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Helmut Caspar
Wo sind Schadows Denkmal-Entwürfe?

Seit 1821 steht auf dem Marktplatz in Wittenberg ein Lutherdenkmal, und seit 1851 erhebt sich Unter den Linden in Berlin das Reiterdenkmal Friedrichs des Großen. In beiden Fällen schuf der Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow die Entwürfe, doch nur beim Wittenberger Reformatoren- Standbild wurde seine Idee realisiert. Der reitende Alte Fritz samt Generalität rund um den Sockel wurde von Schadows jüngerem Bildhauer- Kollegen Christian Daniel Rauch geschaffen. Die Vergabe des Auftrags an Rauch hat Schadow geschmerzt, hatte er doch bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert mit anderen Künstlern zahlreiche Entwürfe für das Fridericus- Monument gezeichnet. Diese Skizzen sind seit dem Zweiten Weltkrieg verschwunden, ebenso die Zeichnungen für das Wittenberger Luther-Standbild und manch andere Arbeiten. Für das Denkmal hatte Schadow alle greifbaren Quellen studiert, um ein lebenswahres Abbild des großen Wittenbergers zu schaffen. Sein Auftraggeber, der preußische König Friedrich Wilhelm III., beehrte den Künstler im Atelier und lobte, wie Schadow in seinen Erinnerungen

schreibt, »die rechte Hand, welche auf die Bibel hinweiset«.
     Die Entwürfe für die ursprünglich für Eisleben geplante »Bildsäule« und unzählige andere Zeichnungen gelangten in den Besitz der Akademie der Künste, der Schadow als Direktor vorstand. Die Jubiläumsausstellung der Stiftung Archiv Akademie der Künste »Gute Partien in Zeichnung und Kolorit« am Hanseatenweg im Berliner Tiergarten mußte ohne die seit 1945 verschollenen Studien und andere Werke auskommen.
Sie konnte nur eine Auswahl dessen zeigen, was die 300 Jahre alte Sozietät einst besessen hat.1)
     Gudrun Schmidt, Leiterin der Kunstsammlung der Akademie der Künste, erinnert daran, daß die Quellenlage über die Frühzeit der Künstlervereinigung problematisch ist. Unzählige Zeichnungen, Gemälde, Graphiken und Plastiken sowie Dokumente über die Entstehungsgeschichte der kurfürstlich- königlichen Akademie seien bereits 1743 im Akademiegebäude Unter den Linden verbrannt. Die Verluste betrafen auch »Probestücke«, die Bewerber um eine Mitgliedschaft in der Akademie einreichen mußten, sowie zahlreiche Gipsabgüsse berühmter antiker Plastiken, die für den akademischen Unterricht genutzt wurden. Später archivierte Bestände der Akademie der Künste seien seit 1945 unauffindbar. »Ihre Spuren verlieren sich 1945 in den Trümmern Berlins und Depot-
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räumen der schlesischen Schlösser Erdmansdorf, Seitendorf und Ullersdorf. Sämtliche originalen Inventare sind, wie auch Kisten voller Zeichnungen und Graphiken, seit dem Krieg verschwunden.
Erst langsam erhalten wir eine Vorstellung vom Umfang der Verluste.«
     Die Kunsthistorikerin kann aufgrund einiger erst nach dem Zweiten Weltkrieg angelegter Verlustlisten nur ungefähr sagen, wie groß die Schäden sind. Die Verzeichnisse seien viel zu ungenau und müßten mit anderen Unterlagen, etwa Katalogen von Akademieausstellungen und Werkverzeichnissen einzelner Künstler verglichen werden. So wisse man beispielsweise genau, was vom Œuvre des zwischen Romantik und Realismus stehenden Berliner Malers Carl Blechen als verloren gelten muß. Das 1940 von Paul Ortwin Rave angelegte Verzeichnis läßt auf 30 Kriegsverluste – Ölskizzen italienischer Landschaften und Zeichnungen – schließen. 1942/43 wurden,

neben vielen anderen Arbeiten,– Handzeichnungen und Ölskizzen von Carl Blechen, Daniel Chodowiecki und Johann Gottfried Schadow sowie druckgrafische Arbeiten, Gemälde und Plastiken anderer Künstler der »ersten Kategorie« in der Neuen Münze am Berliner Molkenmarkt deponiert. In den Tresoren waren auch Kostbarkeiten der Staatlichen Museen eingelagert. Die Rote Armee, die Ende April 1945 Berlin erobert hatte, sperrte den Akademiemitarbeitern den Zugang zu den mit Museumsgut vollgestopften Kellern. Als Akademiemitarbeiter im November 1945 die Räume betreten konnten, waren nur noch Reste vorhanden. Die Kunsthistorikerin vermutet, daß diese Bestände auf direktem Wege in die Sowjetunion gebracht wurden. Vieles sei 1958 an die im Ostteil Berlins ansässige Akademie der Künste zurückgegeben worden, aber eben nicht alles. Die Ver-

Johann Gottfried Schadow

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luste wurden an die Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern in Bremen gemeldet.
     Der Sammlungsleiterin liegen des weiteren Listen von 1951 vor, auf denen ein anderer Auslagerungsort in Berlin, der Flakturm am Zoo, erwähnt wird. In den Papieren werden »Pakete mit Handzeichnungen usw. aus dem Besitz der Preußischen Akademie der Künste bzw. der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste« erwähnt. Diese Handzeichnungen und Druckgraphiken sind ebenfalls nie wieder aufgetaucht. Darunter befinden sich die schon erwähnten Schadowschen Denkmalentwürfe, ferner Zeichnungen des Berliner Malers Bernhard Rode sowie von Daniel Chodowiecki, aber auch Illustrationen zur »Armee Friedrichs des Großen« von Adolph Menzel. Vermißt werden darüber hinaus die lavierten Federzeichnungen, auf denen Augustin Terwesten um 1694 Einsicht in gemälde- und figurenbestückte Räume der kurfürstlich- brandenburgischen Kunstakademie vermittelt. Kriegsverlust ist auch die akademische Medaillensammlung.
     Zu den in Berlin eingelagerten Beständen der Akademie der Künste gesellen sich weitere Einbußen. Wie die Berliner Staatsbibliothek, so haben die Akademie und die aus ihr hervorgegangene Staatliche Hochschule für Bildende Künste ihre überaus wertvollen Bücher und die graphische
Sammlung nach Schlesien geschafft. Während seit 1977 bekannt ist, daß die in schlesischen Klöstern eingelagerten Bestände der Staatsbibliothek – Inkunabeln, Handschriften, Noten, seltene Drucke, Autographe – in die Krakauer Jagiellonenbibliothek gelangten, ist über den Verbleib der »schlesischen Bestände« der Akademie und der Hochschule nichts bekannt. Sollten sie einen ähnlichen Weg wie die Schriften der Staatsbibliothek gegangen sein, hofft Gudrun Schmidt, wisse man wenigstens, daß sie noch existieren.

Anmerkung:
1     Zu den Verlusten siehe »Gute Partien in Zeichnung und Kolorit, 300 Jahre Kunstsammlung der Akademie der Künste«, Hrsg. Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin 1996, S. 11 ff. (Buchhandlungsausgabe bei Ars Nicolai Berlin)

Bildquelle:
Verein für die Geschichte Berlins

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© Edition Luisenstadt, 1997
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