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Jüdischen Museums oder aus Privatbesitz. Interessant auch, daß die nichtjüdische deutsche Presse von der Ausstellung keine Notiz nahm, die »Neue Zürcher Zeitung« sie sogar auf der ersten Seite ausführlich beschrieb.
     In der sehr kenntnisreichen und auf neuen Forschungsergebnissen beruhenden »Geschichte der Familie Liebermann« weist Miriam Dytman eine oft wiederholte Behauptung ins Reich der Legende. »Immer noch verbreitet ist die Vorstellung, Max Liebermann entstamme einer alteingesessenen Berliner jüdischen Unternehmerfamilie, und die >wohlhabenden und kultivierten Liebermanns, Beers, Reichenheims, Marckwalds, Dahlheims, Herz<, Rathenaus und Helffts' bildeten das jüdische Patriziat der Stadt. Wie jedoch gezeigt, wurde erst jene Liebermann-Generation, zu der Max Liebermann gehörte, ausnahmslos in Berlin geboren.« (Seite 61)
     Mit der Rezeption des Jüdischen in Liebermanns Werk beschäftigt sich Chana Schütz. Sie geht dabei der widersprüchlichen Behandlung seiner Bilder durch die Nationalsozialisten ebenso nach wie der Frage, ob sich Liebermann zum Zionismus bekannte, was damals viele Juden gehofft hatten. Und sie verweist auf ein immer wieder kolportiertes Falschzitat: »So zitieren Hans Oswald und – vermutlich nach diesem – beispielsweise auch Heinrich Strauss Max Liebermann wie folgt: >Neulich hat ein Hitler-Blatt geschrieben – man hat mir das zugeschickt –, es wäre unerhört, daß ein Jude den Reichspräsidenten malt. Über so etwas kann ich nur lachen. Ich bin überzeugt, wenn Hindenburg das erfährt, lacht er auch darüber. Ich bin doch nur ein Maler, und was hat die Malerei mit dem Judentum zu tun?< Der letzte Satz, in einem am 15. Juli 1927 in der C. V.-Zeitung veröffentlichten Gespräch zwischen Lise Leibholz und Max Liebermann überliefert, lautet im Original jedoch: >Ich bin doch nur ein Maler, und das kann ein Jude doch
Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten

Katalog zur Liebermann-Ausstellung Stiftung »Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum«, Max-Liebermann- Gesellschaft e. V., Museumspädagogischer Dienst Berlin, 1997

Was von Ausstellungen übrig bleibt, sind Kataloge, könnte man in Abwandlung des Mottos der Ausstellung sagen, in die bis Anfang August sehr viele Besucher gegangen sind. Zum 150. Geburtstag des Malers war im »Centrum Judaicum« in der Neuen Synagoge eine ganz besondere Liebermann-Ausstellung zu sehen: die – soweit möglich – Rekonstruktion der Gedächtnisausstellung des Berliner Jüdischen Museums von 1936. Mehr als die Hälfte der damals gezeigten Bilder konnten präsentiert werden. Beeindruckend die Bilder, beeindruckend ihre Geschichte seit jenen Tagen, beeindruckend auch die Geschichte der Leihgeber. All das kann man schwarz und bunt auf weiß nach Hause tragen, immer wieder zur Hand nehmen, immer wieder neue Details entdecken. Und man kann teilhaben an neuesten Erkenntnissen der Liebermann-Forschung.
     Dieser Katalog – von bestechender Ästhetik und hervorragend redigiert und gedruckt – bietet mit seinem reichhaltigen Quellennachweis (allein 144 zum Beitrag »Zur Geschichte der Familie Liebermann« von Miriam Dytman) auch dem wissenschaftlich Arbeitenden wertvolles Material.
     Hermann Simon macht mit dem Umfeld des Berliner Jüdischen Museums bekannt, in dem ein Jahr nach Max Liebermanns Tod, des Berliner Juden und jüdischen Berliners, die Gedächtnisausstellung stattfand. Auf die Museen konnte nicht zurückgegriffen werden, was damals zu sehen war, stammte entweder aus dem Besitz des Berliner

