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Berliner Collegium medicochirurgicum und an den Universitäten in Straßburg und in Halle an der Saale erweiterte er seine medizinischen und chemischen Kenntnisse und schloß seine Ausbil97ung an der Bergakademie in Freiberg ab. Er bereiste Hüttenbetriebe im Harz, seine berg- und hüttenmännische Bildung befähigte ihn zu beachtlichen chemisch-geologischen Untersuchungen. 1735 kehrte Marggraf in die väterliche Apotheke zurück. Doch nicht Apotheker zu werden betrachtete er als sein Lebensziel, sondern er fühlte sich zum Wissenschaftler berufen. Marggraf war ein Schüler des Chemikers Kaspar Neumann (1683–1737) und der letzte bedeutende Vertreter der phlogistischen Theorie, die zwar das Wesen der Verbrennung falsch erklärte, sich aber als nützliche Arbeitshypothese erwies und die chemische Forschung außerordentlich angeregt hat.
     Am 19. Februar 1738 erfolgte seine Wahl zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er vertrat die chemische Forschung, übernahm 1753 die Leitung des chemischen Laboratoriums der Akademie in der Dorotheenstraße. In diesem Haus wohnte er auch. Am 18. September 1760 wurde er nach dem Tode von Theodor Eller (BM 8/96) zum Direktor der mathematisch- physikalischen Klasse berufen.
     Marggraf war ein ausgezeichneter Analytiker und bereicherte die Chemie mit neuen Entdeckungen und Erkenntnissen. Er be-
Hans-Heinrich Müller
Eine folgenreiche Entdeckung

Vor 250 Jahren wies Marggraf Zucker in der Runkelrübe nach

Am 17. November 1747 hielt das Mitglied der »Académie Royale des Sciences et Belles Lettres«, Andreas Sigismund Marggraf, einen Vortrag in lateinischer Sprache über »Experimenta Chymica, rerum Saccharum, e nonnullis in his regionibus crescentibus, plantis, Separandi causa, instituta«, in dem er der erlauchten gelehrten Versammlung die Entdeckung des Zuckergehalts in den Runkelrüben bekanntgab. Es war ein denkwürdiger Tag – eine Entdeckung wurde mitgeteilt, die weitreichende Folgen haben sollte, denn Marggraf legte damit die eigentlichen Grundlagen der Rübenzuckerindustrie, die wiederum nicht ohne Einfluß auf Landwirtschaft, Maschinenbau und Wärmetechnik blieb.
     Marggraf, geboren am 3. März 1709 in Berlin, war der Sohn des Hofapothekers und Eigentümers der Apotheke »Zum goldenen Bären« in der Spandauer, Ecke Propststraße. Beim Vater erhielt er die ersten Einblicke in die Apotheker- und in die »Scheidekunst«, wie die Chemie damals genannt wurde. Am

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nutzte als erster das Mikroskop zu chemischen Untersuchungen, er befaßte sich mit Metallösungen, bestimmte Tonerde, Alaun, Gips, Kalkerde, wies die Präexistenz der Alkalien in Pflanzensäften nach, er fand 1740 neue Methoden, Phosphor und Zink, Salpeter und Salpetersäure darzustellen, er machte genauere Angaben über Natron und Kali, veröffentlichte 1752 eine eingehende Untersuchung über Platin.
     Friedrich II. schätzte Marggraf und anerkannte seine Verdienste, er betraute ihn mit verschiedenen Gutachten, die nicht zuletzt von der kameralistischen Wirtschaftspolitik Preußens und den leeren Staatskassen bestimmt waren. So beauftragte er Marggraf zu prüfen, ob aus Sand Steine herzustellen sind, oder er veranlaßte das preußische Generaldirektorium, quasi die preußische Regierung, Marggraf mit der Untersuchung zu beauftragen, ob der Anbau von Sonnenblumen die Öl- und Fett-

