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(1800–1865) unter Leitung von Johann Heinrich Strack (1805–1880) – sollte die Reiterstatue die Brüstung des obersten Absatzes auf der Freitreppe krönen. Mitte der siebziger Jahre waren dann jedoch noch einmal Meinungsverschiedenheiten über die geeignetste Plazierung des Denkmals aufgekommen. In der »Vossischen Zeitung« vom 4. Dezember 1877 las sich das so: »Nachträglich scheinen Bedenken darüber aufgestiegen zu sein, ob jener Platz dort auf der Höhe wahrhaft geeignet für die Aufstellung eines solchen Denkmals sei. Damit der Kaiser und die Stadt nach eigenem Augenschein über diese Frage entscheiden und die Entscheidung darüber getroffen werden könne, ist – bei uns wohl zum ersten Mal – der Versuch gemacht worden, nicht nur ein Probemodell des ganzen künftigen Werks auf der Treppenbrüstung, sondern gleichzeitig noch ein zweites in der Mitte des großen Platzes vor dem Galeriegebäude aufzustellen.« Das Ziel der Aktion sollte offensichtlich sein, in einer Art »öffentlicher Ausschreibung« den künftigen Standort endgültig zu bestimmen bzw. dafür die Meinung der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Aber wer könnte schon ausschließen, daß dabei auch Unsicherheiten ob der drastischen Spottlust der Berliner mitgesprochen haben.
     Die Entscheidung, auf die hier beschriebene Weise zu verfahren, war erst Mitte 1877 gefallen. Zu jenem Zeitpunkt befanden sich
Hans Aschenbrenner
Probestehen eines Helden

Standortsuche für das Reiterdenkmal Friedrich Wilhelms IV.

Vor 120 Jahren, in den ersten Dezembertagen 1877, wurden die an der Nationalgalerie Vorübergehenden lebhaft angezogen durch den Anblick zweier Reiterstatuen. Aus der Ferne wie fertige Arbeiten erscheinend, beide König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) darstellend, war »die eine auf der Höhe der großen Freitreppe, die andere, ganz gleichgestaltet, auf dem Platze vor dem Museum aufgestellt«, wie die »National-Zeitung« am 1. Dezember 1877 zu berichten wußte. Den Kunstinteressierten unter den Passanten war es natürlich nicht neu, daß der Nationalgalerie – am 21. März 1876 nach annähernd neunjähriger Bauzeit als »Museum zeitgenössischer Kunst« eingeweiht (BM 3/96) – eben jenes königliche Denkmal noch fehlte, gewidmet dem Schöpfer und Begründer der Kunst-Akropolis Berlins, der in Berlins Mitte noch nicht durch ein Reiterdenkmal verewigt worden war.
     Nach dem ursprünglichen Plan für den Bau der Nationalgalerie – er erfolgte nach Entwürfen von Friedrich August Stüler

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die Arbeiten an dem Denkmal noch immer in einem frühen Stadium. Nachdem Gustav Blaeser, am 20. April 1874 verstorben, ein von ihm erarbeitetes Hilfsmodell nicht mehr ausführen konnte, war fortan Alexander Calandrelli (1834_1903) mit den Arbeiten betraut. Calandrelli hatte bereits an der Innenausstattung der Galerie mitgewirkt. Er arbeitete am Entwurfsmodell, als die Plazierungsfrage in den Vordergrund geschoben wurde. Dazu gab es sogar eine Abstimmung im Senat der Akademie der Künste, die knapp gegen die ebenerdige, zugunsten der Hochvariante ausfiel. Wilhelm I. (1797-1888; König seit 1861, Kaiser seit 1871), hoheitlicher Bruder des zu Würdigenden, favorisierte inzwischen die Variante auf dem Platz vor dem Museum, und er stellte dafür sogar konkrete

Das Denkmal Friedrich Wilhelms IV. nach dem ursprünglichen Plan; »Deutsche Bauzeitung«

