen Angaben aller leitenden Ärzte für den ersten Direktor des Lazaretts, Sanitätsrat Dr. Ernst Carl Ludwig Heim (1844–1902), nicht zu verwechseln mit dem legendären Volksarzt Ernst Ludwig Heim (1747–1834), nur einige wenige Informationen geboten werden. Zweifel sind anzumelden bei der Darstellungsweise, wie Ferdinand Sauerbruch (1875–1951) und Erwin Gohrbandt Stadtrat bzw. Stellvertreter im ersten Nachkriegsmagistrat von Berlin wurden. (S. 76) Abgesehen davon, daß dieser Vorgang in der Literatur unterschiedlich beschrieben wird, entsteht der Eindruck, als ob es sich nach Kriegsende in Berlin um die Übernahme normaler kommunaler Administrationstätigkeit gehandelt hätte und nicht um die Aufgabe, einer leidgeprüften, hungernden, von Seuchen und Infektionen geplagten Bevölkerung in der weitgehend zerstörten Reichshauptstadt dringend benötigte medizinische Hilfe zu organisieren.
     Unaufdringlich versteht es Stürzbecher, dem Leser das Besondere und das Überdurchschnittliche, das den Rahmen eines normalen Versorgungskrankenhauses überschreitet, zu vermitteln. Dazu gehören die Bestrebungen, an universitärer medizinischer Forschung und Lehre teilzuhaben. So gibt es eindrucksvolle Schilderungen, wie um die IV. Medizinische Universitätsklinik und die III. Chirurgische Universitätsklinik als Außenstellen der Charité gerungen wurde. Unausbleiblich die Begegnung mit Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935), die 1920, ein Jahrzehnt zuvor als erste Frau in Preußen mit einem Professorentitel geehrt, nach Moabit kam.
     Besonderes Interesse wird das »Werner-von-Siemens-Institut« beim Leser finden. Hier kann man sich über eine frühzeitige innovative Verbindung,
beginnend mit dem Jahr 1923, von Medizin und Medizintechnik in enger Kooperation zwischen dem Städtischen Krankenhaus Moabit und der Firma Siemens & Halske informieren, die für Ärzte, Patienten und Industrieforschung vorteilhaft war.
     (S. 119 ff.) Sozialreformerische Ansätze und Versuche sowie die wissenschaftliche Erprobung und Einführung neuer Behandlungsmethoden in Diagnostik und Therapie gehören zu einem der Markenzeichen des Hauses. Gelungen auch das Anliegen, die sozialen Bezugsebenen zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Patienten zu verdeutlichen und die Einbettung des Krankenhauses in die Sozialstruktur der Einwohner Moabits aufzuhellen.
     So wird verständlich, warum sich unter der Ärzteschaft des Hauses zahlreiche Mediziner jüdischer Herkunft befanden, die wesentlich zur Leistungsfähigkeit und zum Hochschulcharakter beitrugen.
     Beklemmend dann die Schilderungen über das Schicksal namhafter jüdischer Ärzte wie Rudolf Jaffé (1885–1975), Kurt Goldstein (1878–1965), Georg Klemperer und Ernst Haase (1894–1961) während der Hitlerherrschaft und das Karrierestreben der engstens mit dem NS–System verbundenen Ärzte wie Kurt Strauß (1901—1944) und Heinz Teitge.
     Nach »vorgefertigten Listen«, so formuliert Christian Pross (S. 109), holte der SA–Sturm »33« am 1. April 1933 »die jüdischen Ärzte aus ihren Arbeitszimmern, Operationssälen und Krankenzimmern«. Sie wurden »in ihren weißen Kitteln abgeführt, auf die bereitstehenden Lastwagen verladen und abtransportiert«, woran ärztliche Kollegen des Krankenhauses und der Stadtbezirksverwaltung beteiligt waren. Manfred Stürzbecher formuliert, in der Sache sicherlich ebenso berührt, dennoch zurückhaltender: »1993 wurde Jaffé in die personellen Umbrüche einbezogen.« Welche Worte wählt man heute für die Beschreibung dieser ungeheuerlichen Vorgänge? Im Gegensatz zu anderen Publikationen ähnlichen Festcharakters anderer Berliner Krankenhäuser werden im vorliegenden Band die Jahre der
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Baracke der Röntgendiagnostik 1923

Naziherrschaft ausführlich und ohne Scheu behandelt. Dies sogar neben der partiellen Darstellung bei Stürzbecher in einem gesonderten, wenngleich knapp gehaltenen Kapitel durch Christian Pross, der sich vor einigen Jahren in einer viel beachteten speziellen Untersuchung (C. Pross/R. Winau: Nicht mißhandeln. Das Krankenhaus Moabit, Berlin 1984) mit dem Schicksal der jüdischen Ärzte im Moabiter Krankenhaus beschäftigte. Stürzbecher verweist auf den bewußten und aktiven Widerstand in der Gruppe »Europäische Union«, zu der führend der Moabiter Internist Georg Groscourth (1904–1944), der in Brandenburg–Görden hingerichtet wurde, und der Physikochemiker Robert Havemann (1910–1983), der später in konsequenter politischer Distanz zur DDR-Führung stand, gehörten.
     Die letzten Kapitel der Schrift befassen sich mit dem Ringen um den Erhalt des Krankenhauses Moabit (J. Schauer–Oldenburg) und dem Versuch,
durch die Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) den finanziellen Einsparungsabsichten des Senats zu entsprechen (H. Neumann) sowie den Perspektiven der Einrichtung (H.-H. Wegener). Der Leser wird den Autoren zustimmen: Ein Krankenhaus mit großer Tradition, anerkannter Leistungsfähigkeit und ständig innovativen Bestrebungen muß eine Zukunft haben.

Bernhard Meyer

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© Edition Luisenstadt, 1997
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