Der Text der Rede Marggrafs vom 17. November 1747

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versorgung verbessere; er hatte sich mit der Verfälschung von Weinen zu befassen und berichtete der Regierung über die angewandten und verbreiteten Fälschermethoden. Der König verbot die Einfuhr von Schokolade, dieses »unnützigen Artikels«, und befahl die Herstellung eines Ersatzes aus Lindenblüten und -früchten, den Marggraf auf seine Anordnung prüfen mußte. Schließlich hatte der königliche Chefchemiker auf Befehl des Königs, der den Kaffeekonsum einzuschränken wünschte, einen Kaffeersatz aus Roggen, Gerste, Eicheln, Kastanien und Rüben herzustellen. Doch das zusammengebraute Ersatzmittel fand absolut keinen Anklang in der Bevölkerung.
     Marggrafs Entdeckungen, Untersuchungen und Veröffentlichungen trugen erheblich zum Ansehen der friderizianischen, der preußischen Akademie der Wissenschaften und Berlins als chemisches Forschungszentrum bei. Seine bedeutendste Leistung aber, die seinen Namen berühmt gemacht hat, war die Entdeckung der Saccharose in den Rüben, die er in dem eingangs erwähnten Vortrag »Chymische Versuche, einen wahren Zucker aus verschiedenen Pflanzen, die in unseren Ländern wachsen, zu ziehen«, wie die deutsche Übersetzung der lateinischen Fassung lautet, in 24 Paragraphen begründete und erläuterte. Dieser Vortrag wurde anschließend ins Französische übersetzt und in der Akademiepublikation
»Histoire de l'Académie Royale des Sciences et Belles Lettres, Anné 1748", Berlin 1749, veröffentlicht und damit einem breiteren Leserkreis bekanntgemacht. 1751 veröffentlichte das »Hamburgische Magazin« eine erste deutsche Übersetzung, 1757 erfolgte eine Übersetzung in England, 1762 wurden die Marggrafschen Schriften einschließlich Zuckerentdeckung in Paris in französischer Sprache herausgegeben. Die deutsche Fassung seiner »Zuckerentdeckung« erschien erst 1767 in Berlin.
     Marggraf hatte Pflanzensäfte gereinigt, eingedickt und bei ihrer Kristallisation bemerkt, daß in der Beta alba oder weißer Mangold, in der Sium sisarum oder Zuckerwurzel und in der Beta rubra oder roter Mangold, allgemein also Beta oder Runkelrüben, »wahrer Zucker« entsteht. Daraufhin wurden erneut Versuche unternommen, getrocknete Wurzeln pulverisiert, mit Alkohol übergossen, erhitzt, ausgepreßt, der Extrakt filtriert, und nach einigen Wochen erhielt er »ein schönes hartes kristallinisiertes Salz, welches alle Eigenschaften des Zuckers besaß«. Auf die Trockenmasse der untersuchten Pflanzen bezogen, gewann Marggraf aus weißen Rüben 6,25 Prozent, aus Zuckerwurzeln 4,67 Prozent und aus roten Rüben 3,89 Prozent reinen Zucker, was einer Zuckerausbeute, bezogen auf die frische Pflanzenmasse, bei weißen Rüben von 1,56 Prozent, bei Zuckerwurzeln von 1,32 Prozent und bei roten Rüben von
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0,49 Prozent entsprach. Die von Marggraf entwickelte Methode der Zuckerbestimmung der Rüben mittels Alkohol war lange Zeit das einzige analytische Verfahren für die Beurteilung des Zuckergehalts des Rohstoffes der Zuckerfabrik.
     Doch seine dargelegten Versuche, »daß dieses süße Salz in unserer Heimat gerade so bereitet werden kann wie in Gegenden, wo das Zuckerrohr wächst«, kamen zu seinen Lebzeiten kaum über das Laboratoriumstadium hinaus. Marggraf war Wissenschaftler, kein Unternehmer; es fehlten zu damaliger Zeit alle finanziellen und technischen Voraussetzungen, um seine Entdeckung praxisreif zu machen. Zudem war die Zuckerausbeute noch zu gering, um eine gewinnträchtige Zuckerproduktion entwickeln zu können. In Kollegenkreisen galt Marggrafs Entdeckung nur als eine wissenschaftlich- technische Merkwürdigkeit, die kaum beachtet wurde, zumal an Rohrzucker kein Mangel bestand, der eine intensivere Beschäftigung mit der Zuckerrübe in Bewegung gesetzt hätte. Bei seinem Tode am 7. April 1782 schien Marggrafs Entdeckung vergessen. Erst seinem Nachfolger Franz Carl Achard war es vergönnt, zuckerreichere Rüben zu züchten und der Marggrafschen Entdeckung die Produktionsreife zu verleihen. Archard (siehe BM 1/1992) war es, der einen Produktionszweig weltweiter Bedeutung begründete.
Weiterführende Literatur:
–     A. Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1900, S. 460 ff.; Bd. 3, 1900, S. 179 ff.
–     J. Baxa/G. Bruns: Zucker im Leben der Völker, Berlin 1967;
–     E. O. v. Lippmann: Geschichte der Rübe (Beta) als Kulturpflanze von den ältesten Zeiten an bis zum Erscheinen von Achards Hauptwerk (1799). Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Vereins der Deutschen Zuckerindustrie, Berlin 1925
–     A. S. Marggraf: Chemische Schriften, 2 Teile, Berlin 1761–1767
–     H.-H. Müller: Akademie und Wirtschaft im 18. Jahrhundert, Berlin 1975, S. 66, 70, 129 f., 137

Bildquelle:
Archiv der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

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