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Überlegungen an, die auch davon ausgingen, das Standbild nicht direkt in die Nationalgalerie zu integrieren, sondern etwas von ihr abzusetzen. Nach dem knappen Abstimmungsergebnis gebeten, persönlich zu entscheiden, kam ihm ein Vorschlag der Baudeputation sehr entgegen, den Streit durch sozusagen alternatives Probestehen zweier aus Gips gefertigter Modelle austragen zu lassen. Diese wurden im Juni 1877 zur kurzfristigen Anfertigung in Auftrag gegeben. Knapp 15 000 Mark betrugen die Kosten für die beiden Modelle, die in groben Zügen, aber in der Größe des später einmal zu erstellenden Originals angefertigt wurden, Überdachung und vier aus Holz gefertigte Allegorien, alles gleichfalls zweifach ausgeführt, inklusive. Als sie dann bei anbrechendem Winter aufgestellt waren, löste dies tatsächlich eine lebhafte Debatte aus, die außer besagter Standortfrage noch andere künstlerische und auch baulich-technische Gesichtspunkte von Denkmalen zum Inhalt hatte.
     Interessant ist auch ein Blick darauf, wie und mit welchen Argumenten sich die Presse in jenen Tagen an der Meinungsbildung beteiligt hat. Die »National-Zeitung« beispielsweise plädierte in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 1877 zuerst einmal für die Aufstellung auf dem oberen Absatz der Freitreppe, denn »auf den ersten Blick giebt dieser so stark erhöhte Standpunkt der Erscheinung etwas Kühnes, Imposantes«.
Dann jedoch läßt der Autor diesen Gesichtspunkt nach und nach zurücktreten in Rücksicht darauf, daß »die Fläche, auf welcher sich hier das Piedestal erhebt, von beängstigender Knappheit« sei. Im gleichen Artikel (gezeichnet mit A. Itzenplitz) werden aber auch diejenigen bemüht, »deren Urtheil oder Gefühl keine der beiden Aufstellungen befriedigt, diejenigen zumeist, welche statt des Reiterstandbildes ein einfaches zu Fuß, sei es mit oder ohne weiteren Figurenschmuck gewünscht hätten, das den kunstliebenden Fürsten inmitten seiner Lieblingsschöpfungen darstellte, also in einer Situation, welche sein Wesen und seine Eigenart am vortheilhaftesten zur Erscheinung brachte«. Vehement hielt die »Vossische Zeitung« drei Tage später dagegen: »Das Pferd giebt dem Monument erst die erforderliche plastische Wucht, um einigermaßen und in solcher Umgebung bestehen zu können, ohne zur Unbedeutendheit zusammen zu schrumpfen.« Und dann ließ das Blatt die Gelegenheit natürlich nicht aus, sich einmal so richtig lustig zu machen angesichts »der mehrfach laut gewordenen Einwendung aber, wie soll der Reiter da hinaufgekommen sein«. Darauf, so wurde genußvoll empfohlen, »antwortet am besten die Gegenfrage: wie kam jede Reiterstatue auch nur auf die Höhe ihres Postaments?«.
     Nicht allzu lange allerdings sollte das »Duell eines Denkmalshelden mit sich selbst« währen, denn winterliche Witte-
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rungsunbilden zersetzten die Modelle, fraßen immer größere Löcher in sie hinein, machten sie auf diese Weise immer unansehnlicher. Aus ästhetischen Gründen wie vielleicht auch aus Sicherheitsbedenken mußten sie dann abgeräumt werden. Noch viel Zeit hingegen sollte vergehen, bis das Reiterdenkmal Friedrich Wilhelms IV. schließlich am 10. Juni 1886, zehn Jahre nach der Galerie, eingeweiht werden konnte – in einem von militärischem Zeremoniell stark geprägten Festakt, den der Kaiser seinem königlichen Bruder widmete. Von Calandrelli zum guten Ende gebracht, zeigt es den König in Generals-Uniform, mit dem Hermelinmantel geschmückt, jedoch unbedeckten Hauptes; an den Ecken des
Postaments vier allegorische Frauengestalten – Kunst, Religion, Geschichte und Philosophie.
     Fast euphorisch schrieb die »Deutsche Bauzeitung« in ihrer Ausgabe vom 19. Juni 1886 über das Werk: »Auf dem oberen Absatze der mächtigen Freitreppe, welche zum Hauptgeschoß der National-Galerie führt, ragt es empor – über die Säulenhallen hinweg, welche dieses Bauwerk umgeben, weithin sichtbar, vom jenseitigen Ufer der Spree und vom östlichen Theile des Lustgartens aus.« Und zur Wahl des zeitweilig so umstrittenen Standortes für das Denkmal hieß es dann noch einmal, daß »dieselbe wohl als eine in jeder Beziehung glückliche angesehen werden« und man »nur zufrieden
sein« könne, daß die Entscheidung in diesem Sinne gefallen ist – einmal, weil jene Treppenanlage auf die Aufnahme des Denkmals hin angeordnet war und ohne einen solchen krönenden Schmuck ihren Hauptzweck verfehlt hätte, dann aber, »weil das Denkmal in dieser Aufstellung eine durchaus eigenartige und interessante Bereicherung für die Erscheinung der Stadt bildet, während es in üblicher Weise auf der Ebene des Platzes errichtet, nur eine Nummer mehr unter seines Gleichen gewesen wäre«.
     Wer sich heute das Denkmal des Preußenkönigs anschaut, wird über den Streit von damals lächeln. In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurden das Bronze-Werk sowie der Eingangsbereich und das Treppenportal der Alten Nationalgalerie restauriert. Mitte Dezember 1996 ist das imposante Reiterstandbild dann per Kran wieder auf seinen angestammten Platz gehievt worden.

Bildquelle:
»Deutsche Bauzeitung« 37/1876

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