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ben unser vorrangiges Ziel, wir wollen die Armut lindern und die Obdachlosigkeit, etwas tun gegen den Hunger und die Einsamkeit in der Welt.

     Eine Armee des Heils, was ist darunter zu verstehen?
     Reinhold Walz: Wir sind eine Gottesarmee, deren Botschaft und Handeln sich auf die Bibel gründet. Eine Armee von Freiwilligen, die seit 1950 von der obersten Finanzbehörde Berlins als gemeinnützig und besonders förderungswürdig eingeschätzt wird. Mit anderen Worten, wir sind keine Sekte! Wir sind eine anerkannte Religionsgemeinschaft, und als solche Teil der weltweiten christlichen Bewegung. 1865 von William Booth in London gegründet, arbeitet die Heilsarmee heute in über 100 Ländern. Sie hat weltweit zirka drei Millionen Mitglieder, über 25 000 Offiziere und etwa 80 000 hauptamtliche Mitarbeiter.

     Wie lauten die Zahlen für Deutschland?
     Reinhold Walz: Wir haben etwa 1 650 Gemeindemitglieder und sind in 43 Städten aktiv. Als Mitglied des Diakonischen Werkes unterhält die Heilsarmee rund 40 Einrichtungen im sozialen und medizinischen Bereich.

     Wie hat das angefangen mit der Heilsarmee in Berlin?
     Reinhold Walz: Die Geschichte der Heilsarmee in Berlin begann am 26. Februar 1888. In der »Ressource«, einem damals bekannten Veranstaltungslokal in der Berliner Kom-


Die Armee Gottes auf den Straßen Berlins

Kapitän Reinhold Walz, Jahrgang 1952, verheiratet, fünf Kinder, Leiter der Berliner Heilsarmee, über die soziale Arbeit und die Geschichte der Soldaten Gottes in Berlin

     Vor 107 Jahren wurde das erste Heilsarmee-Korps in Berlin gegründet, hat der Kampf gegen die Sünde etwas gebracht?
     Reinhold Walz: Der über 100jährige Kampf hat die Sünde nicht ausgerottet. Das ist wahr. Aber wer in die Heilsarmee eintritt, der gehört sowieso nicht zu den Kleingläubigen und Zweiflern. Die Arbeit, die unsere Soldaten und Offiziere tagtäglich leisten, ist heute genauso wichtig, wie sie es vor 100 Jahren war. Schauen Sie sich um, überall auf der Welt gibt es Elend. Und wo Elend ist, da ist auch die Heilsarmee. Wir gucken nicht weg, wir helfen. Egal, ob sich jemand in seelischer Not befindet oder in materieller. Unser Ziel ist die Fürsorge für Menschen.

     Das klingt sehr selbstlos. So, als stände die Heilsarmee jenseits von gut und böse ...
     Reinhold Walz: Wir stehen nicht außerhalb von gut und böse. Aber solange es noch eine Seele gibt, in die das Licht Gottes nicht scheint, werden wir engagiert um diese Seele kämpfen. Und doch ist nicht die Bekehrung des einzelnen zum christlichen Glau-

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mandantenstraße, sprach der englische Heilsarmee-Offizier George Scott Railton aus London über die Ziele der Heilsarmee. Etwa 600 Berliner hörten ihm zu. Zwei Jahre später, am 1. Juni 1890, nahm dann die Heilsarmee ihre eigentliche Arbeit in Berlin auf. Drei Frauen, die Kapitänin Forstmann, die Leutnantin Bißmeyer und die Kadettin Knocke gründeten in einem Hinterhaus in der Friedrichsstraße 214 das erste Berliner Korps. Ein weiteres folgte im September in der Prenzlauer Allee, ein drittes Korps in der Kruppstraße.

