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er in Preußens und des Deutschen Reiches Metropole seine wichtigsten Lebensjahre verbringen würde, wäre das sicher im rheinischen Gelächter untergegangen. Eine Aachener Frohnatur in Berlin – das war kaum vorstellbar. Und so lernte der im Hause eines wohlsituierten Nadelfabrikanten Aufgewachsene das geistig-kulturelle Leben zunächst vor allem in süddeutschen Universitätsstädten kennen, in Freiburg im Breisgau, in München und Heidelberg. Scheinbar ziel- und planlos belegte der junge Mann und überzeugte Anhänger der freistudentischen Bewegung, der Finkenschaft, alle Disziplinen, die ihn interessierten: Philosophie und Medizin, Nationalökonomie und Germanistik, Philologie und Geschichte. Schließlich promovierte er 1912 in Halle an der Saale über »Schillers Theorie des Tragischen«. Die Bearbeitung des Themas war gleichsam der theoretische Vorlauf für die sich an die Studienzeit anschließende Theaterpraxis, die ihn als Schauspieler und Regisseur ans Düsseldorfer Schauspielhaus, an Bühnen in Elberfeldt und Frankfurt am Main führte. Drei Jahre leitete er gemeinsam mit Robert George das Frankfurter Künstlertheater, eine Wanderbühne, die im Rheinland zielstrebig volksbildnerische Absichten verfolgte.
     Diese Lehr- und Wanderjahre waren eine Zeit ernstesten Strebens, fern jeder Boheme. Sie führten Kuckhoff weltanschaulich zum Marxismus, ohne daß er bereit gewesen
Dieter Götze
Ein Idealist der Linken

Der Schriftsteller Adam Kuckhoff
(1887–1943)

Wer in einem Bus der Linie 118 Schöneberg durchquert, passiert auch den Adam-Kuckhoff-Platz, ein kleines Rondell, das seit 1990 den Namen des Schriftstellers trägt, der in der unweit gelegenen Wilhelmshöher Straße bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo 1942 gelebt hat. Die Namensverleihung, maßgeblich von den Schöneberger Jusos initiiert, war kurz nach der Wende eine kleine politische Demonstration. Anwohner wußten zunächst wenig mit dem Namen anzufangen. Daß hier, mitten in Friedenau, ein Mann gelebt und gearbeitet hatte, der zu den interessantesten Autoren dieses Jahrhunderts gehört, war selbst Literaturbeflissenen kaum bekannt. Da seine Werke nach Kriegsende (mit wenigen Ausnahmen in der DDR) nicht wieder aufgelegt wurden, zählt der Schriftsteller Adam Kuckhoff zu den nahezu Vergessenen, wenn ihn auch heute einschlägige Lexika verzeichnen.
     Kuckhoff stammte aus dem Rheinland, und wenn bei seiner Geburt am 30. August 1887 in Aachen prophezeit worden wäre, daß