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auch sein.< – Ein beachtenswerter Unterschied.« (Seite 73)
     Andere interessante Beiträge wären zu nennen, der von Silvia Diekmann und Norbert Kampe, der sich mit Liebermann als Präsident der Akademie der Künste beschäftigt, Birgit Jerkes Spurensuche nach zwei Bildern Liebermanns im Dritten Reich. Gut auch, daß ein bereits 1989 im Judaica-Katalog des Berlin-Museums erschienener Beitrag von Rolf Bothe aufgenommen wurde, der sich mit der Totenmaske Liebermanns beschäftigt. Bekanntlich wurde diese vom 1991 verstorbenen Arno Breker gefertigt, dem Mann, der nach 1935 zum führenden Bildhauer unter den Nationalsozialisten aufgestiegen war. Breker hatte den Auftrag von der Witwe Martha Liebermann erhalten. Nach dem Eklat einer Ausstellung 1981 fühlte sich Breker veranlaßt, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren und sprach von seiner Freundschaft zu Liebermann.
     Bothe: »Einige Jahre später versuchte die Witwe von Max Liebermann, Frau Martha Liebermann, wegen der ständig sich steigernden Diskriminierung und Entrechtung der Juden, mehrfach vergeblich, Deutschland zu verlassen ... Als im März 1943 die Gestapo sich ankündigte, nahm Frau Liebermann Veronal. Sie starb am darauffolgenden Tag im Jüdischen Krankenhaus. Wo war in dieser Zeit der >Freund< Arno Breker?« (Seite 120; zu Martha Liebermann siehe auch unser Beitrag auf Seite 85)
     Eine wahre Seltenheit hält der Katalog am Ende bereit: die Beschreibung der Geschichte von 57 identifizierten Gemälden der 36er Ausstellung. »Standort unbekannt«, »nie wieder gesehen«, »nicht zu ermitteln«, solche Aussagen sprechen für sich.
     Der Katalog ist eine Fundgrube für Liebermann-Freunde, selbstverständlich, aber auch für alle, die an der Geschichte Berlins interessiert sind.

Jutta Arnold

Wilhelm von Bode
Mein Leben

Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1997

Das »völlig brotlose Studium der Kunstgeschichte« wollte dem Oberlandesgerichtsrat Bode als Existenzgrundlage für seinen Sohn Wilhelm absolut nicht gefallen. (Bd. I, S. 20)
     Wäre es nach dem Willen des Vaters gegangen, Wilhelm Bode (1845–1929) hätte den zunächst eingeschlagenen Weg als Jurist, der ihm Aussicht auf eine sichere Lebensstellung gab, beibehalten. Bei dem 23jährigen zeigte sich jedoch in seinem Durchsetzungsvermögen gegenüber dem Vater ein Charakterzug, der neben anderen Eigenschaften entscheidend zu seinen späteren Erfolgen beitragen sollte. Er wandte sich dem Studium der Kunstgeschichte zu und zwei Jahre später, zu Weihnachten 1870, überraschte er die Eltern mit der abgeschlossenen Promotion zum Dr. phil.
     Aber auch für Wilhelm Bode selbst gab es eine Überraschung. Noch vor Abschluß seiner Studienreisen in den Jahren 1871/72, die ihn nach Dalmatien, Italien, Holland, Rußland, Schweden und Dänemark führten, wurde ihm eine Anstellung an den Königlichen Museen zu Berlin angeboten. Bode rechnete sich das nicht als Verdienst an, war er doch zu diesem Zeitpunkt fast der einzige theoretisch und praktisch für den Museumsdienst vorgebildete Kunsthistoriker, an den u. a. der Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts und kommissarische Direktor der Gemäldegalerie, Heinrich Gustav Hotho (1802–1873), große Hoffnungen knüpfte.
     Mit der Anstellung als Assistent der Plastischen Abteilung und der Gemäldegalerie am 2. August 1872 begann für den jungen Dr. Wilhelm Bode seine Lebensaufgabe, die er als Direktor der Skulpturensammlung (ab 1883) sowie der Gemäldegalerie (ab