     Kann man Korps mit Gemeinde übersetzen?
     Reinhold Walz: Ja, Korps bedeutet Gemeinde. In unserem Fall waren es sehr kleine Gemeinden. Aber das war für den Anfang nicht so wichtig: Wir waren endlich präsent in Berlin, der größten Stadt Deutschlands. Bereits im September 1890 verlegte auch die Heilsarmee-Leitung ihr Nationales Hauptquartier von Stuttgart nach Berlin. Ebenfalls in die Friedrichstraße 214.

     Die Arbeit konnte also beginnen ...
     Reinhold Walz: Ja. Die ersten Jahre in Berlin waren sehr schwer. Die Gottesdienste in der Prenzlauer Allee zum Beispiel wurden häufig von Leuten gestört, denen jede Art von Frömmigkeit, jede Mitmenschlichkeit zuwider war. In den Gaststätten und Kneipen wurden die Verkäufer des »Kriegsrufs«, das ist die offizielle Zeitschrift der Heilsarmee, belästigt und beleidigt. Man riß

ihnen aus Schabernack den Hut vom Kopf, stieß sie mit Fäusten, schlug ihnen ins Gesicht ... Ein besonders schlechter, aber beliebter Scherz war, den Salutisten ein Glas Bier in die Aktentasche zu gießen, so daß die Zeitungen naß wurden, nicht mehr verkauft werden konnten. Häufig mußte die Polizei gerufen werden, um die Ordnung wieder herzustellen.

     Dabei waren die Behörden der Reichshauptstadt, wie man weiß, der Heilsarmee alles andere als wohlgesonnen ...
     Reinhold Walz: Das stimmt. Die Behörden versuchten mit allen Mitteln, unsere Arbeit zu behindern. Und eine Behörde hat viele Mittel. Denken Sie nur daran, zu welcher Größe sich ein amtlicher Stempel aufblähen kann, wenn er an der richtigen Stelle fehlt. Da gewährte man zum Beispiel ausländischen Salutisten, die das Engagement der Heilsarmee in Deutschland unterstützen wollten, keine Zuzugsgegehmigung.
Oder man steckte Salutisten einfach ins Gefängnis, weil sie sich den Schikanen der Beamten widersetzten, polizeiliche Anordnungen ignorierten. Das endete in der Regel mit einem Ordnungsgeld. Da die meisten Heilsarmisten gar nicht in der Lage waren, die Strafe zu bezahlen, mußten sie sie absitzen. Vor diesem Hintergrund war es schon ein großer Sieg, als die Berliner Salutisten im Oktober 1890 die amtliche Erlaubnis erhielten, den »Kriegsruf« auf allen Straßen, Plätzen sowie in den Kneipen Berlins ver-

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kaufen zu dürfen. Und entgegen aller Erfahrungen zeigten sich die meisten Wirte und Kneipenbesucher tolerant. Der Absatz florierte, die Heilsarmee gewann an Popularität. Schon bald gehörten die Gruppen musizierender und den »Kriegsruf« verkaufender Salutisten zum Straßenbild Berlins.

     Schon einige Male fiel der Begriff Salutist. Was ist ein Salutist?
     Reinhold Walz: Salutisten sind Heilssoldaten. Also Männer und Frauen, die tagsüber ihrer Arbeit nachgehen und dann, wenn andere Feierabend machen, die Uniform anziehen, um mit der Sammelbüchse in der Hand durch die Straßen und durch Dutzende von Kneipen zu ziehen, Spenden zu erbitten, den »Kriegsruf« zu verkaufen, zu missionieren.

     Wo Soldaten sind, da sind auch die Offiziere nicht weit ...
     Reinhold Walz: Richtig. Die Offiziere der Heilsarmee sind hauptamtliche Mitarbeiter, die nach einer Ausbildung an der Europäischen Offiziersschule in Basel als ordinierte Geistliche einem Korps bzw. einer Sozialeinrichtung als Leiter vorstehen. Es gibt heute etwa 120 Offiziere in Deutschland, in Berlin sind es 17. Diese Männer und Frauen haben als staatlich anerkannte ordinierte Geistliche das Recht, Trauungen durchzuführen, zu konfirmieren und Tote zu beerdigen. Beide Gruppen, Offiziere wie Soldaten, haben ein Gelübde abgelegt. Es stammt aus dem Jahre 1878 und ist nachzu-

lesen in den Kriegsartikeln der Heilsarmee. »Ich will mich enthalten von alkoholischen Getränken«, heißt es da, »von Tabak, von nicht ärztlich verschriebenen Drogen, dem Glücksspiel, der Pornographie, dem Okkultismus und allem, was meinen Körper, meine Seele oder meinen Geist abhängig machen könnte.«