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wäre, seine Überzeugungen in eine Parteimitgliedschaft münden zu lassen. Im Zentrum stand für ihn der Dichter-Revolutionär Georg Büchner, dessen Werke er 1927 in einer kommentierten Volksausgabe herausgab.
     Schreiben hatte bereits für den Gymnasiasten und Studenten zum Alltag gehört. Tageszeitungen und Journale in Köln, Frankfurt und Berlin hatten später seine lebendig geschriebenen Theaterkritiken, Skizzen und Berichte veröffentlicht. Da sie weit über dem Niveau eines platten Tagesjournalismus standen, sorgten sie für Aufsehen. Das mag Eugen Diederichs (1867–1930), eine der interessantesten deutschen Verlegerpersönlichkeiten, bewogen haben, ihn für seine kulturpolitische Zeitschrift »Die Tat« zu gewinnen. Zunächst nur auf Veröffentlichungen in der aktuellen Rubrik »Gesicht der Zeit« beschränkt, übernahm Kuckhoff im April 1928 die Leitung der »Tat« und gab ihr den Untertitel »Monatsschrift zur Gestaltung neuer Wirklichkeiten«. Das ursprünglich eher konservativ ausgerichtete Journal bekam in kurzer Zeit ein neues, linkes Profil. Autoren wie Alfons Paquet – er hatte 1919 als einer der ersten Deutschen Sowjetrußland bereist -, Arnim T. Wegner – seit 1928 Mitglied der KPD – und John Sieg – zeitweise Redakteur der »Roten Fahne« – tauchten in den Spalten auf. Kuckhoff selbst schrieb ca. 50 Beiträge, neben umfangreichen Leitartikeln zahlreiche stark polemisch gefärbte Glossen, deren Überschriften schon Provo-
kation genug waren – etwa: Wofür wir Hindenburg zu danken haben.
     1929 beendete der aufgeschreckte Diederichs die Zusammenarbeit. Auch für Kuckhoff war das eigentlich eine Befreiung.
     Er gewann Zeit zu schriftstellerischer Arbeit. 1931 gelang ihm mit dem Künstlerroman »Scherry«, den er um die Gestalt des Grock, des Königs der Clowns, frei dichtete, endgültig der Durchbruch als Schriftsteller. Wie sehr ihn aber nach wie vor praktische Theaterarbeit faszinierte, zeigte sich, als ihm sein Jugendfreund, der preußische Kultusminister Adolf Grimme (1889–1963), die Stelle des ersten Dramaturgen an den Berliner Staatlichen Schauspielen anbot. Hier, an der repräsentativsten Bühne Deutschlands, öffnete sich für Kuckhoff ein Betätigungsfeld, von dem er bis dahin nur geträumt hatte. Der erzkonservative Eckart von Naso, sein Dramaturgen-Kollege und damals gerade selbst auf dem Wege zu einem erfolgreichen Autor, und Bernhard Minetti haben später in ihren Lebenserinnerungen gute Worte für sein Wirken am Berliner Gendarmenmarkt gefunden. In der täglichen Arbeit kam es jedoch bald zu Differenzen mit Ernst Legal, dem Intendanten. Inszenierungen, die Kuckhoff betreute, stießen auf starken Widerspruch. Kuckhoff wiederum warf Legal vor, das Schauspielhaus in ein »braves Kunstinstitut« verwandeln zu wollen. So war bereits im Frühjahr 1932 die verheißungsvoll begonnene Arbeit wieder beendet. Dieser
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endgültige Abschied vom Theater kam wie bereits zuvor der Abschied von der »Tat« seiner Tätigkeit als Schriftsteller zugute.
     Das betraf vor allem die Arbeit am Roman »Der Deutsche von Bayencourt«, dessen Stoff Kuckhoff Jahrzehnte beschäftigte. Da er der Auffassung war, »daß man bei einem Roman gar nicht genug Tatsächliches erfahren und wissen kann«, unternahm er 1933 sogar eine Reise nach Amiens, um die Schauplätze, wo sich seine Geschichte abspielen sollte, zu inspizieren. In einer spannungsreichen und verzweigten Handlung schildert der Roman, wie der Gutsbesitzer Bernhard Sommer, ein in Frankreich naturalisierter Deutscher, während des Ersten Weltkrieges zwischen die Fronten gerät, obwohl er in Jahren harter Arbeit die Achtung seiner neuen Landsleute gewonnen hat. Als entdeckt wird, daß er deutsche Soldaten vor ihren französischen Verfolgern schützt, wird er standrechtlich erschossen, sein Hab und Gut geplündert und verbrannt. Völlig verstört erkennt der Deutsche von Bayencourt vor seinem Tod, daß sein Glaube an Völkerverständigung und Versöhnung ein »lächerlicher Wahn«, ein Selbstbetrug war. Als der Roman 1937 bei Rowohlt erschien, glaubte die NS-Kritik, ein Buch ganz nach ihrem Geschmack in Händen zu halten. Daß Kuckhoffs realistische Gestaltungsweise – weit entfernt von gängiger Blutund-Boden-