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1890) und als Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin (1905–1920) mit beinahe fanatischem Engagement meisterte.
     Seiner rastlosen Tätigkeit verdanken wir die Sammlung Italienischer Plastik, das Islamische Museum, die Koptische Abteilung und die Frühchristlich- byzantinische Sammlung. Er begründete das Deutsche Museum und das Ostasiatische Museum, initiierte den Bau des Kaiser-Friedrich- Museums (seit 1956 Bodemuseum), des Pergamon-Museums und den Museumsbau in Dahlem. Dabei machte ihm sein labiler Gesundheitszustand oft schwer zu schaffen. An der Eröffnung des Kaiser-Friedrich- Museums am 18. Oktober 1904 konnte er nur im Rollstuhl teilnehmen. Mit zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen legte Bode Musterbeispiele kunsthistorischer Forschung vor. Die dadurch erlangte internationale Anerkennung nutzte er ausschließlich zur Erweiterung und Vervollständigung der musealen Sammlungen, wobei er eine Meisterschaft in der Beschaffung der nicht unerheblichen finanziellen Mittel entwickelte.
     Nachdem Freunde ihn wiederholt dazu ermuntert hatten, begann Bode 1907 mit der Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen. Anläßlich seines 50jährigen Dienstjubiläums im Jahre 1922 verfaßte er einen umfassenden Bericht über die Entwicklung der Berliner Museen während seiner Amtszeit. Im Vorwort dazu erwähnt er die Memoiren, die nach seinem Tode veröffentlicht werden sollten. So erschien im Jahre 1930 eine zweibändige Ausgabe, die Aufzeichnungen bis etwa 1913 enthielt. Das Manuskript für die Zeit danach lag teilweise nur fragmentarisch vor, und mit Rücksicht auf noch lebende Personen – der »Museumskrieg« war noch allzu gegenwärtig – verzichtete man seinerzeit auf die vollständige Herausgabe. Thomas W. Gaehtgens und Barbara Paul legen mit »Wilhelm von Bode. Mein Leben.« 1997 erstmals die Aufzeichnungen Bodes in ihrem gesamten Umfang vor. Der bisher unveröffentlichte Teil gibt u. a. Einblick in die enormen
Schwierigkeiten bei dem sich über 20 Jahre hinziehenden Bau des Pergamon-Museums, dessen Einweihung Bode nicht mehr erleben sollte. Seine Reflexionen zum Zeitgeschehen spiegeln große Verbitterung wider. Nach der »schimpflichen Wendung vom Sieg zur Niederlage« (Bd. I, S. 409) im Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches sieht der inzwischen über 70jährige Bode sein Lebenswerk gefährdet und wettert gegen all und jeden. Zunehmend sieht er sich zurückgedrängt, übergangen oder als Opfer von Intrigen.
     Wilhelm von Bode starb am 1. März 1929 im Alter von 84 Jahren. Mit seinen Memoiren hinterließ dieser geniale Museumsmann nicht nur ein authentisches Zeugnis zur Geschichte der Berliner Museen, er vermittelt uns gleichzeitig einen Einblick in die Entwicklung der Kunstgeschichte sowie in die Kulturpolitik des deutschen Kaiserreiches und darüber hinaus.
     Zum besseren Verständnis der historischen Zusammenhänge ist dem Textband ein zweiter Band zugeordnet, der Erläuterungen und Kommentare enthält. In einer mehr als fünfjährigen Forschungsarbeit des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin wurden umfangreiche wissenschaftliche Informationen zu den von Bode genannten Personen, Kunstwerken, Sammlungen und geschilderten Ereignissen zusammengetragen. Dabei sind sowohl neueste Forschungsergebnisse genutzt als auch bisher unveröffentliche Quellen ausgewertet worden. Der mit ausführlichen Literatur und Quellenangaben ausgestattete Kommentarband stellt für den Leser von heute eine Informationsquelle nicht nur speziell zu den Texten von Bode dar. Mit Hilfe eines Personen- und Kunstwerkregisters erschließt er sich dem Leser als Handbuch zu Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturpolitik des deutschen Kaiserreichs und den Anfängen der Weimarer Republik, wofür den Erarbeitern Lob und Dank gebührt.

Gisela Langfeldt

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