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ten. Und der populäre Max Liebermann wurde sehr viel gegrüßt.
     Martha Liebermann war eine sehr entfernte Verwandte von uns, eine Cousine meiner Urgroßmutter. Meine Mutter kannte Frau Liebermann aus ihrer Jugend, weil sie auf denselben Bälle getanzt hatte wie deren Tochter Käthe. Diese flüchtige Bekanntschaft wurde wieder aufgenommen, als meine Mutter Frau Liebermann Alwine Walter als Hausangestellte vermittelte. Meine ehemalige Kinderfrau, die ich sehr liebte.

     In den letzten Monaten ihres Lebens haben Sie Martha Liebermann mehrfach besucht. Wo wohnte sie damals?
     Sabine Weyl: Das war Ende 1942, da war Max Liebermann schon mehr als sieben Jahre tot. Martha Liebermann wohnte in der Graf-Spee- Straße, das war die frühere Hohenzollern- und ist die jetzige Hiroshimastraße, zwischen Landwehrkanal und Tiergartenstraße gelegen. Oft war ich mit meiner Mutter dort.
     Bei unserem ersten Besuch zeigte uns Martha Liebermann freundlicherweise ihre Wohnung – ich hatte noch nie eine Privatwohnung mit einem Degas und einem Manet gesehen, von den Liebermanns ganz zu schweigen. Die Wohnung war natürlich viel kleiner als die Wannseevilla, die sie verkaufen mußte, und auch als das Haus am Brandenburger Tor, das sie ebenfalls aufgeben mußte. Deshalb hingen beispiels-

Die Menzel- Zeichnungen hingen im Küchenkorridor

Sabine Weyl über ihre Besuche bei Martha Liebermann
Bis August sahen viele Besucher die Liebermann- Ausstellung »Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten« im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße. In dieser Rekonstruktion der Liebermann- Ausstellung von 1936 konnte man auch Bildern begegnen, die die Frau des Malers zeigen, Martha Liebermann.
     Über ihr Schicksal ist heute in der Öffentlichkeit nicht mehr viel bekannt. Zu den letzten Besuchern, die Martha Liebermann kurz vor ihrem Tode empfing, gehörte auch Sabine Weyl, 1920 in Berlin geboren. Sabine Weyl lebt heute in Frankfurt am Main. Wir telefonierten mit ihr.

     Woher rührt Ihre Bekanntschaft mit den Liebermanns?
     Sabine Weyl: Eine richtige Bekanntschaft kann man das wohl nicht nennen, es beschränkte sich eigentlich auf Hin- und Hergrüßen bei Spaziergängen im Tiergar-

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weise die wunderschönen Menzel- Zeichnungen im Küchenkorridor. Die Bücherregale standen aus Platzmangel im Entree.

     Martha Liebermann erlitt im Jahre 1942 einen Schlaganfall.
     Sabine Weyl: Das war Monate nach dem ersten Besuch. Mit viel Einsatz konnte ihr Arzt sie retten, sie war ja immerhin schon 85 Jahre alt. Johanna Solf, damals nach dem Titel ihres verstorbenen Gatten – er war letzter kaiserlicher Gesandter in Samoa und später in Japan – Excellenz Solf genannt, war eine Freundin der Familie. Sie sprach dann mit dem Arzt und wies ihn auf die zu erwartenden Umstände hin, nämlich die Deportation, die man damals offiziell Evakuierung nannte. Als sie meinte, es wäre ielleicht besser gewesen, wenn die alte Dame den Schlaganfall nicht überlebt hätte, war er empört und verwies auf den hippokratischen Eid.

     Nach diesem Schlaganfall war Martha Liebermann teilweise gelähmt und ans Bett gefesselt.
     Sabine Weyl: Ich sehe die damals immer noch schöne alte Dame vor mir, als wäre es nicht über 50 Jahre her: Im Bett liegend, sich mit einem feinen Spitzentuch den nun immer leicht laufenden Mund trocknend, neben ihr auf dem Nachttisch ein Bild ihrer Tochter Käthe Riezler in Balltoilette. Die Familie Marckwald, aus der sie stammte, war ja berühmt für ihre zahlreichen schönen Töchter. Sie sagte zu mir:

»Mein liebes Kind, Ihre Mutter schickt Sie zu mir, um mich zu fragen, wie es mir geht. Sagen Sie ihr, es geht mir schlecht, es geht mir sehr schlecht, und ich möchte nur noch sterben.«

     Um nicht deportiert zu werden, nahm Martha Liebermann dann eine Überdosis Veronal.
     Sabine Weyl: Am 5. März 1943 wurde sie aufgefordert, sich zur Deportation bereit zu halten. Sie nahm Veronal und starb am 10. März. Als das passierte, war ich nicht mehr in Berlin. Was ich darüber weiß, erzählte Alwine Walter, ihre letzte Hilfe, später meiner Mutter. Danach sei Martha Liebermann noch lebend auf einem Dreirad- Lieferwagen abtransportiert worden, zusammen mit einer anderen alten Dame aus der Straße. Alwine Walter erzählte auch, daß die Herren von der Gestapo sich einiges mitgenommen hätten, was ihnen gefiel.
Als die Wohnung kurz danach bei einem Fliegerangriff zerstört wurde, war sie ausgeräumt.

     Vorher war es gelungen, einige wertvolle Gegenstände aus der Wohnung zu retten.
     Sabine Weyl: Frau Solf, die Freundin der Familie, hatte Martha Liebermann dringend gebeten, die Kunstwerke für die Tochter Käthe Riezler zu retten, die nach dem Novemberpogrom mit ihrer Familie nach Amerika gegangen war. Das wollte Frau Liebermann nicht, die ja sicher gewußt hat, daß die Gestapo alles Wertvolle regi-

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striert hatte. Natürlich mußte sie dann Repressalien befürchten.
     Als die alte Dame dann bettlägerig geworden war, kam Frau Solf mit Säcken in die Wohnung und hat mit Hilfe von Alwine Walter eingepackt, was sich nicht unmittelbar im Blickbzw. Hörfeld von Martha Liebermann befand. Diese Sachen konnten später Käthe Riezler übergeben werden. Eine Liste, auf der der Inhalt der Wohnung verzeichnet ist, findet sich übrigens in dem großartigen Buch von Bernd Schmalhausen »Ich bin doch nur ein Maler«, erschienen 1994 im Olms Verlag.

Immer wieder Schikanen

Über die letzten Jahre von Martha Liebermann heißt es im Katalog zur Ausstellung im Centrum Judaicum: »Martha Liebermann blieb in Berlin, weil sie sich zu alt für einen Neuanfang fühlte. Kurze Zeit später wurde der Pariser Platz mit dem >Judenbann< belegt. Frau Liebermann war gezwungen, nach über dreißig Jahren ihr Zuhause aufzugeben. Unter Zwang mußte sie 1940 die Wannseevilla verkaufen, durfte aber über die Verkaufssumme nicht verfügen. Im selben Jahr gab die Witwe dem beständigen Drängen ihrer Familie nach und entschloß sich doch zur Emigration. Freunde in der Schweiz und in Schweden bemühten sich, die von den deutschen Behörden mehrmals erhöhte Reichsflucht-

steuer aufzubringen. Sie mußten aber feststellen, daß immer wieder neue Schikanen gefunden wurden, um die Ausreise zu verhindern.« (Katalog zur Ausstellung »Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten«, Seite 256.
     Rezension des Katalogs siehe Seite 106 dieser Monatsschrift)

Das Gespräch führte Jutta Arnold

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