     Gelten diese strengen Regeln auch für den Freundeskreis der Heilsarmee?
     Reinhold Walz: Nein. Der Freundeskreis steht allen Menschen offen, die ein nach christlichen Maßstäben ausgerichtetes Leben führen möchten. Sie müssen kein Gelübde ablegen und tragen auch keine Uniform.

     Ist die Uniform überhaupt noch zeitgemäß?
     Reinhold Walz: Zumindest ist sie notwendig. Wir trugen und tragen eine Uniform, weil wir wollen, daß man uns sofort als Soldat Gottes erkennt. Das ist heute besonders wichtig, da der Glaube oftmals unsichtbar ist. Woran erkennen Sie einen evangelischen Pfarrer auf der Straße? Oder einen katholischen Geistlichen? Wenn überhaupt, dann an dem kleinen Kreuz am Revers. Unsere blauen Uniformen sind also ...

     Verzeihung, eine Frage am Rande ... Wo lassen Sie die schneidern?
     Reinhold Walz: Im Sächsischen ... Wir hatten früher eine Uniformfabrik bei den Schwaben und eine im Raum Bochum. Nun also bekommen wir unsere Bekleidung aus dem Erzgebirge. Doch zurück zur Bedeutung der Uniform. Sie hat sogar eine ganz

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praktische. Arbeiten Sie mal unter Obdachlosen oder Autonomen in der Hausbesetzer-Szene ... Und dann kommt die Polizei mit einigen Mannschaftswagen vorgefahren, um eine Razzia durchzuführen, und die Sache eskaliert ... Was glauben Sie wohl passiert, wenn Sie da als Zivilist zwischengeraten!? Den Soldaten der Heilsarmee aber schützt die Uniform.

     Zurück zu den Berliner Anfängen ... Sie sagten, die Heilsarmee wurde immer populärer, gehörte bald wie selbstverständlich zum Berliner Straßenbild. Worauf gründete sich diese Popularität?
     Reinhold Walz: Beispielsweise auf die Tatsache, daß Ende des vorigen Jahrhunderts jeder, der volltrunken aus der Kneipe kam, damit rechnen konnte, von der »Trinkerrettungsbrigade« der Heilsarmee ins nächste Korps transportiert zu werden.
     Dort konnte er seinen Rausch ausschlafen. Die Salutisten wachten darüber, daß diese hilflosen Menschen nicht ausgeraubt wurden, bemühten sich, sie von ihrem Laster zu befreien.

     Die barmherzigen Samariter ...
     Reinhold Walz: Gewiß. Aber die Heilsarmee engagierte sich auch auf anderen sozialen Feldern. So wurde am 19. November 1897 in der Fregestraße 53 als erste soziale Einrichtung in Deutschland ein »Rettungsheim für gefährdete und gefallene Mädchen« eröffnet. Dann folgte in der Lankwitzstraße 4 am Halleschen Tor ein Heim für Wöchne-

rinnen und junge Frauen, die ungewollt schwanger geworden waren. 1899 weihte die Heilsarmee ihr erstes Kinderheim in der Bahnhofstraße in Schöneberg ein, und 1900 kam in der Oranienstraße 51 ein Mädchen-Logierhaus hinzu. Auch der Zulauf zu den Veranstaltungen wurde immer größer.
     1904, als General William Booth die deutsche Hauptstadt besuchte, mußte der Winterbau des Zirkus Busch angemietet werden. 10 000 Zuhörer wurden in den beiden Veranstaltungen gezählt. 1911 dann eröffnete die Heilsarmee ihr erstes Männerheim in der Büschingstraße.