Epik – den Leser aber gerade zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Nationalis-
mus und Chauvinismus zwang, entging ihr. Kuckhoff verweigerte auch eine Verfilmung, um möglichen nationalistischen Verfälschungen einen Riegel vorzuschieben.
     Er selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren stark im antifaschistischen Widerstand engagiert. Gemeinsam mit seiner Frau Greta und den Ehepaaren Arvid und Mildred Harnack und Harro und Libertas Schulze-Boysen arbeitete er am Aufbau jener weitverzweigten Gruppierung von Nazigegnern, der die Gestapo später den Namen »Rote Kapelle« gab. Für den Chronisten seines Lebens ist es heute schwer, Einzelheiten dieses Kampfes, der sich unter den Bedingungen tiefster Illegalität vollzog, zu ermitteln. Greta Kuckhoff hat später versucht, darüber in ihrem Buch »Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle« zu berichten. Der ganze Umfang dieser Tätigkeit, der Kuckhoff seine literarischen Pläne opferte, ist heute nicht mehr rekonstruierbar. Kuckhoff war Hitler-Gegner aus tiefster innerer Überzeugung. Wie viele seiner Mitstreiter sah er in der Sowjetunion die Kraft, die Nazideutschland überwinden würde und demzufolge auch zu unterstützen war.
     Am 12. September 1942 wurde er in Prag verhaftet. Der Prozeß vor dem Reichskriegsgericht endete für ihn mit dem Todesurteil. Adolf Grimme hat uns seine Standhaftigkeit vor den Anklägern überliefert: »Was nun seine Haltung vor Gericht betrifft, so ist sie dieselbe gewesen, die er in den letzten Wochen
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seines Lebens gezeigt hat: Mannhaft, keinen Augenblick innerlich oder äußerlich nachgebend und wie besessen von dem Glauben, daß er sein Leben für eine große Sache zum Opfer bringen müsse. Das ist alles um so bewundernswerter, als man ihn von Anfang an übel behandelt hat; beim Termin im Februar 1943 war er zum ersten Male seit seiner etwa Anfang September 1942 erfolgten Verhaftung ohne Fesseln, und er hatte Gelegenheit, mir zuzuflüstern, daß er in sadistischer Weise in der sogenannten Stalinkammer, dieser Schreckenskammer der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, Torturen über sich hat ergehen lassen müssen. Er hat sie mir im einzelnen geschildert – ich möchte sie jetzt nicht wiederholen. Diese Ungebrochenheit seines Charakters war schlechthin beispielhaft. Was die deutsche Literatur an ihm verloren hat, wissen nur wenige, gehörte er doch zu den Naturen, denen der Erfolg erst gekommen sein würde ...«
     Am 5. August 1943 wurde Adam Kuckhoff im Alter von 55 Jahren in Berlin-Plötzensee mit 14 weiteren Gefährten hingerichtet.
     Ob sich heute noch einmal ein Verlag an die Herausgabe seiner Werke wagt? Was gäbe es da nicht alles zu entdecken: den tief die ganze Epoche auslotenden »Deutschen von Bayencourt«, die geistreiche Novelle »Scherry«, eigenwillige Erzählungen wie »Der Deserteur« oder »Der letzte Auftritt«, anspruchsvolle Essayistik, sogar einen Kriminalroman, »Strogany und die Vermißten«,
ausdrucksstarke Lyrik. Eines seiner schönsten Gedichte ist im Februar 1943 in der Haft für seine Frau Greta entstanden:

»Andern hab ich manchen Vers geschrieben,
Dir nur hier und da ein kleines Wort.
Zeugt das nicht von kleinrer Kraft im Lieben?
Geh ich nicht als Schuldner vor Dir fort?

O Geliebte, ungemessen
war die Liebe, die uns zwei verband.
Über ihr hab ich das Wort vergessen,
weil ein jeder Tag uns in ihr fand.

Denkst Du an das Blut in Deinen Lungen?
Sprichst Du von der Luft, die Dich umgibt?
Nein, ich habe Dich nicht besungen,
nur geliebt.«
1)


Quelle:
1     Gerald Wiemers: Ein Stück Wirklichkeit mehr, Deutsche Akademie der Künste zu Berlin, o. J. S. 26

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