     Was änderte sich für die Heilsarmee, als Hitler an die Macht kam?
     Reinhold Walz: Schon zu Beginn des Dritten Reiches wurde die Arbeit der Heilsarmee eingeschränkt. Als erstes sollte unsere Jugendarbeit geschlossen in die Staatsjugend überführt werden. Dem kam Kommandeur Howard zuvor, indem er die Heilspfadfinder auflöste. Dann durften keine Bußtagsveranstaltungen mehr stattfinden, später wurde ein Sammelverbot ausgesprochen und die Heilsarmisten machten sich strafbar, wenn sie Geld annahmen.
Als die Sozialarbeit in die staatliche Wohlfahrt zwangseingegliedert wurde, war eine ganz wichtige Lebensader der Heilsarmee zerschnitten.

     Was geschah nach dem Krieg? In Berlin waren Not und Elend groß ...
     Reinhold Walz: Diese Feststellung gilt

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auch für die Mitglieder der Heilsarmee. Trotzdem begannen wir sofort mit dem Wiederaufbau unserer Organisation. Unterstützt wurden wir von den sogenannten Relief Teams, Hilfsgruppen der internationalen Heilsarmee. Auch viele englische Heilsarmisten halfen, die in Berlin als Besatzungssoldaten stationiert waren. Trotz des Fraternisierungsverbots entstanden enge Kontakte und tiefe Freundschaften.

     Sie sprechen vom Westteil der Stadt. Wie war die Situation im Osten?
     Reinhold Walz: In der DDR wurde die Heilsarmee offiziell nicht wieder zugelassen. Zwar duldeten die Behörden die Arbeit in Ostberlin noch eine Weile, aber nach dem 17. Juni 1953 mußte auch das letzte bestehende Korps in der Dresdener Straße geschlossen werden. Lange Zeit noch hoffte man im Hauptquartier, die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Der Bau der Mauer am 13. August 1961 setzte den endgültigen Schlußstrich.

     Wie wir heute wissen, dauerte der Schlußstrich 28 lange Jahre. Was geschah nach der Wende?
     Reinhold Walz: Am 16. März 1990 wurde die Heilsarmee in der DDR wieder zugelassen, am 14. Januar 1991 wurde das Korps Berlin-Prenzlauer Berg neu gegründet, mittlerweile hat die Heilsarmee in Berlin wieder vier Korps: in Friedenau, Schöneberg, Wedding und im Prenzlauer Berg.

     Wie ist die zahlenmäßige Stärke der Ge-

meinde, wie finanziert sich die Heilsarmee?
     Reinhold Walz: Wir sind 170 Mitglieder in Berlin, eine verschworene Gemeinschaft. Leider müssen wir ohne Kirchensteuer auskommen. In erster Linie finanzieren wir uns also über Spenden. Davon bezahlen wir unsere hauptamtlichen Mitarbeiter und betreiben die Sozialarbeit in den einzelnen Gemeinden. Die »institutionelle Sozialarbeit« wird über Pflegesätze und staatliche Zuschüsse finanziert. Dazu zählen in Berlin ein Männer-Wohnheim und ein Altersheim für Frauen, eine Kindertagesstätte, eine Altenpflege- und ein Kinderheim, in der Dickhardtstraße 52/53 hat die Heilsarmee 42 Wohnungen für ältere Menschen eingerichtet. Nicht zu vergessen die Wärmestuben im Wedding und im Prenzlauer Berg. Der zurückliegende strenge Winter brachte uns einen großen Zulauf an Obdachlosen ...

     Das klingt wie eine Erfolgsmeldung ...
     Reinhold Walz: Und soll doch nur demonstrieren, daß soziales Engagement heute dringender denn je ist.

Das Gespräch führte Bernd Siegmund

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